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REZENSION/045: L. Glaister - Die Unausweichlichkeit weiblichen Seins (SB)


Lesley Glaister


Die Unausweichlichkeit weiblichen Seins



Mag sein, daß der anspruchsvolle Titel so manche(n) Leser(in) verschreckt. Doch hält er nicht, was er verspricht, denn es handelt sich hier eher um eine freie Übersetzung aus dem Englischen.

Das Thema dieses Romans orientiert sich im wesentlichen an realitätsnahen Erlebnissen, und beinhaltet nicht die intellektuelle Auseinandersetzung, die der überzogene Titel zu vermitteln sucht. Zwar läßt der englische Originaltitel "The Private Parts of Women" den im Roman verborgenen Fatalismus außen vor, doch hat er den Vorteil, daß er dem einfachen und intimen Erzählstil des Romans entspricht.

Das Buch handelt von der Begegnung zweier Menschen, deren Kontakt sich trotz aller individueller Probleme erfreulich für sie auswirkt. Offengelegt wird das Leben zweier Frauen und ihre sich verselbständigen Probleme.

Inis ist Hausfrau, Mutter und Ehefrau eines Arztes. Sie verweigert sich und flüchtet aus ihrem bisherigen Leben.

Trixie, Inis neue Nachbarin, scheint mit ihren 84 Jahren eine vereinsamte, ansonsten normale Frau zu sein. Doch bald entblättern sich dem Leser die Phasen ihres Lebens, das von Anfang an in drei verschiedene Personen gespalten ist. Ein böser kleiner Junge, eine lebenslustige junge Frau und ein schüchternes Mädchen teilen sich den Körper. Trixie, die Scheue, lebt vorwiegend in diesem Körper und weiß nichts von den beiden anderen. Sie hat von klein auf Absencen, währenddessen die ihr unbekannten Existenzen die Kontrolle an sich reißen und Dinge tun, die die zurückhaltende Trixie niemals getan hätte.

Tatsachen spielen im Roman keine Rolle und so fällt die Darstellung der in drei Persönlichkeiten gespaltenen Trixie auch für jeden Leser verdaulich bis romanhaft aus.

Nachteilig für das Verständnis dieser verwickelten Persönlichkeit wirkt sich jedoch aus, daß zu Beginn alle Romanfiguren in der Ich-Form erzählen und sich der Leser häufig vergegenwärtigen muß, ob Inis, Trixie oder eine der anderen Persönlichkeiten spricht. Im nachhinein sind sie klar durch ihre Neigungen zu unterscheiden, zu Beginn aber stiftet diese Erzählform Verwirrung.

Dennoch werden jene Szenen besonders einprägsam geschildert, in denen sich der Roman nicht mehr auf die Beschreibung normalen Alltagslebens beschränkt, sondern die krankhaften Züge der jeweiligen Person beschreibt. Auch Inis weist abnorme Verhaltensweisen auf, obschon sie im Vergleich zu Trixies harmlos erscheinen.

Die Autorin Lesley Glaister baut ihren Spannungsbogen einerseits auf der Eintönigkeit des Alltags und andererseits auf dem Nervenkitzel der Abnormität auf. Dabei vermengen sich Rückblenden mit soeben Erlebtem.

Zeitweise breitet sich Schwermut aus, wenn von dem einsamen Leben mit seiner diffusen Unzufriedenheit, seiner trostlosen Suche und der Angst vor menschlicher Nähe erzählt wird.

Das Verhältnis der beiden neuen Nachbarinnen kann man als typisch für die heutige Zeit betrachten. Eigentlich will keine der beiden Frauen mit der anderen zu tun bekommen:

Ich bin verstimmt, weil ich mich habe krallen lassen. Ich fühle die klebrigen Fangarme ihres Zuwendungsbedürfnisses. (S. 78)

Aber alleine bewältigen sie den Alltag und die Probleme nicht. Sie helfen sich nur widerstrebend. Dabei entdecken sie nach und nach die Geheimnisse der anderen.

Der Roman "Die Unausweichlichkeit weiblichen Seins" befaßt sich mit den Widersprüchen, die sich in gewollter und ungewollter Mutterschaft, in Frömmigkeit und Lasterhaftigkeit sowie in Liebesfähigkeit und Liebesunfähigkeit ausdrückt.

Die Autorin Lesley Glaister widerlegt die grundsätzliche Liebesfähigkeit der Frau. Weder liebt Inis ihren mit allen Vorzügen ausgestatteten Ehemann oder ihr Baby, noch kann Trixie ihre Mutter lieben.

Auch das "weibliche Sein" wird seines romantischen Nimbus' beraubt, und zwar durch die unverblümte Schilderung des Menschlichen.

Ich ging ins Bad, um zu pinkeln. [...] Er bückte sich, um mich zu küssen, aber ich drehte den Kopf weg. Ich wollte nicht geküßt werden, schon gar nicht, wenn ich auf der Toilette saß. (S. 92)

Das Packende des Romans wird in der zweiten Hälfte entwickelt. Die Unauslotbarkeit der anormalen Persönlichkeit Trixies und das unberechenbare Verhalten Inis' verknoten sich und das Fiasko scheint unabwendbar.

Doch die Lösung der Probleme sieht die Autorin darin, daß Inis freudig zu ihrem Mann und ihrem Hausfrauendasein zurückkehrt. Auch der Leser atmet erleichtert bei dem "Happy End" auf, und sieht nicht, daß Inis sich froh in den Alltag zurückbegibt, der den Grund für ihre Probleme darstellte.

Die dramatische Zuspitzung der Geschichte löst eine Erleichterung aus, die verschleiert, daß die Probleme der Vereinsamung und unfreiwilligen Selbstaufopferung einer Hausfrau keineswegs bewältigt oder überhaupt angegangen wurden.

Aus dieser Perspektive verdient der Roman den Titel "Die Unausweichlichkeit weiblichen Seins", denn obwohl Inis mit der Rückkehr einverstanden ist, bleibt sie doch im "weiblichen Sein" verhaftet. Ebenso Trixie, die ihren inneren Frieden mit ihrer liederlich weiblichen Seite schließt.

Erhebt der Leser nicht den Anspruch, der mit dem hochgestochenen Titel geweckt wird, kann er sich durchaus auf ein Leseerlebnis freuen, dessen Offenheit Einsichten in verschieden übersteuertes "weibliches Sein" gewährt. Dabei sollte er nicht zu sehr auf die ernsthafte Problembewältigung hoffen, sondern sich ganz dem Beobachter, der in jedem Leser wohnt, anheimgeben und den reizvollen Part der Geschichte auskosten.

Hat man die anfängliche Langatmigkeit, das Tauchen in seichten Gewässern erst einmal überwunden, nimmt die langsam aufbauende Spannung zu. Nichts ist mehr berechenbar, nichts absehbar. Der normale "weibliche" Alltag mit seinem sich wiederholenden Rhythmus wird letztlich zu einer romanhaften Handlung versponnen, die das Unbewältigte am weiblichen Sein vergessen läßt.

Die einfache Moral von der Geschicht':

Hadere nicht dem Weiblichen,
sondern ergebe Dich frohgemut seiner Bestimmung.


Lesley Glaister
Die Unausweichlichkeit weiblichen Seins
Aus dem Englischen von Monika Elwenspoek
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1996
372 Seiten
ISBN 3-421-05060-0