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REZENSION/005: G. Trinckler (Hrsg.) - Ein Teddy aus alten Tagen (SB)


Gabriele Trinckler (Hrsg.)


Ein Teddy aus alten Tagen

Kind & Kegel-Gedichte



Nicht erwähnenswerte Zumutungen

Zum Unesco-Welttag der Poesie am 21. März 2006 schrieb die Zeitschrift "Das Gedicht" einen Lyrikwettbewerb aus. Gesucht wurden "poetische Erinnerungen an die Kindheit" unter dem Titel "Kind & Kegel". Die Begründung für die Wahl des Themas, Poesie sei ein ideales Medium, um das literarische Gedächtnis zu schulen, schien allerdings kein konkreter Anhaltspunkt für eine mögliche inhaltliche Ausführung zu sein, sondern eher einen pädagogischen oder therapeutischen Hintergrund zu haben. Der Wettbewerb wurde aber hauptsächlich mit der Absicht ausgerichtet, neue Talente zu entdecken, so daß sich ohne Themenspezifikation und ohne Altersbeschränkung alle Verfasserinnen und Verfasser von deutschsprachiger Poesie beteiligen konnten.

Die besten Beiträge dieses Projektes sind nun als Anthologie in der Reihe »Poesie im 21. Jahrhundert« unter dem Titel "Ein Teddy aus alten Tagen" erschienen. Die Reihe "präsentiert bemerkenswerte zeitgenössische Gedichtbände und lyrische Debüts in deutscher Sprache. Alle Titel der Reihe werden von 'DAS GEDICHT Lektorats-Service' sorgfältig lektoriert und komponiert." (S. 4)

Aus ca. 800 Einsendungen mit rund 2000 Texten wählte Gabriele Trinckler die schönsten Kindheitsgedichte von 53 Autorinnen und Autoren zwischen 16 und 74 Jahren aus. [...] "Ein Teddy aus alten Tagen" versammelt poetische Erinnerungen vom ersten Slalom durch den Geburtskanal bis hin zu jenen Schulstunden, in denen der Lehrer seine Reden "an die Eselsohren in den Schönschreibheften" hält. Und wenig später, in der Zeit des pubertären Erwachens, schnitzen wir "küsse in rinden" und knittern "liebeslieder in unseren Köpfen" zurecht. Ob Stadtindianer, "hor-niss-chen" oder Fußgängerzonen- Pirat - alle suchen im Gedächtnis Frau Holles "Falltür, die einen direkt hinunterschickt zu den Wolken."
(S. 2)

Der Welttag der Poesie will engagierte Poesie präsentieren und an die Vielfalt sprachlicher Ausdrucksformen erinnern. Davon ist diese unter seiner Ambition herausgegebene Anthologie von Gabriele Trinckler und Anton G. Leitner allerdings weit entfernt. Die inhaltliche Aussage der Texte ist ausnahmslos so stark durch unzusammenhängende Versatzstücke aus Satzteilen und Wortfetzen verstellt, daß die mögliche inhaltliche Eindeutigkeit, Direktheit und Pointiertheit von Gedichten stark darunter leidet und beim Lesen schon eine seltene, kurze Sequenz inhaltlichen Zusammenhangs wie eine Erleuchtung erscheint. Die "poetischen Erinnerungen an die Kindheit" sind banal oder bestehen aus Beschwerden, so daß sie bestenfalls für den Autoren von einem nicht näher bestimmbaren inhaltlichen Wert, aber langweilig und eintönig für den Leser sind. Vergangenheit in Varianten dargeboten ist Zeitverschwendung, wenn sie abgeschlossen ist und nicht weitererzählt wird. Es wird mit sprachlichen Kunstgriffen gearbeitet, die beeindrucken sollen, aber bei genauerem Hinsehen steckt nichts dahinter. Hier nur ein Beispiel: "bist du un-ge-liebt weil / du so hor- niss-chen bist du / un-ge-liebt weil du so hor // niss-chen bist du un / geliebt weil du so an-lauf / nimmst wie-der wie [...]" (Christian Schloyer, 3stimmiger Kanon, S. 23). Peter Rühmkorf äußerte einmal gegenüber der Deutschlandfunk-Info-Redaktion, Gedichte seien eine Art "Erweckungsstation mit Botschaften, die man in der übrigen Welt nicht erfährt". Das Wortspiel mit der Aussage, ungeliebt zu sein, die als solche im Leser nichts auslöst, was nicht schon vorhanden wäre, keine Fragen aufwirft und auch nicht einen neuen oder anderen Aspekt zum Thema hinzufügt, ist in der gebotenen Form nicht entwicklungsfähig und schon gar nicht eine "Erweckungsstation". Die Form lenkt hier von der nicht vorhandenen inhaltlichen Aussage ab bzw. versucht die Aussagelosigkeit zu kaschieren. Das scheinbar tief empfundene Ungeliebtsein entpuppt sich als assoziativ und damit als Sprachgewirr.

Diesen Eindruck hinterläßt nicht nur das zitierte Beispiel. Bei den meisten Gedichten dieser Anthologie ist es aus gleichen Gründen überaus schwierig oder unmöglich, einen Zusammenhang oder gar eine Dramaturgie herauszufinden. Zwischen der Aussageabsicht des Dichters und dem an den Leser übermittelten Inhalt besteht keine Verbindung. Man könnte meinen, daß die Autoren keinen Wert darauf legen, daß ein Zuhörer ihre Sprache versteht. So liegt es nicht an der "imaginativen" Unfähigkeit des Lesers, daß die Texte bestenfalls eine gähnende Langeweile, meist aber, bedauerlicherweise, ein Unverständnis für Gedichte hervorrufen. Das Problem sind die Dichter, die weder in der Lage zu sein scheinen noch offensichtlich einen Grund dafür sehen, eine komprimierte, deutliche Vorstellung der Inhalte zu vermitteln. Auch der beste Willen des Lesers und eine sorgfältige Analyse des Textes bringen da nicht weiter.

Die Frage, warum Gabriele Trinckler und Anton Leitner diese Gedichte ausgesucht haben (sie selber haben keine Kriterien genannt), kann wohl nur mit dem gegenwärtigen Trend beantwortet werden, zu dem sie einen Beitrag leisten wollen. Gedichte schreiben und lesen ist heutzutage vorurteilsbelastet: Sie scheinen wesensmäßig aus unverständlichen Wortzusammensetzungen mit bedeutungsschweren, unbegreiflichen Zusammenhängen zu bestehen. Auf dem Niveau von Poetry-Slam zusammengestoppelte Verse gehen allemal als zeitgemäß durch.

Viele Dichter dieser Anthologie haben sich schon einen Namen im Literaturbetrieb gemacht und selbst Gedichtbände herausgegeben. Insofern bestätigt die Textauswahl die neueste Entwicklung im Bereich Lyrik. Da sind zum Beispiel zu nennen Andreas Altmann, der als Reporter und Buchautor in Paris lebt. Seine Reportagen erscheinen in allen größeren Magazinen und den Gedichten wird eine "lyrische Weltferne" nachgesagt; Rainer Stolz mit experimentellen Ausdrucksformen und "Beat-Gedichten"; Arne Rautenberg, Kieler Schriftsteller und bildender Künstler, der Experimente mit Sprache und Form von Gedichten macht, u.a. "Found Poetry", Fundstücke von der Straße, die er kurzerhand zu Gedichten erklärt oder die ihn zu eigenen Texten inspirieren; Christian Schloyer, der 2004 den 12. Berliner Open Mike gewann; Michael Wildenhain, der nach einem Maschinenbaupraktikum und einem Wirtschaftsingenieur- und Philosophiestudium, Erfolg im Schreiben von Romanen, Theaterstücken und Gedichten fand; Frantz Wittkamp, ein etwas weniger witziger, eher ironischer, nicht nur Kinderliteratur-Dichter ebenso wie Peter Maiwald.

Gedichte verkaufen sich in Buchform immer weniger und werden in immer kleineren Auflagen verlegt. Trotz des Wiederauflebens der mündlichen Tradition ist es den Dichtern aber immer noch wichtig, geschrieben zu erscheinen. Gleichzeitig werden Lyrikveranstaltungen hervorragend besucht und Hörbücher finden reißenden Absatz. Lyrik will also gehört werden, dem Ursprung des Wortes entsprechend: "Lyrik" war in der Antike das von der Lyra vorgetragene Lied. Die Idee und der Mut, im Zeitalter der nüchternen Faktenübermittlung und den Lese- und Konzentrationsschwierigkeiten solche komplexen und komprimierten Schriftstücke wie Gedichte herauszugeben, könnte die Möglichkeiten der Sprachentwicklung, die Gedichte in sich bergen, durchaus fördern. Aber es reicht wohl nicht, Begeisterung und unverbesserlichen Idealismus für Gedichte mitzubringen wie Anton Leitner, um das Genre nicht untergehen zu lassen. Solange gleichzeitig die Sprachfähigkeit des deutschen Nachwuchses deutlich abnimmt, was dadurch zum Ausdruck kommt, daß die Möglichkeit, komplexe Texte noch verstehen oder auch sprechen zu können, bei vielen Schülern und auch Studenten sehr schwach ist, scheint es wenig sinnvoll, dieser Entwicklung sprachliche Inhalte in auch noch unverständlichen Blöcken und als Puzzle entgegenzusetzen. Es sei denn, die Anthologie "Ein Teddy aus alten Tagen" will den Zustand zeitgemäßer Gedichte aufzeigen.


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Anton G. Leitner, geboren 1961 in München, lebt als Verleger, Lyriker und Publizist in Weßling bei Starnberg. Als Rezitator präsentiert er Poesie auf internationalen Literaturfestivals, im Rundfunk und auf CDs. Seit 1992 ist er Herausgeber der Zeitschrift "Das Gedicht". Er wurde mit zahlreichen Förder- und Kulturpreisen ausgezeichnet. Anton G. Leitner ist als langjähriger Herausgeber, Juror und vielfach ausgezeichneter Autor von Lyrik und Prosa ein versierter, konstruktiver Kritiker literarischer Texte. Er lebt und arbeitet in Weßling (Landkreis Starnberg).

Gabriele Trinckler, geboren 1966 in Berlin, lebt als Lyrikerin und Verlagsangestellte in München. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift "Das Gedicht".

27. April 2007


Gabriele Trinckler (Hrsg.):
Ein Teddy aus alten Tagen
Kind & Kegel, Gedichte
Reihe: Poesie 21/Band 8 (Hrsg.: Anton G. Leitner)
Verlag Steinmeier, Nördlingen 2007
Euro 12,80, 80 Seiten
ISBN 978-3-939777-11-3