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REZENSION/002: Montieth Illingworth - Mike Tyson (Boxen) (SB)


Montieth Illingworth


Mike Tyson - Money, Myth and Betrayal

Grafton 1992



Wann immer in letzter Zeit über anstehende Entscheidungen zur Weltmeisterschaft im Schwergewichtsboxen debattiert wird, erhebt sich hinter den Kontrahenten der drohende Schatten eines dritten Boxers. Der Ex-Weltmeister Mike Tyson kann augenblicklich zwar nicht antreten, sein jedoch immer noch lebhaft präsentes Können hat Maßstäbe gesetzt, an denen keiner der derzeitigen Schwergewichtsweltmeister vorbeikommt. Mit Spannung wird seine voraussichtliche Entlassung Mitte 1995 erwartet, und der neue WBC- Weltmeister und ehemalige Sparringspartner Mike Tysons, Oliver McCall, hat sich nach seinem Sieg über Lennox Lewis bereits telefonisch zu einem Kampf mit dem ehemaligen Champion aller Klassen und Verbände nach der Entlassung verabredet. Mit McCall steht auch wieder Don King im Schwergewichtsring, der bereits lauthals die Rückkehr Mike Tysons ankündigt und prophezeit, daß er jeden Gegner aus dem Ring schlagen und sich wieder alle Schwergewichtstitel holen wird.

Ein guter Anlaß, sich noch einmal die bisherige Karriere dieses Extraklasseboxers zu vergegenwärtigen. Von den in Englisch erhältlichen Biographien bietet sich dazu das 1991 erschienene Werk von Montieth Illingworth an, der noch am wenigsten in den Streit um die Pfründe des Boxgeschäfts verwickelt zu sein scheint, was man etwa von der Biographie José Torres "Fire & Fear: The Inside Story of Mike Tyson" nicht behaupten kann. Dieser ehemalige Boxfunktionär ist so tief in die geschäftlichen Machenschaften um Tyson verstrickt, daß man von ihm kaum eine angemessene Schilderung der Praktiken im Boxgeschäfts erwarten kann. Die Hintergründe der millionenschweren Entscheidungen auf der Ebene der Manager und Promoter, das rechtliche Regelwerk und die Methoden, mit denen es umgangen wird, sowie die Rolle der Boxer, die in diesem Haifischbecken vor allem als Opfer auftreten, werden jedoch in der Tyson-Biografie von Montieth Illingworth detailliert und fachkundig dargestellt.

Einen Schwachpunkt des Buches hingegen liegt in der mit diesem Thema innig verknüpfte Rassenproblematik vor dem Hintergrund eines von Weißen dominierten Geschäfts, wozu der Autor nichts zu sagen hat. Dennoch beschränkt sich Illingworth nicht darauf, das Boxen in geschäftlicher und sportlicher Hinsicht zu beschreiben, sondern fischt auf der Suche nach tiefgründigen sozialen Motiven buchstäblich im Trüben und fördert dabei Theorien nach dem Strickmuster einer Populärpsychologie zutage, die dem typischen Repertoire nicht weniger Boxkommentatoren entnommen zu sein scheinen. Dabei bietet das Buch schon von der Vielzahl der geschäftlichen und privaten Fakten und Details eine für den Boxfan mehr als interessante Lektüre, und es hätte dem Gesamtbild nicht schlecht angestanden, die Interpretation der Fakten mehr in den Zusammenhang der Lebensumstände Tysons und weniger seiner vermeintlichen Psychoprobleme zu stellen.

Die Biographie beginnt mit Tysons Jugend und beschreibt den Zeitraum seiner Karriere bis zu seiner Einlieferung in ein Gefängnis des Bundesstaats Indiana, wobei die Geschichte der angeblichen Vergewaltigung und des Prozesses als schnellgeschriebener Nachschlag zu verstehen sind, da der Autor wohl nach Fertigstellung und vor Veröffentlichung des Buches von der Entwicklung überrascht wurde. Dabei hält er sich an die gängige Version der Ereignisse, wenn er auch kritisch anmerkt, daß nun natürlich jeder Geschichten aus zweiter und dritter Hand über Tysons sexuelle Eigenarten hervorholt. Als wesentlichen Ursprung vieler kursierender Gerüchte gibt Illingworth dabei den besagten Biografen José Torres an, der Tyson zum Spinnen sexueller Phantasien verleitet haben soll hat und diese dann als Beleg für dessen Hang zu sadistischen und abnormen Sexualpraktiken anführt. Torres' Biographie strotzt von Indiskretionen und Verzerrungen und weist als selbstherrliche Ich-Erzählung des ehemaligen Boxfunktionärs und vermeintlichen Freund Tysons eine bemerkenswerte Verächtlichkeit auf.

"Ein paar Wochen vor dem Kampf kam José Torres Biographie 'Fire & Fear: The Inside Story of Mike Tyson' heraus. Zuerst hatte Tyson mit Torres zusammengearbeitet. Dann, im Juni 1988, bat Roper Torres um eine Aussage zugunsten Tysons im Prozeß gegen Cayton. Sie wollte seine Bestätigung dafür, daß Jacobs und Cayton mit den Verträgen vom 12. Februar einen Betrug inszeniert hatten. Torres ließ sich nicht darauf ein. Tysons Anwalt schickte daraufhin einen Brief an den Herausgeber, in dem er seine Mitarbeit zurückzog. Torres mußte einen Teil des Vorschusses von 350.000 Dollar zurückgeben. Seine eigene Rolle bei den Verträgen vom 12. Februar wurde völlig unter den Tisch gekehrt. Außerdem schien er sich mehr für Tysons Sexualverhalten als für alles andere zu interessieren. Er beschrieb Tyson als einen Menschen mit abseitigen sexuellen Neigungen, der Frauen beim Sex gerne quälte: 'Ich höre sie gerne vor Schmerz schreien, sehe sie gerne bluten. Das genieße ich', soll Tyson laut Torres gesagt haben. Außerdem gab er Geschichten über Tysons nächtliche Sexmarathons mit zwei Dutzend Prostituierten zum besten und kolportierte die anhaltende Arroganz, mit der er Givens mißbraucht haben soll. Torres war, vorsichtig ausgedrückt, ein selbstgerechter Erzähler. Obwohl er während und nach seiner Boxkarriere verheiratet war, lief er fortwährend Frauen nach. Seit den frühen achtziger Jahren hatte er eine Geliebte, wobei er sich nicht besonders darum bemühte, dies zu verbergen. Es war eine ehemalige Schönheitskönigin aus Puerto Rico, die er manchmal bei Boxkämpfen in Las Vegas vorführte. Obwohl Torres behauptet, Tonkassetten von Tysons Bekenntnissen zu besitzen, war ihr Wahrheitsgehalt dennoch zweifelhaft. Jay Bright gab an: 'Ich war während einiger der Interviews zugegen. Torres brachte Mike immer dazu, über Sex zu reden, und drängte ihn dann zu Einzelheiten. Mike ist dabei in seine Fantasie abgedriftet.' Tyson legte zu den Geschichten des Buches niemals einen formellen Widerspruch ein. Er ließ an seinem Zorn über den Autor jedoch keinen Zweifel. 'Er ist dein Freund und umarmt dich und erzählt dir, wie sehr er dich liebt und daß er für dich sterben würde, und 'meine Familie ist deine Familie, aber jetzt muß ich leider Geld verdienen und deshalb schneide ich dir die Kehle durch und laß dich ausbluten, bis du tot bist'', soll Tyson über ihn gesagt haben. 'Torres ist schlimmer als ein Mörder. Er ist ein Vergewaltiger.'" (S.327, in eigener Übersetzung)

Die Entstehungsgeschichte dieser Biographie ist insofern wichtig, da José Torres den Vergewaltigungsprozeß als willkommenen Anlaß genutzt hat, den interessierten Medien sein Bild von Tyson zu präsentieren und sich dabei als Autor und vermeintlicher Experte, dessen Renommee nach dem altbekannten Medienmechanismus mit jedem Zitat zementiert wurde, einen Namen zu machen. Daß dieses Bild von der Presse begierig aufgenommen und zu Tysons Vorverurteilung genutzt wurde, kann bei der Doppelbödigkeit amerikanischer Sexualmoral nicht verwundern. So dürfte Torres durch die Verbreitung seiner Geschichten dazu beigetragen haben, daß Tyson in diesem Indizienprozeß von den Geschworenen für schuldig befunden wurde. Diese als einzige unter dem bezeichnenden Titel "Knockout - die Mike-Tyson-Story" 1992 im Sportverlag Berlin auf Deutsch erschienene Biographie prägt nun auch sein Bild beim deutschen Publikum, dem mit einer deutschen Ausgabe der Illingworth-Biografie sehr viel besser gedient wäre.

Über Tysons Jugend und seine für Brownsville, diesem berüchtigten Teil Brooklyns in New York, in dem er aufwuchs, typische Karriere als jugendlicher Straßengangster und dominanter Schläger wird wenig berichtet. Mike Tyson lebt mit seiner Mutter und seinen beiden Geschwistern in äußerster Armut, und seinem Vater, der die Mutter schon vor Mikes Geburt verließ, begegnet die Familie gelegentlich auf der Straße. Mit dem Dollar, den jedes der Kinder bei dieser Gelegenheit erhält, will Mike sich nicht abspeisen lassen und wirft ihn auf die Erde. Das geringe Verständnis für die Lebensumstände armer Menschen beweist der Autor mit der Anmerkung, daß sich sogar die Genetik gegen die Familie verschworen habe, weil sie allesamt übergewichtig gewesen seien. Daß eine Ernährung mit den billigsten Nahrungsmitteln den Körper aufschwemmt, ist allgemein bekannt, ganz abgesehen von allen anderen Einflüssen, die in einem derartigen Lebensumfeld auf die körperliche Entwicklung wirken.

Mike soll von seinen Nachbarn und den anderen Kindern auf extreme Weise aufgezogen und gehänselt worden sein, wegen seiner körperlichen Verfassung, wegen seines Lispelns, wegen seiner mit Pappe ausgestopften Schuhe, woraufhin er sich immer weiter zurückzog. Eines Tages tötete ein älterer Junge eine von Mikes Tauben, die er auf dem Dach hielt, indem er ihr den Kopf abriß. Voller Wut verprügelte Mike ihn daraufhin, und dieses häufig erwähnte Schlüsselerlebnis stellt einen Wendepunkt in seinem Leben dar. Von da an setzte er sich körperlich immer kompromißloser durch und berichtete in späteren Interviews davon, daß er ziemlich unangenehme Dinge getan habe.

Illingworth bezeichnet die Geschichte aus jugendlicher Wut geborener Gewalttätigkeit, die Tyson gerne zur Erklärung seines direkten Boxstils heranzog, als den Mythos vom Soziopathen im Ring, der seine Aggressivität aus dem Zorn über das, was man ihm und seiner Familie angetan hat, bezog. Statt dessen begründet er seine Theorie, Tysons Wut resultiere aus der Verwirrung über sein Leben, mit der unbeantworteten Frage, ob ihn irgend jemand wirklich liebe. Diese Wut habe dann den verderblichen Kreislauf in Gang gesetzt, der die Menschen, die Tyson am nächsten standen, noch weiter von ihm entfernt hätten und zudem zu Selbstentfremdung geführt habe. Mit Zorn und systematischer Gewalttätigkeit als alleinigen Freunden könne man nicht überleben, Mike wolle jedoch überleben und berge daher auch andere Qualitäten in sich.

Mit dieser Gegenüberstellung "guter" und "böser" menschlicher Qualitäten demonstriert Montieth Illingworth die gleiche Ignoranz, die bequemerweise von all jenen in Anspruch genommen wird, die es in ihrem Leben nicht nötig hatten, sich auf unmittelbar körperliche Weise ihrer Haut zu erwehren. Indem er Zorn und Aggressivität als Symptome einer Entfremdung von allem, was menschlich sei, darstellt, spricht er Menschen auf der untersten Ebene des Überlebenskampfes, wo mit Ansprüchen an Menschenrechte und staatliche Institutionen nichts auszurichten ist und das Gewaltmonopol administrativer Ordnungsorgane vorwiegend als Form feindlicher Unterdrückung erlebt wird, die Grundlage ihres Überlebenskampfes ab. Er macht sich offensichtlich Illusionen darüber, was in der brutalen Realität des Ghettos mit den "guten" Qualitäten zu erreichen sei, und verkennt die Bedeutung dessen, was Respekt für jemanden bedeutet, der immer nur getreten wurde.

Im Sichtfeld dieser bürgerlichen Anständigkeit tauchen die Verlierer nicht auf, die an struktureller, institutioneller und persönlicher Gewalt zugrunde gehen. Sollte sich dennoch jemand erfolgreich behaupten, werden ihm ständig latente Gewalttätigkeit, tierische Triebhaftigkeit und unberechenbares Sozialverhalten unterstellt. Insofern muß man den das Buch durchziehenden Versuch einer Psychologisierung des boxerischen Könnens Mike Tysons wie auch seines privaten Verhalten als Bestandteil einer typischen Strategie zur Unterdrückung sozialkämpferischen Aufbegehrens bezeichnen. Diese Strategie setzt sich über diese Biographie hinaus beispielhaft in der Art und Weise fort, in der Mike Tysons Prozeß abgehalten und spätere Berufungsversuche verworfen wurden.

Tysons weiteres Leben spielt sich in mehreren Erziehungsheimen ab, wo er voller Begeisterung mit dem Boxen beginnt, was dann zu seiner Aufnahme ins Haus von Cus D'Amato führt, der ihn sofort als künftigen Weltmeister erkannt haben soll und ihn dementsprechend fördert. Sobald es um die boxerische Geschichte Mike Tysons, die Trainingsmethoden, Trainer und bald auftretenden Manager und Promoter geht, nimmt die Biographie Fahrt auf und ist spannend und sehr informativ. Cus D'Amato wird mit einer ausführlichen Beschreibung seiner Geschichte als Trainer und Manager des damals jüngsten Schwergewichtsweltmeisters aller Zeiten, Floyd Patterson, gewürdigt, in der gleichzeitig die Geschichte des International Boxing Club dargestellt wird, einer Organisation, die das Boxgeschäft in den USA in den fünfziger Jahren kontrollierte und schließlich wegen ihrer monopolistischen Praktiken und Mafiaverbindungen aufgelöst wurde. D'Amato war in dieses Geschehen selbst verstrickt, und wenn er sich auch immer als Gegner dieser Organisation verstand, so benutzte er durchaus deren Praktiken zu Lasten der Boxer und ging Zweckbündnisse mit seinen erklärten Gegnern ein.

Der Versuch aller am Boxgeschäft Beteiligten, möglichst umfassende Kontrolle über einen erfolgreichen Boxer zu erlangen und zu behalten, durchzieht das Buch wie ein roter Faden und läßt keinen der Manager, Promoter und Boxfunktionäre ungeschoren. Die langwierigen Verhandlungen um die jeweiligen Gegner, die Verpflichtung des Boxers für mehrere Kämpfe bei eventuellem Erfolg und seine Bindung an einen bestimmten Manager durch Vertragsmanipulationen, die Vermarktung der Rechte bis zum Multimillionen-Pay-TV-Geschäft, alle Arten von Intrigen und Strategien, die jeweiligen Geschäftskonkurrenten auszustechen, dies alles und mehr bildet das Szenario einer der einträglichsten und am härtesten umkämpften Sportarten. Montieth Illingworth stellt diese Geschäftspraktiken so detailliert dar, daß man die Biographie durchaus auch als grundlegende Einführung in das Geschäft des Profiboxens betrachten kann.

Auch den in den Medien gerne verbreiteten Mythos vom väterlichen Freund Cus D'Amato demontiert der Autor auf unsentimentale Weise. Was für Mike Tyson durchaus ein Zuhause dargestellt hat, wobei er insbesondere in der Lebensgefährtin D'Amatos, Camille Ewald, eine zuverlässige Bezugsperson fand, stellte bereits die Vorbereitung zur langfristigen Kontrolle des zukünftigen Schwergewichtsweltmeisters dar. Die fragwürdigen Umstände der Entzweiung von Mike Tyson und seinem Trainer Teddy Atlas, D'Amatos durch alte Verbindungen schnell zustandegekommene Vormundschaft für Mike Tyson und insbesondere seine Zusammenarbeit mit Jim Jacobs und Bill Cayton, Tysons ersten Managern, lassen an der These zweifeln, Cus D'Amato habe ausschließlich aufgrund sozialer Motive gehandelt hat, wenn er Jugendliche bei sich aufnahm und zu Boxern ausbildete.

Insbesondere die weitere Geschichte von Tysons Karriere mit diesem Gespann weist alle Klischees vom bösen weißen Geschäftsmann und dem naiven Schwarzen auf, der geblendet von Reichtum und plötzlicher weißer Freundlichkeit leichtfertig alles glaubt, was ihm gewiefte Winkeladvokanten und starr blickende Schreibtischtäter auftischen. Jacobs und Cayton hatten sich mit D'Amatos Einverständnis alle Vermarktungsrechte für Tysons kommende Erfolge gesichert, wobei Jacobs als eigentlicher Manager auftrat und Cayton, der als persönlicher Manager einen ungewöhnlich langfristigen und hoch dotierten Vertrag erhalten hatte, im Hintergrund fungierte. Da die New York State Athletic Commission einem Boxer zu dessen Schutz nur einen Manager zugesteht, wurde der zuerst vereinbarte Formvertrag mit Jacobs durch einen anderen ersetzt, der Cayton zum Comanager machte und ihm die Hälfte der Managereinnahmen zugestand.

D'Amatos früherer Weltmeister José Torres war inzwischen der Vorsitzende der New York State Athletic Commission geworden. In dieser Funktion deckte er auch die vertraglichen Ungereimtheiten von Jacobs und Cayton, obwohl er in seiner Funktion, die vor allem dem Schutz der Boxer dienen sollte, unparteiisch zu sein hatte. Er zeigte sich öffentlich als Parteigänger Tysons und spielte später eine wichtige Rolle bei der wichtigsten Manipulation, der Übertragung von Jacobs' Managervertrag kurz vor dessen Tod auf Cayton. Bei dieser abenteuerlichen Geschichte gelang es Jacobs, seine unweigerlich zum Tode führende Leukämie geheimzuhalten und vor seinem Tod noch einen mit vom Standardvertrag abweichenden Modalitäten und Formulierungen versehenen Vertrag zur Unterzeichnung zu bringen, der dem ansonsten in keiner Weise befugten Cayton weitere Handhabe über das Management Tysons verschaffte. Jacobs persönliches Motiv bestand neben seiner langjährigen Freundschaft mit Cayton in der Absicherung der Einkünfte seiner Frau, die er mit Cayton ebenfalls vertraglich geregelt hatte. Wie Tyson, der zu der Zeit vor allem mit der anstehenden Heirat mit Robin Givens beschäftigt war, zu diesem Unterschriftstermin gebracht wurde, und wie Jacobs es gerade noch schaffte, alles unter Dach und Fach zu bringen, bevor er endgültig ins Krankenhaus ging, kann schon als dokumentarischer Thriller bezeichnet werden.

Mit diesem breiten Raum einnehmenden Höhepunkt des Kampfes um die umfangreichen Einkünfte Tysons ist auch der Wechsel zu Don King eingeleitet, dessen Biografie seinerseits in einem umfangreichen Kapitel behandelt wird. Die in der Öffentlichkeit wenig bekannte Auseinandersetzung mit Cayton, der im Unterschied zu Jacobs von vorneherein nicht in der Lage war, einen persönlichen Kontakt zu Tyson herzustellen, egalisiert das Bild vom alleinigen Bösewicht Don King ein wenig. Natürlich ist dem berühmten Promoter fast jedes Mittel recht, gute Boxer seiner Kontrolle zu unterwerfen, doch die Tatsache, daß er dies etwas erfolgreicher als andere Manager und Promoter tut, kann nicht der alleinige Grund für seinen exponierten Ruf als Gangster und Betrüger sein. Hier sind massive Geschäftsinteressen im Spiel, die weit über das Boxgeschäft hinaus in die großen Medienkonzerne hineinreichen, die es mit ihren Mitteln wiederum verstehen, ein bestimmtes Bild hervorzurufen und aufrechtzuerhalten. Man denke nur an den letzten "Rocky"-Film, in dem ein nicht zufällig an Don King erinnernder schwarzer Manager einen Keil zwischen Rocky und seinen Schützling treibt, oder an das Time-Warner Feature über Mike Tyson, in der lediglich Caytons Version der Ereignisse präsentiert wird.

Die Hintergründe dieser Strategie lassen sich aus Montieth Illingworths Biographie leicht herauslesen. Ausführlich wird über das Zusammenspiel zwischen Boxgeschäft und Medienkonzernen berichtet. Auf diesem Feld hat sich Don King etwas in Abseits manövriert, indem er sich mit dem Chef des größten Pay TV-Kanals der Time-Warner Gruppe überwarf. Einen weiteren Grund für Kings überaus schlechtes Renommee muß man wohl, so abgegriffen es auch erscheinen mag, im amerikanischen Rassissmus sehen, in dem derartig exponierte und erfolgreiche schwarze Geschäftsleute immer noch eine Seltenheit sind. Und nicht zuletzt aus diesem Grund hält Mike Tyson auch heute noch zu Don King. Wie wenig der Eindruck vom naiven und und leicht zu übertölpelnden Ghettokind zutrifft, kann man an seiner Äußerung ermessen, daß er sich, wenn er schon ausgenommen wird, doch lieber von einem Schwarzen ausnehmen läßt.

Man kann diese nüchterne bis resignierte Bemerkung gut verstehen, wenn man in Illingworths Biografie etwa über die unschöne und dramatische Episode von Tysons kurzer Ehe mit Robin Givens liest, in der eine Vielzahl von Interessen auf den gerade einmal 21jährigen Champion einwirken. Bill Cayton auf der einen und Don King auf der anderen Seite versuchen ihren Einfluß bei allen boxerischen Entscheidungen geltend zu machen, Robin Givens mit ihrer Mutter im Verbund mit Donald Trump wollen ihre Vorteile wahren, dazu noch das ganze umfangreiche Gefolge von Personen, die am geld- und publicityträchtigen Glanz des Champions teilhaben wollen. Die wenigen Leistungseinbrüche, die Tysons beinahe makellose boxerische Karriere aufweist, werden vom Autor unnötig überbewertet, um sein Konzept einer angstbetriebenen, zwischen Wunsch nach Liebe und Anerkennung und der Zurückweisung der emotionalen Bezugspersonen hin und her gerissenen Persönlichkeit zu stützen.

Die Probleme eines Boxers, der sein Können in aller Öffentlichkeit überprüfbar macht und den Kampf im Ring letztlich immer allein bewältigen muß, dürften sehr viel unkomplizierter gelagert sein. In der konkreten Kampfsituation hat Tyson mehr als viele andere Boxer durch seine offensive Herangehensweise bewiesen, daß er alle vermeintlich psychologischen Fallstricke körperlich zu bewältigen wußte. Und daß er das in einer langen Serie von Kämpfen getan hat, ungeachtet seiner Jugend und der mehr als irritierenden öffentlichen und persönlichen Einflüsse, weist ihn eher als den Überlebenskämpfer aus, der er auch nach Illingworths Bekundung ist. Man kann den interpretativen Teil der Biografie also getrost überlesen oder sollte ihn zumindest mit der gebotenen Vorsicht kritisch unter die Lupe nehmen.

Illingworths Biographie läßt das Bild eines überdurchschnittlich interessierten und dem Boxen ganz und gar ergebenen Menschen erkennen, der diese eine Sache mit kompromißloser Zielstrebigkeit und Unnachgiebigkeit verfolgt. Die persönlichen und gesellschaftlichen Probleme hingegen ergeben sich aus dem Kontext einer weithin publizierten Sozialisation, die von vorneherein alle Voraussetzungen für die Verelendung in den Slums der amerikanischen Metropolen mit sich brachte, und der mediengerechten Aufbereitung dieser Herkunft als Ghettoschläger, der sich allein durch den Hang zur körperlichen Gewalttätigkeit in die Region uneingeschränkter Möglichkeiten und maßlosen Konsums hochgearbeitet hat. Die schnellen Knockouts, die kompromißlose Angriffsweise, das im Verbund mit Don King immer mehr die schwarze Identität betonende Auftreten, all das fügte sich in das Bild eines von Weißen bestaunten und gefürchteten schwarzen Aufbegehrens.

Dieser triebhafte Mensch nahm sich unbescheiden und ohne falsche Scham in aller Öffentlichkeit, was dem Erfolgreichen in diesem Land versprochen wird. Er war jedoch nicht in der Lage, das unter dem Deckmantel bigotter Wohlanständigkeit und opportunistischer Dankbarkeit seinen weißen Förderern gegenüber zu tun, und schon bald wurde er von vielen als das Tier in Menschengestalt identifiziert, als personifiziertes Vergehen gegen das Gebot sittsamen Verhaltens und sportlicher Fairness. Nicht selten wurde sein Boxstil den leider immer unterlegenen "Technikern" gegenüber als unschön disqualifiziert. Tyson marschierte im düsteren Outfit, den Schriftzug "Kick Ass" auf dem Rücken, mit der Musik der weißenfeindlichen Rapgruppe "Public Enemy" in den Ring ein und bekundete seine Freude über die Effizienz seines Könnens, wo viele lieber einen langwierigen Schlagabtausch und möglichst auch einen düpierten Tyson gesehen hätten.

Daher nimmt es nicht Wunder, daß diesem Menschen eine Lektion erteilt werden mußte, zumal im Herzland der Moral Majority, wo der Vergewaltigungsprozeß mit seinen vielen ungeklärten Widersprüchlichkeiten und offenen Fragen abgehalten wurde und wo Mike Tyson jetzt noch seine Strafe absitzt. Doch er ist sich treu geblieben und hat die strafvermindernde Entschuldigung an das angebliche Opfer, die einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre, nicht abgegeben.

Montieth Illingworth bleibt in seiner Bewertung zu sehr darin befangen, Tyson als Opfer der Umstände oder seiner Triebe zu betrachten. Getreu dem Untertitel "Geld, Mythos und Verrat" beschreibt er ein Geflecht aus Begehrlichkeiten, Publicitymanipulationen und menschlichen Abgründen, ohne sich dabei auf eine Seite zu stellen. Er deutet Sympathien an und verurteilt, kommt dabei jedoch zu keinem klaren Schluß. An dem informativen Wert dieser Biographie ändert das jedoch nichts, sie ist jedem zu empfehlen, der einmal die Faszination eines Tyson- Kampfes erlebt hat und darauf hofft, daß die etwas abgearbeitete Schwergewichtszene durch sein erneutes Auftreten wiederbelebt wird.


Montieth Illingworth
Mike Tyson - Money, Myth and Betrayal
Grafton 1992