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FRAGEN/002: Gespräch mit Ingrid Noll (forsch - Uni Bonn)


forsch 3/2007 - November 2006
Bonner Universitäts-Nachrichten

Erfolgreich mit finsteren Gedanken

Die Krimiautorin Ingrid Noll


Mit "Der Hahn ist tot" schrieb sie "ein köstliches Buch darüber, wie Frauen über Leichen gehen, um den Mann ihrer Träume zu kriegen" - so das Urteil von Elke Heidenreich. Sieben weitere Romane hat Ingrid Noll inzwischen vorgelegt und wurde darüber zu einer der erfolgreichsten deutschen Krimiautorinnen. Frank Luerweg sprach mit der Schriftstellerin, die zwischen 1955 und 1957 in Bonn studiert hat.


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FRANK LUERWEG: Frau Noll, Ihre Bücher spielen meist in Mannheim und Umgebung. Warum nicht mal ein Mord an einer altehrwürdigen rheinischen Universität?

INGRID NOLL: Meine Romanfiguren tummeln sich immer in meinem unmittelbaren Jagdrevier. Seit vierzig Jahren lebe ich nun mal in Weinheim an der Bergstraße und kenne mich hier am besten aus. Für einen Mord in einer anderen Stadt - zum Beispiel Bonn oder Bad Godesberg (wo ich ein paar Jahre zur Schule ging) - müsste ich intensiv recherchieren und auch ein paar Wochen dort verbringen. Das wiederum lassen meine Lebensumstände nicht zu. Meine Mutter wohnt seit ihrem 90. Lebensjahr bei uns im Haus, inzwischen ist sie 106 und ein Pflegefall. Wäre ich ungebunden, würde ich mich gern und oft in der ganzen Well herumtreiben.

FRANK LUERWEG: Eine Leserin hat bei Amazon über die Hauptdarstellerin Ihres bitterbösen Erstlings "Der Hahn ist tot" geschrieben: "Keiner mordet so nett wie Rosemarie Hirte." Eigentlich gilt das Lob ja Ihnen, oder?

INGRID NOLL: Die Leserin hat es wohl ironisch gemeint, denn Rosemarie ist alles andere als nett; auf mich trifft es allerdings zu. Wie viele Krimiautoren bin ich ein verträglicher Mensch, der die bösen Gedanken nur auf dem Papier auslebt.

FRANK LUERWEG: Wie und wo kommen Sie auf Ihre morbiden Ideen?

INGRID NOLL: Die Ideen? Mein Alter kommt mir beim Schreiben sehr zugute, weil ich im Laufe meines langen Lebens schon allerhand Heimtücke und Falschheit gewittert habe. Phantasie ist ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für fiktive Geschichten. Eigentlich muss ich nur eine Weile im Zug sitzen und Leute beobachten, dann fällt mir bereits die eine oder andere Gemeinheit ein.

FRANK LUERWEG: Was macht Ihrer Meinung nach die besondere Faszination Ihrer Bücher aus?

INGRID NOLL: Wahrscheinlich überträgt sich mein eigenes Vergnügen beim Schreiben auf den Lesenden, außerdem ertappt sich so manche Leserin bei ähnlich finsteren Gedanken und kann sich ein Stückchen mit der Täterin identifizieren.

FRANK LUERWEG: Acht Romane haben Sie inzwischen veröffentlicht; einige davon -"Der Hahn ist tot", "Die Apothekerin" und "Die Häupter meiner Lieben" - wurden verfilmt. Welches ist Ihr persönlicher Favorit?

INGRID NOLL: Von den Verfilmungen mag ich "Kalt ist der Abendhauch" besonders gern.

FRANK LUERWEG: ... und ein Tipp für einen Krimi, der nicht aus Ihrer Feder stammt?

INGRID NOLL: Zum Beispiel gefiel mir "Ediths Tagebuch" von Patricia Highsmith besonders gut. Obwohl es sich um keinen klassischen Krimi handelt, zeigt es doch, wie missliche Umstände einen Menschen - hier eine Frau -zerstören können.

FRANK LUERWEG: In den 50er Jahren haben Sie an der Uni Bonn Germanistik studiert. Verfolgten Sie damals schon eine Art "Karriereplan Schriftstellerin"?

INGRID NOLL: Ich habe niemals im Leben einen Karriereplan verfolgt, es hat sich alles irgendwie ergeben. Ehrlich gesagt wusste ich nach dem Abi nicht wirklich, was ich anfangen sollte. Deutsch, Englisch und Kunst waren die Schulfächer, die mir Spaß machten.

FRANK LUERWEG: Ihren ersten Roman haben Sie mit 56 Jahren veröffentlicht. Warum erst dann?

INGRID NOLL: Ich habe 20 Jahre in der Arztpraxis meines Mannes mitgearbeitet, drei Kinder aufgezogen, mich hier und dort engagiert, hatte Garten, Tiere und Freunde und vor allem kein eigenes Arbeitszimmer. Reichen Ihnen diese Gründe?

FRANK LUERWEG: Was hätten Sie gemacht, wenn Sie keinen Verlag gefunden hätten? Das Schreiben aufgegeben?

INGRID NOLL: Nachdem mein erstes Manuskript fertig war, hatte ich Blut geleckt. Wahrscheinlich hätte ich auch ohne Verlag weiter geschrieben, denn ich entdeckte die faszinierende Möglichkeit, wie eine Schauspielerin in andere Rollen zu schlüpfen und ein alternatives Leben auszuprobieren.

FRANK LUERWEG: Sie sind in Shanghai geboren und im ostchinesischen Nanking aufgewachsen. Erst 1949, mit 14 Jahren, sind Sie nach Deutschland gezogen. Fiel Ihnen der Wechsel zwischen den extrem unterschiedlichen Kulturen schwer?

INGRID NOLL: Vielleicht wäre es leichter gewesen, wenn ich nicht so hohe Erwartungen an Deutschland - von dem die Eltern stets als "Heimat" sprachen - gestellt hätte. Aber es war ja 1949 ein zerstörtes Land, es gab noch Lebensmittelmarken, und die nationalsozialistischen Passagen in den Schulbüchern waren nur matt geschwärzt worden. Darüber hinaus will man im Teenager-Alter auf keinen Fall eine Exotin sein, sondern einfach nur dazugehören. Das war nicht leicht, aber nach etwa einem Jahr war es geschafft.

FRANK LUERWEG: Haben Sie noch Verbindungen nach China?

INGRID NOLL: Ich war noch zweimal im Land meiner Kindheit. Nach so vielen Jahren hat sich selbstverständlich überall auf der Welt viel verändert, aber manche Erinnerungen erwiesen sich als anrührende Konstanten: Gerüche aus den Garküchen, liebliche Landschaften mit Pfirsichbäumen und Hühnern, traditionelle Musik, das Bambusstühlchen aus Kindertagen, die Majongspieler und so weiter.

FRANK LUERWEG: Gerade Geisteswissenschaftler sehen sich heute einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt: Wissenschaft soll der Gesellschaft einen quantifizierbaren Nutzen bringen. Was entgegnen Sie auf dieses "Nützlichkeits-Argument"?

INGRID NOLL: Es ist Quatsch, und es ist schade. Alles, was den Menschen bereichert, hat seinen Sinn. Und zwar ist es gerade nicht die materielle Bereicherung, die uns zufriedener macht.

FRANK LUERWEG: Sie selbst haben Ihr Studium nie abgeschlossen. Bedauern Sie das heute?

INGRID NOLL: Eine Zeitlang habe ich es bedauert. Aber ich hatte damals ja auch Gründe: Mein Vater starb 19551 und meine Mutter blieb ohne Versorgung mit vier Kindern zurück. Bis zur Heirat arbeitete ich in einem Bonner Pressebüro, um Geld zu verdienen.

Mit etwas mehr Ehrgeiz hätte ich das Studium wohl durchziehen können. Aber wahrscheinlich wäre ich in diesem Fall Lehrerin geworden und hätte keine Romane geschrieben. Im übrigen halte ich nicht viel von HÄTTE und WÄRE, denn man kann das Rad nicht zurückdrehen. Ich schaue lieber nach vorn: Was kann ich mit meinen fast 72 Jahren noch Interessantes anfangen?


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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Nr. 3, Juli 2007, Seite 40-41
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2007