Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → FAKTEN

SPRACHE/461: Sprache und Engagement - Schlüssel zur Integration (idw)


VolkswagenStiftung - 11.04.2007

Sprache und Engagement - Schlüssel zur Integration

Migration meistern: VolkswagenStiftung bewilligt über zwei Millionen Euro für vier weitere "Studiengruppen zu Migration und Integration"


Grundschulklassen, in denen die Hälfte der Kinder kaum deutsch sprechen kann; Familien, in denen die jüngere Generation als Mittler für die Älteren agiert und oft eine ganz eigene Mischsprache entwickelt; Arztpraxen, die auf Dolmetscher angewiesen sind; neue, kultursensible Konzepte in der Altenpflege und im Gesundheitswesen - die Anforderungen an die Integrationsarbeit in Deutschland sind immens. Bei fortdauernder Zuwanderung wird Mehrsprachigkeit und auch "Mehrschriftlichkeit" ebenso zum Thema wie die Gestaltung der Organisationen, mit denen wir im täglichen Leben zu tun haben. Diese Themen in den Fokus zu rücken und sich der Problematik in Wissenschaft und Praxis weiter anzunehmen, ist daher unerlässlich. Die VolkswagenStiftung hat bereits im Jahre 2004 acht internationale Studiengruppen zu Migration und Integration auf den Weg gebracht, in denen die Themenkomplexe "Bildung", "Wirtschaft" und "Partizipation" bearbeitet werden. Jetzt fördert die Stiftung vier weitere Studiengruppen mit insgesamt über zwei Millionen Euro, die sich thematisch mit "Struktur und Wandel von Sprachen" sowie den Beziehungen von "Migration und Organisation" auseinander setzen. Bewilligt wurden:

im Themenfeld "Struktur und Wandel der Sprache":

1.) 250.000 Euro für das Vorhaben "Deutsch am Arbeitsplatz. Untersuchung zur Kommunikation im Betrieb als Grundlage einer organisationsbezogenen Zweitsprachförderung" - beteiligt sind unter anderem Matilde Grünhage-Monetti vom Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn sowie Professor Dr. Hermann Funk, Didaktik und Methodik Deutsch als Fremd- und Zweitsprache an der Universität Jena;

2.) 498.000 Euro für das Vorhaben "Schreiben zwischen Sprachen und Kulturen: Ressource und Hemmnis der Integration" von Professor Dr. Ludger Hoffmann vom Institut für deutsche Sprache und Literatur der Universität Dortmund - in Zusammenarbeit mit seiner Kollegin Professorin Dr. Uta Quasthoff sowie Professor Dr. Dr. Michael Kastner vom Institut für Psychologie der Universität Dortmund;

3.) 658.000 Euro für das Vorhaben "Schriftspracherwerb in der Organisation Schule unter den Bedingungen von Migration und Mehrsprachigkeit. Eine vergleichende Untersuchung" von Professor Dr. Michael Bommes vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück - in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Christoph Schroeder vom Department of Comparative Literature der Istanbul Bilgi University, Türkei;

im Themenfeld "Migration und Organisation":

4.) 740.000 Euro für das Vorhaben "Verbreitung und Kontextbedingungen Transnationaler Migrantenorganisationen in Europa" von Professor Dr. Ludger Pries, Fakultät für Sozialwissenschaft der Universität Bochum - in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Stephen Castles, Refugee Studies Centre der University of Oxford, Großbritannien, Professor Dr. Gunther Dietz vom Laboratorio de Estudios Interculturales der Universidad de Granada, Spanien, Dr. Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, und Professor Dr. Marek Okólski vom Centre of Migration Research in Warschau, Polen.


*


Weitere Informationen zu diesen vier Projekten:

Zu 1: Gemeinsam in einem Betrieb zu arbeiten - was könnte besser geeignet sein, Ein- und Zuwanderern die Integration zu erleichtern? Und sollten nicht gerade Arbeitgeber ein ausgeprägtes Interesse haben, den Erwerb der deutschen Sprache zu unterstützen? Allerdings wird in Deutschland und Österreich der Zweitspracherwerb in betrieblichen Kontexten nur sehr vereinzelt und ansatzweise gefördert. Anders als in traditionellen Einwanderungsländern wie Australien und Kanada gibt es hierzulande keine - auch aus wissenschaftlicher Sicht fundierten - Angebote, die den Anforderungen der globalisierten Arbeitswelt gerecht werden. Diese Lücke zu schließen ist Ziel der sehr praxisorientiert angelegten Studiengruppe, die sich insbesondere Betrieben der Altenpflege und der metallverarbeitenden Industrie zuwendet. Dort sind jeweils ein hoher Anteil der Beschäftigten Migrantinnen und Migranten.

Ziel des Forscherteams ist es, bestehende Verfahren und Instrumente zum betrieblichen Zweitspracherwerb zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Ein Beispiel: "Profile Deutsch", ein flexibles System, mit dem sich Unterricht planen, durchführen und evaluieren lässt. Als empirische Grundlage dienen den Wissenschaftlern Gespräche am Arbeitsplatz und zugehörige schriftliche Materialien. Daraus wollen sie zunächst eine Übersicht relevanter kommunikativer Gattungen, Szenarien und Texte mit ihren Charakteristika anfertigen, um in einem nächsten Schritt Daten über die sprachlichen Fähigkeiten auf unterschiedlichen Lernniveaus bereitstellen zu können. Ein weiteres Anliegen des Teams ist es, Empfehlungen zu geben zur Verbesserung der innerbetrieblichen Kommunikation und zur Optimierung entsprechender Bildungsangebote und Qualifizierungsprofile für das lehrende Personal. Darüber hinaus möchte die Studiengruppe ein Instrumentarium entwickeln zur "Organisationsbezogenen Kommunikationsanalyse". Mit dessen Hilfe sollen Bildungsanbieter und Betriebe kommunikative Anforderungen und Bedarfe ermitteln und beschreiben können.

Kontakt
Deutsches Institut für Erwachsenenbildung
Matilde Grünhage-Monetti
Telefon: 0228 3294 - 256
E-Mail: gruenhage-monetti@die-bonn.de


*


Zu 2: Einen Text gut schreiben zu können - sei es einen Brief, einen Aufsatz oder auch eine E-Mail - gehört zu den Kulturtechniken, die das Wesen einer Gesellschaft prägen. Schreiben ist somit eine Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an Bildungsprozessen. Wer mit schriftlicher Sprache nicht hinreichend umgehen kann - und das betrifft Ein- und Mehrsprachige gleichermaßen -, läuft Gefahr, am gesellschaftlichen Leben nicht vollständig teilnehmen zu können. Für Migrantinnen und Migranten ist der Erwerb der Schreibfähigkeiten zudem noch dadurch erschwert, dass in der Zweitsprache Deutsch bereits die Fähigkeit, sich im Gespräch auszudrücken, und das Sprachbewusstsein mehr oder weniger stark begrenzt sein können. Manch einer nimmt die deutsche Schriftsprache unter Umständen gar als bedrohlich wahr. Ziel dieser Studiengruppe ist es daher, Möglichkeiten und Wege aufzuzeigen, solche ausgrenzenden Faktoren zu reduzieren.

Für ihre empirische Studie im Ruhrgebiet wird das Team die Daten von Personen mit türkischsprachigem Migrationshintergrund mit denen deutschsprachiger Befragter niedriger Bildungsschicht vergleichen. Die Stichprobe umfasst 48 Personen, von denen immer drei Generationen (im Alter von etwa 20, 45 und 65 Jahren) zur gleichen Familie gehören sollen. Im Kern wollen die Forscher zeigen, wie sich der Zugang zur mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenz gestaltet und wie sich Erfahrungen mit Schriftlichkeit in der Biografie spiegeln. Als Datenbasis dienen Interviews sowie ausgefüllte Formulare und Briefe an deutsche Ämter. Die Ergebnisse werden an einer Stichprobe von 360 Personen mithilfe eines Fragebogens auf ihre Verallgemeinerbarkeit überprüft. Die Team-Mitglieder wollen daraus Empfehlungen ableiten, wie sowohl die Angebote als auch das Umfeld gestaltet werden müssen, damit Zuwanderer gern die neue Sprache erwerben. Und: Wie müssen sich "Behörden" mitteilen, damit sie - von Migranten und auch Nicht- Migranten - verstanden werden?

Kontakt
Universität Dortmund
Institut für deutsche Sprache und Literatur
Prof. Dr. Ludger Hoffmann
Telefon: 0231 755 2921/5577
E-Mail: ludger.hoffmann@uni-dortmund.de


*


Zu 3: Lesen und vor allem Schreiben wird in den meisten Fällen in der Schule erlernt. Dabei sind das Lehren und damit die Schule immer auch von den Wissens- und Sprachauffassungen der jeweiligen Zeit und Kultur geprägt. Heutzutage lernen zudem in vielen Schulklassen gemeinsam Kinder verschiedener Herkunft. Wie sehr ist der Erwerb der Schriftsprache von der Schule als Organisation beeinflusst? Und welche Rolle spielen dabei Migration und Mehrsprachigkeit? Diesen Fragen geht ein deutsch-türkisches Wissenschaftlerteam nach, das den Schriftspracherwerb in der Schule in Deutschland und der Türkei vergleicht. Die Forscher vermuten, dass soziale Faktoren und solche des Spracherwerbs einander eng bedingen. Die beiden Länder eignen sich nach Meinung der Forscher für die Untersuchung besonders, da sich die Migrationserfahrungen deutlich unterscheiden: Deutschland als Einwanderungsland stellt seine Institutionen der Erziehung erst langsam auf Migration und Mehrsprachigkeit ein; die Türkei hingegen ist ein Auswanderungsland, dessen Erziehungssystem zugleich innere und auch von außen zugewanderte Migranten beschult.

Die Gruppe plant Untersuchungen in je einer ersten und siebten Grundschul- beziehungsweise Gesamtschulklasse im Ruhrgebiet und in Istanbul. Diesen sollen neben einsprachigen jeweils auch mehrsprachige Schülerinnen und Schüler angehören: in Deutschland vermutlich russisch, türkisch und arabisch sprechende Kinder, in der Türkei solche, die neben türkisch auch kurdisch, arabisch und die Sprache der Roma und Sinti sprechen können. Ein Jahr lang soll der Deutsch- beziehungsweise Türkischunterricht auf Video aufgenommen und dann analysiert werden. Ergänzend wollen die Forscher Unterrichtsprotokolle, andere Dokumente und die im Unterricht erstellten schriftsprachlichen Produkte einbeziehen. Bei jeweils sechs Schülern möchten die Forscher zudem die Elternhäuser und damit die für den Schriftspracherwerb relevanten Lebensumstände genauer betrachten. Zugleich beabsichtigen sie, die Erkenntnisse über Workshops und Praxisseminare kontinuierlich an Schulen, Kindertagesstätten, Lehrerfortbildungseinrichtungen und Eltern weiterzugeben.

Kontakt
Universität Osnabrück
Institut für Migrationsforschung und
Interkulturelle Studien (IMIS)
Prof. Dr. Michael Bommes
Telefon: 0541 969 - 4916
E-Mail: mbommes@uni-osnabrueck.de


*


Zu 4: In über fünfzig Jahren Einwanderungsgeschichte ist in Deutschland eine Vielzahl sogenannter Migrantenorganisationen - wie etwa die "Türkische Gemeinde in Deutschland" - entstanden, die als Interessenvertretung einzelner Zuwanderergruppen auftreten. Das zivilgesellschaftliche Engagement von Migranten ist längst von den europäischen Institutionen in seiner Bedeutung erkannt und zum Politikziel erhoben worden. Neuere Studien verzeichnen, dass sich die Beziehungen dieser Organisationen zu den jeweiligen Herkunftsländern intensivieren. Daher stellt sich die Frage, ob sich das Engagement und die politische Mitwirkung von Migranten noch in nationaler Betrachtung erfassen lassen - oder nicht doch eher in transnationaler Perspektive. Wie grenzüberschreitend ist deren Wirken?

Mit dieser Forschungsfrage sind eine Reihe weiterer verbunden, deren Beantwortung Ziel der interdisziplinären und transnationalen Studiengruppe ist. Sind Migrantenorganisationen in Ankunfts- und Herkunftsländern gleichermaßen aktiv und in ihren Strukturen und Anliegen von beiden Kulturen geprägt? Agieren diese Organisationen zunehmend in grenzüberschreitenden Formen und Netzwerken? Und: Tragen sie daher zu neuen Formen der transnationalen gesellschaftlichen Integration bei? Um diese Fragen zu beantworten, gehen die Forscher in zwei Schritten vor. Zunächst wollen sie die Charakteristika der 20 bis 30 wichtigsten grenzüberschreitenden Migrantenorganisationen in Deutschland, Großbritannien, Polen und Spanien erfassen - anhand von einschlägiger Literatur und Internet-Dokumenten sowie über Telefoninterviews mit Vertretern der Organisationen. Für eine zweite Untersuchungsstufe wählen sie aus diesem Pool zwei vornehmlich religiös ausgerichtete und zwei politisch aktive Organisationen aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Idealtypus transnationaler Organisationen entsprechen. Für die dazu geplanten individualisierten Fallstudien sind Dokumentenanalysen und Experteninterviews vorgesehen.

Kontakt
Universität Bochum
Fakultät für Sozialwissenschaft
Prof. Dr. Ludger Pries
Telefon: 0234 32 - 25429
E-Mail: Ludger.Pries@ruhr-uni-bochum.de


*


Kontakte VolkswagenStiftung

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 0511 8381 - 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

Ausschreibung Studiengruppen
zu Migration und Integration
Dr. Alfred Schmidt
Telefon: 0511 8381 - 237
E-Mail: schmidt@volkswagenstiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution458


*


Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
VolkswagenStiftung, Dr. Christian Jung, 11.04.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2007