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BUCHBESPRECHUNG/162: Yvonne Hofstetter, Das Ende der Demokratie (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Yvonne Hofstetter
Das Ende der Demokratie.
Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt.

Klaus Ludwig Helf, November 2018


Im Jahr 2014 hat der Polit-Grafiker Klaus Staeck eine Plakat-Collage nach Albrecht Dürers »Die apokalyptischen Reiter« entworfen, in der er die globalen Datenkraken des digitalen Zeitalters als gefährlich anprangert: Die Internet-Konzerne Amazon, Apple, Google und Facebook als Unheilbringer für die Gesellschaft. Genau um dieses Thema geht es im vorliegenden Band von Yvonne Hofstetter, der bereits 2016 als Hardcover erschien und jetzt als Taschenbuch preisgünstig zu erwerben ist.

Yvonne Hofstetter ist Juristin, Autorin und Expertin für künstliche Intelligenz; seit 2009 Geschäftsführerin der »Teramark Technologies GmbH« mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz, Industrie 4.0. Ihr erstes Buch »Sie wissen alles: Wie Big Data in unser Leben eindringt und warum wir um unsere Freiheit kämpfen müssen« (2014) war ein vieldiskutierter Bestseller. Sie ist eine der Initiatoren der »Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union«.

Yvonne Hofstetter möchte mit ihrem Buch Sensibilität wecken für die potenzielle Macht der digital vernetzten Supermaschinen und für die daraus entstehenden Gefahren für den Einzelnen und für eine freiheitliche Demokratie. Künstliche Intelligenz müsse deshalb strikt human und demokratisch kontrolliert werden. Die Digitalisierung sei kein Spielzeug, das man allein mit verantwortungsvollem Umgang beherrschen könne. Ein Kind, das mit einer vernetzten Barbie-Puppe spiele, die mit Sensoren und Spracherkennung ausgestattet sei, rede mit der Firma hinter der Puppe und nicht mit der Puppe selbst. Daran ändere sich auch nichts, wenn das Kind besonders intelligente Fragen stelle.

Die neuen digitalen Technologien und Geschäftsmodelle bedrohen als Informationskapitalismus die demokratische Gesellschaft - so die Hauptthese von Yvonne Hofstetter, da sie grundlegende Freiheitsrechte angreifen. Das ist die Bilanz ihrer Risiko- und Gefährdungsanalyse, die sie in ihrem Band kenntnisreich, anschaulich, ausführlich und beispielhaft ausführt und belegt.

Yvonne Hofstetter, die selbst aus Prinzip kein Smartphone und kein Facebook-Konto hat, kritisiert das massenweise, unkontrollierte und von außen undurchsichtige Sammeln und Vernetzen von Daten und die daraus resultierenden gesellschaftlichen und technischen Folgen der Digitalen Transformation. Digitale Technologien und Geschäftsmodelle hätten als Kulturleistung und Wachstumsmotor der Gesellschaft eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz trotz der mit ihnen verbundenen hohen Risiken. Die Gesellschaft akzeptiere die Ausbeutung ihrer Freiheiten wegen der vielen verlockenden Versprechungen der meist privatwirtschaftlichen Anbieter: Mehr Sicherheit, mehr Bequemlichkeit und Wohlstand. Digitalisierung bedeute aber andrerseits vor allem, dass wir unsere Welt in einen riesengroßen Computer umwandeln, über alles Daten sammeln und diese speichern, damit Analysen erstellen und Prognosen treffen, um steuernd und lenkend in das Leben, in die Natur, in den Menschen, in die Gesellschaft einzugreifen. Mit diesen riesigen Mengen an Messdaten von Menschen werden deren Verhaltens- und Lebensprofile erstellt. Es sei ein grundlegender Unterschied, ob man beispielsweise in der Industrie Messdaten von Industrieanlagen erhebe z.B. von Weichen oder Bahnschienen oder von Gebäuden, die im Gegensatz zu Menschen keine Rechte hätten.

Das unkontrollierte Sammeln und Verarbeiten von menschlichen Daten mit dem Ziel der manipulativen Steuerung dagegen verstoße gegen die Grundrechte: "Die Digitalisierung ist Kulturleistung und Menschenwerk, der Informationskapitalismus ihre Begleitmusik. Dass sie sich so vollziehen, wie wir es gerade beobachten, muss nicht zwingend der Fall sein. Es könnte alles anders kommen. Die Digitalisierung ist wie Leben. Sie ist formbar, wir sollten uns die Hände schmutzig machen und daran mit formen" (S. 416). Die Digitalisierung müsse in den Dienst des Menschen gestellt und eine humanere Form des Informationskapitalismus gefunden werden, der heute nur als Modell der unkontrollierten Überwachung funktioniere.

Was kann man tun gegen diese Datenkraken? Für die Einzelperson empfiehlt Hofstetter als wirksame Gegenwehr zunächst strikte und konsequente Datensparsamkeit. Gesamtgesellschaftlich aber müssten sich die Akteure aus ihrer Lethargie erheben, die Legitimation der digitalen Ausbeutung hinterfragen und die Hoheit über ihre Rechte und Freiheiten zurückgewinnen. Mit neuen, kreativen Instrumenten könne der Informationskapitalismus in seiner heutigen Gestalt in ein demokratisches und sozialverträgliches Wirtschaftsmodell für das 21. Jahrhundert verwandelt werden. Entweder seien die Internetgiganten radikal zu entmachten - oder man schaffe sich zumindest einen zweiten unabhängigen digitalen Raum analog zum dualen Rundfunksystem: "Das Internet oder wenigstens ein Teil davon als freien öffentlichen Raum herzustellen, wäre vordringliche Aufgabe der Politik. Die Marktmacht der Internetgiganten und der Raum des Internets müssen entkoppelt werden" (S. 414).

Im Auftrag der Daseinsvorsorge für seine Bürger habe der Staat, den Auftrag, einen freien, ungestörten öffentlichen Raum für digitale Kommunikation und politisches Handeln herzustellen. Demokratie in digitalen Zeiten - so Yvonne Hofstetter - müsse in Anlehnung an Hannah Arendt partizipatorisch werden in Ergänzung zur repräsentativen Demokratie.

Yvonne Hofstetter hat ein sehr wichtiges Buch für die Erhaltung und den Ausbau unserer Demokratie geschrieben, in dem nicht nur die gesellschaftlichen Gefährdungspotentiale im Zuge der digitalen Transformation plastisch und kenntnisreich analysiert, sondern auch praktikable politische Gegenstrategien für den Einzelnen und auch für die Gesamtgesellschaft insbesondere auf europäischer Ebene präsentiert werden. Man wünscht dem Band eine weite Verbreitung. Trotz der komplizierten und komplexen Materie und des Umfangs lässt sich der Text sehr gut und mit Spannung lesen, da es die Autorin vortrefflich versteht, mit ihrem narrativen und zum Teil literarischen Stil die technologischen und soziologischen Probleme der digitalen Transformation verständlich zu vermitteln und gleichzeitig positive und ermunternde Zukunftstrategien zu formulieren.

Yvonne Hofstetter
Das Ende der Demokratie
. Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt.
Penguin-Verlag München 2018 Taschenbuch 511 Seiten 12 EURO

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Quelle:
© 2018 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2018

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