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REZENSION/130: Markus Heitz - Oneiros (Thriller) (SB)


Markus Heitz


Oneiros - Tödlicher Fluch



Markus Heitz, auch Großmeister der deutschen Fantasy genannt, und Autor mehrteiliger Werke über Zwerge, Alben, Vampire und Werwölfe, stand der Sinn nach etwas ganz anderem. Einem Action-Thriller, der in der ganz normalen Menschenwelt spielt. Ganz auf das Phantastische verzichten wollte er aber auch nicht. Und da er von Märchen fasziniert war, in denen der Mensch mit dem Tod in Verhandlung tritt, wurde daraus nun ein Sciencefiction mit grimmschem Einschlag. Sciencefiction deshalb, weil in seinem Roman die erfolgreiche Transplantation eines menschlichen Kopfes möglich ist, und weil er sich einer Art Mutanten bedient, deren Schlaf eine tödliche Wirkung auf alle Lebewesen in ihrer Umgebung hat, was sie für verschiedene Geheimdienste wie auch kriminelle Organisationen interessant macht.

Daß diese Menschen die todbringende Eigenschaft ihres Schlafes nicht unterbinden können, macht diejenigen, die nicht zur skrupellosen Sorte ihrer Art gehören, zu tragischen Figuren, die entweder nur im Beisein von Ihresgleichen schlafen können, um ihren Mitmenschen nicht zu schaden, oder allein in Räumen, die über keinerlei Öffnung nach draußen verfügen. Die tödliche Wirkung ihres Schlafes entsteht nämlich durch den Umstand, daß die Theta-Wellen, die auch bei jedem normalem menschlichen Gehirn in einer bestimmten Schlafphase entstehen und üblicherweise nur mit empfindlichen medizinischen Geräten gemessen werden können, bei den sogenannten Todesschläfern wie eine Sirene bis zu den Ohren des Todes - der hier tatsächlich als Gevatter personalisiert wird - vordringen und ihn so nerven, daß er unverzüglich die Quelle seiner Qual zum Schweigen bringen will. Da Todesschläfer nun aber auch noch unsterblich sind, kann der Tod sie - warum auch immer - nicht sehen, was ihn so wütend macht, daß er allen Wesen im Umfeld eines schlafenden Todesschläfers das Leben nimmt.

Schon an dieser Stelle drängen sich dem Leser die logischen Brüche dieser sehr konstruierten Geschichte auf. Nicht nur, daß ein solch mythisches Wesen wie der Gevatter Tod Nerven besitzen soll, die von so weltlich-wissenschaftlichen Dingen wie elektrischen Impulsen menschlicher Gehirne angegriffen werden können, macht stutzig, sondern auch daß er die Quelle dieses Ungemachs nur deshalb nicht 'sieht', weil er die Seelen dieser Menschen nicht mitnehmen kann.

Die Unsterblichkeit der Todesschläfer besteht darin, daß sich ihr Bewußtsein nicht von ihrem Körper lösen kann, selbst wenn dieser stirbt und in einen Verwesungsprozeß übergeht. Erleidet der Körper Verletzungen, die für jeden normalen Menschen tödlich wären, so bedeutet dies für einen Todesschläfer, daß er zwar die Schmerzen eines solchen Prozesses erleiden muß, aber nicht davon erlöst werden kann. Selbst wenn sein Körper zu Staub zerfällt, befindet sich sein Bewußtsein immer noch in jedem Partikel dieses Staubes.

Kein Wunder, daß manche Todesschläfer nach Wegen suchen, diesem Schicksal zu entrinnen. Die skrupellose Wissenschaftlerin Kristin von Windau beispielsweise glaubt, ihrem Sohn eines Tages dieses Schicksal ersparen zu können, wenn sie die Transplantationsforschung soweit vorangetrieben hat, daß es gefahrlos gelingt, den Kopf eines alternden Todesschläfers auf den jungen Körper eines normalen Menschen zu verpflanzen und dies beliebig oft zu wiederholen. Übrigens keine neue Idee, allerdings widerspricht sie der Logik des Todesschläfer-Konstrukts, da diese Menschen sich ja gerade dadurch auszeichnen, daß ihr Bewußtsein in jeder Zelle ihres Körpers verankert ist und nicht nur im Gehirn. Hier fällt dem Autor seine eigene Idee auf die Füße. Dabei ist sie ausgesprochen interessant, berührt sie doch die in vielen Wissenschaftszweigen gestellte Frage nach dem Sitz des Bewußtseins, das nicht wenige Völker beispielsweise im Bauch verorten, dem Zentrum des Menschen, das fernöstliche Kulturen "Hara" nennen. Aber sogar die westliche Wissenschaft spricht beim Darm vom zweiten Gehirn, da er soviel Nervenzellen besitzt wie das Kopf-Gehirn. Der Darm ist es auch, der das Glückshormon Serotonin produziert, und zwar zu 97 Prozent, während das Kopf-Gehirn nur 1 Prozent davon zum Empfinden des Menschen beisteuert. Es ist unumstritten, daß der Bauch der Ursprung vieler kraftvoller Gefühle ist, die von dort ihren Lauf nehmen, seien sie nun positiver oder negativer Natur. Wer kennt nicht die Schmetterlinge im Bauch, wenn er verliebt ist, oder die Bauchbeschwerden bei psychischer Belastung.

Die Neurogastroenterologie hat sogar entdeckt, daß das "zweite Gehirn" ein Abbild des Kopfhirns ist. Graue Gedächtniszellen, Nervenzellen, Wirkstoffe und Rezeptoren sind in den beiden Gehirnen in Aufbau und Funktion genau gleich. Dennoch hat sich gerade in der Transplantationspraxis die Annahme durchgesetzt, der Hirntod wäre der Zeitpunkt, an dem es vertretbar ist, einen sterbenden Menschen zwecks Weiterverwendung seiner Organe ausweiden zu dürfen, obwohl dieser angebliche Hirntod nicht mit dem Tod des ganzen Menschen übereinstimmt, sonst könnte man seine Organe nämlich nicht mehr gebrauchen. Um dem Dilemma zu entkommen, das gewinnbringende Organgeschäft weiterführen zu können und dennoch nicht als Mörder dazustehen, wird propagiert, daß beim Hirntod vom Tod des Bewußtseins auszugehen ist, was rechtfertigen soll, den Tod des Gesamtkörpers herbeiführen zu dürfen.

Was aber ist das Bewußtsein? Existiert das, was man dafür hält, überhaupt? Wie läßt es sich von der sogenannten Psyche unterscheiden, die einen Menschen mindestens ebenso ausmacht, wie die Gedanken? Wer nimmt schon etwas 'bewußt' wahr? Kann man sich denn in allen Einzelheiten daran erinnern, was man selbst in der vergangenen Stunde alles gehört, gespürt, gerochen oder auch nur gedacht hat? Wenn nicht ein herausragendes Ereignis einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, dann fällt das Erlebte doch schnell dem Vergessen anheim. Das 'Bewußtsein' ist also ein ausgesprochen schwammiger Begriff mit dem die Vertreter der Transplantationspraxis für ihre Sache argumentieren, die zu Bedingungen betrieben wird, bei denen die in diesem Roman als kriminelle Entuferung beschriebenen Zustände gar nicht so weit hergeholt erscheinen.

Psyche, Bewußtsein, Persönlichkeit und Gedanken lassen sich nicht auseinanderdividieren. Sie machen die Gesamtheit des Menschen aus. Wollte man dennoch den Versuch wagen, dem Begriff Bewußtsein auf die Spur zu kommen, dann scheint bei nüchterner Betrachtung der Mensch doch eher ein Reiz-Reaktions-Bündel zu sein und die Erinnerung, die man vielleicht mit dem gleichsetzen könnte, was man Persönlichkeit nennt, eine Folge von Sinnesreizen, die ihren Ursprung im ganzen Körper haben können. Man denke nur daran, wie ein Geräusch, ein Geruch oder das Tastgefühl Erinnerungsbilder in einem aufsteigen lassen, die einen an die Situation denken lassen, in der man dasselbe schon einmal gehört, gerochen oder gespürt hat. Umgekehrt läßt sich die sogenannte Denkleistung nicht allein aufs Gehirn beschränken. Denn wie ist es wohl zu erklären, daß einem auf der Toilette oder unter der Dusche, wo ganz andere Körperteile als das Gehirn stimuliert werden, immer die besten Ideen kommen? Insofern ist Markus Heitz' Idee, das Bewußtsein des Menschen in jeder Körperzelle zu verankern, ein interessanter Ansatz, über diese Fragen nachzudenken, die im Hinblick darauf, daß die Unsterblichkeit seiner Protagonisten darin besteht, auch ihren verwesenden Körper nicht verlassen zu können, sich auf den Gedanken zuspitzen lassen, ob der normale Mensch sich diesbezüglich überhaupt vom Todesschläfer unterscheidet. Wer weiß schon, was der Körper empfindet, wenn er angeblich tot ist. Bisher ist noch niemand, der wirklich tot war, wieder ins Leben zurückgekommen, um zu berichten, was wirklich mit ihm geschieht, wenn sein Körper verwest.

Es ist jedoch ist nicht davon auszugehen, daß der Autor sich solche Gedanken gemacht hat, da dieser Aspekt seines Romans nur dazu dient, der schon vielfach in der Sciencefiction-Literatur behandelten Unsterblichkeit eine andere, negative Note zu verleihen, die es, neben der tödlichen Wirkung eines Todesschläfers, auszumerzen gilt. Denn seinen Protagonisten geht es nur darum, ihrem Schicksal zu entgehen und zu Normalsterblichen zu werden. Zu diesem Zweck erfand der Autor - um die Verwirrung komplett zu machen - nun auch noch die sogenannten Schnittersteine.

Dies sind im wesentlichen Opale aus einer bestimmten Mine, um die ein arabisches Märchen rankt. Zu Schmuckstücken verarbeitet bringen sie ihren Trägern den Tod. Todesschläfer allerdings werden, wenn sie einen Ring mit so einem Opal tragen, für den Tod sichtbar. Daraus zieht der Leser sofort die logische Schlußfolgerung, daß der Todesschläfer, der einen solchen Ring trägt, sofort sterben muß, wenn er im Schlaf seine Theta-Wellen an des Schnitters Ohr schallen läßt. Aber nein, das ist natürlich nicht in des Autors Sinne, der seinen Helden schließlich zum normalen Leben verhelfen will. Und so mutet er dem Leser zu, akzeptieren zu müssen, daß der Schnitter in dem Moment, in dem er den Verursacher dieser für ihn schmerzhaften Thetawellen sehen kann, auf einmal kein Interesse mehr an der Ausmerzung seiner Qualen haben soll. Plötzlich genügt es ihm zu wissen, daß er den Todesschläfer jederzeit holen kann. Ja, wieso sollte der Tod denn einen solchen Sinneswandel vollziehen? Es scheint, als habe der Autor die Lösung seiner Geschichte so fest im Blick gehabt, daß ihm die logischen Brüche auf dem Weg dorthin gar nicht mehr ins Auge fielen.

Zweifellos ist dies ein spannendes Buch, das den Leser auf Trab hält, befindet er sich doch gemeinsam mit der Hauptperson Konstantin Korff auf der Jagd nach einem unter Narkolepsie leidenden Todesschläfer, der überall verheerende Katastrophen auslösen kann, weil er ständig - besonders unter Streß - unkontrolliert einnickt. Es ist auch ein interessantes Buch mit detailreichen aber nicht überladenen Hintergrundinformationen. Unter anderem bietet es dem Leser Einblicke in die Arbeit eines Leichenbestatters, die durchaus Authentizität vermitteln. In parallel laufenden Handlungssträngen, die schlüssig ineinander greifen und aufeinander aufbauen, lernt man die anderen Protagonisten dieses Romans kennen, die sich weder als Widersacher noch als Verbündete gleich zu erkennen geben, was immer wieder zu Überraschungen führt. Für die Ausführung des überwiegenden Teils der Handlung läßt der Autor sich ausreichend Zeit, die Spannung gekonnt zu steigern. Gegen Schluß allerdings führt er seine Geschichte überhastet zu Ende, was vor allem angesichts der logischen Brüche ärgerlich ist.


Fazit:

Die Idee zu "Oneiros" gebar der Autor bei der Lektüre von Märchen, in denen der Mensch mit dem Tod verhandelt und ihn zu überlisten trachtet. Das Problem, dieses klassische Motiv in eine technisierte Moderne zu holen, ist, daß es ein Stilbruch ist, denn in Märchen werden keine Erklärungen gegeben. Und so bleibt die Idee, die von den Todesschläfern ausgehenden Theta-Wellen würden den Gevatter herbeirufen, in der Unvereinbarkeit dieser beiden Genre stecken. Nachvollziehbarer wäre es gewesen, entweder die Theta-Wellen-Idee auf eine schlüssige scheinwissenschaftliche Basis zu stellen und zu erklären, warum diese elektrischen Hirnimpulse den Tod bringen, oder die Magie des Märchens in die Moderne zu transportieren und die ganze Geschichte in einen magischen Zusammenhang zu stellen, in den der Gevatter Tod als Person wieder hineinpaßt. Schließlich gibt es auch heute in verschiedenen Ländern Zauberer, deren Magie nichts mit jenen Fantasygestalten zu tun hat, von denen der Autor in diesem Werk Abstand nehmen wollte.



Markus Heitz
Oneiros
Tödlicher Fluch
Knaur Taschenbuch Verlag, München 2012
624 Seiten
€ 14,99
ISBN: 978-3-426-50590-8


14. Juli 2012