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REZENSION/017: Donal Nevin - James Connolly "A Full Life" (SB)


Donal Nevin


James Connolly

"A Full Life"



Von allen Sternen am Firmament der irischen Freiheitsgeschichte strahlt keiner so hell wie der von James Connolly. Bis heute inspirieren das Leben dieses Sozialisten, seine persönliche Integrität und sein unermüdlicher Einsatz für eine gerechte Gesellschaft, in der nicht Not und Unterdrückung herrschen, politisch engagierte Menschen nicht nur in Irland, sondern auch in der ganzen Welt. Ohne Connolly hätte es womöglich den Osteraufstand von 1916 in Dublin - und in der Folge auch die heutige Irische Republik - gar nicht gegeben. Irland wäre wie Schottland und Wales bis heute Teil des Vereinigten Königreiches mit England geblieben.

Einige Linke warfen Connolly später vor, durch seine Teilnahme am Easter Rising den Internationalismus verraten zu haben. Lenin dagegen, damals noch im schweizerischen Exil, begriff sehr wohl die Motivation seines ideologischen Kampfgefährten aus der 2. Internationalen und pries das historische Ereignis als mutigen Versuch der progressiven Kräfte in Irland, mitten im Ersten Weltkrieg dem British Empire, damals führende Militärmacht der Erde, in den Rücken zu fallen, um die Arbeiterklasse in anderen Ländern dazu zu animieren, ihre eigenen kapitalistischen Unterdrücker abzuschütteln, dem organisierten Massenmord auf dem europäischen Festland ein Ende zu setzen und die sozialistische Revolution herbeizuführen. Zwei Jahre später wußten Lenin und Trotzki die Lehren Connollys in Rußland eindrucksvoll in die Tat umzusetzen.

Zu Kriegsbeginn hatte sich seinerseits Connolly über die Bereitschaft der europäischen Arbeiterschaft, sich vom jeweils eigenen Bürgertum in die Schlacht gegeneinander werfen zu lassen, schwer enttäuscht gezeigt und in einem Artikel für die Zeitschrift Forward Karl Liebknecht lobend hervorgehoben, weil dieser im August 1914 als einziger Abgeordneter der deutschen Sozialdemokraten im Reichstag gegen die Bewilligung der Kriegsgelder für die kaiserliche Armee gestimmt hatte. In diesem Zusammenhang zitierte Connolly Liebkechts Vater Wilhelm wie folgt:

The working class of the world has but one enemy - the capitalist class of the world, those of their own country at the top of the list.

Über all dies und viel mehr schreibt Donal Nevin in seinem 841seitigen Monumentalwerk "James Connolly - 'A Full Life'". Der Untertitel des Buchs bezieht sich auf zwei fast identische Äußerungen, mit denen im Frühjahr 1916 der damals 48jährige Connolly das drohende Ende seines Lebens abtat. Einmal im Dubliner General Post Office (GPO), das die Rebellen am 24. April besetzt und von wo aus sie die Irische Republik ausgerufen hatten, und kurz vor seiner Erschießung am 12. Mai nach der Niederschlagung des Aufstandes durch die britische Armee versuchte Connolly den Kameraden respektive seiner Ehefrau Lily Mut zu machen, indem er erklärte, er habe ein "erfülltes Leben" gehabt und daß er niemals auf bessere Art sterben könnte, als mit dem eigenen Blut den irischen Freiheitskampf auf ewig mit dem der gesamten Menschheit zu verschweißen. Connollys Exekution löste in Irland und darüber hinaus Entsetzen aus, weil er schwerverletzt, dem Tode nahe und auf einen Stuhl gefesselt von einem Erschießungskommando hingerichtet wurde.

Nevin, der selbst jahrelang im Dienste der Gewerkschaftsbewegung Irlands stand und sie zuletzt als Generalsekretär des Irish Congress of Trade Unions (ICTU) anführte, hat für die vorliegende Biographie eine wahre Herkulesarbeit vollbracht. Er hat Connollys gesammelte Werke, mehr als 200 Privatbriefe des 1868 geborenen Marxisten und praktisch alles, was über diesen Mann in den letzten 90 Jahren geschrieben wurde, sorgfältig ausgewertet und daraus eine akribisch recherchierte wie zugleich packende Geschichtserzählung zustande gebracht. Ob es um die frühen Jahre als Kind armer irischer Einwanderer in den Slums des schottischen Edinburghs, die Zeit bei der britischen Armee oder die Jahre als Gewerkschafter und sozialistischer Agitator in Irland, Schottland und Amerika, wo er 1905 an der Gründung der International Workers of the World (IWW) teilnahm, geht, in jedem Fall wartet Nevin mit vielen interessanten Details auf, die dem Leser Connolly nicht nur als Mensch näherbringen, sondern auch Einblick in die schlimmen Bedingungen gewähren, unter denen Männer, Frauen und Kinder in der Industriewelt von damals sich häufig bis in den Tod abplagen mußten.

Obwohl er bereits mit zehn Jahren von der Schule ging und beruflich ein Mitglied des Lumpenproletariats geblieben ist, hat sich der willensstarke Connolly durch Beobachten, Lesen und Schreiben nach Meinung des angesehenen britischen Historikers Prof. Eric Hobsbawm neben William Morris zu einer der beiden Personen in Großbritannien und Irland entwickelt, die "einen wirklich interessanten und originellen Beitrag" zum Gedankengebäude von Karl Marx und Friedrich Engels geleistet haben. Connollys 1910 erschienenes Buch "Labour in Irish History" gilt als bahnbrechende Neuinterpretation der irischen Geschichte aus dialektisch-materialistischer Sicht. Connolly sprach neben Englisch auch Gälisch, Französisch, Esperanto und Italienisch. Letzteres brachte er sich in den USA bei, um die italienischen Einwanderer besser gewerkschaftlich organisieren zu können.

Connolly gilt nicht als großer Theoretiker, sondern eher als pragmatischer Revolutionär, der sich nicht scheute, in seinen Zeitungsartikeln und Pamphleten die ständigen Angriffe katholischer Kirchenfürste auf den Sozialismus durch Verweise auf die Gerechtigkeitslehre von Jesus Christus zu kontern. Mit seiner undogmatischen Haltung gegenüber dem eigenen katholischen Glauben, die ihm in den USA seitens des damaligen IWW-Chefs Daniel De Leon viel Kritik einbrachte, war Connolly ein Vorreiter dessen, was man ein halbes Jahrhundert später Befreiungstheologie nennen sollte.

Die Jahre vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren in Europa und den USA von sozialen Unruhen gekennzeichnet. Am Kampf der Lohnabhängigen für bessere Arbeitsbedingungen nahm Connolly, ob in Belfast bei den Leinwebern, in New York bei den Hafenarbeitern oder in Dublin bei den Trambahnfahrern, aktiv teil. Seine Erlebnisse mit der Brutalität der Polizei bei der großen Aussperrung in Dublin Ende 1913, Anfang 1914 veranlaßten ihn, eine eigene Schutztruppe für die Arbeiter aufzustellen - die Citizen's Army. Aufgrund Connollys früheren militärischen Erfahrungen, seiner Studien der Kriegsgeschichte und seiner straffen Führung war diese Gruppe besonders gut trainiert und diszipliniert. Durch die Drohung, mit der Citizen's Army 1916 einen eigenen Aufstand gegen die britische Herrschaft in Irland anzuzetteln, zwang er die nationalistische Irish Republican Brotherhood (IRB), einen Termin für eine gemeinsame Unternehmung festzulegen. Zu diesem Zweck wurde Connolly in den Army Council der IRB aufgenommen. Nach der Ausrufung der Republik stand er dieser als Vizepräsident und als Oberbefehlshaber der Einheiten der Irish Republican Army in Dublin vor.

Auch wenn Connolly, wie die anderen sechs Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung - Éamonn Ceannt, Thomas Clarke, Seán Mac Diarmada, Thomas MacDonagh, Pádraig Pearse und Joseph Mary Plunkett - wußte, daß vom Aufstand in Dublin kein durchschlagender Sieg über die königlichen Streitkräfte zu erwarten war und daß man sie auf jeden Fall exekutieren würde, so hoffte er doch, ein bedeutendes Zeichen zu setzen, das auf ewig die eigenen Landsleute und die Unterdrückten in aller Welt inspirieren sollte. Wer Nevins Buch liest, kann von der Bereitschaft Connollys, für seine Prinzipien und im Grunde genommen für seine Mitmenschen das eigene Leben zu geben, nur beeindruckt sein. Selbst vom britischen General Lowe, der die Kapitulation der Führer des Osteraufstands nach einer Woche schwerster Kämpfe annahm, ist überliefert, daß er Connollys Hand schütteln mußte, weil dieser wahrhaft "ein Mann" gewesen sei.

18. März 2008


Donal Nevin
James Connolly
"A Full Life"
Gill & Macmillan (www.gillmacmillan.ie), Dublin, 2005
841 Seiten
ISBN: 0-7171-3911-5