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SPRACHE/644: "Ich lerne bei jedem China-Besuch etwas Neues" (MünchnerUni Magazin)


MünchnerUni Magazin 03/2009
Zeitschrift der Ludwig-Maximilians-Universität München

"Ich lerne bei jedem China-Besuch etwas Neues"

MUM sprach mit Professor Hans van Ess, Lehrstuhl für Sinologie an der LMU, über die Hintergründe einer anspruchsvollen Sprache.


MUM: Herr van Ess, wer spricht die Sprache?

van Ess: Chinesisch bzw. unterschiedliche chinesische Dialekte werden von fast allen der offiziell in der Volksrepublik China lebenden 1,3 Milliarden Chinesen gesprochen. Nur einige wenige Minderheiten sprechen Chinesisch als Zweitsprache, zum Beispiel 20 Millionen Taiwanesen.

MUM: Wie kann man die Sprachkenntnisse an der LMU erwerben?

van Ess: Chinesisch kann man im Sinologischen Seminar des Departments für Asienstudien der LMU lernen. Dies tun auch zirka 250 Haupt- und noch einmal so viele Nebenfach-Studierende. Daneben gibt es auch Kurse für Nichtsinologen im Fremd- und Fachsprachenprogramm.

MUM: Was macht die Sprache so besonders?

van Ess: Grammatikalisch ist das Chinesische auf den ersten Blick gar nicht schwer. Die einzelnen Worte haben keine Endungen, eine Morphologie ist nur sehr rudimentär vorhanden, so dass vor allem einige Satzstellungsregeln zu erlernen sind. Die große Hürde, die der Lernende zu überwinden hat, sind die Schriftzeichen, von denen es zwei verschiedene Varianten gibt: Die traditionellen Zeichen, die auf Taiwan und in Hongkong gebraucht werden und auch in der Volksrepublik wieder stärker in Gebrauch kommen, und die vereinfachten Zeichen, die man in China ab den 50er-Jahren einzuführen begann.

MUM: Wann hat sich die Sprache ursprünglich herausgebildet?

van Ess: Die ältesten bekannten chinesischen Zeichen, auf die die heutigen Zeichen zurückgehen, stehen auf Schildkrötenpanzern oder Oberschenkelhalsknochen von Rindern, die man im ausgehenden 2. Jahrtausend v. Chr. für spirituelle Zwecke benutzte. Man nennt sie deshalb "Orakelknochen". Wie das Chinesische damals ausgesprochen wurde, wissen wir trotz zahlreicher Rekonstruktionsversuche nicht. Klar ist aber, dass es einen viel größeren Lautbestand gab als heute. Dieser hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark abgeschliffen, ähnlich wie das offenbar auch mit dem Englischen passiert ist. Man muss sich die Entstehung der chinesischen Schrift wohl so vorstellen, dass es zunächst einige Bildzeichen gab, die dann genutzt wurden, um auch andere Worte zu schreiben, die gleich lauteten, aber etwas anderes bedeuteten. Im Laufe der Jahrhunderte fügte man dann diesen einfachen Zeichen bestimmte semantische Zeichen hinzu, welche die Bedeutung eindeutig machten.

MUM: Wie kann man Chinesisch am besten lernen?

van Ess: Man kann Chinesisch natürlich wie jede andere Sprache lernen und auf die Zeichen verzichten. Das empfiehlt sich allerdings nicht, denn die Zeichen erleichtern das Auseinanderhalten von Vokabeln. Wer über den kleinen Grundwortschatz, der für die allernötigsten Dinge des täglichen Gebrauchs notwendig ist, hinauskommen möchte, der sollte sich daher den Mühen des Zeichenlernens unterziehen und am besten jeden Tag eine halbe bis eine ganz Stunde Zeichen üben.

MUM: Wie lange dauert es ungefähr, bis man den Grundwortschatz anwenden kann?

van Ess: Nach zwei Jahren hat der durchschnittliche Lernende einen ganz guten Grundwortschatz, den er oder sie allerdings normalerweise nur passiv beherrscht. Er sollte dann am besten ins Land fahren und sich dort eine Weile aufhalten, um den Wortschatz zu aktivieren. Als ich nach zwei Jahren Studium zu einem kurzen Aufenthalt nach China kam, brachte ich keinen einzigen Satz heraus, und auch nach dreieinhalb Jahren, als ich dann zu einem zweijährigen Studium nach Shanghai ging, verstand ich niemanden und konnte nichts sagen. Drei Monate später allerdings begannen sich die Sprachkenntnisse bemerkbar zu machen und nach einem Jahr begann ich mich im Chinesischen zu Hause zu fühlen, wobei ich immer noch nur einen kleinen Wortschatz hatte und komplizierten Gesprächsthemen nicht folgen konnte. Bis heute ist es so, dass ich bei jedem China-Besuch Neues dazulerne.

MUM: Warum lohnt es sich diese Sprache heutzutage zu erlernen?

van Ess: Im Augenblick boomt das Chinesische. Im deutschsprachigen Raum lernen zirka 10.000 Menschen Chinesisch, die Hälfte an der Universität, die anderen in sonstigen Sprachschulen und auch an immer mehr Gymnasien. Chinesisch ist eine Sprache, die rasch an Bedeutung gewinnt, natürlich auch aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs in der VR China und in Ostasien allgemein. Ich würde die Gründe für ein Chinesisch-Studium aber ungern auf diesen Aspekt reduzieren. Ausschlaggebend sollte immer auch das Interesse an einer reichen Kultur sein, von der man viel lernen kann.


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An der LMU ist das Sprachenangebot so vielseitig wie an kaum einer anderen Hochschule in Deutschland. Fast 70 Sprachen kann man hier erlernen. In der neuen Serie stellt MUM jeweils eine Sprache mit Hintergründen, Beispielen und Adressen vor.

www.sinologie.uni-muenchen.de
www.chinesisch-lernen.org


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Quelle:
MünchnerUni Magazin 03/2009, Seite17
Herausgeber: Präsidium der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009