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REZENSION/019: A. Ó Cathasaigh - Réabhlóid Phádraic Uí Chonaire (SB)


Aindrias Ó Cathasaigh


Réabhlóid Phádraic Uí Chonaire



In Irland ist der Schriftsteller Pádraic Ó Conaire eine feste Größe. Alle haben irgendwann einmal im Gälischunterricht an der Schule die eine oder andere drollige Kurzgeschichte des 1882 geborenen und 1928 verstorbenen Autors gelesen. Die ihm 1935 auf dem Eyre Square im Zentrum der Stadt Galway errichtete, lebensgroße Statue, sitzend mit gekreuzten Unterschenkeln, ein Hut auf dem Kopf und ein trauriges Lächeln auf den Lippen, hat praktisch jeder gesehen. Hinzu kommt der Mythos um den engagierten Kämpfer für die gälische Sprache, der sich leider im Verlauf seines ruhelosen, unbeständigen Lebens frühzeitig in den Tod soff. Das Resultat ist Ó Conaire als niedlicher Gartenzwerg der irischen Literaturgeschichte, dessen tragischkomische Erzählungen so harmlos sind, daß man sie ruhigen Gewissens Irlands Jugend im Unterricht vorlegen darf, aber die ansonsten kaum ein Erwachsener - weder auf Gälisch noch in der englischen Übersetzung - heute noch liest.

Gegen diese verharmlosende Mythologie setzt sich Aindrias Ó Cathasaigh in "Réabhlóid Pádraic Uí Chonaire" ("Pádraic Ó Conaires Revolution") energisch zur Wehr. In seinem akribisch recherchierten und unterhaltsam geschriebenen Buch, das nicht umsonst 2006 auf dem gälischen Kulturfest Oireachtas als Prosatext des Jahres ausgezeichnet wurde, präsentiert Ó Cathasaigh Ó Conaire als revolutionären Sozialisten, der sich in den Jahren um den Ersten Weltrkrieg wie kaum ein zweiter publizistisch für die Unabhängigkeit Irlands einsetzte, ab 1922 jedoch nach der Teilung der Insel zu einem der ersten und schärfsten Kritiker des gerade gegründeten, konservativ-katholischen "Freistaates" im Süden der grünen Insel wurde. Zur Wiederentdeckung der anarchistisch-kommunistischen Seiten Ó Conaires ist Ó Cathasaigh bestens geeignet. Der radikallinke politische Kommentator, der für die in Dublin erscheinende, zweisprachige sozialistische Zeitschrift Red Banner schreibt, hat unter anderem auf gälisch ein Biographie von Karl Marx sowie ein Buch über die Schriften James Connollys, des großen Revolutionärs und Anführers des Osteraufstandes von 1916, verfaßt.

Bei seiner Recherche hat Ó Cathasaigh nach eigenen Angaben Hunderte von Artikeln aufgestöbert, die Ó Conaire in den ersten Jahrzehnten des vergangen Jahrhundertes in diversen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht hatte und die nach seinem Tod in Vergessenheit geraten waren. Diese Artikel zur jeweils aktuellen politischen Lage in Irland sowie im Ausland, aus denen Ó Cathasaigh reichlich, aber keineswegs übermäßig zitiert, lassen ein Bild von Ó Conaire entstehen, das sich vom gängigen Klischee wohltuend unterscheidet. Demnach war dieser mitnichten einfach ein Boheme, der die Enge eines geregelten, bürgerlichen Lebens scheute, sondern auch ein glühender Sozialist, der die Russische Revolution in seinen Schriften verteidigte und die Zerschlagung der kapitalistichen Klasse auf der ganzen Welt herbeisehnte. Des weiteren war er ein literarisches Genie, das die Moderne mit der gälischen Erzähltradition zu verknüpfen wußte. Neben den zahlreichen Essays, auf deren Existenz Ó Cathasaigh aufmerksam macht, hat Ó Conaire im Verlauf seines relativ kurzen Lebens 26 Bücher, 473 Kurzgeschichten und sechs Bühnenstücke geschrieben (2000 hat übrigens der Unrast Verlag Ó Conaires berühmtestes Buch "Dreoraíocht" - "Exil" -, das 1910 als erster gälischsprachiger Roman überhaupt erschienen war, in einer Direktübersetzung ins Deutsche veröffentlicht).

Als Ó Conaire nur sechs Jahre alt war, wanderte sein Vater, der mit seiner eigenen Kneipe in Galway pleitegegangen war, auf Nimmerwiedersehen in die USA aus. Seine Mutter starb, als er elf war, worauf er und seine beiden Brüder zu Verwandten in Ros Muc, das in einer Region der Grafschaft Galway lag, wo Gälisch noch die erste Sprache war, gegeben wurden. Die letzten Jahre seiner Jugend verbrachte er im Internat Blackrock College in Dublin, wo sein Klassenkamerad der spätere Premierminister, Präsident und Gründer der Partei Fianna Fáil Eamon De Valera war. Von 1899 bis 1914 lebte Ó Conaire in London, wo er als Beamter arbeitete und sich gleichzeitig in die Schriftstellerei und die Aktivitäten der irischen Exilgemeinde stürzte. Die britische Hauptstadt war damals eine Hochburg derjenigen, die bereit waren, für ein unabhängiges Irland zu kämpfen, und die die gälische Sprache retten wollten. Dort hatte sich Ó Conaire als engagiertes Mitglied der Gälischen Liga und als Publizist bereits einen Namen gemacht, als er 1914 seine Frau und drei Kinder verließ, zurück nach Dublin ging und Mitglied der Geheimgesellschaft der Irisch-Republikanischen Bruderschaft (IRB) - Vorläuferin der Irisch- Republikanischen Armee (IRA) - wurde. Zusammen mit Connollys Arbeitermiliz, der Citizen's Army, erhob sich die IRB am Ostermontag 1916 in Dublin gegen das British Empire und rief die Irische Republik aus.

Zwar scheint Ó Conaire keinen großen Anteil an den Militäroperationen der IRB gehabt zu haben, bei der öffentlichen Rezeption der Ereignisse dieser Jahre spielte er mit seinen regelmäßigen Artikeln jedoch eine durchaus wichtige Rolle. Unabhängig davon, ob es nun um die große Aussperrung der Straßenbahnarbeiter in Dublin 1913, den Ersten Weltkrieg, den Osteraufstand, die drohende Hungersnot in Irland 1917, den Sturz des Zarentums in Rußland im selben Jahr, die Verhandlungen um die Nachkriegsordnung in Europa 1919, den Unabhängigkeitskrieg in Irland 1920/21, den anschließenden Bürgerkrieg zwischen der Fraktion um Michael Collins, die den von Lloyd George und Winston Churchill aufoktroyierten Friedensvertrag - einschließlich der Teilung der Insel und der Beibehaltung des englischen Königs als Staatsoberhaupt - zu akzeptieren bereit waren, und derjenigen um De Valera, die das Dokument als Verrat an der Republik ansah, ging, für Ó Conaire stand immer zuerst die Frage im Raum, was den Arbeitern und den noch ärmeren Mitgliedern der Gesellschaft nützte.

Folglich stellte der Streit um den Friedensvertrag mit Großbritannien den Connolly-Verehrer und IRB-Freiwilligen vor große Probleme. Wohlwissend um die prekäre militärische Position der Aufständischen und das Sehnen der meisten Iren nach einem Ende der Kämpfe trat Ó Conaire schweren Herzens öffentlich für die Annahme des Vertrages ein. Ähnlich Collins sah er in ihm ein Mittel, um für ganz Irland letztendlich die volle Souveränität zu erlangen. Als es nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Collins- und De-Valera-Lagern zum erbitterten Bruderkampf kam, hat dies Ó Conaire hart getroffen. Noch mehr sah er sich enttäuscht, als nach dem Sieg der sogenannten Free Staters über die IRA diese mit Hilfe des katholischen Klerus, der Arbeitgeber und der höheren Beamtenschaft in den südlichen 26 von 32 irischen Grafschaften eine Art konservative Restauration durchführten und die Träume von einer gerechteren Gesellschaft mit weniger Armut und einer Wiederbelebung der gälischen Sprache zunichte machten.

In Ó Cathasaighs "politischer Biographie" Ó Conaires kann man die bewegtesten Jahre der jüngeren Geschichte Irlands mit den Augen eines seiner besten Schriftsteller verfolgen. Gleichwohl hat Ó Cathasaigh keine Hagiographie abgeliefert. An verschiedenen Stellen weist er Schwächen in der politischen Argumentation Ó Conaires auf, wie zum Beispiel, wenn dieser Marx mißversteht und ihm unterstellt, einer Verstaatlichung des gesamten menschlichen Lebens das Wort geredet zu haben. Nebenher gelingt es Ó Cathasaigh, die revolutionär-sozialistischen Gedanken Ó Conaires, die sich in erster Linie aus einer grundlegenden Parteinahme für alle Unterdrückten und Ausgebeuteten speisten, mit den wirtschaftlichen Problemen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu verknüpfen - was das vorliegende Buch um so empfehlenswerter macht.

30. April 2009


Aindrias Ó Cathasaigh
Réabhlóid Phádraic Uí Chonaire
Verlag Coiscéim, Dublin/Belfast, 2007
362 Seiten