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BIBLIOTHEK/490: Die Hessische Landesbibliothek in Fulda (Irene und Gerhard Feldbauer)


Die Hessische Landesbibliothek in Fulda

Eine Fundgrube bibliophiler Schätze

Von Irene und Gerhard Feldbauer, 29. März 2012



Wer die Spuren von 1500 Jahren europäischer und deutscher Geschichte verfolgen will, findet in der Hessischen Landesbibliothek eine Fundgrube bibliophiler Schätze und des Wissens, wie es unter diesen Gesichtspunkten kaum eine zweite in Deutschland gibt. Anziehungspunkt für Fachleute vor allem der Geisteswissenschaften, aber auch Allgemeininteressierte und Besucher der geschichtsträchtigen Stadt sind insbesondere die Bestände der Bücherei des von Bonifatius gegründeten Klosters, darunter seine Handschriftensammlungen. Dazu gehören rund 850 abendländische Codices, davon ein Drittel aus der Zeit vor 1600. Der weitgereiste Bibliothekar Peter Bertius rühmte bereits 1616, keine Handschriftensammlung in Deutschland sei besser mit Codices ausgestattet, als die des Bonifatiusklosters.


Das Hildebrandslied in Althochdeutsch

Eine große Zahl von Codices entstand während der Zeit des Abtes Hrabanus Maurus, der von 822 bis 842 dem Kloster vorstand. Während Maurus, der als größter Lehrer des damaligen Abendlandes gilt, unter anderem selbst ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste, schrieben die Fuldaer Mönche viele Werke der antiken und althochdeutschen Literatur nieder. Es entstand eine Lehrstätte, an der Deutsch sich als Schriftsprache entwickelte und die althochdeutsche Literatur ihre Wiege fand. Bereits um 820 zeichneten zwei Mönche hier das Hildebrandslied in Althochdeutsch auf.


Die Sammlung von und über Ullrich von Hutten

Der Katalog, weist über 320.000 Bände und mehr als 1670 ständig gehaltene Zeitschriften aus, darunter etwa 9.000 Einzel- und Gesamtausgaben, über 360 Musikhandschriften, 670 Autographen, etwa 430 Wiegendrucke und ein Dutzend Nachlässe. Über ihre Sammlungen ist die Hessische Bibliothek mit fast 1.500 Jahren deutscher und europäischer Geschichte verbunden. 1776 als "öffentliche Bibliothek zu Fulda" aus den Beständen des ehemaligen Benediktinerarchivs, der Jesuitenbücherei sowie der bischöflichen Hofbibliothek entstanden, 1778 von Fürstbischof Heinrich VIII. von Bibra offiziell eingeweiht, reicht ihre Geschichte mit kostbaren Exemplaren der Handschriftensammlungen bis ins 5. Jahrhundert zurück. Zu ihren Raritäten gehört eine Huttensammlung, mit der größten in Deutschland vorhandenen Kollekte von Werken, die von dem streitbaren Humanisten stammen oder über ihn verfasst wurden. 2002 konnte die Bibliothek ihre Sammlung durch 32 Huttendrucke bereichern, die seit der Grundstocklegung 1959 den umfangreichsten Bestand der Burg Steckelburg bei Schlüchtern des geborenen Rhöner Reichsritters Ullrich von Hutten bildeten. Die seltenen Stücke wurden für 150.000 Euro von einer privaten Adelsbibliothek erworben. Sie stellen einen großen Gewinn für die Erforschung des Humanismus und der Reformations- und Buchgeschichte in Deutschland dar.


Die Lex Romana Visigothorum

Zahlreiche wertvolle Schätze sind für Besucher im allgemeinen in einer öffentlichen Schausammlung zugänglich. Dazu zählen das Fragment einer altlateinischen Prophetenhandschrift aus dem 5. Jahrhundert; eine Handschrift mit dem Auszug der unter König Alarich II. Anfang des 6. Jahrhunderts geschaffenen Lex Romana Visigothorum, die ein Gesetzeswerk für die im Westgotenreich lebenden Römer bildete; eine Evangeliumsharmonie aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, die sich im Besitz von Bonifatius befand und Glossen seiner Handschrift enthält, und ein Evangeliar der Normannenprinzessin Judith von Flandern aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts.

Bildquelle: Wikipedia

Deutsch: Friedrich Barbarossa mit seinen Söhnen König Heinrich und Herzog Friedrich.
Miniatur aus der Welfenchronik (Kloster Weingarten, 1179-1191). Heute Landesbibliothek Fulda.
Bildquelle: Wikipedia


Bewundertes Kleinod - die Welfenchronik

Eines der von Historikern immer wieder bewunderten Kleinodien, ist die Welfenchronik aus dem 12. Jahrhundert mit der Miniatur Kaiser Barbarossas und seiner Söhne, über der zu lesen ist: "In medio prolis residet pater imperialis" (inmitten seiner Nachkommen thront der kaiserliche Vater). Die Handschrift wird mit einem Nekrolog eröffnet, zu dem auch der Welfenstammbaum gehört. Ebensolches Interesse findet eine Handschrift mit den Predigten Bernhards von Clairvaux (1191-1253) über das "Hohe Lied" aus dem 13. Jahrhundert, oder die von Rudolf von Ems, einem Minnesänger, um 1250 geschriebene Weltchronik. Die Predigten Clairvaux' stammen aus dem Kloster Weingarten, wo unter dem kunstsachverständigen Abt Berthold (1200-1232) eine Schreib- und Malschule auf dem höchsten Niveau ihrer Zeit existierte. Die Weltchronik erzählt in deutschen Reimen die Geschichte der Menschheit nach der Bibel, berichtet aber auch über Heidengötter, antike Könige und deren Reiche. Der Text der Handschrift gehört zu den ältesten und am besten überlieferten Ausgaben.


Das Pergament Original einer Gutenbergbibel

Zu den Prachtexemplaren einer Schausammlung gehört der erste Band einer auf Pergament gedruckten 42zeiligen Gutenbergbibel aus Mainz um 1454/56. Die Ausgabe umfasst zwei Folienbände von insgesamt 1282 Seiten zu je zwei Spalten mit über drei Millionen Buchstaben. Von dieser Bibel sind wahrscheinlich nur 35 Exemplare auf Pergament und 120 bis 150 auf Papier gedruckt worden. Von den Pergament-Exemplaren sind nur noch 12 erhalten, davon nur vier vollständig.

Nach der Gründung 1776 wuchs die Fuldaer Bibliothek um weitere wertvolle Bestände an. Erbprinz Wilhelm Friedrich von Nassau-Oranien, dem das Land nach Erlöschen des Fürstentums Fulda 1802 zufiel, übergab ein Jahr später einen Teil der berühmten Bücherei des ihm durch Säkularisation ebenfalls zugefallenen Klosters Weingarten - etwa 1.500 Druckschriften und 150 Handschriften - an die Bibliothek seiner Residenz Fulda. 1866 kam die Stiftung des Gerichtssekretärs der Stadt Adam Joseph Schwank, bestehend aus 224 Handschriften und 7.328 vornehmlich historischen und juristischen Werken hinzu.


7.000 Fuldensien

Zur herausragenden kulturhistorischen Rolle der Bibliothek tragen neben ihren Handschriftensätzen sowie dem Erbe des Bonifatius auch die sogenannten Fuldensien bei. Sie umfassen zirka 7.000 Titel der Literatur, die sich inhaltlich auf Fulda (Stadt und Großkreis), die Region der Rhön (alle Teile, d. h. bayerische, hessische und thüringische Rhön) und auf die ehemals fuldischen Gebiete (z. B. Hammelburg) beziehen.

Mit einem derartigen Wissensschatz nimmt die Landesbücherei die Funktion der einzig wissenschaftlichen Universalbibliothek Osthessens sowie Studienreservoirs der Hochschuleinrichtungen und gleichzeitig die Aufgaben einer "Öffentlichen Bibliothek" wahr. Dem entsprach ihre am 1. Januar 2001 erfolgte Integrierung als bis dahin selbständige Hessische Landesbibliothek in die Fachhochschule Fulda. Zusammen mit der nunmehr auch ehemaligen Fachhochschulbibliothek entstand die neue HLB an zwei Standorten. Bis zu einem mittelfristig geplanten Neubau unter Beibehaltung des Bibliotheksgebäudes der ehemaligen Landesbibliothek erfüllt die neu entstandene Bibliothek ihre vielfältigen Aufgaben an den Standorten Marquardstraße und Heinrich-von-Bibra-Platz, wo sie gleichzeitig ihre Aufgaben als HLB wahrnimmt. Zu ihren umfangreichen Dienstleistungen gehört die Mitarbeit an einer Hessischen Bibliographie. Ausgestattet mit modernster Technologie ist sie eine leistungsstarke Gebrauchsbibliothek, die nicht nur der Forschung und Lehre sondern ebenso der beruflichen Arbeit als auch der Allgemeinbildung dient.


Hinweis:
Ein Städteporträt über Fulda von Gerhard Feldbauer finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Unterhaltung → Reisen → Bericht
BERICHT/094: Städteporträt - Fulda, historische Stadt mit glanzvoller Tradition (Gerhard Feldbauer)

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Quelle:
© 2012 by Irene und Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2012