Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/041: Edwin Klein - Bitterer Sieg (Sportthriller) (SB)


Edwin Klein


Bitterer Sieg



"Bitterer Sieg" (1992) von Edwin Klein ist mehr als ein spannender, unterhaltsamer Thriller über die korrupten Methoden in der harten Szene des internationalen Spitzensports, denn Edwin Klein ist Insider. Er war selbst Leichtathlet und Finalteilnehmer an zwei Olympischen Spielen im Hammerwerfen. Sein Roman hat hohe aufklärherrische Qualität, auch für Spitzensportler selbst. Er gibt Insiderwissen über Dopingmethoden und Funktionärsinteressen preis, von denen nur ein unmittelbar Betroffener aufgrund eigener Erfahrung und aufwendiger Recherchen Kenntnis haben kann. Außerdem beschreibt der Autor in seinem Roman stellvertretend durch die Hauptperson Sven Lucas sehr zugewandt seine engagierte, persönliche Auseinandersetzung mit dem Hochleistungssport.


Edwin Klein ist Jahrgang 1948, verheiratet, hat zwei Töchter. Er studierte in Mainz. Während dieser Zeit trainierte er als Schwerathlet im Hammerwerfen und wurde mehrfach Deutscher Meister, bestritt 40 Länderkämpfe und nahm schließlich im Finale an zwei Olympischen Spielen teil. Nach dem Staatsexamen unterrichtete er in Trier an einem Gymnasium. - Inzwischen hat er mit mehreren Thrillern Erfolg gehabt, darunter "Der Schattenläufer" und "VANNIC" (1991).


Der Inhalt des Romans besteht aus verschiedenen Themen, die geschickt miteinander verwoben sind: - das Dilemma des Hochleistungssportlers, einerseits Erfolge zu garantieren und konkurrenzfähig bleiben zu müssen, andererseits die Mittel vorenthalten zu bekommen und selbst einen Weg am Rande von Illegalität und Diskretion - meist durch unwürdige Praktiken - finden zu müssen; - die gesellschaftliche Funktion des Hochleistungssportlers ist

durch Funktionäre aus Politik und Wirtschaft ausbeutbar; - der persönliche Traum von körperlicher Leichtigkeit und Kontrolle, Leistungsfähigkeit, Lebensgenuß und selbstsicherer Persönlichkeit.

Der Speerwerfer Sven Lucas ist Jurastudent in Mainz. Er bereitet sich durch hartes Training und diverse Vorwettkämpfe auf die Olympischen Spiele in Barcelona vor, als man ihn öffentlich der Einnahme verbotener Substanzen beschimpft und sanktioniert. Zunächst denkt er an Rückzug und Aufhören, auch wenn er unschuldig ist, denn ihn treffen das Vorgehen der Presse und die scheinheiligen Gespräche mit den Funktionären, zum Beispiel dem Vereinsvorstand, völlig unvorbereitet. Doch mit der Hilfe von guten Freunden nimmt er den Kampf gegen gesellschaftliche Ächtung und Moral auf, trainiert weiter und stellt gleichzeitig genaueste Nachforschungen darüber an, wer ihn und offensichtlich auch noch andere Spitzensportler ausschalten will. Da gibt es genug Unklarheiten bei Dopingbeschuldigungen und gezielte Gewalt gegen unangepaßte Olympiaanwärter der verschiedensten Sportarten, die zu viele Kommentare in der Öffentlichkeit abgeben. Der Druck ist so groß, daß Athleten Selbstmord begehen oder zu Krüppeln geschlagen werden.

Während seiner intensiven Vorbereitungen für Barcelona hat Sven Lucas Gelegenheit, mit Hilfe der Recherchen seiner Freundin Alice, Redakteurin für eine große amerikanische Sportzeitschrift, gezielt die Aktivitäten seiner Gegenspieler zu unterlaufen.

Er findet heraus, daß BUNAC, eine Gesellschaft für Sportpromotion, hinter einer ganzen Reihe von Manipulationen bei Doping-Kontrollen und auch der Elimination unbequemer Sportler steckt, um die Leistung der Athleten für einen sich ausweitenden Wirtschaftszweig zu mißbrauchen. BUNAC ist eng verknüpft mit Sportverbänden und internationalen Sportkomitees. Durch Bestechung kann sie ihren Einfluß ausweiten und scheut auch nicht vor dem Kauf von geheimen Forschungsergebnissen zurück, um ihre Sportler "fördern" zu können.

Da Lucas ein Bestechungsangebot von BUNAC ablehnt, wird er in die Enge getrieben und kann nur knapp einem Anschlag entgehen. Nun hindert ihn nichts mehr daran, seinen ausgefeilten Plan, um sich und die anderen betroffenen Sportler zu rehabilitieren, in die Tat umzusetzen, auch wenn er sich dabei mit ähnlichen Methoden wie BUNAC am Rande der Legalität bewegt...


Dieses Buch bietet einen willkommenen Anlaß, als Zuschauer seine Erwartungen an den Hochleistungssport, als Aktiver den Umgang mit Presse, Promotern, Funktionären und nicht zuletzt mit sich selbst zu durchleuchten und den Mut zu fassen, die Vorbildfunktion und die Sonderstellung des Spitzensportlers in der Öffentlichkeit zurechtzurücken.

Edwin Klein hat genau recherchiert und informiert detailliert (in extra mit Pfeilen gekennzeichneten Absätzen) über die Wirkung von Dopingmitteln, Doping- und Trainingspraktiken. Klar wird: Jeder Spitzensportler muß dopen, um konkurrenzfähig zu bleiben und ist, um es zu für die gesellschaftliche Moral zu kaschieren, zur Einnahme unerprobter Präparate und unwürdigen Geheimhaltungspraktiken gezwungen, die zu benennen der Autor sich nicht scheut. Edwin Klein beschreibt auch die Geschäftsinteressen, die zur Folge haben, daß die Gesundheit der Sportler eine Ware geworden ist, die keinesfalls geschont wird. Mit direkten körperlichen Schäden durch mechanische Einwirkungen und Präzisionsversuche im Training, mit Folgeschäden im Alter, Manipulation des Stoffwechsels, das heißt einem tiefen Eingriff in körperliche Regulationsvorgänge und mit Schmerzignoranz arrangiert sich jeder Sportler.

Man kann sich die Zukunft des Spitzensports in den schwärzesten Farben vorstellen: Solange die Weiterentwicklung sportlicher Leistung ausschließlich mit dem Aufbau von Muskelmasse und der Steigerung des körperlichen Umsatzes einhergeht, wird es nicht nur bei einer Beschleunigung durch chemische Mittel bleiben. Angedeutet wird schon eine neue Richtung, die genetische Manipulation... An dieser Stelle kritisiert der Autor am Beispiel der Praktiken des Wirtschaftsmolochs BUNAC grundlegend wissenschaftliche Praktiken, Absichten und Interessenverknüpfungen. Für die wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Interessen ist der Sportler ausbeutbar, was ihn weitgehend entmündigt. Um der Gesellschaft ein Menschenbild zu repräsentieren, das Jugend, Schönheit und Gesundheit mit Leistungsfähigkeit verbindet, ist er bereit, sich jederzeit kontrollieren und sich finanziell reglementieren zu lassen.

Letztlich versucht der Autor auch noch eine ehrliche Antwort auf die Frage zu geben - die für jeden Sportaktiven eine Auseinandersetzung wert ist -, warum Sven Lucas bei all seinem Wissen trotzdem ein leidenschaftlicher Sportler ist:

Sport bedeutet für mich alles, Gefühle entwickeln, Aggressionen abbauen, mich selbst kennen- und einschätzen lernen, emotional wie physisch. Es reizt mich, die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit auszuloten. Es reizt mich, im Training so weit zu gehen, bis der Schweiß in Strömen läuft. Und wenn ich anschließend in der Umkleidekabine mein T-Shirt auswringen kann, dann hat sich der Tag gelohnt. Sportlich gesehen. [...] Es ist ein Wahnsinnsgefühl, wenn man merkt, wie der Muskel warm wird, klaglos die Belastung wegsteckt, man sich auf ihn verlassen kann und weiß: Wenn ich will, dann funktioniert er. Und es ist ein Wahnsinnsgefühl, wenn ich müde bin, richtig kaputt, mit einem Muskelkater, der mich behindert, mich humpeln oder die Tasse aus meiner Hand fallen läßt. Dann liege ich auf dem Bett und spüre jede Faser meines Körpers und empfinde einen wohlig-schaurigen Schmerz. Am nächsten Tag zum Training zu gehen kostet unendliche Überwindung. (S. 302)
"Wer kennt sich besser als ein Leistungssportler? Wer ist ständig so nahe am physischen und psychischen Limit?" (S. 516)

Am Ende seines Romans zieht Edwin Klein noch einmal Bilanz aus seiner bisherigen Tätigkeit als Schwerathlet, die mit der Erkenntnis endet:

Ihm war klar, auch in Zukunft würden Athleten die Benachteiligten sein. Sportler haben keine Lobby, treten auch außerhalb der Wettkampfstätte als Einzelkämpfer auf und stellen somit keine Macht dar wie Institutionen und Interessengemeinschaften. (S. 516)

Aber ganz so pessimistisch beendet Sven Lucas seine Karriere als aktiver Spitzensportler nicht. Er gibt nicht auf, die Situation der Sportler verbessern zu wollen:

"Es gibt nur eine Möglichkeit, die Lügner, Heuchler und Bestechlichen zu entlarven, resümierte Lucas und fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen: einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß - von allen Beteiligten gefürchtet und bisher mit dem scheinheiligen Argument verhindert, die Autonomie des Sports sei gefährdet -, vor dem jeder die Wahrheit sagen muß und sich keiner hinter dem anderen verschanzen kann. Er wäre wesentlich wirkungsvoller als die vom Innenminister eingesetzte Kommission [...]." (S. 519)

Wer die nächsten Olympischen Spiele und die Austragung der Weltmeisterschaften in den verschiedenen sportlichen Disziplinen mit anderen Augen betrachten will, wer zur aktuellen Sportberichterstattung über den Streit zwischen Athleten und Funktionären eine Einschätzung sucht und nicht zuletzt, wer einfach einen spannenden Thriller lesen und dabei gleichzeitig etwas lernen will, der sollte auf die Lektüre von "Bitterer Sieg" nicht verzichten.


Edwin Klein
Bitterer Sieg
Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1992
527 Seiten
ISBN 3-89136-438-5