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PROFIL/085: Nadine Gordimer - Die Zeit ist jetzt! (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 47 vom 22. November 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Nadine Gordimer: Die Zeit ist jetzt!
Zum 90. Geburtstag einer großartigen Schriftstellerin und Kämpferin gegen die Apartheid

von Eva Petermann



Als Nadine Gordimer 1991 den Nobelpreis erhielt, war das Ende der rassistischen Apartheid-Politik bereits besiegelt. Mit einer Preisverleihung an diese profilierteste Schriftstellerin Südafrikas und unerschrockene Kämpferin gegen die Rassentrennung schon in den Jahren vorher ein Zeichen zu setzen - so viel Schneid hatte die sonst so dissidentenfreundliche Jury in Stockholm nicht.

Nicht weniger als neun Romane und Erzählungen hatte Gordimer zu dem Zeitpunkt bereits vorgelegt, darunter so bekannte Werke wie "Der Ehrengast" (1971) und "Ein Spiel der Natur"(1987). Millionen Menschen, auch bei uns, bekamen durch sie einen Begriff von dem alltäglichen Horror der Apartheid.

Nadine Gordimer hat auch ihren neuesten Roman "Keine Zeit wie diese" ihrem 2001 verstorbenen Mann Reinhold Cassirer gewidmet, der wie viele seiner Freunde und Verwandten vor dem deutschen Faschismus fliehen musste. Sie beide gehörten zu den wenigen Weißen, die von Anfang an dem damals illegalen ANC beitraten und enge Bindungen an die seit 1950 verbotene KP (die SACP) pflegten. Ronnie Kasrils, der legendäre Untergrundkämpfer, war denn auch einer der ersten, der ihr namens der SACP zum Nobelpreis gratulierte. Bei Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis gehörte Nadine Gordimer zu denen, die er gleich sehen wollte. In ihrem Werk habe er "eine Menge über die Einfühlsamkeit der liberalen Weißen" erfahren, schreibt er in seiner Autobiografie (1994).

Das sah die Zensurbehörde anders und verbot mindestens drei ihrer Bücher.

Eigentlich kein Wunder, 1966 hatte sie z.B. mit "The late bourgeois world" (1966) ("Die spätbürgerliche Welt") offen ihre Sympathie mit dem Widerstand bekundet, mit den "Terroristen". In dem Werk geht es u.a. um Industriespionage und um den rätselhaften Selbstmord des kommunistischen ANC-Kaders Max. International bekannt wurde die Johannisburgerin vor allem mit "July's People" (1981), in dem eine weiße Familie "Asyl" erhält vor einem in Unruhen und Gewalt versinkenden Chaos - ausgerechnet im Dorf ihres schwarzen "Boys".

Nadine Gordimer, die am 20.November 90 Jahre alt geworden ist, die behütete Tochter einer Engländerin und eines jüdischen Einwanderers aus Litauen, fühlte sich früh als Schriftstellerin. Ihre erste Kurzgeschichtensammlung "Face to Face" erschien 1949, unmittelbar nachdem die Apartheid zur offiziellen Staatspolitik erhoben wurde.

An einem halben Jahrhundert gesellschaftlicher Umwälzungen war sie aktiv beteiligt war - als politische Aktivistin und als politische Schriftstellerin; in den letzten Jahren übrigens engagierte sie sich bei Anti-Aids-Kampagnen.

Ihr hat der Berlin-Verlag jetzt eine zweibändige Jubiläumsausgabe, "Erlebte Zeiten - Bewegte Zeiten", gewidmet, für die sie selbst die Texte aus den Jahren 1954 - 2008 ausgewählt hat.

In "Keine Zeit wie diese" (deutsche Ausgabe 2012) konzentriert sie sich auf die zwei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit : Die Ex-Revolutionäre sind immer noch engagiert, aber ernüchtert, allen voran das weiß-schwarze Ehepaar Steve und Jabulile. Angesichts von Massenelend und Gewalt, von Unfähigkeit in Behörden und Regierung, von Korruption, Inkonsequenz und Spaltung des ANC fragen sie sich: "Haben wir dafür gekämpft?"

In Gordimers ungeschminktem Querschnitt durch die südafrikanische Gesellschaft stoßen wir überall zwar auf Fortschritte, jedoch auch auf geradezu atavistische Rückschritte wie auf neue, nicht vorhergesehene Probleme: In der hübschen Vorstadtsiedlung der Protagonisten mit ihrer munteren Schwulen-WG ; in dem Zulu-Dorf von Jabus Vater, einem hoch angesehenen Dorfältesten, und im Elendsghetto derer "ganz unten": zerlumpter Südafrikaner und hungernder Migranten aus Simbabwe. Hinzu kommen Wahlen und Machtkämpfe vor allem um Jacob Zuma mit seinen autokratischen Mätzchen und Skandalen. All das lässt Gordimer ihre Protagonisten regelmäßig einschätzen und diskutieren ("Im Busch hast du gewusst, was zu tun war."), teilweise etwas langatmig .

Hat also die Autorin in ihrem Alterswerk mit ihrem Land "abgerechnet", wie die "Welt" ihren Roman hämisch interpretierte?

Immerhin bereiten Jabu und Steve irgendwann allen Ernstes den "Verrat" vor, ihre Auswanderung, auch nachdem einer ihrer Freunde eine Auto-Entführung schwarzer Gangster um Haaresbreite nicht überlebt hätte. Zum ersten Mal droht der innigen Liebe des schwarz-weißen Paares die Zerreißprobe, denn Jabu will nicht weg.

Dabei wären sie nicht die Einzigen. Wie viele zieht es sie nach Australien, zu einem Land mit eigenem staatlichen Rassismus. Vielleicht eine Anspielung auf den zweiten südafrikanischen Nobelpreisträger, J.M Coetzee ("Schande"), der dort seit 2002 lebt?

Also doch eine Abrechnung mit Südafrika, mit dem ANC? Nein, dazu ist Gordimer viel zu verwurzelt, viel zu loyal. Aber ein optimistisches Buch ist es gewiss nicht. Diese kluge Autorin kann drastisch sein bis zur Ekelgrenze. Beißende Ironie und verschmitzter Sarkasmus, scharfe Intellektualität, verbunden mit umfassender Menschenkenntnis sind ihr Markenzeichen. Einen "Good-Read"-Schmöker kann man von ihr nicht erwarten; umso weniger, je erfahrener sie geworden ist. Und trotzdem folgt man ihrer zupackenden Detailtreue, ihrer poetischen Präzision, ihren zutiefst menschlichen Einblicken in Konflikte und Dilemmata mit Spannung.

"No time like the present" - der englische Originaltitel des 506-Seiten-Romans enthält noch eine zweite Botschaft, einen Appell oder auch eine Warnung: Keine Zeit ist zu verlieren. So wie Jabu ihren Vater früher um Rat fragte: "Wann soll ich das am besten machen?", und er unweigerlich zurückgab: "There is no time like the present" - tu es jetzt.

Ansonsten hat Gordimer für ihre Helden und für uns keine Ratschläge zu geben, nur ein paar Hinweise fast am Rande des Textes. So fordert einmal die Metallarbeitergewerkschaft die Verstaatlichung eines Bergwerkunternehmens. "Für die Arbeiter ist der Boss gleich, ob er schwarz ist wie wir oder weiß ," sagt Peter, Steves kommunistischer ANC-Genosse.

Eine andere Szene: Schwarze Studenten demonstrieren gegen die fremdenfeindlichen Exzesse schwarzer Südafrikaner; "Weg mit dem Rassismus!". Ihr Professor nimmt das Schild, streicht "Rassismus" durch und setzt in Riesenlettern "Armut" darüber.

Gordimer agitiert nicht, allerdings kann sie sehr direkt sein. Eurozentristischen Kritikern Südafrikas gegenüber verweist sie auf das (neo)koloniale Gewalterbe und betont die Errungenschaften des Widerstands: "Schwarze und weiße Kinder gehen endlich zusammen zur Schule". Doch auch ihre tiefe Sorge verbirgt sie nicht. Vor sieben Jahren wurde sie in ihrem Haus überfallen. Selbst danach weigerte sich die zierliche Lady mit der hohen Stirn, in ein bewachtes Reichen-Ghetto umzuziehen.

Kühn und trotz allem solidarisch und nicht unterzukriegen - dieser originellen, grandiosen alten Dame Nadine Gordimer gratulieren wir von Herzen.


Nadine Gordimer: Keine Zeit wie diese. Berlin Verlag 2012. 506 Seiten.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 47 vom 22. November 2013, Seite ...
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2013