Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/018: Jürgen Ebertowski - Aikido Speed (Krimi) (SB)


Aikido Speed


Jürgen Ebertowski



In den letzten Jahren nach der Wiedervereinigung hat die deutschsprachige Krimi-Szene einen Aufschwung erlebt, wie er eigentlich für die Politik vorgesehen war. Immer mehr Krimi- Autoren haben sich auf den heiß umkämpften Buchmarkt gewagt, und Verleger waren aus welchen Motiven auch immer heraus bereit, Jungautoren aufzunehmen und ihre Erzeugnisse zu veröffentlichen. Das Buch "Aikido Speed" von Jürgen Ebertowski ist der zehnte Band aus der neuen Reihe "Berlin Crime", die wiederum nicht die einzige Krimi-Reihe in der Edition Monade ist. Berlin, die neue Hauptstadt Deutschlands, entwickelt sich gleichfalls zur Hauptstadt des Verbrechens. Infolgedessen konnte es nicht ausbleiben, daß auch das Krimi-Genre dem Strom der Zeit folgte, und viele Romane in Berlin spielen.

Dort, in dem weltstädtischen Geflecht multikultureller und sozialer Unterschiede, gedeihen die alten und die neuen Ost-West- Gegensätze zu reinster Blüte. Vertreter der organisierten Kriminalität scheinen sich noch immer ihre Reviere streitig zu machen, wenn man dem Autor von "Aikido Speed" Glauben schenkt. Erzählt wird der Mord an einem Gymnasialschüler, der auf anfangs noch undurchsichtige Weise in Geschäfte mit Drogen und Aufputschmitteln verwickelt war. Nicht nur die Kriminalpolizei ermittelt in diesem Fall, sondern auch die resolute Ordensschwester Vera Veltheim, die an der besagten Schule, die zum Schauplatz des Verbrechens wurde, unterrichtete und dort auch eine Aikido-Gruppe leitete.

Gleichzeitig werden die Machenschaften einer Bande von Dealern beschrieben, die ihren Fuß auf den Berliner Anabolikamarkt setzen will, aber zuvor noch ihre Konkurrenten aus dem Rennen werfen muß. Das gelingt so spielerisch leicht, daß der Leser glauben könnte, die nicht näher beschriebenen "Belgier" hätten die bisherige Herrschaft über den Absatzmarkt im Lotto gewonnen, so plump lassen sie sich aus dem Markt drängen. Apropos plump. Bei diesem Stichwort fallen einem noch eine Reihe weiterer Beispiele ein, auf die dieser Begriff zutrifft. Die von Ebertowski geschilderten Personen wirken hölzern, Abziehbildern gleich, ohne Konturen oder Tiefenschärfe. Die gute Schwester Vera vom Steinverder Orden verkörpert die aufgeschlossene Nonne, die fernöstliche Ambitionen mit ihrer christlichen Berufung zu verbinden weiß. Der Fitneßstudiobesitzer Schellkowski ist ein rolex-tragender Prolet, der seine Herkunft hinter großem Gehabe zu verstecken sucht und dadurch nur noch auffälliger wird. Er wird prompt zum Opfer mieser Geschäftemacher, die - sagen wir mal, um die vorgegebenen Klischees auf die Spitze zu treiben - ihre gefährlichen Pillen unter unschuldigen Kampfkunstschülern verteilen. Oder die Gangsterbraut Rita, die natürlich blendend aussieht und mehr als bereit ist, die entsprechenden Reize zur Durchsetzung ihrer Absichten einzusetzen. Last and really least noch der fiese Hauptkommissar, der es wagt, mit Straßenschuhen die Aikido-Matte zu betreten und dann auch noch mit einem hinterhältigen Trick einen Schüler bezwingt.

Vera Veltheims Aikido-Schule ist den Dealern zwar eine Nummer zu klein, aber zumindest haben sich bereits einige Anfängerschüler "verführen" lassen und greifen nun zum verheißungsvollen Aufputschmittel, damit sie schneller lernen und es den Dan-Trägern zeigen können. Natürlich funktioniert das nicht, denn beim Aikido braucht man nach Angaben Vera Veltheims ein gesundes Einschätzungsvermögen für die eigene Leistungsfähigkeit. Die Aufputschmittel hingegen führten bei den Schülern zu ungewohnter Aggression und Maßlosigkeit, was ganz und gar nicht der Philosophie des Aikido entspricht.

Die vielen Bezüge zum Aikido machen deutlich, welche persönliche Herkunft der Autor hat. Er ist selbst bereits seit Jahren Aikido-Lehrer und leitet eine Schule in Berlin. Viele Charakterzüge der Aikido-Lehrerin Vera Veltheim und sicherlich auch die Verehrung für ihre japanischen Meister sowie die Vorliebe für japanische Bräuche dürften autobiographische Züge aufweisen. Dazu zählt auch, daß die Ordensschwester genauso wie Jürgen Ebertowski einige Jahre in Japan verbracht und dort das Aikido gelernt hat.

Der Aspekt des Krimis tritt gegenüber den oft detaillierten Beschreibungen des Unterrichts in der Aikido-Schule oder bestimmten, unter Aikidokas üblichen Verhaltensweisen in den Hintergrund. Da werden dann sehr genau Angriffs- und Abwehrsequenzen beschrieben, obschon sie für den Handlungsverlauf unwesentlich sind. Demgegenüber werden die Kämpfe um die Vorherrschaft auf dem Anabolikamarkt einfach nur am Rande abgehandelt. Nun lautet der Titel des Buches allerdings auch "Aikido Speed", und auf dem Einband ist ein Aikidoka mit erhobenem Übungsschwert zu erkennen, so daß der Leser eigentlich schon vorgewarnt sein müßte, aber daß man an einigen Stellen eher den Eindruck gewinnt, in einer Werbebroschüre für Aikido zu lesen als in einem Kriminalroman, damit war dann doch nicht zu rechnen.

Wer Erfahrungen mit Aikido gemacht hat, weiß, daß manche Vertreter diesen Sport zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben. Nahezu alles, was aus Japan kommt, hat in ihren Augen den Ruch des Geheimnivollen, des Unentdeckten, das sich der westliche Schüler nur durch Tugenden wie Fleiß, Hingabe und ständiges Üben zu erschließen vermag. Gegen diese Einstellung gibt es auch keinerlei Einwände. Doch wer wie Ebertowski die Tatami verläßt und sich auf fremden Boden begibt, der muß aufpassen, daß er nicht, vom eigenen Schwung mitgerissen, ins Schleudern gerät. Der Ausflug von der Übungsmatte zur Schreibfeder ist ihm leider nicht gelungen.

Das anscheinend tiefe Empfinden des Autors für seinen Sport ist für den Leser nicht nachvollziehbar, salopp gesagt, es kommt nicht rüber. Der von Aikido unbeleckte Leser kann nicht nachvollziehen, warum Ebertowski ausgerechnet an diesen Stellen ins Detail geht. Der Autor vermag keine Atmosphäre zu schaffen, aus der heraus sich ein Verbrechen entwickelt oder aus der heraus ein Verbrechen aufgeklärt wird. Sicherlich spricht a priori nichts dagegen, wenn ein Krimi-Autor sich das Milieu der Aikido- Szene wählt, um sein Verbrechen vor einen atmosphärischen Hintergrund stattfinden zu lassen, aber es sollte stets nur Hintergrund bleiben. Das ist Jürgen Ebertowski nicht gelungen. Weder kam Atmosphäre auf, noch blieb das Aikido im Hintergrund. Kurzum, die Geschichte - als Krimi mag man das Buch kaum bezeichnen - ist fade. Die handelnden Personen sind leblos.

Einzige geringfügige Ausnahme ist Schwester Vera, deren Motive und Ansichten ein bestimmten Typ widerspiegeln, den es in der Aikido-Szene tatsächlich gibt. Aber selbst für einen durchschnittlichen Krimi wäre das unzureichend. Das Buch hat insgesamt keinen psychologischen Tiefgang, wie er doch bereits von anderen Krimi-Autoren zum Markenzeichen dieses Genres gemacht wurde. Und auch wenn sich der Autor an manchen Stellen um Witz bemüht, so bleibt dieser in der Mittelmäßigkeit stecken, er ist weder besonders originell noch so übertrieben abgedroschen, daß er schon wieder komisch wäre. Die Geschichte ist schlicht und ergreifend durchschnittlich.

Der französische Autor Simenon beispielsweise vermochte absolut durchschnittliche Menschen auf eine Weise miteinander agieren zu lassen, die überaus spannend war, und die Schriftstellerin Patricia Highsmith verstand Alltagsleben zu einem Spannungsbogen aufzubauen, bei dem der Mord zur Nebensache wurde. Leider wird bei Jürgen Ebertowski alles außer dem Aikido zur Nebensache. Schuster bleib bei deinem Leisten, damit kennst du dich wenigstens aus, sollte man ihm raten. Die Dynamik, die der Autor auf der Aikido-Matte zeigt, konnte er jedenfalls nicht aufs Papier übertragen.


Aikido Speed
Jürgen Ebertowski
Edition Monade, Berlin, 1994
DM 14,80
ISBN 3-929139-20-0