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REZENSION/161: Martin Balluch - Im Untergrund (SB)


Martin Balluch


Im Untergrund

Ein Tierrechtsroman nach wahren Begebenheiten



Mit den Auseinandersetzungen um die geplante Rodung des kleinen Restes dessen, was die Braunkohleverstromung vom einst riesigen Hambacher Forst übriggelassen hat, durch den Energiekonzern RWE hat eine Form von Widerstand gegen Naturzerstörung breite Beachtung gefunden, die in ihrer Entschiedenheit zugleich sehr subjektiv und hochpolitisch ist. Meist junge Menschen stellen sich auf denkbar direkteste Weise mit ihren Körpern der fossilen Maschinerie in den Weg und werfen so auf ihre Weise die Frage auf, was der einzelne gegen die Mißachtung des Lebensrechts nicht nur der Menschen, sondern aller Lebewesen tun kann, wenn die repräsentative Demokratie aufgrund der massiven Dominanz von Teilinteressen nicht im Sinne des Anspruchs auf Unversehrtheit funktioniert. Radikalökologischer Aktivismus ist für immer mehr Menschen in Anbetracht des unaufhaltsam erscheinenden Klimawandels und der demgegenüber völlig unzureichenden Maßnahmen politischer Institutionen eine Möglichkeit, durch zivilen Ungehorsam und direkte Aktion zu erreichen, was ansonsten nur ohnmächtig erlitten werden kann.

Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Machtfragen werden die Grenzen der Legalität dabei immer wieder perforiert, wenn nicht überschritten. Die Legitimität des Eintretens für ein radikales Umsteuern im Umgang mit den gesellschaftlichen Naturverhältnissen kann in Widerspruch zur herrschenden Rechtsordnung geraten, wenn letztere ein System der Zerstörung schützt, das die Zukunft bedroht. Dabei können sich die AktivistInnen auf eine lange Tradition des sozialen Widerstandes berufen. Ohne die herrschenden Kräfte auf eine Weise herauszufordern, die oft genug das eigene Leben eingeschränkt oder zerstört hat, hätte es keine zivilisatorische Entwicklung und keinen historischen Fortschritt gegeben. Der Regelbruch ist der Evolution der Rechts- und Gesellschaftssysteme so immanent, wie die Befreiung des Menschen aus feudalistischer Versklavung und kolonialistischer Ausbeutung ohne revolutionären Mut nicht gelingen konnte.


Erlebnisbericht aus dem Innenleben des Tierrechtsaktivismus

Die sich für AktivistInnen bis heute immer wieder stellende Frage, wo die Grenze verläuft, bei deren Überschreitung sozialer Widerstand nicht nur illegal wird, sondern seine Legitimität verliert, steht im Mittelpunkt des von dem langjährigen Tierrechtsaktivisten Martin Balluch vorgelegten Romans "Im Untergrund". Der als Obmann des Vereins gegen Tierfabriken (VGT) in Österreich bis heute für den Schutz der Tiere vor Ausbeutung und Vernichtung durch Jagd und Massentierhaltung kämpfende Autor mehrerer Sachbücher rund um das Mensch-Tier-Verhältnis und seine politische Umsetzung hat in diesem Fall die Erzählform gewählt, um den subjektiven Zugang zu den Beweggründen des Tierrechtsaktivismus nachvollziehbar zu machen. Darüberhinaus soll die Nutzung fiktiver Charaktere davor schützen, daß konkrete Personen durch seinen Bericht aus der englischen Tierrechtsszene der späten 1980er und frühen 1990er Jahre auf irgendeine Weise belastet werden können.

So kommt insbesondere bei LeserInnen, die den Autor als aktives Mitglied der österreichischen Tierrechtsbewegung kennen und den spektakulären Prozeß 2010 und 2011 gegen ihn und 12 andere Tierrechts- und TierbefreiungsaktivistInnen verfolgt haben, mit dem diese Bewegung auf exemplarische Weise kriminalisiert werden sollte, die Frage auf, inwieweit der Roman autobiografische Züge trägt. Balluch konstatiert gleich zu Beginn: "Nein, sie halten keine Autobiografie von mir in Händen". Zugleich bekräftigt er, "dass jede beschriebene Aktion genau so stattgefunden hat, wie hier dargestellt" (S. 7). Da die Rahmenhandlung des Protagonisten Paul, der von Wien in die englische Universitätsstadt Cambridge umzieht, um seine akademische Karriere am hochangesehenen Institut für Angewandte Mathematik und Theoretische Physik an der Seite des berühmten Physikers Stephen Hawking fortzusetzen, in großen Zügen derjenigen des Autors entspricht, liegt die Mutmaßung des Lesepublikums nahe, hier berichte ein Aktivist im wesentlichen von den eigenen Erlebnissen, die er aus naheliegenden Gründen in den Kontext eines fiktiven Szenarios stellt.

Dieser literarische Kunstgriff ist in Anbetracht heute eher zu- denn abnehmender Repression gegen soziale Bewegungen allemal verständlich. Er mindert die spannende und instruktive Lektüre des Buches auch deshalb nicht, weil das politische Selbstverständnis der AktivistInnen auf kollektivem Handeln, solidarischem Einstehen füreinander und konspirativer Praxis beruht, es also nicht, wie im bürgerlichen Leben, um die Produktion individueller Karrieren und das Anhäufen sozialen Kapitals geht. Da die nach heutigen Maßstäben sehr große Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung im England dieser Zeit vor einer fast geschlossenen Front medialer Ignoranz respektive Diffamierung stand und auch von den staatlichen Behörden und der Gerichtsbarkeit eher keine Gerechtigkeit zu erwarten hatte, entwickelte sie die starke Neigung, ihren Kampf außerhalb des gesellschaftlichen Kontextes aus einem fundamentalen Verständnis für die Beendigung der Tierausbeutung heraus zu führen. "There is no justice, just us" (S. 7) - diese Formel adäquater Besinnung auf die eigene Reichweite und Handlungsfähigkeit hat für viele AktivistInnen bis heute nichts an Aktualität verloren.

So gerät Protagonist Paul, den Balluch, der bei seiner Ankunft in Cambridge bereits Erfahrungen als Aktivist gemacht hatte und Vegetarier war - Veganismus kannte er damals noch nicht -, als von Tierrechtsbelangen gänzlich unbeleckt vorstellt, schon am ersten Tag seines Eintreffens in Cambridge bei einer Veranstaltung zum Thema Animal Welfare versus Animal Warfare in Kontakt mit der lokalen Tierrechtsbewegung. Obwohl an dieser Stelle naheliegend geht der Autor weder hier noch später im Buch ausführlich auf den zentralen Disput zwischen Tierschutz und Tierbefreiung ein. Die Debatte um den Nutzen der Forderung nach größeren Käfigen versus den grundsätzlichen Kampf für die Abschaffung aller Knäste für Mensch und Tier scheint sich in Anbetracht der Aktionen, die so kompromißlos für die Verhinderung von Tierleid geführt werden, daß an der prinzipiellen Position der AktivistInnen kein Zweifel besteht, zu erübrigen.

Ihre Entschlossenheit, und darin liegt eine Stärke der erzählerischen Ich-Form, wird aufgrund der Erlebnisse, die Paul bei einem Besuch in einem Tierversuchslabor, bei der Befreiung von Schweinen aus einem Mastbetrieb, beim Sabotieren der Hetzjagd auf Füchse, bei der Verhinderung eines Pferderennens von nationaler Bedeutung und vielen anderen Konfrontationen mit der Grausamkeit, mit der Tiere von Menschen zu Objekten ihrer Lust am Töten, Quälen und Essen gemacht werden, so unmittelbar verständlich, wie es das nüchterne Aufzählen von Daten und Methoden organisierter Tierausbeutung in den Ställen und Schlachthöfen, den Forschungseinrichtungen und Zuchtanstalten kaum vermag. Pauls Begegnung mit einem hochschwangeren Schwein, das mit gebrochenem Rücken im Kastenstand liegt und dort auf den Transport in die Tierkörperverwertungsanstalt wartet, kann auch hartgesottene Wurstfans nicht kaltlassen, wenn sie sich denn der Lektüre dieses Buches aussetzten, was naheliegenderweise kaum der Fall sein dürfte.


Zwischen Pazifismus und Militanz

Derartigen Erlebnissen gegenüber erscheinen die Aktionen, mit denen die AktivistInnen Tiertransporte stoppen, sogenanntes Schlachtvieh befreien, gegen die Tierdressur in Zirkussen protestieren oder Wildtiere vor JägerInnen schützen, nicht nur gerechtfertigt, sondern nachgerade zurückhaltend. So führt die strikt pazifistische Grundhaltung der Gruppe, der Paul in Cambridge beitritt, zu der Frage, was die AktivistInnen an aggressiven Übergriffen seitens der Jägerschaft hinnehmen sollen, bevor sie zurückschlagen. Dieser Konflikt ist in der Gruppe letztlich nicht zu lösen, sondern mündet in die Beteiligung Pauls an Aktionen in anderen Zusammenhängen der großen Tierrechtsbewegung, bei denen sich die AktivistInnen auch körperlich gegen Angriffe aus den Reihen der Jägerschaft oder Zirkusleute zur Wehr setzen. Auch diese Ereignisse werden mit großer Authentizität und Detailtreue geschildert, was den Schluß nahelegt, daß sie auch als Anschauungs- und Studienmaterial für heutige AktivistInnengenerationen Verwendung finden könnten.

Wie der Autor bei einer Lesung aus seinem Buch auf den 23. Linken Literaturtagen in Nürnberg [1] berichtete, haben zwei Schlüsselerlebnisse bei Paul dafür gesorgt, sich aus der Passivität des bloßen Hinnehmens von Gewalt zu lösen. Bei seiner Arbeit in einem ehrenamtlich betriebenen Wildtierspital, das insbesondere bei der Jagd verletzte Füchse medizinisch versorgt, um sie möglichst in jagdfreiem Gelände wieder auszusetzen, lernt er den Fuchs Eddy kennen. Ein Jagdhund hat ihm so schwere Verletzungen zugefügt, daß er seine Hinterläufe nicht mehr nutzen kann, sondern sich auf einem kleinen zweirädrigen Rollstuhl fortbewegt. Da Eddy im Unterschied zu anderen Wildtieren, die wieder ausgesetzt werden sollen, gestreichelt werden kann, entwickelt sich eine ausgemachte Freundschaft zwischen beiden.

Das Wildtierspital wird jedoch von Jägern, die die Rettung ihrer Beute nicht hinnehmen wollen, bedroht. Eines Nachts, als Paul gerade Wache hält, greifen sie die private Einrichtung an und entführen die verletzten Füchse, um sie umzubringen. Paul verfolgt die Jäger im Auto und schlägt sie in die Flucht. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie jedoch schon drei Füchse regelrecht hingerichtet, darunter den kleinen behinderten Eddy.

Das zweite Erlebnis ist der Tod des 15jährigen Aktivsten Tom Worby, der von einem Jäger, wie zahlreiche ZeugInnen bekunden, mit voller Absicht überfahren wird. Während der Fahrer freigesprochen wird, weil es sich angeblich um einen Unfall handelt, bezichtigte die Presse die Jagdsaboteure, ganz allein für den Tod des Jugendlichen verantwortlich zu sein. Es ist bereits der zweite Todesfall eines Aktivisten in kurzer Zeit. Im Fall von Mike Hill wurde der Täter nicht einmal angeklagt, weil die Staatsanwaltschaft entschied, daß es sich um einen Unfall handelte. 2015 berichtete der Jagdsaboteur Alfie Moon in Hamburg über beide Fälle wie über eigene Erlebnisse mit der Aggressivität britischer JägerInnen [2].


Jagdsabotage und Waldverteidigung

Höchst aufschlußreich ist auch das Verhalten der Jagdgesellschaften. In Balluchs Schilderung tritt die ganze klassengesellschaftliche Arroganz der AnhängerInnen einer Lustbarkeit hervor, die stets Vorrecht und Merkmal des Adels war und dessen feudalen Standesdünkel bis in die heutige Zeit transportiert. Tatsächlich lassen sich in England die Spuren einer langen Tradition herrschaftskritischer Verweigerung der Tierausbeutung bis zurück zum Zurückweisen des Verzehrs von Fleisch als Statussymbol des Adels durch puritanische Sekten und Sozialrevolutionäre wie die Bewegung der Diggers nachweisen [3]. In Balluchs Schilderung tauchen immer wieder die Brixton Sabs auf, die aus einem Londoner Arbeiterviertel anreisen, um Jagdsabotage auszuüben, und für ihre handgreifliche Art und konfrontative Strategie bekannt sind. Sie könnten als Repräsentanten eines klassengesellschaftlich motivierten Tierrechtsaktivismus gelten, der, wie der Jagdsaboteur Alfie Moon bekundet [4], in der Hochzeit dieser Bewegung im England der 1980er Jahren durchaus präsent war.

Riten wie das Markieren der Gesichter anwesender Frauen mit dem Blut zu Tode gehetzter Füchse oder das betont maskuline Gehabe der Jäger enthüllen darüberhinaus den patriarchalen Charakter des sogenannten Sportes des Hetzens und Erschießens von Wildtieren. Bereits als Kind die Abneigung gegen die Grausamkeit des Tötens von Tieren demonstrativ zu überwinden ist ein typischer Akt männlicher Initiation, wie etwa das Foto vom Erschlagen eines verletzten Fuchses vor der versammelten Erwachsenenschar durch einen Jungen belegt [4]. Die heute in feministischen Kreisen vollzogene Analyse und geübte Kritik am Zusammenhang von Patriarchat und Tierausbeutung betrifft denn auch nicht nur den Akt des Tötens, sondern die in der Produktwerbung immer wieder anzutreffende Assoziation von Männlichkeit, Fleischkonsum und Sexismus.

Ein für den Widerstand im Hambacher Forst und andere Waldbesetzungen interessanter Exkurs führt Paul, den in den österreichischen Alpen aufgewachsenen erfahrenen Bergsteiger und Kletterer, in einen Wald bei der Stadt Newbury, wo eine vierspurige Autobahn, die als Ortsumgehung konzipiert war, mitten durch einen Bestand uralter Bäume gebaut wurde. Dessen VerteidigerInnen beriefen sich darauf, daß es in England ohnehin kaum noch alte Wälder gab, schon gar nicht solche, die Giganten wie einen 84,5 Meter hohen Baum mit einem Stamm von 4,5 Metern Umfang aufwiesen. Rund 7000 Menschen gingen 1996 immer wieder in Unterstützung der WaldbesetzerInnen auf die Straße, die in 28 Baumhausdörfern mit insgesamt 300 Baumhäusern lebten. Bei der Räumung, die Paul miterlebt, kam es zu mehr als 800 Verhaftungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, die unter heutigen Bedingungen kaum mehr vorstellbar erscheinen. So wurden die häufig in 30 Meter Höhe errichteten Baumhäuser gegen die Kletterer der Polizei nicht nur durch vorbereitete Wassergüsse verteidigt, sondern die BesetzerInnen verhinderten deren Vordringen in die Baumkronen, indem sie ihren Aufstieg den direkten Einsatz ihres Körpers entgegenstellten. Sie griffen auch zur Strategie des Tunnelbaus und anderen Blockadetechniken, die in der Geschichte des radikalökologischen Aktivismus bis heute von Bedeutung sind.

Bedeutsam am Zusammenhang von Waldverteidigung und Tierbefreiung ist nicht nur, daß das eine kaum ohne das andere denkbar ist, wie die vegane Lebensweise der meisten radikalökologischen AktivistInnen belegt. Die Bäume sollen nicht nur aufgrund ihres Nutzens zur Eindämmung des Klimawandels oder als Naherholungsraum stehen bleiben, sondern ihnen wird nicht anders als nichtmenschlichen Tieren ein prinzipielles Lebensrecht zugestanden. Daß diese Bewegung zugleich herrschaftskritisch, antikapitalistisch, antirassistisch, antisexistisch und antifaschistisch positioniert ist, versteht sich allen Versuchen rechter Blut-und-Boden-Mythologen, Natur- und Umweltschutz für sich zu vereinnahmen, zuwider fast von selbst.


Kein Pardon für TierrechtsaktivistInnen

Aus einem solchen Selbstverständnis heraus erklärt sich auch die Unbestechlichkeit von AktivistInnen wie Barry Horne. Er hatte nach Verhängung einer Haftstrafe wegen nächtlicher Brandanschläge auf Unternehmen, die ihr Geschäft mit Tierausbeutung machen, vergeblich versucht, mit einem unbefristeten Hungerstreik Einfluß auf die Regierung zugunsten einer tierfreundlicheren Gesetzgebung zu nehmen. Als er nach 68 Tagen, auf unter 30 Kilo Körpergewicht abgemagert, verstarb, wurde er im Guardian, wie Balluch zitiert, als ein im Leben als Müllmann gescheiterter Niemand dargestellt. Im Tode allerdings werde er "als erster echter Märtyrer der erfolgreichsten Terrorgruppe, die es in Großbritannien je gegeben hat, auferstehen: der Tierrechtsbewegung." (S. 375)

Der Titel des Romans betrifft die letzten beiden Kapitel, in denen Paul schildert, wie er aufgrund nach Festnahme bei einer Katzenbefreiung gegen ihn eingeleiteter Ermittlungen untertaucht und nach einiger Zeit in der Illegalität schließlich das Land verläßt. Über die persönliche Geschichte des Protagonisten hinaus ist das Buch vor allem ein Kompendium von Erlebnisberichten über Aktionen der englischen Tierbefreiungs- und Tierrechtsbewegung der Jahre 1989 bis 1997. Balluch hat dazu aus Film-, Ton- und Textdokumente einen großen Fundus ausgewertet, der in allen Fällen, die nicht seinen persönlichen Aktivismus betreffen, maximale Authentizität garantiert. Da diese Hochphase des radikalökologischen Aktivismus im Vereinigten Königreich kurz vor der Verbreitung des Internets zum Massenmedium stattfand, sind diese originären Quellen nicht ohne weiteres verfügbar. Er habe das Buch auch geschrieben, um etwas gegen das Vergessen dieser großen Zeit des Tierrechtsaktivismus zu tun, erklärte der Autor auf der Lesung in Nürnberg.

Die Verschärfung der Repression gegen den Tierrechtsaktivismus, zu der Balluch vor allem auf das 2005 in Kraft getretene Organisationsstrafrecht Serious Organized Crime and Police Act (SOCPA) verweist, hat dazu geführt, daß insgesamt über 2000 AktivistInnen der Tierrechtsbewegung Haftstrafen absitzen mußten oder müssen. Dies wurde unter anderem durch den inzwischen offiziell eingestandenen Einsatz von über 100 Spitzeln allein in dieser sozialen Bewegung erreicht, die zum Teil familiäre Bindungen mit AktivistInnen eingingen und Kinder zeugten, die nun an der Erblast des konspirativen Staatsschutzes schwer zu tragen haben.

Dementsprechend gingen die Tierrechtsaktivitäten seit Beginn des neuen Jahrhunderts um 90 Prozent zurück. Balluch zieht eine nüchterne, aber auch traurige Bilanz, hat sich die Situation der Tiere in den Schlachthöfen und Versuchslaboren, auf den Jagden und bei den Tiertransporten doch bestenfalls partiell verbessert. Die Kampagne Stop Huntington Animal Cruelty (SHAC) gegen das größte kommerzielle Tierversuchslabor Europas hat hingegen für zwei Dutzend Menschen Haftstrafen von zum Teil über zehn Jahren zur Folge, obwohl den Betroffenen ausschließlich die Informierung der Öffentlichkeit über das Labor und die Organisation der gegen seinen Betrieb gerichteten Kampagne zur Last gelegt werden konnte.

Mit "Im Untergrund" hat Martin Balluch ein gerade heute, da die SachwalterInnen des grünen Kapitalismus versuchen, radikale Schritte zur Begrenzung des Klimawandels und damit der Gefahr einer neuen Barbarei mit der Behauptung zu verhindern, alles könne dank technologischer Effizienzsteigerung im Prinzip so weitergehen wie bisher, wichtiges Werk vorgelegt. Je mehr die bedrohlichen Prognosen zum Klimawandel und die politische Opportunität, den jeweils mächtigsten Interessengruppen den Zuschlag zu geben, auseinanderklaffen, desto vehementer werden die Konflikte um den Erhalt verbliebener Naturressourcen ausgetragen werden. Mit seinem persönlichen, erzählerisch nachvollzogenen Weg, eine aussichtsreiche Karriere im Wissenschaftsbetrieb zugunsten des Kampfes gegen Tierausbeutung aufzugeben und zudem die Solidität einer bürgerlichen Existenz durch permanente Konflikte mit der herrschenden Rechtsordnung zu erodieren, führt er heutigen AktivistInnen beispielhaft vor Augen, daß die letztinstanzliche Referenz jeder Form des Widerstandes gegen offenkundige Grausamkeit und Zerstörungspraktiken in der eigenen Überzeugung besteht, eben das nicht zu tun und zu bekämpfen, was aus naheliegenden Gründen inakzeptabel ist.


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0110.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0013.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar618.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trin0036.html

[5] https://freefromharm.org/animal-rights/the-boy-and-the-fox-from-beating-to-eating-animals/

5. Dezember 2018


Martin Balluch
Im Untergrund
Ein Tierrechtsroman nach wahren Begebenheiten
Promedia, Wien 2018
440 Seiten, 19,90 Euro
ISBN: 978-3-85371-445-4


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