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BUCHBESPRECHUNG/094: "Wie Sie unvermeidlich glücklich werden" von Manfred Lütz (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Manfred Lütz
Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens

von Klaus Ludwig Helf, Februar 2016


Glück scheint so etwas wie eine anthropologische Grundkonstante des Menschen zu sein. In jeder Kultur und zu jeder Zeit beschäftigten sich Menschen mit den Fragen, was Glück ist und wie man es erreichen kann. Früher waren das zunächst vor allem die Philosophen; aber auch die großen Schöpfungen der Weltliteratur handeln von der Suche nach Glück und der Flucht vor Unglück und Tragödien. Schon in der ältesten, überlieferten und schriftlich fixierten Dichtung der Menschheit, dem Gilgamesch-Epos (1800 bis 1595 v. Chr.) oder in Homers Ilias (7./8. Jh. v. Chr.) spielte das Glück eine große Rolle. Für die griechischen Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles (5./4. Jahrhundert vor Christus) führte nur eine tugendhafte Lebensweise zum Glück; Glückseligkeit (Eudämonie) war ihrer Meinung nach das Ziel menschlichen Handelns; denn nur wer sein Leben gerecht und heilig geführt habe, gelange - so Platon - nach seinem Tod zu den "Inseln der Seligen". Für Epikur (4. Jh. v. Chr.) dagegen war Glück das Erleben von Lust und die Abwesenheit von Schmerz.

Was aber der Kern von Glück ist und wie man es am besten erreichen und bewahren kann, darüber streiten sich die Geister bis heute, berufene wie unberufene. In den Regalen der Buchhandlungen stapeln sich die Glücks-Ratgeber zuhauf; auch Glücks-Seminare sind der Renner bei dem Weg zur Selbstfindung. Jetzt haben wir es mit einem neuen Bestseller zum Thema Glück zu tun. Autor ist Manfred Lütz (* 1954), Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, katholischer Theologe und Schriftsteller, seit 1997 Chefarzt des Alexianer-Krankenhauses für psychisch Kranke in Köln. Sein Buch "Irre! Wir behandeln die Falschen!" war ein Bestseller und hat für Furore gesorgt, da er etwas ironisch distanziert gegenüber seinem eigenen Fachgebiet aufgetreten ist. Auch sein psychotherapeutischer Ansatz (lösungsorientierte Kurztherapie nach Steve de Shazer und Insoo Kim Berg) wird kontrovers aufgenommen: Es sei hilfreicher für die Menschen, sich auf Wünsche, Ziele und Ressourcen zu konzentrieren anstatt auf Probleme und deren Entstehung - Lösungen statt Probleme, Konzentration auf Stärken und Potenziale statt auf Defizite (dies ist auch ein vernünftiger pädagogischer Ansatz). Diese Grundhaltung trägt auch seinen neuesten Band, mit dem er bewusst in der Flut der Glücks-Bücher neue Akzente setzt: "Wer mit aller Gewalt glücklich werden will, wird damit kein Glück haben - leider ist das ein Massenphänomen" (S. 80).

Vom ansteigenden Orientierungsverlust profitierten Glücks-Ratgeber, Glücks-Seminare und Glücks-Gurus - so Lütz; auch bloßes Faktenwissen mache einen weder glücklich, noch zu einem besseren Menschen. Sein Ziel ist daher ein "Anti-Ratgeber, eine Befreiung vom professionellen Besserwissertum und damit eine Anleitung zum selbstbewussten eigenen Leben und zu einem Glück, das es nicht als allgemeines Ideal gibt, sondern nur höchstpersönlich" (S. 17). Damit will er uns auch die Lektüre künftiger ultimativer Glücksratgeber ersparen; angeregt wurde er von Paul Watzlawicks "Anleitung zum Unglücklichsein".

Gleich zu Beginn des Bandes dankt Lütz seinem Mentor Robert Spaemann für die philosophische Begleitung und seinem Frisör für die Einhaltung der Verständlichkeit des Textes. Nach der Einleitung folgen acht Kapitel, auf Anmerkungen und Literaturhinweise wird verzichtet. Lück präsentiert die Geschichte der Philosophie locker und allgemeinverständlich als eine kleine Geschichte des Glücks und des Unglücks von den antiken Philosophen Epikur, Sokrates, Platon, Aristoteles über Descartes, Hobbes, Locke, Heidegger, Nietzsche, Jaspers bis zu den modernen Psychotherapeuten wie Watzlawick. Lütz hat sich der Psychologie des Gelingens verschrieben, die die Erkenntnisse der modernen, lösungsorientierten Psychotherapie nutzt, nicht nur Defizite in den Blick zu nehmen, sondern die positiven Kräfte zu mobilisieren:

Nicht die Ziele, die andere einem Menschen von außen einreden, werden ihn glücklich machen, Glück kommt von innen, aus Selbsterkenntnis und Gelassenheit ... Um ein gelingendes Leben zu führen, darf man also nicht bloß die eigenen Fehler beobachten und analysieren. Man muss vielmehr den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit besonders auf die Ressourcen richten, auf die Kräfte und Fähigkeiten. (S. 114) 

Auch Erfolg allein mache noch nicht glücklich, weil dieser von Zufällen abhänge; daher sei es sinnvoller, statt eines erfolgreichen ein gelungenes Leben zu führen - wie auch die griechischen Denker unter Glück immer ein gelungenes Leben verstanden hätten. Soweit kann man dem Ansatz von Lütz bedenkenlos folgen - problematisch, weil argumentativ weniger rational als missionarisch, wird es, wenn er die These aufstellt, dass man wahres Glück nur im Unglück findet. Er lehnt sich zur Begründung zunächst an den Psychiater und Philosophen Carl Jaspers an, nach dem der Mensch sich selbst als existenziell am ehesten in Grenzsituationen empfinde wie in Leid, Schmerz, Kampf oder Schuld; diese Situationen seien unvermeidlich. Wer trotz dieser Situationen einen Lebenssinn sehe, der sei "unvermeidlich glücklich".

Geht das alles ohne Religion oder metaphysischen Überbau? Nein - so Lütz. Auch Hiob sei trotz der schlimmen Prüfungen durch seinen Gott tapfer und glücklich im Glauben geblieben. Mit Philosophie alleine komme man im Leiden nicht weiter; ohne höheren Sinn im Leben könne man nicht nachhaltig glücklich werden - so Lütz. Er grenzt sich damit ausdrücklich von Philosophen wie Sokrates, Camus oder Jaspers ab und verweist auf das Christentum und auf die katholische Kirche:

Aber wie man in Leid, Schuld, Kampf und Tod glücklich sein kann, dazu hat das Christentum allerdings einiges zu sagen. Die sogenannten Seligpreisungen sind eine zentrale Botschaft des Neuen Testaments. Nicht den Reichen und Schönen, den happy few, wird das Glück zugesagt, sondern den Armen, den Notleidenden, den Schwachen. (S. 165) 

Der Buddhismus gebe zwar nützliche Anleitungen zur persönlichen Gelassenheit, biete aber zum Leid keine vernünftige Antwort, eher eine Flucht davor.

Trotz der Bedenken hinsichtlich des christlich-katholischen Missionseifers (also doch ein Ratgeber?) des Autors in den beiden letzten Kapiteln des Bandes kann man die Lektüre empfehlen, vor allem wegen der rheinisch-humorvollen, anekdotenhaften und hintergründig ironischen Aufbereitung der Gedanken der Philosophen, Theologen und Psychiater zum Thema Menschen-Glück. Lütz hat ein sehr lesenswertes und nachdenkliches Buch über die Psychologie des Gelingens geschrieben.

Manfred Lütz:
Wie Sie unvermeidlich glücklich werden.
Eine Psychologie des Gelingens.
Güthersloher Verlagshaus, Güthersloh 2015
192 Seiten
17,99 Euro

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Quelle:
© 2016 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2016

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