Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → BIOGRAPHIE

REZENSION/003: Wolfgang Venohr - Stauffenberg (Militär) (SB)


Wolfgang Venohr


Stauffenberg



Der Autor des Buches nimmt Stellung, wenn er gleich auf der ersten Seite sagt, daß er gern 15 Jahre früher geboren wäre, in der Hoffnung, Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 als Adjutant begleitet und ihn mit seinem Leben verteidigt zu haben.

Der 20. Juli war der Tag des Attentats auf Adolf Hitler, ausgeführt von einem Offizier, der damit sein Todesurteil fällte: Claus Stauffenberg wurde noch in der gleichen Nacht standrechtlich erschossen.

Der Autor weiß, was mit ihm geschehen wäre, hätte sich sein Wunsch erfüllt: Er wäre wahrscheinlich gleichfalls seit über 50 Jahren tot. Trotzdem erscheint seine Aussage überzeugend - nicht als Geste selbstgefälligen Widerstandspathos, um sich aus der sicheren Distanz in die Nähe derer zu rücken, die später als die einzig Makellosen im Nachkriegsdeutschland gelten durften.

In Anbetracht ihrer Konsequenz wird seine Aussage zu einem Schlüssel für das Verständnis des gesamten Buches, aus dem neben dem Bemühen um eine historisch präzise und menschlich genaue Darstellung der Ereignisse doch die unverholene wie aufrichtige Bewunderung für diesen entschlossenen, mutigen Offizier zum Ausdruck kommt.

Insofern ist das Buch an keiner Stelle einfach nur eine nüchterne Aneinanderreihung historischer Fakten, genausowenig wie der bloße Versuch einer psychologischen Skizzierung desjenigen Menschen, der gewillt war, Hitler durch ein Attentat aus dem Weg zu räumen.

Der Autor macht vielmehr den Eindruck, als habe er sich sozusagen mit Haut und Haar in die Person Stauffenbergs hineinversetzt und dabei gleichzeitig immer einen Blick auf die sozialen, philosophischen und politischen Strömungen in dessen Umfeld gerichtet. Zur Charakterisierung Stauffenbergs setzt er sich mit dessen familiärem Hintergrund als Grafensohn genauso auseinander wie mit zeitgeistlichen Strömungen in der Literatur, die ihn beeinflußt haben und den vorherrschenden politischen Ansichten einer Generation, die durch die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg geprägt war und an den damit verbundenen Folgen für das eigene Wertgefüge zu kämpfen hatte.

Um seine Charakterisierung abzurunden, zitiert er die Aussagen von Menschen, die Stauffenberg begegnet sind und einen persönlichen Eindruck von ihm gewinnen konnten. Er spricht mit Freunden, Bekannten und "Zeitzeugen", darunter viele ehemalige Wehrmachtsangehörige unterschiedlichster Ränge und auch mit seiner Witwe, der Gräfin Nina Stauffenberg.

Weit davon entfernt, die Augen dabei vor kritischen Anmerkungen zur Person und Intention Stauffenbergs zu verschließen, entwickelt der Autor Seite um Seite das Bild eines Menschen, das den Leser schon bald in gleichem Maße fasziniert wie ihn selbst.

Auf diese Weise wird das Buch weit interessanter und eindrücklicher, als dies bei einer nüchternen Aneinanderreihung historischer Fakten jemals möglich wäre; denn alle Aussagen, Meinungen, Begegnungen und Ereignisse sind in die Biographie Stauffenbergs integriert.

So liest sich beispielsweise der minutiös aufgeführte Verlauf des Attentats und die damit verbundenen Aktionen zum Regierungsumsturz am Ende des Buches realistischer als ein Krimi und spannender als ein Drama. Die gleichen Uhrzeiten kann man auch in anderen Dokumenten finden, doch hier sind sie an das Leben eines Menschen geknüpft, und es mutet beim Lesen mehr als tragisch an, daß man das Ende schon kennt - der Leser weiß, daß das Attentat gescheitert ist und dies die letzten Stunden, die letzten Minuten eines Menschen sind, der unaufhaltsam seinem Tod entgegengeht und dem man doch alles andere wünscht.


Wir haben es hier also nicht mit einem schlicht "informativen" Geschichtsbuch zu tun, doch gerade dadurch wird es sehr gut lesbar und geradezu verblüffend spannend, interessant und aufschlußreich.

Eine Anmerkung sollte bei diesem Kommentar jedoch stehen:

Es handelt es sich bei der vorliegenden Biographie vielleicht nicht um das, was sich besonders ein "moderner" Leser von einer passförmigen Aufarbeitung historischer Einzelheiten verspricht.

Der Autor fordert dem Leser von Anfang an eine Auseinandersetzung mit Werten ab, die uns heute hoffnungslos veraltet erscheinen, doch ohne die uns eine Einsicht in die Zusammenhänge der damaligen Zeit verschlossen bliebe. In einem normalen Geschichtsbuch, das in erster Linie vergangene Ereignisse hintereinanderschichtet (ganz im wörtlichen Sinn von "Ge-schichte") taucht eine vergleichbare Auseinandersetzung mit den Ansichten und Wertvorstellungen eines Menschen in seiner Zeit nicht auf.

Zu diesen Werten gehört hier der unanfechtbare Patriotismus Stauffenbergs und damit verbunden seine Entscheidung, eine Offizierslaufbahn einzuschlagen. Ein Entschluß also, mit dem er sich Idealen verpflichtete, die heutzutage nicht mehr geeignet sind, die Anerkennung und den Respekt einem Menschen gegenüber hervorzurufen. Sie wirken im Gegenteil eher befremdlich oder sogar abstoßend. Für die Vorstellung des Patriotismus gilt dies in besonderem Maße, da die ihm zugrundeliegenden Begriffe wie Heimat- oder Vaterlandsliebe zu Vokabeln gehören, die vollständig aus dem deutschen Sprachgebrauch und der Erziehung herausgestrichen sind - und mit den Vokabeln auch das Verständnis für ihre Inhalte. "Heimat" hat heute in der Regel eindeutig einen nationalsozialistisch gefärbten Beiklang und erscheint im günstigsten Fall antiquiert, wahrscheinlicher jedoch suspekt. Und Patriotismus allgemein wird wohl am ehesten mit einer Form von engstirnigem oder fanatischem Soldatentum assoziiert.

Es ist nun ausschließlich Venohrs ansprechender Schreibweise und Gedankenführung zu verdanken, daß es dem modern ausgebildeten Leser gelingt, sich in die so gänzlich anderen Werte der Zeit nach dem ersten Weltkrieg hineinzuversetzen. Unser recht festgelegtes Denken bekommt die Chance, sich während der Lektüre auflösen und Platz für die Vorstellungen der damaligen Zeit machen, ohne die ein Verständnis oder gar eine Würdigung der Taten Stauffenbergs gar nicht möglich wäre. Allein damit gelingt dem Autor (vielleicht ganz unabsichtlich) das Schaffen eines Raums für eine Auseinandersetzung, an die man normalerweise nicht denkt, geschweige denn, daß man sie führt. Gemeint ist eben die weit generationsübergreifende Auseinandersetzung mit Werten und Idealen, die man heute normalerweise mit einer knappen Geste von sich weisen würde.

Dabei geht es dem Autor bei der Beschreibung Stauffenbergs nicht um die Beschwörung eines unantastbaren Ideals. Ihm ist vielmehr daran gelegen, das von vielen Seiten sehr unterschiedlich interpretierte Bild zurechtzurücken.

In den 36 Jahren, die er sich nach eigenen Angaben mit der Person des Grafen auseinandergesetzte, hat er immer wieder festgestellt, daß dieser von ganz verschiedenen politischen Richtungen entweder als Gallionsfigur benutzt oder aber als Verräter verunglimpft wurde. Beides zu Unrecht, Venohrs Überzeugung nach, der beweisen möchte, daß Stauffenberg gerade nicht in den Bahnen von politisch "links" oder "rechts" dachte, weder "pro westlich" noch "pro östlich" interpretiert werden kann, wie das in der Nachkriegszeit von beiden Seiten des geteilten Deutschland immer wieder versucht worden ist.

Venohrs Absicht ist es, diesen ideologisch gefärbten Bestrebungen - den lobenden genauso wie den verächtlichen - aus Ost und West einen "einheitlichen" Stauffenberg entgegenzusetzen. Daß dieser dabei durchgängig sehr untadelig oder auch heldenhaft erscheint, könnte als ein unabsichtliches Nebenprodukt der zur Wahrheitsfindung dienenden Recherchen des Autors gewertet werden (wenn man sich denn daran stört). Andererseits nimmt es dem Buch weder seine Ernsthaftigkeit noch Aussagekraft, wenn man hier das Bild eines mutigen, konsequenten und entschlossenen Menschen stehen läßt, der für uns die Züge eines Helden trägt.

Dieser Eindruck bleibt auch dann erhalten, wenn man sich der abschließenden Aussage des Autors nicht anschließt.

Venohr will den von ihm so gut und eindringlich dargestellten Menschen Claus Stauffenberg - den Grafen, Offizier, Patrioten und Attentäter - ausdrücklich (und ausschließlich) als "Symbol der deutschen Einheit" verstanden wissen, wie schon in der Titelwahl der Biographie ersichtlich wird. Diesen Schluß zieht er, nachdem umfassend dargelegt hat, daß Stauffenberg in seinem Leben und seinem politischen Streben nicht in westliche oder östliche Ideologien gespalten war, sondern leidenschaftlich und patriotisch "für das ganze deutsche Volk, für die Einheit und Unabhängigkeit Deutschlands" gekämpft hat und diesen Kampf schließlich mit dem Leben bezahlte.

An dieser Stelle muß bedacht werden, daß das Buch v o r der Wiedervereinigung geschrieben worden ist. Zur Zeit seines Erscheinens war es für den Autor noch nicht ersichtlich, daß sich schon zwei Jahre später erfüllen würde, was er noch als ferne Utopie betrachtet hat: der Zusammenschluß der beiden Teile Deutschlands.

In Anbetracht der feindseligen politischen Ausrichtung der beiden Teile Deutschlands hat W. Venohr einmal einen Artikel geschrieben: "Glücklicher, toter Stauffenberg", mit dem er seine Ansicht zum Ausdruck brachte, daß Stauffenberg, wenn er noch lebte, "ein Unglücklicher, ein Fremder in diesem Lande (wäre)."

Im Umkehrschluß hieße dies, daß sich mit der Wiedervereinigung die Zeit erfüllt haben müßte, in der Venohr nicht mehr vom "glücklichen, toten" Stauffenberg sprechen könnte.

Die tatsächlichen Lebensumstände in der "Deutschen Einheit" lassen die Behauptung zu, daß dies die einzige Stellungnahme des Autors ist, über die er heute selbst nicht glücklich sein dürfte.

Stauffenberg kann nicht das Symbol der Deutschen Einheit sein, da in der verwirklichten Einheit der Osten vom Westen quasi "geschluckt" worden ist. Das scheint zwar die Überlegenheit des westlichen Systems mit seiner eingleisigen Wertorientierung zu bestätigen, doch entspricht das Ergebnis in keiner Weise dem, was sich ein Stauffenberg als Einheit der Menschen in Deutschland vorgestellt hat. Vielmehr kommt genau das heraus, was der Autor als Unding nachgewiesen hat: Stauffenberg ist nicht als ein "Streiter für den Westen" zu vereinnahmen und somit wäre er auch mit der verwirklichten Deutschen Einheit noch genauso unglücklich, wie ihn Venohr in Anbetracht der Teilung gesehen hat.

Für unsere Zeit heute kann es nur nachdenklich stimmen, wenn der letzte Satz des Buches: "Glücklicher, toter Stauffenberg" noch immer Gültigkeit hat.


Wolfgang Venohr
Stauffenberg
Symbol der deutschen Einheit
Eine politische Biographie
Ullstein Verlag, Frankfurt/Main und Berlin 1986
429 Seiten
ISBN 3 550 06405 5