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REZENSION/151: Cecilia Ekbäck - Schwarzer Winter (historischer Roman) (SB)


Cecilia Ekbäck


Schwarzer Winter




Cecilia Ekbäcks Debütroman "Schwarzer Winter" spielt in der Endphase des Großen Nordischen Krieges, der in den Jahren 1700 bis 1721 in Nord-, Mittel- und Osteuropa um die Vorherrschaft im Ostseeraum geführt wurde. Der Leser erfährt von den politischen Verhältnissen jener Zeit, obwohl sie letztlich für den Ausgang des Romans von entscheidender Bedeutung sind, so gut wie nichts. Sie spiegeln sich höchstens in den Gedanken der Protagonisten wider. Olaus Arosander beispielsweise, der Pfarrer, der in diesem Roman eine tragende Rolle spielt, hängt mitunter den Erinnerungen an seine Zeit als Begleiter des Königs nach. Um welchen König es sich handelt und welche Politik er verfolgt, bleibt im Dunkeln, denn es spielt für das vordergründige Romangeschehen keine Rolle. Wen es dennoch interessiert, kann sich im Internet informieren:

Eine Dreierallianz, bestehend aus dem Russischen Zarenreich sowie den beiden Personalunionen Sachsen-Polen und Dänemark-Norwegen, griff im März 1700 das Schwedische Reich an, das von dem achtzehnjährigen König Karl XII. regiert wurde. Trotz der ungünstigen Ausgangslage blieb der schwedische König zunächst siegreich und erreichte, dass Dänemark-Norwegen (1700) und Sachsen-Polen (1706) aus dem Krieg ausschieden. Als er sich ab 1708 anschickte, Russland in einem letzten Feldzug zu besiegen, erlitten die Schweden in der Schlacht bei Poltawa im Juli 1709 eine verheerende Niederlage, welche die Kriegswende bedeutete. [...]
Während sich 1717 diplomatische Umwälzungen vollzogen, brachte das Jahr für alle Kriegsparteien militärisch eine Ruhepause. König Karl entwickelte trotz aller Niederlagen und der erdrückenden Übermacht seiner Feinde ständig neue Ideen und Pläne.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Großer_Nordischer_Krieg)

Der Roman spielt in jenem Jahr 1717 in einem vom Kriegsgeschehen weit abgelegenen Gebiet, in dem sich Menschen unterschiedlicher Herkunft um den mythenumwobenen Berg Blackåsen angesiedelt haben. Die Autorin zeichnet völlig unsentimental ein authentisches Bild der Lebensverhältnisse jener Menschen, die in einem gerade erst erschlossenen Gebiet den Widrigkeiten der Natur trotzen müssen. Stück für Stück taucht der Leser in diese von Eis und Dunkelheit beherrschte Welt ein, die er abwechselnd aus Sicht des Pfarrers, Maijas, einer Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines gemütskranken ehemaligen Fischers, und deren Tochter Frederika erlebt. Die beiden letztgenannten treffen - ähnlich wie der Leser - von außen auf die Menschen dieser Notgemeinschaft, die in einzeln liegenden Gehöften wohnen. Es beginnt ein besonders grausamer Winter - ein schwarzer Winter, wie die Samen ihn nennen. Ein Winter, der sie daran erinnert, daß sie sterblich sind - sterblich und allein.

Cecilia Ekbäck bedient sich einer eigenwilligen, sehr reduzierten Sprache, die die sozialen Umgangsformen dieser wortkargen Menschen eindrücklich widerspiegelt. Man versteht augenblicklich, daß diese rauhe Landschaft niemanden zu überschwenglichen Beschreibungen verleitet, denn es geht ums Überleben und da macht man nicht viele Worte. Die wenigen sind dafür umso prägnanter und sie helfen dem Leser, die ihm unvertraute Lebensweise zu erfassen und nicht in gängige Vorstellungsmuster zu verfallen. Mit feinem Gespür lockt die Autorin aus den alltäglichsten Begebenheiten das Wesentliche hervor und verdichtet es zu einem eindrücklichen Bild, daß man nicht das Gefühl hat, ein Buch zu lesen, sondern das Geschehen wirklich zu erleben und zwar - trotz der reduzierten Sprachform - mit einer Genauigkeit, für die man selbst - wollte man es beschreiben - gar nicht so viel Aufmerksamkeit aufbringen würde.

Ein weiterer Bruch gängiger Vorstellungsmuster ist der Gebrauch der Zeiten. Dieser Roman ist größtenteils in der Vergangenheitsform geschrieben, und zwar auch dann, wenn die Vorvergangenheit beleuchtet wird. Damit wird der Unterschied zwischen der erlebten Gegenwart und der erinnerten Vergangenheit aufgehoben, die beide so präsent sind, daß es nicht von Bedeutung ist, ob etwas schon vergangen ist oder gerade passiert. Zweimal wird ein kurzes Kapitel im Präsens geschrieben. Dadurch - das ist eine interessante Erfahrung - wird man unwillkürlich aus dem Geschehen herausgerissen und schaut als anonymer Betrachter quasi von oben in die Häuser und Gedanken ihrer Bewohner.

Da gibt es nicht nur den eigenbrötlerischen Gustav, die Witwe Elin, die auch so einiges zu verschweigen hat, oder die anderen den Berg besiedelnden Menschen, die aus ärmlichen Verhältnissen kommen, sondern auch jene, die aus zivilisierteren Regionen kommen und sich eher aufs Plappern verlegen und ihre sozialen Spielchen treiben. Der Pfarrer, der eigentlich zu diesem Menschenschlag gehört, stolpert plötzlich über seine eigene Borniertheit und fühlt sich den Menschen, zu denen er unfreiwillig versetzt worden ist und auf die er eher geringschätzig herabgeblickt hat, in Zeiten der Not mit einem Mal näher, als den Kreisen, denen anzugehören er sein Leben lang gekämpft hat. Er versucht, genau wie Maija, das Unerklärliche, das sich auf dem Berg zusammenzubrauen scheint, zu verstehen. Der Bischof, der zu Besuch kommt und mit ihm die Kirchenbücher durchsieht, die von den Missionaren über die Jahrhunderte hinweg geführt wurden, klärt ihn über die Legende des Blackåsen auf:

"Auf dem Blackåsen ist überall noch das Alte verbreitet", sagte er. "Das Alte und das Hässliche. Die Lappen haben den Berg für ihre Anbetung verwendet. In einer seiner Erzählungen berichtet der Missionar, wie er herausfand, dass sie einen Pfosten gegen die Sonne errichtet hatten - ich habe es selbst gelesen. Nicht niedergeschrieben ist - was die Leute jedoch glauben -, dass während des darauffolgenden Tumults eine der alten Lappenfrauen dem Pfosten einen Stoß versetzte, so dass er umstürzte. Er traf auf die Seite des Berges, woraufhin dieser aufbrach. Sie griff nach unten und zog den Teufel an seinem Schwanz hervor, band ihn um einen der Felsbrocken in der Spalte und belegte ihn mit einem Fluch, so dass er den Berg nicht verlassen konnte. 'Du denkst, dein Gott hat alle Macht?', soll sie gesagt haben. `Dann schauen wir doch mal, wie stark er ist.' Sie haben sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
(Seite 74)

Diese Legende geht auf eine Zeit zurück, in der die Christianisierung der Lappen begann, bei der es nicht so sehr um die Errettung von Seelen ging, als darum, Herrschaftsansprüche durchzusetzen. Auch hierüber kann man im Internet fündig werden:

In der Wasa-Zeit entstanden - vor allem im Wettbewerb mit dem ebenfalls nordwärts vorstoßenden Russland - die ersten Herrschaftsansprüche Schwedens auf die Gebiete der Lappen. Die Abgaben wurden immer mehr erhöht, verschiedene Zwangsdienste für die Landesherren eingeführt und die Kirche begann mit der Christianisierung der Heiden. 1553 übernahmen staatliche Eintreiber die Steuereintreibung von den Birkarlen, um mehr Kontrolle über die Nordländer zu erreichen. Da diese Aufgabe bei den nomadisierenden Jägern und Rentierhirten sehr schwierig war, wurden in der Folgezeit einige administrative Maßnahmen durchgeführt, die die Autonomie der Samen erheblich einschränkten und zu folgenreichen Veränderungen in deren Lebensweise führten. Aus den vormaligen Lappmarken der Händler und den traditionellen Territorien der einzelnen Jägergemeinschaften (Siida) machte man die sogenannten "Lappbyar". An zentralen Punkten richtete man Handelsposten (z. B. Jokkmokk, Lycksele, Arjeplog, Enontekiö) oder Kirchdörfer (z. B. Arvidsjaur, Jukkasjärvi) ein, die von den Samen regelmäßig aufgesucht werden mussten. Zudem wurde das bis dahin freie Land zum Eigentum einzelner Personen gemacht, die fortan als Gewährsleute und Verantwortliche zwischen dem Staat und ihrem Volk standen.
(http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Schwedens)

Das Gebiet um den Blackåsen stellt einen solchen wie oben erwähnten Handelsposten dar. Die 'Stadt', von der in dem Roman die Rede ist, besteht aus größtenteils verwaisten Häusern, die nur einmal im Jahr von den Menschen der umliegenden Gehöfte und von den Lappen bewohnt werden. Mittelpunkt ist die Kirche, deren Vertreter die Aufgabe haben, die Menschen zu registrieren, die Einhaltung der Gesetze zu kontrollieren und den Willen des Königs durchzusetzen. Auf schlichte, aber eindrückliche Weise symbolisiert das Cover von "Schwarzer Winter", auf dem ein schwarzes Kreuz zu sehen ist, das aus einem Wolkenmeer ragt, die bedrückende Macht, die die Kirche ausgeübt hat.

Auch die von der Küste stammende Maija hat es mit ihrer Familie auf den Blackåsen verschlagen. Gleich nach ihrer Ankunft macht ihre 17jährige Tochter Frederika mit ihrer kleinen Schwester eine grausige Entdeckung auf dem Berg. Sie finden einen Toten. Eriksson ist ermordet worden. Doch von wem? Und warum? Und hat sein Tod etwas mit dem Berg zu tun? Schließlich sind in der Vergangenheit bereits mehrere Kinder rund um den Blackåsen verschwunden, zuletzt sogar eine ganze Familie. Um diese Fragen entwickelt sich ein dichter Roman, der behutsam in das Gesellschaftsgefüge der Menschen eintaucht und nach und nach ihre Vergangenheit ans Licht holt, die jeder vor dem anderen zu verheimlichen sucht.

Auch die Lappen hat das 'Böse' heimgesucht. Fearless, ihr Anführer, hat seine Frau und sein jüngstes Kind auf dem Berg verloren und sich nach langer Suche dem Christentum zugewendet, weil er darin Trost findet. Sein Sohn Antti macht ihm schwere Vorwürfe, denn Fearless besitzt die für den Stamm lebenswichtige Gabe, zwischen der Welt der Geister und der der Menschen hin- und herreisen zu können und damit für die Sicherheit des Stammes zu sorgen. Antti hat die Gabe nicht und kann diese Aufgabe nicht einfach übernehmen. Nur Frederika scheint in der Lage zu sein, die Geister der Toten zu sehen, doch sie verheimlicht es, da es in ihrer Familie Hexenverbrennungen gegeben hat. Der ausgesprochen stoffliche Geist des ermordeten Eriksson setzt ihr nach und sie kann sich seiner kaum erwehren.

Dabei wird man plötzlich damit konfrontiert, daß sich Cecilia Ekbäck des Horror-Genres bedient, wodurch der Roman an Authentizität einzubüßen scheint. Es ist ja gar nichts daran auszusetzen, daß man über die oben erwähnte Fähigkeit der Lappen, in die Welt der Geister zu reisen nicht mehr erfährt, als eben, daß sie es tun. Was auch immer die Schamanen der Lappen tun oder getan haben, sie werden es einem neugierigen Ethnologen, wenn überhaupt, vermutlich nicht auf eine Weise übermittelt haben, die von einem westlich geprägten Verstand erfaßt werden kann. Alles was an magischen Ritualen alter Kulturen überliefert wurde, stammt, wie auch in diesem Roman dokumentiert, aus den Aufzeichnungen christlicher Missionare, die das, was sie gesehen haben, selbstverständlich nur aus ihrer Sicht wiedergeben konnten. Diese verzerrten Überlieferungen von Fertigkeiten, die man sich nicht erklären konnte, sind dann wohl eher von den Feldforschern mit folkloristischen Begriffen wie Geistreise versehen worden.

Es ist nicht davon auszugehen, daß Cecilia Ekbäck tatsächlich etwas von diesen Fertigkeiten weiß, deshalb ist es gut, daß sie gar nicht erst den Versuch macht, so etwas in Worte zu fassen und Antti nur sagen läßt, die Alten würden nur ungern darüber sprechen. Es ist auch gut, daß sie die Lappen wie Fearless, die über gewisse Fähigkeiten verfügen, nicht Schamanen nennt, da auch dieser Begriff erst durch die ethno-kolonialistische Erfassung durch Feldforscher entstanden ist. Sie berührt dieses Thema, vertieft es aber nicht.

Um so merkwürdiger mutet es dann an, daß sie im Fall von Frederika zu so drastischen Mitteln greift und ihr den fast schon zombieartigen Eriksson-Geist zur Seite stellt, der sogar in der Lage ist, sie mit einem Messer schwer zu verletzen. Wesentlich unheimlicher, aber auch nicht minder physisch sind Maijas und Frederikas Begegnungen mit Wölfen, die nur sie wahrnehmen können. Ob es dieselben Wölfe sind, die nach Fearless' Weigerung, seine Gabe einzusetzen, um seinen Stamm zu schützen, unter den Rentierherden der Lappen geradezu ein Massaker angerichtet haben, bleibt unklar, aber daß ihre Zähne und Klauen echt sind, kann Maija an den tiefen Kratzspuren an ihrer Tür feststellen. Normale Wölfe würden Menschen nicht so direkt angreifen, sie würden nur schwache Tiere reißen und auch nur so viele, wie sie brauchen.

Vielleicht versucht die Autorin mit der Darstellung eines stofflichen, mörderischen Geistes den möglichen Überlieferungen gerecht zu werden, in denen Geister mit Kräften und Wuchten einhergehen, die für Menschen absolut unverträglich sind. Eine Konfrontation mit etwas Furchtbarem, das man nur mit viel Glück überlebt hat. Die Herkunft des Wortes "Geist", das mit "schaudern", "erschrecken", "voller Entsetzen" zu tun hat, gibt einen Hinweis auf diesen Zusammenhang (siehe Der Duden, Band 7 - Das Herkunftswörterbuch, Ausgabe von 1989, Seite 226). "Geist" hat sich erst später in Richtung "Gespenst" entwickelt, das man dann als mehr oder weniger harmloses Astralwesen betrachtet. Und so ist es nicht verwunderlich, daß man in unserem mitteleuropäischen Kulturkreis darüber stolpert, wenn sich die eigenen Vorstellungen von Geistererscheinungen nicht mit denen eines nordischen Kulturkreises in Einklang bringen lassen.

Man merkt bei der Lektüre von "Schwarzer Winter", daß die Wurzeln der Autorin, die in Nordschweden geboren wurde, in der Gegend liegen, in der sie ihre Protagonisten angesiedelt hat. Ihre präzise, schnörkellose Art, die Dinge im Kern zu treffen und gleichzeitig Raum für Spekulationen zu lassen, wirkt auf angenehme Weise fremd und lädt dazu ein, mehr erfahren zu wollen. Man kann nur hoffen, daß Cecilia Ekbäck dem Leser bald eine weitere Möglichkeit bietet, die Vergangenheit und vielleicht auch Gegenwart Lapplands zu erleben.

5. Januar 2015




Cecilia Ekbäck
Schwarzer Winter
Titel der Originalausgabe: Wolf Winter
Aus dem Englischen von Sabine Thiele
Verlagsgruppe Droemer Knaur, München 2014
Klappenbroschur, 364 Seiten, 14,99 Euro
ISBN: 978-3-426-30400-6


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