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REZENSION/076: Saddam Hussein - Zabiba und der König (Märchen) (SB)


Zabiba und der König


Saddam Hussein



Fast ein Jahr nach dem gewaltsamen Sturz der Baath-Regierung Saddam Husseins zeichnet sich die Lage im Irak für die ausländischen Eroberer durch eine dramatische Verschlechterung aus. Ging der bewaffnete Widerstand gegen die Eindringlinge bislang hauptsächlich von den Sunniten aus, so proben dieser Tage Teile der schiitischen Bevölkerung den Aufstand. Allein gestern kamen bei Kämpfen unter anderem in Bagdad, Nadschaf und Basra mehr als 60 Menschen, darunter sieben US-Soldaten, ums Leben. Vor diesem Hintergrund kann man der deutschen Ausgabe des Romans "Zabiba und der König" aus der Feder des gestürzten Saddam Hussein durchaus Aktualität und Relevanz zubilligen.

Im Februar 2000 hatte der irakische Präsident die Schriftsteller des Landes einberufen, um sie für ein literarisches Projekt zu gewinnen. Ende desselben Jahres erschien der Roman "Zabiba wa'l-Malik", was übersetzt "Zabiba und der König" heißt. Schon damals zweifelte niemand im Irak daran, daß hinter dem anonymen Autor Saddam Hussein selbst steckte. Im Frühjahr 2001 stieg "Zabiba und der König" zu weltweitem Ruhm auf, als bekannt wurde, die CIA und der Mossad befaßten sich seit einigen Monaten mit diesem allegorischen Märchen, um daraus Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ihres erbittertsten arabischen Gegners zu ziehen. In einem entsprechenden Artikel der New York Times vom 25. Mai 2001 hieß es, die zuständigen Experten der CIA hätten "jedes Detail des Buchs genau studiert" und sogar "zwischen den Zeilen" gelesen, um sich den "faszinierenden Einblick in das Denken von Herrn Hussein" zu erschließen.

Damals wurde ein anonymer CIA-Vertreter zu den Erkenntnissen Langleys über die Verhältnisse im Irak wie folgt zitiert: "Unser Wissen über das, was sich dort abspielt, ist eigentlich recht bescheiden." Was für den mächtigsten Geheimdienst der Welt zutrifft, gilt für den Durchschnittsbürger des Westens um so mehr. Stellt man die Frage, was man hierzulande über den Irak Saddam Husseins weiß, dann dürfte bei den meisten die Antwort recht mager ausfallen. Zu den markantesten Episoden der jüngeren irakischen Geschichte gehören: der israelische Angriff auf den zivilen Atomreaktor Osirak 1981, der maßgeblich vom Westen initiierte und tatkräftig unterstützte Krieg Bagdads gegen die Islamische Republik Iran 1981 bis 1988 - jener Krieg, bei dem es auf beiden Seiten zum Giftgaseinsatz gekommen ist -, der Einmarsch der Iraker in Kuwait 1990, ihre Vertreibung im Rahmen des Golfkrieges im Frühjahr 1991 und die anschließenden zwölf Jahre des Wirtschaftsembargos, der Waffeninspektionen und der ständigen Luftangriffe seitens der Angloamerikaner.

In der allgemeinen Rezeption hält als Erklärung für die letzten beiden traurigen Jahrzehnte irakischer Geschichte allein die vermeintliche Bosheit des "Wüstenhitlers" Saddam Hussein her. Die Tatsache, daß die Iraker unter dem sogenannten "Schlächter von Bagdad" bis zum Golfkrieg 1991 den modernsten, fortschrittlichsten und am meisten westlich orientierten Staat in der ganzen islamischen Welt aufgebaut hatten, wird ebenso wie die Leistung des Baath- "Regimes" in den Bereichen sozialer Versorgung, Gesundheit, Bildung und Frauenrecht geflissentlich ignoriert. Sicherlich rührt ein Teil der angewachsenen Unzufriedenheit der Iraker mit den neuen Machthabern daher, daß sich diese aus welchem Grund auch immer als unfähig erwiesen haben, an den früheren Stand anzuknüpfen, geschweige denn, eine glaubwürdige Perspektive darauf zu entwickeln.

In seinem Roman erzählt Saddam Hussein die tragische Geschichte der Liebe zwischen der schönen und klugen Bäuerin Zabiba und dem König Arab. Ein nicht geringer Teil der Erzählung besteht aus Dialogen, in denen Zabiba und der König Fragen der Moral, der Politik, der Philosophie und auch der Liebe ansprechen. Zabiba versteht sich selbst als "Bewußtsein" des Volkes. Im Laufe des Dialogs - also durch den Kontakt zum Volk - kommt dem König der Glaube an das System der Monarchie und die eigene privilegierte Stellung immer mehr abhanden. Zwar spielt die Handlung in vorislamischer Zeit, doch sind die Parallelen zur jüngeren irakischen Geschichte unübersehbar. Zabiba ist mit einem Mann verheiratet, der sie mißhandelt - was als Metapher für die Situation des Iraks vor dem Golfkrieg 1991 steht. Zum Auftakt einer von ausländischen Mächten eingeleiteten Verschwörung wird Zabiba vom eigenen Mann vergewaltigt - Operation Wüstensturm -, woraufhin König Arab Armee und Volk zu den Waffen ruft. Die Intriganten und ihre Streitkräfte können von der irakischen Patriotenfront zurückgeschlagen werden, doch aufgrund schwerer Kampfverletzungen kommen sowohl die Volksheldin Zabiba wie auch der König ums Leben. Als letzten Akt beruft König Arab einen Volkskongreß ein, der über das weitere Geschick des Landes entscheiden soll.

Während die ersten beiden Drittel des Buchs - "Der König" und "Zabiba" - ganz im Zeichen des Dialogs zwischen beiden Hauptakteuren stehen, machen die Beratungen der von Arab ins Leben gerufenen Versammlung das letzte Drittel - "Das Volk" - aus. Hier kommen die Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu Wort und bekennen sich zur Einheit des Staates, zum sozialen Ausgleich wie auch zur Bereitschaft, den Irak vor fremden Mächten und Einflüssen zu schützen. Das Ausmaß, mit dem hier die Souveränität des Volkes hervorgehoben wird, läßt die Vermutung zu, daß Saddam Hussein sehr wohl die Möglichkeit seiner eigenen Abdankung und der Abkehr von der Ein-Mann-Herrschaft in Bagdad zur Disposition stellen wollte. Jedenfalls wird seine prinzipielle Bereitschaft hierzu sehr wohl angedeutet. Ob das Signal ernst gemeint war oder nicht, mit solchen Gedanken hat offenbar der einstige Buhmann des Westens gespielt.

Unter günstigeren Bedingungen wäre eine solche Entwicklung durchaus möglich gewesen. Karen Kwiatkowski, die als Luftwaffenoberst zuletzt in der Nahost-Abteilung des Pentagons gearbeitet hat und der man viele der jüngsten Enthüllungen über die dubiosen Machenschaften der dortigen, von den pro-israelischen Neokonservativen beherrschten Propagandaabteilung Office of Special Plans (OSP) verdankt, beispielsweise hat in ihrer jüngsten, am 30. März erschienenen Kolumne für die US-Zeitschrift Military Week (militaryweek.com) Vergleiche zum Übergang von der Diktatur zur Demokratie in Indonesien gezogen, wo der Architekt des Irakkrieges, Pentagon-Vizechef Paul Wolfowitz unter Ronald Reagan Washingtons Botschafter war. Unter Hinweis auf die Tatsache, daß Saddam Hussein einmal der Mann des Westens war, wie auch auf Reformbemühungen innerhalb der irakischen Gesellschaft bemängelte Kwiatkowski die Tatsache, daß die USA nicht bereit waren, dem Irak Saddam Husseins die gleichen Chancen einzuräumen, wie sie es im Fall des Indonesiens Suhartos getan haben.

Daß den Irakern ein Marionettenregime in Bagdad bevorsteht, dürfte inzwischen jedem klar sein. Daß der in Jordanien rechtskräftig verurteilte Finanzbetrüger Achmed Chalabi, dem beste Kontakte zu den Neokonservativen in Washington wie zu den Israelis nachgesagt werden, diesem Regime vorstehen wird, zeichnet sich mit jedem Tag deutlicher ab. Daß sich die Iraker ohne weiteres mit diesem Schicksal abfinden werden, darf bezweifelt werden. Zwar hat Saddam Hussein mit "Zabiba und der König" keine schriftstellerische Meisterleistung abgeliefert, dennoch kann man aus diesem Roman viel über den Ehrenkodex der Iraker, über ihre Liebe zum eigenen Land und ihre Abneigung gegen Fremdherrschaft lernen und die anhaltende Krise im Zweistromland besser verstehen.

5. April 2004


Zabiba und der König
Saddam Hussein
Aus dem Französischen von Michel Bilot
Titel der französischen Originalausgabe: "Zabiba et le roi"
Editio de facto, Kassel 2004
270 Seiten
ISBN 3-9808561-2-7