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REZENSION/016: Schulte-Varendorff - Kolonialheld ... Lettow-Vorbeck (SB)


Uwe Schulte-Varendorff


Kolonialheld für Kaiser und Führer

General Lettow-Vorbeck - Mythos und Wirklichkeit



Die Grausamkeit der systematischen Menschenvernichtung durch das nationalsozialistische Regime in Deutschland und der gewaltige Blutzoll des Zweiten Weltkriegs haben bewirkt, daß der nicht minder mörderische Erste Weltkrieg in den Hintergrund der allgemeinen Aufmerksamkeit gedrängt wurde. Während nach 1945 zumindest formal eine Entnazifizierung angestrengt wurde - deren Feigenblattfunktion nicht an dieser Stelle diskutiert werden soll -, hatte es niemals auch nur annähernd gleichwertige Ansätze nach dem 1918 zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg gegeben. Das dürfte einer der Gründe dafür gewesen sein, warum sich der eine oder andere Mythos aus dieser Zeit lange Zeit gehalten hat, so auch jener, daß die Deutschen mit den von ihnen unterworfenen Kolonialvölkern weniger grausam umgesprungen seien als zum Beispiel die Briten oder Franzosen.

Daß dieser Eindruck täuscht, hat der Ch.Links Verlag in seiner Reihe "Schlaglichter der Kolonialgeschichte" schon in mehreren Büchern über ehemalige deutsche Kolonien in Afrika nachgewiesen und mit der vorliegenden Biographie über General Lettow-Vorbeck aus der Feder des Osnabrücker Historikers Uwe Schulte-Varendorff erneut bestätigt. Darin wird der Werdegang des preußischen Offiziers Paul von Lettow-Vorbeck detailliert und anhand von teilweise erstmals ausgewerteten Dokumenten nachgezeichnet. Dabei hat Schulte-Varendorff gezielt bestimmte, sich hartnäckig haltende Verklärungen des als "Kolonialhelden" gefeierten Generals so gründlich entmystifiziert, daß von dem positiven Bild nichts mehr übriggeblieben ist.

Der junge Lettow-Vorbeck hatte sich im Jahr 1900 freiwillig für das Expeditionskorps gemeldet, das nach China reisen und dort den Boxeraufstand niederschlagen sollte. Noch im Spätsommer desselben Jahres kehrte er wieder nach Deutschland zurück. 1904 meldete er sich erneut freiwillig für die Teilnahme an einem Auslandseinsatz, diesmal sollte der Aufstand der Nama und Herero in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika unterdrückt werden. Lettow-Vorbeck wurde Adjutant des berüchtigten Generalleutnants Lothar von Trotha, der mit äußerster Brutalität die Aufständischen samt ihren Frauen und Kindern niedermachen oder aber in die Omaheke-Wüste treiben ließ, wo sie dem Verdursten überantwortet werden sollten.

Der Vernichtungsbefehl gegen die Bevölkerung wurde von Lettow- Vorbeck in seiner 1957 erschienenen Autobiographie ausdrücklich gutgeheißen. Schulte-Varendorff zitiert aus diesem revanchistischen Werk, dessen Titel "Mein Leben" eine sicherlich nicht unbeabsichtigte Ähnlichkeit mit Hitlers "Mein Kampf" aufweist:

Ich glaube, daß ein Aufstand solchen Umfanges erst mal mit allen Mitteln ausgebrannt werden muß. Der Schwarze würde in Weichheit nur Schwäche sehen. (S. 21)

Hier wird Lettow-Vorbecks typische Herrenmenschen-Attitüde gegenüber den Kolonialvölkern deutlich erkennbar. Das Zitat ist zugleich ein Hinweis darauf, daß das Menschenbild dieses preußischen Offiziers um nichts von der Rassenideologie der Nationalsozialisten abwich und er, obwohl kein Mitglied der NSDAP, doch tiefe Sympathie für Hitler und dessen Ansichten hegte. Das wurde vom NS-Staat, der bekanntlich Helden brauchte, propagandistisch weidlich ausgenutzt.

Das eigentliche Wirken Lettow-Vorbecks fand jedoch vor dieser Zeit statt: Zunächst kurz nach der Jahrhundertwende als Hauptmann in Deutsch-Südwestafrika, dann im Rang eines Oberstleutnant in Deutsch-Ostafrika sowie, die Karriereleiter stets fest im Blick, 1920 als Generalmajor beim rechtsgerichteten Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Weimarer Republik, um nur die zentralen Stationen in der Laufbahn Lettow-Vorbecks zu nennen, die der Biograph nach einem umfangreichen Quellenstudium herausgearbeitet hat, wobei er auch auf Schriften über den "Kolonialhelden" zurückgriff, die in der Deutschen Demokratischen Republik verfaßt wurden und in denen die historische Person, im Gegensatz zur bundesrepublikanischen Adaption, kritisch betrachtet wurde. Schulte-Varendorff grenzt sich zwar gegenüber den DDR-Quellen ab, da sie seiner Meinung nach zu sehr vom Kalten Krieg geprägt seien, aber letztlich gelangt er zu keiner grundsätzlich anderen, kritischen Einschätzung der Rolle Lettow-Vorbecks in jener geschichtlich äußerst bewegten Zeit.

Ein Mythos über Lettow-Vorbeck lautet, daß dieser mit seiner ostafrikanischen "Schutztruppe" Kräfte der Gegner Deutschlands im Ersten Weltkrieg in Afrika gebunden hat. Schulte-Varendorff weist dagegen nach, daß die Zahlen über die angebliche Truppenstärke des Gegners stark übertrieben wurden und daß die feindlichen Kolonialsoldaten auch ohne Lettow-Vorbecks "Schutztruppe" vermutlich gar nicht aus Ostafrika abgezogen worden wären. Eine Entlastung der Heimatfront habe also kaum stattgefunden.

Die Vorstellung, daß die Deutschen von der afrikanischen Bevölkerung mit Wohlwollen, ja, Verehrung betrachtet wurden, widerlegt der Autor ebenfalls, und das nicht nur anhand von Zahlen über Desertationen und Schilderungen der gnadenlosen Strafexpeditionen durch die deutschen Kolonialsoldaten, sondern auch anhand der einfachen Tatsache, daß den angeblich freiwilligen Trägern Halseisen und Ketten angelegt werden mußten. Schätzungen zufolge wurden damals bis zu 150.000 Träger "verbraucht".

Die Askari, jene afrikanischen Söldner im Dienste der Deutschen, hatten Lettow-Vorbeck, der sich in der Heimat "Der Löwe von Afrika" nennen ließ, sicherlich nicht den Namen "Der Herr, der unser Leichentuch schneidert" verliehen, weil sich dieser ihnen gegenüber besonders fürsorglich gezeigt hätte. Die Askari wurden grundsätzlich schlechter ausgerüstet, weniger gut - wenn überhaupt - entsoldet, und man überantwortete ihnen die risikoreichsten Aufgaben. Wenn einer von ihnen verletzt wurde, so die Anweisung des Chefarztes der "Schutztruppe" vom 10. Mai 1917, sollte er nicht mehr in Behandlung genommen und kein Sanitätsmaterial an ihn "verschwendet" werden, sofern nicht eine Wiederherstellung in kurzer Zeit gewährleistet sei und feststehe, daß sie der Truppe noch von Nutzen sein würden (S. 63, 64). Schwerverletzte Askari wurden ihrem Elend überlassen.

Einen weiteren Mythos, den der ritterlichen Kriegführung Lettow- Vorbecks, nimmt der Autor ebenfalls auf die Hörner und zerpflückt ihn ganz und gar. Von Ritterlichkeit keine Spur: Die deutschen Soldaten hatten in Ostafrika geplündert, vergewaltigt, Leichen geschändet, gemordet und keine Gefangenen gemacht. Pardon wurde nicht gegeben. Sobald die "Schutztruppe" weiterzog, hinterließ sie verbrannte Erde.

Schulte-Varendorff deckt schonungslos die Grausamkeiten der deutschen Kolonialherren auf und geht auch auf den Versuch einer Schönfärberei der deutschen Kolonialgeschichte ein. Lettow-Vorbeck zählte zu denen, die sich nach dem verlorenen Krieg stets für die Rückgabe der Kolonien eingesetzt hatten. Mit der Mythenbildung über die guten Deutschen sollte die Rechtmäßigkeit dieser Forderung unterstützt werden.

Die Biographie Lettow-Vorbecks verhilft nicht nur zu einem ungetrübten Blick auf die deutsche Kolonialgeschichte, sondern regt auch zu einer kritischeren Einschätzung des propagierten Bilds vom Bundeswehrsoldaten als von der afghanischen Bevölkerung hoch angesehenen Aufbauhelfer an. Dieser Brückenschlag von der Wehrmacht bis zur Bundeswehr ist keineswegs so überspannt, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, trägt doch im friesischen Leer noch immer ein Bundeswehrstützpunkt den Namen "von Lettow-Vorbeck- Kaserne".

Die inhaltlich wie auch dank eines umfangreichen Anhangs formal verläßlich abgestützte Biographie erfüllt alle Ansprüche an solide wissenschaftliche Arbeit und verläuft im besten Sinne quer zu jeglichen Beschönigungsversuchen der deutschen Kolonialgeschichte im allgemeinen sowie der Person Lettow-Vorbecks im besonderen.

29.11.2006


Uwe Schulte-Varendorff
Kolonialheld für Kaiser und Führer
General Lettow-Vorbeck - Mythos und Wirklichkeit
Ch. Links Verlag, Berlin, September 2006
ISBN-10 3-86153-412-6
ISBN-13 978-3-86153-412-9