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SPRACHE/682: Deutsche Sprache - schwere Sprache? (idw)


Goethe-Universität Frankfurt am Main - 18.12.2009

Deutsche Sprache - schwere Sprache?

Von der Spracherwerbsforschung zur erfolgreichen Integration - ein langer Weg


FRANKFURT. Gute Kenntnisse der deutschen Sprache sind entscheidend für den schulischen Erfolg und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund adäquat fördern zu können, sind Konzepte für die Diagnose und Förderung der Sprachfähigkeiten im Deutschen gefragt. "Gesellschaft wie Politik haben jedoch spät zur Kenntnis genommen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Gleichzeitig bestehen immer noch große Wissenslücken bei der Erforschung des Zweitspracherwerbs", so Prof. Petra Schulz vom Institut für Psycholinguistik und Didaktik der Deutschen Sprache. In der aktuellen Ausgabe von "Forschung Frankfurt" berichtet sie mit ihren Mitarbeitern über Projekte für Kinder im Vorschulalter und für Jugendliche in der gymnasialen Oberstufe, die den Bogen von der Grundlagenforschung bis zum Wissenstransfer in die Praxis spannen.

Das Projekt MILA ist Teil des vom Land Hessen geförderten LOEWE-Zentrums IDeA, in dem Psychologen, Pädagogen, Linguisten und Mathematikdidaktiker Lernschwierigkeiten erforschen. MILA untersucht den Spracherwerb von Kindern, die im Alter von drei bis sieben Jahren Deutsch als Zweitsprache erlernen, im Vergleich mit dem Spracherwerb von monolingualen Kindern. Dabei interessieren sich Schulz und ihre Mitarbeiter besonders für die Entwicklung des Sprachverstehens, das bisher kaum Gegenstand der Forschung war. Im Juni 2009 schlossen sie die erste Erhebungsrunde an 160 Kindern aus Frankfurter Kindertagesstätten ab. Die Ergebnisse: Kinder mit Deutsch als Zweitsprache weisen einen ähnlichen Spracherwerbsverlauf auf wie monolinguale Kinder, wenn sie früh - zwischen dem zweiten und vierten Geburtstag - mit der Zweitsprache beginnen. Zudem zeigt sich, dass die Kontaktdauer zum Deutschen einen wichtigen Faktor für den Lernerfolg darstellt.

Eine gezielte Sprachförderung ein Jahr vor der Einschulung sollen die hessenweit eingeführten Vorlaufkurse gewährleisten. Häufig finden aber keine systematischen Sprachstandserhebungen statt. Zum einen existiert nur wenig sprachwissenschaftlich fundierte Forschung dazu, wie man Kinder mit Deutsch als Zweitsprache adäquat beurteilen kann. Zum anderen ist nicht klar, ob Grundschullehrer in den Bereichen Sprachdiagnostik und Sprachförderung hinreichend ausgebildet sind. In einer von der Hertie-Stiftung unterstützten Promotionsstudie werden in der Arbeitsgruppe von Petra Schulz Vorlaufkurse an knapp 50 Schulen untersucht. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Lehrkräfte die sprachlichen Kompetenzen der Kinder eher überschätzen. Sollten sich diese empirischen Befunde in weiteren Analysen bestätigen, lassen sich auf dieser Basis auch spezifische Vorschläge für zukünftige Fortbildungsmodule entwickeln.

"Verdeckte Sprachschwierigkeiten", die sich aufgrund geschickter Vermeidungsstrategien bei Zweitsprachlernern bis in die Oberstufe halten können, sind bisher so gut wie gar nicht erforscht. Im Gegensatz zum Bereich Deutsch als Fremdsprache liegen keine Diagnoseinstrumente dafür vor. Ebenso fehlen spezifische Förderkonzepte für Schüler, deren Deutschkenntnisse gut genug sind, um es bis in die Oberstufe geschafft zu haben, deren Deutschnoten jedoch darunter leiden, dass sie keine Muttersprachler sind. Von Außenstehenden wird die Förderung von Deutsch als Zweitsprache in der Oberstufe häufig noch als Luxusproblem angesehen - zu Unrecht, wie das große Interesse der Frankfurter Gymnasien am Förderunterricht für Jugendliche mit Migrationshintergrund (FJM) zeigt. Hier werden die sprachlichen Schwierigkeiten im mündlichen und schriftlichen Deutsch erforscht. Die Kompetenzbereiche, in denen die Oberstufenschüler ihre Deutschkenntnisse selbst als besonders defizitär empfinden, sind "Schreiben von Aufsätzen", "Rechtschreibung" und "Grammatik". Dieses Ergebnis ist durchaus brisant, da der gymnasiale Lehrplan mit der expliziten Behandlung der beiden letztgenannten Themenbereiche bereits in Klasse 8 beziehungsweise 9 abschließt.

Eine erste Analyse von Aufsätzen der FJM-Schüler ergab, dass sich der Spracherwerbstyp durchaus auf die Art der sprachlichen Schwierigkeiten auswirkt. Die Aufsätze der in Deutschland geborenen Schüler mit Migrationshintergrund bestätigen, dass die "verdeckten Sprachschwierigkeiten" bis in die Oberstufe bestehen bleiben. Oft werden die Anforderungen an die Textsorte nicht genug beachtet, und auch im Bereich Satzbau treten Auffälligkeiten auf, die typisch für den mündlichen Sprachgebrauch sind. Die Aufsätze der Seiteneinsteiger hingegen zeichnen sich zwar durch einen komplexeren Satzbau aus, enthalten aber Grammatikfehler, zum Beispiel im Bereich der Wortstellung, die für Lernende von Deutsch als Fremdsprache typisch sind. Deshalb wird im FJM-Projekt auch der Frage nachgegangen, ob die Methodik und Didaktik aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache vor allem für Seiteneinsteiger geeignet ist, während für die in Deutschland geborenen Schüler Anleihen bei den Ansätzen aus dem Bereich Deutsch als Zweitsprache für die früheren Schulstufen gemacht werden können.


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigte sie sich als eine der forschungsstärksten Hochschulen.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Goethe-Universität Frankfurt am Main, Dr. Anne Hardy, 18.12.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2009