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UNIVERSITÄT/168: Flüchtlingshilfe an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (AGORA)


AGORA - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2015

Flüchtlingshilfe an der KU

von Karolina Albrecht und Christine Heimerer


Im Jahr 2012 gründete eine Handvoll Studierender der KU eine kleine Initiative, um Flüchtlingen im Landkreis Eichstätt Deutschunterricht zu geben. Mittlerweile ist das Angebot auch in das Curriculum der KU eingeflossen und ein Kompetenzzentrum "Flucht und Migration" in Planung.

Alles begann im Oktober 2012 als drei Studierende gemeinsam mit der Caritas Eichstätt die ersten Deutschstunden für Flüchtlinge planten. Ohne Sprachkenntnisse könnten sich diese nicht selbst helfen, nicht integrieren, keinen Anschluss außerhalb der Unterkunft finden, so die Gründer der Initiative. Wenig später erfolgte der erste Unterricht mit Flüchtlingen aus Pfünz, einer der ersten Unterkünfte im Landkreis, im Studihaus der KU. "Durch Flyer an der Uni machten wir auf unsere Initiative aufmerksam, um Studenten zu finden, die sich als Deutschlehrer engagieren würden", erklärt Deborah Foth. "Das hat auch sehr gut geklappt."

Angedacht war anfangs, einmal wöchentlich einen Deutschkurs in Eichstätt abzuhalten, aber wie die Erfahrungen zeigten, war dies mit steigender Zahl von Unterkünften, Flüchtlingen und Lehrern nicht mehr möglich. Der Unterricht wurde in die Unterkünfte selbst verlegt. "Die Organisation und Finanzierung war zu Beginn sehr chaotisch, da wir alle neu in der Thematik waren. Aber das Konzept, durch Benefizveranstaltungen Geld für das Projekt zu verdienen, gab es von Beginn an.", fährt Deborah fort. Nach und nach beteiligten sich dann auch einige Gemeinden an den Fahrtkosten der Studierenden und durch die Integration der Initiative in den örtlichen Live for Life e.V. konnten dann auch Spenden angenommen und Quittungen ausgestellt werden.

Wahnsinn, was aus so einer kleinen Initiative werden kann", sagt Anna Peschke heute, ebenfalls Mitbegründerin der Initiative, "mit diesem Erfolg hätten wir nie gerechnet". Was zu diesem Erfolg beitrug, war sicherlich auch die Möglichkeit, Flüchtlingsarbeit in den Stundenplan zu integrieren. Denn zum Wintersemester 2013/14 konnte erstmals das Studentische Freimodul "EduCulture: tun.starthilfe für flüchtlinge" angeboten werden. Geleitet und durchgeführt von Studierenden. Zur Implementierung des Moduls mussten zunächst die Rahmenbedingungen geschaffen werden: "In unserem Fall wird dieses Modul von Studierenden selbst vorgeschlagen, verwaltet und organisiert. Herzstück ist die praktische Arbeit. Der schwierigste Bereich ist die Integration in das Curriculum", so Präsidentin Gabriele Gien, "Am günstigsten ist zunächst eine Integration in den Wahlpflichtbereich im Kontext affiner Studiengänge, als Wahlmodul für alle Studiengänge." Auch finanziell greift die Universität der Initiative unter die Arme. Sie übernimmt Fahrt- und Materialkosten während des Semesters, HiWi-Verträge für die Modulleitung und stellt kostenfrei Räume für die halbjährlichen Sprachschulen zur Verfügung. "Das ist eine große Hilfe und schafft für uns eine gewisse Planungssicherheit", führt Karolina Albrecht, Dozentin des Studentischen Freimoduls, aus " und durch die Möglichkeit zur Spendenannahme haben wir viel Unterstützung aus der Bevölkerung und lokalen Vereinen, wie der Turbojugend Gstoich, erfahren und auch der Donaukurier oder die Audi AG unterstützen uns immer wieder."

Ohne diese finanziellen und organisatorischen Hilfen sei die Flüchtlingshilfe in diesem Rahmen nicht möglich. Denn mit der Gründung des Moduls kamen noch weitere Arbeitsbereiche hinzu: Erstens die "Individuellen Begleiter", die ganz praktische Starthilfe gaben. So wurden gemeinsam Schreiben vom Jobcenter übersetzt, Sportvereine gesucht oder Arzttermine vereinbart. Zweitens gründete sich ein Presse- und Organisationsteam, welches von nun an die Veranstaltungen, Fundraisingaktionen, sowie die Kommunikation und Dokumentation übernahm.

Anfang Oktober 2014 wurde das Gebäude der ehemaligen Maria Ward-Mädchenrealschule in Eichstätt als Erstaufnahme zur Verfügung gestellt und bietet seitdem etwa 200 Flüchtlingen ein vorübergehendes Heim. Zusätzlich zur studentischen Initiative tun.starthilfe, die sich in erster Linie in dezentralen Unterkünften im Landkreis Eichstätt engagierte, entstand im Herbst 2014 ein Modell, das sich in ähnlicher Weise mit Deutschkursen und allgemeiner Flüchtlingsarbeit der Bewohner in der neuen Erstaufnahmestelle Maria Ward annehmen sollte.

"An unserem Lehrstuhl Didaktik der deutschen Sprache und Literatur haben wir es uns daher zur Aufgabe gemacht, der großen Nachfrage nach Deutsch-Anfängerkursen in der Maria Ward gerecht zu werden und haben für das Wintersemester 2014/15 mehrere Seminare und damit verbundenen Projekte ins Leben gerufen.", erklärt Christine Heimerer, Lehrstuhlmitarbeiterin und Modulverantwortliche. "Dabei ging es aber nicht nur um Konzeption und Durchführung von Deutschkursen, sondern auch darum, den Bewohnern auf anderen Gebieten direkt oder indirekt zu helfen." Insgesamt konnten sechs Deutschkurse angeboten werden, die einerseits wichtige Sprachkenntnisse vermittelten und andererseits auch eine Abwechslung zum Alltag in der Unterkunft darstellten. Natürlich gab es aber auch Herausforderungen für die Studierenden: "Trotz didaktischer Begleitung im Rahmen eines Seminars, in dem wir auch die Lehrmaterialien entwickelten, war die große Heterogenität der Deutschschüler doch eine komplexe Aufgabe. Hinzu kam die hohe Fluktuation in der Erstaufnahme, die einen langfristig angelegten Lehrplan nicht zuließ. Flexibilität und Einfühlungsvermögen aufseiten der Studierenden waren deshalb eine Grundvoraussetzung", so Christine Heimerer. Auch im Bereich der Alltagshilfe wurden die Studierenden des Moduls aktiv. So erstellte ein weiteres Seminar in Zusammenarbeit mit der Caritas Eichstätt unter anderem eine Willkommensmappe mit allen wichtigen Informationen über die Stadt, die in unterschiedlichen Sprachen angeboten wurde.

Zu Beginn des Sommersemesters 2015 wurden die Veranstaltungen der Deutschdidaktik mit dem Modul "EduCulture: tun.starthilfe für flüchtlinge" zusammengeführt. Auf diese Weise konnten Kapazitäten gebündelt und die Arbeit gemeinsam mit Flüchtlingen effektiver gestaltet werden. Derzeit begleiten 110 Studierende im Rahmen des Studentischen Freimoduls EduCulture und etwa 40 ehrenamtliche KU-Angehörige die Menschen in der Erstaufnahme und 32 dezentralen Unterkünften im Landkreis. Unterstützt werden sie in ihrer Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort.

Aktuell arbeiten Universität und Initiative gemeinsam mit externen Partnern an der Professionalisierung der Flüchtlingsarbeit. So beteiligen sich Studierende, Schulamt und Schulen vor Ort an dem Projekt "Gemeinsam für die Integration", wobei Studierende differenzierten Deutschunterricht für Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrung geben. Geplant ist zudem neben gezielten Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung von Lehrern ein Kompetenzzentrum Flucht und Migration. Dieses soll die vorhandene Expertise nutzen und weiter ausbauen. "Es geht um den Aufbau einer intra- und interdisziplinären Einrichtung, die Forschung, Lehre und Praxis aus den Geistes-, Sozial-, Wirtschafts-, Kultur- und Bildungswissenschaften sowie weiterer angrenzender Disziplinen bündelt und damit eine integrative Perspektive auf das Themenfeld Flucht und Migration eröffnet", führt Hochschulpräsidentin Gabriele Gien aus, wobei auf die Expertise von tun.starthilfe für flüchtlinge zurückgegriffen werden kann. "Man muss das Rad nicht neu erfinden. Als Initiative verfügen wir bereits über ein breites Netzwerk und gute Kontakte zu Wirtschaft und Medien", so Karolina Albrecht, "und vor allem haben wir Erfahrung in der praktischen Arbeit mit Flüchtlingen. Dadurch könnte das Zentrum enorm von unserer Initiative profitieren, aber auch umgekehrt."

Das Engagement für Flüchtlinge an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ist eine Erfolgsgeschichte. Neben einigen regionalen Auszeichnungen, wie den "Kulturhammer" des Joke e.V., wird die Initiative tun.starthilfe in diesem Herbst mit dem Bürgerpreis des Bayerischen Landtags ausgezeichnet. Darüber hinaus haben verschiedene Hochschulen ihr Interesse am Konzept der KU in der Flüchtlingsarbeit bekundet. Der Aufbau des geplanten Kompetenzzentrums Flucht und Migration in Kooperation mit tun.starthilfe für flüchtlinge sollte als eine Chance verstanden werden, die Universitätsstadt Eichstätt auch wissenschaftlich in dieser wichtigen Aufgabe zu positionieren und für ihre Studierenden vielfältige Möglichkeiten des Engagements und der Erfahrung zu bieten.


Karolina Albrecht studiert an der KU im Flexiblen Masterstudiengang Politikwissenschaft und leitete das Kommunikationsteam der tun.starthilfe. Sie gehört zu einem Team, das ein Gasthörerprogramm der KU für Flüchtlingen und Asylsuchende koordiniert.

Christine Heimerer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur. Sie gehört ebenfalls zum Koordinationsteam für das Gasthörerprogramm.

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Quelle:
AGORA - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2015, Seite 20-21
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU, 85071 Eichstätt
Telefon: 08421 / 93-21594 oder -21248, Fax: 08421 / 93-21594-0
E-Mail: pressestelle@ku.de
Internet: www.ku.de
 
AGORA erscheint einmal pro Semester und kann kostenlos bezogen werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2016

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