Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → ROMANE

REZENSION/126: Amy Kathleen Ryan - "Sternenfeuer" (Jugendbuch) (SB)


Amy Kathleen Ryan


Sternenfeuer

Gefährliche Lügen



Der vom PAN-Verlag herausgegebene Science Fiction-Jugendroman "Sternenfeuer. Gefährliche Lügen" spricht angesichts der sich anbahnenden Klimakatastrophe ein hochbrisantes Thema an, denn der Roman spielt in einer Zeit, in der die Erde, weil sie größtenteils zur Wüste geworden ist, auf längere Sicht kein Überleben mehr ermöglicht. Leider bildet dieses uns allen unter den Nägeln brennende Thema lediglich den Anlaß für eine Story um Macht und Religion, die in den Weltraum verfrachtet wurde, obwohl sie genausogut auch auf der Erde hätte spielen können.

Zwei Raumschiffe, die New Horizon und die Empyrean, sind unterwegs zu einem Planeten, auf dem ausgewählte Familien ein neues Leben anfangen wollen. Der Flug soll 90 Jahre dauern, also müssen die Frauen an Bord Kinder gebären, damit sich die Crew erneuern kann und am Ende auch tatsächlich junge, leistungsfähige Menschen auf dem neuen Planeten ankommen. Hintergrund dieses Romangeschehens ist die Unfruchtbarkeit der Frauen, denn fast dreißig Jahre lang konnten auf beiden Schiffen keine Kinder geboren werden, bis es auf der Empyrean, die ein Jahr nach der New Horizon gestartet war, gelang, ein Medikament zu entwickeln, das die Eierstöcke der Frauen stimulierte. Bei der Übermittlung der Medikamentenformel an die New Horizon kam es jedoch, beabsichtigt oder nicht, zu einem Fehler. Das Medikament, das man auf der New Horizon aufgrund dieser Formel herstellte, tötete die Eierstöcke ab, anstatt sie zu stimulieren. Und so blieb die Crew der New Horizon kinderlos.

Das ist der Stand, als nach der Hälfte des Fluges beide Schiffe zwei Jahre lang durch einen Sternennebel fliegen, in dem weder Ortung noch Funk möglich sind.

Nun hatte die Missionsleitung auf der Erde, um die Gruppenzusammengehörigkeit zu stärken, für die New Horizon gläubige Menschen ausgewählt, während auf der Empyrean überwiegend Menschen leben, die keiner Religion angehören. Die Folge ist, daß sich auf der New Horizon eine puritanische Gesellschaft entwickelt hat. Warum die Autorin für ihre ja schließlich in der Zukunft spielende Geschichte ausgerechnet eine völlig überholte Gesellschaftsform ausgewählt hat, bei der die Menschen nach Art der amerikanischen Gründerväter und -mütter in Kniestrümpfen, Hanfhosen und -kittel, mit Strickbarett und Spitzenkopftuch ihren meist bäuerlichen Tätigkeiten nachgehen und sich zu regelmäßigen Gottesdiensten treffen, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn man berücksichtigt, daß Amy Kathleen Ryan im ländlich geprägten Wyoming aufgewachsen ist und Amerikaner schlechthin den unterschiedlichsten klerikalen Strömungen ausgesetzt sind, kann man doch davon ausgehen, daß aufgeklärte Amerikaner den Puritanismus als überholte Phase der Geschichte ansehen und man Jugendliche damit nicht hinterm Ofen hervorlocken kann. Möglicherweise wollte die Autorin mit diesem Gedankenkonstrukt die in der Science Fiction nicht gerade neue Idee einer durch Isolation degenerierten Gesellschaft umsetzen, die zu archaischen Formen zurückkehrt.

Das zentrale Thema ist religiöser Fundamentalismus, denn die New Horizon wird - nachdem Captain samt Stellvertreter eines unerklärlichen Todes gestorben sind - von der Pastorin Anne Mather geführt, die wohl nicht ganz unbeteiligt am Ableben ihrer Vorgänger war. Sie unterstellt allen Männern der Empyrean, den jungen Mädchen nachzustellen und gibt dem Captain die Schuld an der Kinderlosigkeit der New Horizon-Frauen. Also lauert sie der Empyrean im Sternennebel auf (eigentlich unlogisch, da ja keine Ortung möglich ist), läßt das Schiff überfallen, viele Erwachsene töten, alle Mädchen entführen und den Kernreaktor, der für den Antrieb zuständig ist, so beschädigen, daß ein Weiterflug der Empyrean vorerst nicht mehr möglich ist.

Die entführten Mädchen müssen nun auf der New Horizon einen Weg finden, sich aus dem rigiden Gesellschaftssystem zu befreien, in das sie eingebunden werden sollen, um den dringend benötigten Nachwuchs zu produzieren. Die zurückgelassenen Jungen der Empyrean wiederum bangen darum, auch ihre restlichen Eltern zu verlieren, die beim Versuch, den Kernreaktor zu reparieren, vollkommen verstrahlt werden.

Bei diesem Roman, der in zwei Handlungssträngen verläuft - zum einen auf der Empyrean, zum andern auf der New Horizon -, stehen die Jugendlichen, angeführt von der 15-jährigen Waverly und dem 16-jährigen Kieran ganz klar im Vordergrund. Erwachsene sind lediglich Beiwerk - auf der einen Seite Eltern, die es zu retten gilt, auf der anderen Seite verschlagene Integrationshelfer und treuherzige New Horizon-Bewohner, die ihrer Pastorin blind folgen.

So überschaubar diese Geschichte auch aufgebaut ist, so anschaulich spannend sind die Details beschrieben, so daß man aufmerksam verfolgt, wie bei den Jungen auf der Empyrean ein Machtkampf ausbricht, der im Despotismus endet, und es den Mädchen auf der New Horizon trotz totaler Überwachung gelingt, sich mittels subversiver Sprache zu verständigen.

Gerade am Beispiel der Jungen wird - von der Autorin sicher unbeabsichtigt - deutlich, daß die bekannten Formen gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht in der Lage sind, eine existentielle Situation für alle zufriedenstellend zu regeln. Denn je größer die Not, desto offensichtlicher tritt Gewalt zu Tage - ein grundsätzliches Problem zwischen Menschen wie es auch in der Wirklichkeit existiert.

Die freiheitliche Demokratie, die unsere Gesellschaft für sich reklamiert, kann unter beengten Verhältnissen plötzlich ganz anders, nämlich haltlos und rigide, werden. Diese tief verwurzelte Haltlosigkeit ist bei allen Lösungen und Antworten bisher jeder gesellschaftlichen Entwicklung erhalten geblieben. Nicht nur in der Pubertät, die im allgemeinen als orientierungsintensiv gilt, stößt der Mensch auf diese Verunsicherungen, sondern allenthalben und immer wieder. Solche damit einhergehende Orientierungsnot wird in Amy Kathleen Ryans Roman dramaturgisch unzulässig verkürzt auf die Frage nach Gott. Gott ist Hoffnung und das erlittene Leid der Weg ihn zu finden. Weitere Glaubensinhalte führt die Autorin nicht an, so daß selbst ein Vertreter des christlichen Glaubens von solchen missionarischen Plattitüden nur peinlich berührt sein dürfte.

Warum die Autorin ihre puritanische Gesellschaft, die zumindest im ersten Band keinerlei alternative Entwürfe vorsieht, in den Weltraum verfrachtet hat, bleibt bis zum Schluß unerklärlich. Technische Probleme, wie zum Beispiel Luft- und Wassererneuerung, fallen vollkommen unter den Tisch. Die existenziellen Voraussetzungen, die ja schließlich Grundlage für jedes Gesellschaftssystem sind, werden in diesem Roman genauso ausgeblendet, wie es auch in Wirklichkeit geschieht, denn die eigentlichen Probleme, vor denen die Menschheit steht - Ressourcenverknappung, Wasser- und Luftverschmutzung, Klimaerwärmung - werden in den Hintergrund gedrängt, während das Soziale - wer wen beherrscht, und wer wem was wegnimmt - im Vordergrund steht.

Wie soll es denn der Menschheit gelungen sein, riesige, automatisch fliegende Raumschiffe zu bauen, die ein autarkes Leben ermöglichen, wenn sie nicht in der Lage gewesen war, entsprechende Einrichtungen auf der Erde zu errichten? Ein Szenario mit zwei erdgebundenen Biosphären hätte näher gelegen und der Autorin zudem das Problem erspart, einen Raumschiffsantrieb erklären zu müssen, mit dem man überlichtschnell fliegen kann, wofür ihr nichts besseres als ein Kernreaktor eingefallen ist. Man kann zwar mit Kernspaltung Energie erzeugen, davon fliegt jedoch noch kein Raumschiff. Zieht man den Antrieb eines Atom-U-Bootes zu Rate, erfährt man, daß dabei Wasser erhitzt wird, dessen Dampf eine Turbine antreibt. Selbst auf die potenteste Weiterentwicklung übertragen, läßt sich nicht vorstellen, daß man damit Lichtgeschwindigkeit erreichen kann, zumal sich die Autorin auch noch ausgedacht hat, daß die Schiffe zur Erzeugung von Schwerkraft die eine Hälfte der Strecke mit permanenter Beschleunigung fliegen, während man, um am Ende auch landen zu können, die andere Hälfte die Schubdüsen in Fahrtrichtung ausrichten und abbremsen muß. Hätte sie ihre Schiffe in eine Rotation versetzt, hätte sie Gravitation viel unaufwendiger erzeugen können.

Technische Grundlagen sind also nicht Amy Kathleen Ryans Metier, was für den Autor eines Science Fiction-Romans, der auf einem Raumschiff spielt, doch sehr dürftig ist. Immerhin bietet dieser Roman für Jugendliche den Anreiz einer Diskussionsentfachung, welche Wirkung es hat, wenn ein Mensch Macht erhält. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern Science Fiction für Jugendliche überhaupt interessant sein kann.

Der immer wieder aufgewärmte Disput zwischen Gut und Böse, der nicht nur in Wirklichkeit für die Wiederbelebung der, wie man glaubte, seit dem Mittelalter überwundenen Religionskriege herhalten muß, sondern auch in der Science Fiction immer noch seine Grundlage für mit allen Finessen ausgestattete Kämpfe und Schlachten findet, hat sich inzwischen so totgelaufen, daß es wenig reizvoll erscheint, eine weitere Version zu lesen, in der nun Jugendliche die Hauptrolle spielen. Insofern ist es der Autorin anzurechnen, daß sie einen sozialkritischen Ansatz gewählt hat, zeigt die zunehmende Verrohung unserer Gesellschaft, der gerade die Jugend in ihrer Orientierungssuche auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, doch, daß sich die Menschheit, was ihr soziales Gefüge anbelangt, eher rück- als weiterentwickelt. Gerade die Science Fiction bietet doch das Potential, nicht in alt hergebrachten Gesellschaftsmustern haften zu bleiben, wie dies Amy Kathleen Ryan mit dem vorliegenden Roman getan hat, sondern Ideen zu kreieren, die unseren Horizont erweitern und mit den alten Mustern brechen, die bisher zu nichts anderem geführt haben, als die Dominanz des Starken über den Schwächeren zu zementieren. Entwürfe des Zusammenlebens, die Machtstrukturen an sich in Frage stellen, könnten für Jugendliche, die schließlich die Garanten unserer Zukunft sind, interessant sein. Bleibt zu hoffen, daß diesem Ansatz in den Folgebänden von Amy Kathleen Ryans Roman "Sternenfeuer" Rechnung getragen wird.


Amy Kathleen Ryan
Sternenfeuer - Gefährliche Lügen
Titel der Originalausgabe: Glow
Aus dem Englischen von Momo Evers und Falk Behr
PAN Verlag, München 2012
425 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-426-28361-5


27. Februar 2012