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BUCHBESPRECHUNG/003: Gerhard Feldbauer bespricht eines der letzten Bücher Harald Neuberts (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 14. September 2009

Problematische Kompromisse

Eines der letzten Bücher Harald Neuberts befaßt sich
mit vier führenden Politikern der Italienischen KP

Von Gerhard Feldbauer


Der am 19. August verstorbene Harald Neubert, ein ausgewiesener Kenner der internationalen wie in Sonderheit der kommunistischen Bewegung Italiens, hat ein zum Nachdenken anregendes Buch hinterlassen. Er widmet sich darin dem Wirken der vier Generalsekretäre der IKP im Zeitraum von rund sechs Jahrzehnten. Palmiro Togliatti (1893-1964), der seit Antonio Gramscis (1891-1937) Verhaftung 1926 amtierte, verwirklichte zusammen mit Luigi Longo (1900-1980) im April 1944 mit einer antifaschistischen Einheitsregierung (Wende von Salerno) Gramscis Bündniskonzeption und zwar in größeren Dimensionen als dieser vorausgesehen hatte. Denn auch großbourgeoise und monarchistische Kreise wurden in den Kampf gegen Hitlerdeutschland einbezogen. Stalin gab dazu außenpolitische Unterstützung (siehe dazu junge Welt vom 22. April). Neubert beendet den Band mit einer Analyse des Wirkens von Enrico Berlinguer (1922-1984).

Der Autor verdeutlicht die herausragenden Leistungen der vier Politiker bei der Entwicklung ihrer Partei, die das antifaschistisch geprägte Nachkriegsitalien nachhaltig beeinflußte. Dabei gab es nicht nur Kontinuität. Sowohl zwischen Togliatti und Longo, als auch später zwischen diesem und Berlinguer existierten strategische Meinungsverschiedenheiten. Ihr Verhältnis zum im faschistischen Kerker verstorbenen Gramsci einzubeziehen, verleitet den Verfasser allerdings zu Spekulationen. So wenn er Gramscis Formel vom »historischen Block« als »eine gewisse Vorwegnahme der Anerkennung von Pluralität des subjektiven Faktors« interpretiert. In diesem Kontext fehlt hier der Hinweis auf Gramsci Grundsatz, die Partei müsse bei notwendigen Kompromissen mit den bürgerlichen Bündnispartnern Ausgeglichenheit wahren, und Zugeständnisse dürften nicht »die entscheidende Rolle (...), die ökonomischen Aktivitäten der führenden Kraft« betreffen. Das bezog sich auf die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaft und die Herstellung einer sozialistischen Ordnung (Quaderni del Carcere, Turin 1975, S. 1551). Gramscis Standpunkt ist gerade heute für linke Bündnispolitik entscheidend.

Revolutionäre Situation

Da zu einem dem Thema verwandten Buch des Verstorbenen (»Die Einheit der Kommunisten: Dokumentierter historischer Abriß«) eine Rezension Arnold Schölzels (siehe junge Welt vom 13. Juli) vorliegt, konzentriere ich mich auf einige Aspekte der Entwicklung nach 1945. Auf der Suche nach den Ursachen der katastrophalen Wahlniederlage der italienischen Kommunisten und des Regenbogenbündnisses der Linken im April 2008 kommt man nicht umhin, den Blick bis dahin zurückzuwenden.

Stalin versuchte nach dem Sieg über den Faschismus, die Antihitlerkoalition zu erhalten. Offensichtlich um diesen Kurs durch die Fortsetzung der antifaschistischen Einheitsregierung innenpolitisch zu flankieren, setzte Togliatti in der Partei gegen den Widerstand einer starken, auf revolutionären Massenkampf setzenden Strömung eine auf den parlamentarischen Weg orientierte Strategie durch. Neubert verweist auf problematische Kompromisse Togliattis, bei denen einige Fragen nicht analysiert oder nicht einmal erwähnt wurden. Es ging darum, dem Sozialismus durch eine revolutionäre antifaschistisch-demokratische Umwälzung den Weg zu bereiten. Immerhin bestand bis in den Spätherbst 1945 in Italien eine klassische revolutionäre Situation, die nicht genutzt wurde (siehe Pietro Sechia/Filippo Frassati: »Storia della Resistenza«, Rom 1965).

Die IKP versäumte, den parlamentarischen Kurs durch eine revolutionäre Massenmobilisierung zu flankieren. Gravierende Folgen mit Langzeitwirkung hatte, daß sie die bereits im August 1945 in Gestalt der »Jedermann-Bewegung« (Fronte dell'Uomo Qualunque) einsetzende Reorganisation des Faschismus unterschätzte. Diese konnte im Juni 1946 an den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung teilnehmen und 5,3 Prozent (30 Sitze) gewinnen. Im Dezember 1946 formierte sie sich zur Mussolininachfolgepartei MSI, die sich offen zum »Duce« und dem faschistischen Erbe bekannte. Longo warnte damals vor zu weit gehenden Kompromissen und forderte, die Massen zu mobilisieren, »die Perspektive unseres Weges zum Sozialismus klar im Auge zu behalten« und den parlamentarischen Weg als eine, aber nicht die einzige Möglichkeit zu sehen. Togliatti räumte im Oktober 1946 ein, die günstige Ausgangssituation nach dem Sieg der Resistenza sei »im Grunde genommen nicht genutzt« worden.

Klassenzusammenarbeit

Die wachsende faschistische Gefahr in Italien (1964, 1970 und 1974 Putschversuche mit NATO- und CIA-Unterstützung) nahm Berlinguer zum Anlaß, mit der Democrazia Cristiana (DC) die Regierungszusammenarbeit zu suchen. Dieser Kurs setzte jedoch nicht erst, wie Neubert schreibt, nach dem Pinochet-Putsch im September 1973 ein, sondern datierte spätestens seit der Erklärung Berlinguers auf der ZK-Tagung im November 1971. Berlinguer ging auch nicht primär von der faschistischen Gefahr aus, sondern von »der endemischen Krise der Regierungen des Linken Zentrums«, die man durch eine »Regierung der demokratischen Wende« lösen müsse. Als Ziel nannte er »die Überwindung der Klassenschranken«. Damit wurde ein Markstein für den in der IKP einsetzenden reformistischen Kurs gesetzt. Nach dem Sturz Salvador Allendes am 11. September 1973 bot Berlinguer, der seit März 1972 Generalsekretär der IKP war, der DC dann im Rahmen eines »Compromesso stòrico«, eines »historischen Kompromisses«, die Zusammenarbeit auf Regierungsebene an. Nach dem Wahlerfolg der IKP 1976 (33,8 Prozent) begann die konkrete Phase dieser Klassenzusammenarbeit.

Zur Abwehr der faschistischen Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, konnte als gerechtfertigt gelten. Es kam jedoch zu keinerlei konkreten Vereinbarungen darüber. Die sozialdemokratische Strömung in der IKP bestimmte auf der Grundlage des sogenannten Eurokommunismus die Politik des »historischen Kompromisses«. Der Widerstand der Basis dagegen wurde rigoros unterdrückt, etwa 10000 Mitglieder wurden ausgeschlossen oder verließen die Partei. Der revisionistische Kurs gab wiederum linksradikalen Tendenzen Auftrieb. Longo wandte sich gegen diese Klassenzusammenarbeit. Er befürchtete, sie diene nur dem Monopolkapitalismus und den Christdemokraten.

Parteiauflösung

Die IKP gab grundsätzliche kommunistische Positionen auf: Sie anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft und das bürgerliche Staatsmodell, respektierte die Verpflichtungen Italiens im westlichen Bündnis und bekundete obendrein, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als »Schutzschild« eines italienischen Weges zum Sozialismus. Zu diesen Fragen äußerte sich Neubert recht verbal oder auch gar nicht. Die im Titel gestellte Frage »Erneuerung oder Revisionismus« bleibt leider unbeantwortet. Festhalten läßt sich jedenfalls: Von marxistischen Positionen ausgehend geriet die IKP mit dem »historischen Kompromiß« ins Fahrwasser der Revisionisten. Berlinguer, der als typischer Zentrist agierte, zügelte die sozialdemokratische Strömung noch. Einer Liquidierung der Partei, wie sie seine Nachfolger 1991 vollzogen, hätte er sich sicher entgegengestellt.

In der 1991 gegründeten Rifondazione Comunista kam mit Fausto Bertinotti ein Gewerkschafter an die Parteispitze, der, wie Domenico Losurdo einschätzte (junge Welt vom 19./20. April 2008), im Grunde genommen nie Kommunist war und auch die neue KP zu liquidieren suchte. Daß dem nicht frühzeitig entgegengetreten wurde und keine Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Erbe der IKP stattfand, wurde zur entscheidenden Ursache der kommunistischen und linken Niederlage 2008. Die abschließend aufgeworfene Frage, ob sich das theoretische Arsenal der IKP als Ausgangsbasis für eine »Erneuerung und Öffnung der internationalen kommunistischen Bewegung« hätte eignen können, verneint Neubert letztendlich, da es sich ja »selbst für die eigene Partei als nicht geeignet erwiesen« habe. Sein Buch dürfte vor allem dazu herausfordern, die Auseinandersetzung über die strittigen Fragen, die es aufwirft, im Interesse der Vorwärtsentwicklung einer kommunistischen Bewegung und ihrer Parteien schöpferisch und ohne Engstirnigkeit weiterzuführen.


Harald Neubert:
Linie Gramsci-Togliatti-Longo-Berlinguer
- Erneuerung oder Revisionismus in der kommunistischen Bewegung?
VSA Verlag, Hamburg 2009, 158 Seiten, 14,80 Euro


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Quelle:
junge Welt vom 14.09.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2009