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BIBLIOTHEK/423: "Judaica Europeana" - Zugriff auf jüdische Kulturgüter im Digitalformat (Uni Frankfurt)


Goethe-Universität Frankfurt - 12. Februar 2010 / 37

'Judaica Europeana':
Mehrsprachiger Zugriff auf jüdische Kulturgüter im Digitalformat

- 1,5 Millionen Euro für Vorzeigeprojekt der Europäischen Union
- Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek übernimmt Leitung


FRANKFURT. Mit 1,5 Millionen Euro Fördermittel der Europäischen Union (EU) kann die 'Judaica Europeana' ihre Arbeit beginnen: Zehn Institutionen in Frankfurt, London, Athen, Bologna, Budapest, Paris, Rom und Warschau arbeiten Hand in Hand und bieten weltweit einen Zugang zu den jüdischen Kulturgütern Europas an. Die Judaica-Sammlung der Frankfurter Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, die europaweit bisher schon die größten Bestände gesammelt und seit 1998 digitalisiert hat, wird die Leitung dieses Projekts übernehmen.

"Dies ist eine großartige Gelegenheit für kulturwissenschaftliche Einrichtungen, die jüdische Kultur Europas international zu fördern und die Forschung voranzutreiben", freut sich Dr.áRachel Heuberger. Sie leitet die renommierte Frankfurter Sammlung seit 1991 und hat in den vergangenen Monaten im Gespräch mit ihren europäischen Kollegen maßgeblich dazu beigetragen, dass der EU-Antrag zum Erfolg führte. Frankfurt und die Universitätsbibliothek der Goethe-Universität mit ihren vielfältigen jüdischen Wurzeln sind bestens geeignet, im Zentrum dieses Projekts zu stehen: Die umfangreiche Vorkriegssammlung, die meist von jüdischen Bürgern der Stadtbibliothek überlassen wurde, ist seit 1949 in die beiden Sondersammelgebiete der Frankfurter Universitätsbibliothek zur Wissenschaft des Judentums und zu Israel integriert worden. Teilbestände der insgesamt mehr als 20.000 Bücher, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich zusammengetragen wurden, sind bereits digitalisiert. Die Frankfurter Judaica-Sammlung ist damit die größte Judaica- und Hebraica-Sammlung in Deutschland und eine der bedeutendsten Sammlungen weltweit.

Gefördert wird das bahnbrechende digitale Projekt 'Judaica Europeana', von dem 'eContentplus'-Programm der Europäischen Kommission. Als Teil von 'Europeana' - dem Online-Netzwerk der Archive, Bibliotheken und Museen Europas - soll es einen multilingualen Zugriff auf Sammlungen der Jüdischen Kultur ermöglichen. "Die Vielfalt jüdischer Kultur findet ihren Ausdruck in Hunderttausenden von Objekten, die in vielen Sammlungen verstreut sind: Das sind Dokumente, Bücher, Handschriften, Zeitschriften, Tonaufzeichnungen, Bilder, Photographien, Postkarten, Plakate und Filme, aber auch Bauwerke und Friedhöfe in ganz Europa", so Heuberger. 'Judaica Europeana' wird die bereits digitalisierten Objekte online stellen und sofort mit der Digitalisierung von Millionen von Seiten sowie Tausenden von Objekten beginnen, die aus den Sammlungen der Partner-Bibliotheken, Archive und Museen stammen. Im nächsten Schritt werden dann weitere digitale Sammlungen zu den Juden in europäischen Städten eingebunden.

"Jüdische Kultur beruhte überwiegend auf schriftlichen Quellen; die Integration von so viel audio-visuellem Material wie möglich stellt für uns deshalb eine besondere Herausforderung dar", sagt Lena Stanley Clamp, die Projektleiterin und Direktorin der European Association for Jewish Culture mit Sitz in London. Gemeinsam mit der Frankfurterin Heuberger wird Clamp die Kooperation der zehn Institutionen in den kommenden zwei Jahren koordinieren. Ab 2011 sollen Dozenten und Studenten an Universitäten und Schulen, Fachleute für das kulturelle Erbe, kulturbegeisterte Touristen sowie die allgemeine Öffentlichkeit auf diese kostenlose Datenbank zugreifen können. Heuberger fügt hinzu: "Sie ist offen für jeden, der an der Geschichte der europäischen Städte oder der jüdischen Kultur Interesse hat."

Die Präsenz von Juden über die Jahrhunderte hat die Entwicklung der europäischen Städte wesentlich mitgeprägt. Heuberger nennt einige Beispiele: "Das East End in London und das Belleville Viertel in Paris waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts pulsierende jüdische Viertel mit jüdischen Geschäften, Cafes, Schulen, Bibliotheken und Synagogen. 1939 war ein Drittel der Bevölkerung von Warschau jüdisch. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde im Hafen von Saloniki am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, nicht gearbeitet. Die jiddische und jüdisch-spanische Presse hatte hohe Auflagen und wurde in vielen europäischen Städten gelesen."

Die Spezialisierung auf bestimmte Berufssparten führte zur Identifikation der Juden mit bestimmten Straßen, Gebäuden und Vierteln in ganz Europa. Juden hatten erheblichen Anteil an der Entwicklung des Handels, in der Mehrzahl Besitzer von kleinen Läden waren einige Pioniere bei der Gründung von Warenhäusern. Als Mediziner, Anwälte und im kulturellen Bereich spielten sie eine bedeutende Rolle. Sie waren Intellektuelle, Künstler, Musiker, Schriftsteller und Journalisten sowie Besitzer von Zeitungs- und Buchverlagen. Ein lebendiges jüdisches Gemeindeleben fand seinen Ausdruck im Befolgen religiöser Normen und Sitten, in der Erziehung, gegenseitiger Unterstützung, Politik, Theater, Musik und Publizistik.

Durch den Holocaust wurde die jüdische Welt, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden hatte, zum Großteil vernichtet. "Aber in vielen europäischen Städten existiert heute wieder ein lebendiges jüdisches Leben und in den letzten Jahrzehnten wird ein erneutes Interesse an der jüdischen Kultur in Europa deutlich", erklärt Heuberger, auch dieses soll in der 'Judaica Europeana' dokumentiert werden.

Die 'Judaica Europeana' zählt zu den wenigen themenorientierten Projekten, die von der Europäischen Union für 'Europeana' mitfinanziert werden. 'Europeana' ist das Vorzeigeprojekt der Europäischen Kommission, das einen zentralen Zugriff auf Millionen digitaler Objekte bietet, die sich in Europas Museen, Bibliotheken und Archiven befinden. Die multilinguale Suchmaschine (www.group.europeana.eu) ermöglicht dem Nutzer, die über den Kontinent verstreuten kulturellen und wissenschaftlichen Ressourcen aufzuspüren, zu sichten und zu vergleichen. Zur Gruppe der 'Judaica Europeana'-Partner unter der Leitung der Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek Frankfurt und der European Association for Jewish Culture in London gehören die Alliance Israelite Universelle in Kooperation mit dem Paris Jiddisch Zentrum-Medem Bibliothek, die British Library (London), das Ungarische Jüdische Archiv (Budapest), das Jüdische Museum Griechenland (Athen), das Italienische Ministerium für Kulturerbe (MIBAC, Rom), das Jüdische Historische Institut (Warschau), das Jüdische Museum London und Amitie, Zentrum für Forschung und Innovation (Bologna). Das Zionistische Zentralarchiv (Jerusalem) und Makash, Zentrum für ICT Anwendungen in Erziehung, Kultur und Wissenschaft (Jerusalem), sind assoziierte Partner. Weitere assoziierte Partner sind zur Mitarbeit aufgerufen.

'Judaica Europeana' wird Präsentationen und Workshops in Universitäten abhalten, um die Nutzung der Archive zu stärken. Die Partner-Institutionen werden Lehrpersonal und Schüler beteiligen und sie dabei unterstützen, Schulprojekte und Unterrichtseinheiten zu entwickeln. Ebenso werden virtuelle Ausstellungen zu jüdischen Themen erstellt.

In Zusammenarbeit mit:
Judaica Europeana
Europeana think culture


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigte sie sich als eine der forschungsstärksten Hochschulen.


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Quelle:
Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt - 12. Februar 2010 / 37
Herausgeber: Der Präsident
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60054 Frankfurt am Main
Redaktion: Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Februar 2010