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REZENSION/164: Ilija Trojanow - Doppelte Spur (Spionage) (SB)


Ilija Trojanow


Doppelte Spur



Man könnte meinen, niemand wäre besser geeignet, den neuen Kalten Krieg zwischen Rußland und den USA und das sonderbare Verhältnis zwischen Donald Trump und Wladimir Putin erzählerisch zu verpacken als der deutsch-bulgarische Weltenbummler, Übersetzer, vielfach ausgezeichnete Literat und Überwachungsstaat-Kritiker Ilija Trojanow. Und man läge vermutlich auch richtig damit. Schließlich hat der 1965 in Sofia geborene Trojanow als Kind und Jugendlicher das Leben auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs kennengelernt, und seine umfangreichen sprachlichen Kenntnisse gewähren ihm einen einmaligen Blick auf die angloamerikanische und deutsche Kultur einerseits, die slawisch-osteuropäische auf der anderen Seite. Doch sein neuester Roman "Doppelte Spur", ein Agententhriller, der die dunklen Verbindungen Trumps zu Putins Rußland beleuchten soll, ist leider nicht so recht gelungen. Vor allem das große Finale bleibt aus. Das erhoffte Feuerwerk entpuppt sich als Rohrkrepierer - und das ist schade.

Die Erzählung beginnt damit, daß ein in Wien lebender, politisch engagierter Schriftsteller namens Ilija - das Alter ego des Autors - fast zeitgleich von zwei unbekannten Quellen, je eine in den Sicherheitsapparaten Washingtons und Moskaus, eine riesige Sammlung streng vertraulicher Dokumente der amerikanischen und russischen Geheimdienste in digitaler Form zugespielt bekommt. Der amerikanische Absender ist eine Frau mit Decknamen DeepFBI, der russische unbekannt. Ob sich beide kennen und koordiniert arbeiten, bleibt Trojanow verborgen. Sie fordern ihn jedoch auf, das brisante Material rasch auszuwerten und so schnell wie möglich mit den wichtigsten Erkenntnissen an die Öffentlichkeit zu gehen.


Die schwarz schimmernde Glasfassade des Trump International Hotel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Trump International Hotel and Tower am Columbus Circle/Ecke Central Park in New York
Foto: © 2019 by Schattenblick

Angesichts der schieren Größe der Datensammlung tut sich Ilija mit einem Kumpel in den USA namens Boris zusammen, der vor allem auf Wirtschaftsdelikte spezialisiert ist. Boris, Sproß einer jüdischen Auswandererfamilie aus der Sowjetunion, lebt im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Bei ihm quartiert sich Ilija ein. Die beiden Männer machen sich an die Auswertung. An dieser Stelle blüht der Roman so richtig auf. Trojanow tischt dem Leser eine fast endlose Liste russischer Mafiosi/Oligarchen auf, die seit Ende der achtziger Jahre durch ihre zum Teil extrem großzügigen Investitionen und Wohnungskäufe das wackelige Trump-Immobilienunternehmen am Leben erhalten.

Das Thema Geldwäsche - siehe Trumps einstige Kasinos in Atlantic City und seine Konten bei der Deutschen Bank - wird ausführlich behandelt. Die Leserschaft erfährt viele atemberaubende Details der "Großen Vaterländischen Ausplünderung" (S. 68) der Sowjetunion ab 1989. Zu loben ist auch, daß Trojanows Analyse des historischen Geschehens viel nüchterner und bei weitem nicht so hysterisch wie die der Reporter der New York Times und der MSBNC-Nachrichtenmoderatorin Rachel Maddow ausfällt, die während der vierjährigen Präsidentschaft Trumps dem eigenen liberalen Publikum in den USA haarsträubende Russiagate-Verschwörungstheorien erfolgreich eingebleut haben.

Die Dialoge und multikulturellen Sprachwitze, mit denen Ilija und Boris der Monotonie ihrer Aufgabe begegnen, stellen eine besondere Stärke des Romans dar. Wie sie versuchen, sich gegenseitig in Sachen linguistischen Einfallsreichtums wie auch Zynismus ob der finsteren Geschichten, mit denen sie konfrontiert werden, zu überbieten, läßt die beiden Charaktere konturiert in Erscheinung treten. Dagegen bleibt die dritte Figur im Bunde, die Dokumentarfilmemacherin Emi, angelehnt an Trojanows gleichnamige Ehefrau, eher blaß, und die kleine Romanze, die zwischen ihr und Ilija aufflammt, wenig mitreißend.


Luftaufnahme des Kremls samt roter Mauer und goldenen Zwiebeltürmen - Foto: A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace), CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons

Der Kreml, das Markenzeichen Moskaus schlechthin
Foto: A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace), CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0), via Wikimedia Commons

Durch Interviews mit den Opfern arbeitet Emi die unglaubliche Geschichte eines mehrfachen Sexualstraftäters namens Wasserstein - gemeint ist Jeffrey Epstein - heraus, der Mädchen, auch minderjährige, für die Reichen und Mächtigen der oberen Zehntausend beiderseits des Atlantiks beschafft und sie bei ihren Eskapaden auf seinen Anwesen in New York sowie in der Karibik heimlich filmt, um die prominenten Beteiligten erpressen zu können. In Beschreibung der unsäglichen Umtriebe Wassersteins und seiner Männerfreundschaft mit dem "Schiefen Turm" kommt der Name Trump, ob mit oder ohne Donald, niemals im Buch vor; dasselbe gilt für Wladimir Putin, Jared Kushner, Ivanka Trump und Ghislaine Maxwell, die ebenfalls eingehend behandelt werden. Nur fragt man sich beim Lesen irgendwann, was Epstein überhaupt mit dem sinistren Nexus Kreml-Trump Tower zu tun hat. Die Frage bleibt unbeantwortet.

Die Mammutrecherche von Ilija und Boris fördert keine weltbewegenden Erkenntnisse zutage. Übrig bleibt lediglich der Eindruck, daß die Oligarchen in Ost und West ihr Ding machen, während die einfachen Leute zu Zuschauern und Opfern eines undurchsichtigen Dauerkampfs um Macht und Geld degradiert werden. Gegen Ende treten die beiden Hauptinitiatoren der außergewöhnlichen Auftragsarbeit hervor als ein "progressiver" amerikanischer Milliardär, der soviel wie möglich vom bestehenden demokratischen System in den USA vor Trump und seinen MAGA-Anhängern retten will, und sein russisches Pendant, das den Kreml von der putinschen Linie einer Annäherung Rußlands an die Volksrepublik China abbringen will, damit Russen und Amerikaner quasi zum Wohle der weißen Rasse die nicht zu unterschätzende Herausforderung eines wiedererstarkten Reichs der Mitte gemeinsam meistern können.

Während Emi einen Oscar für ihren Film über das Sex- und Spionageimperium Wassersteins gewinnt, muß sich Ilija nach der Veröffentlichung seines eigenen Werks über die Trump-Putin-Connection in einem Dorf im tropischen Urwald verstecken. Von dort aus verfolgt er per Fernsehen wie seine Enthüllungen weltweite Proteste auslösen und womöglich den Weg für einen gesellschaftlichen Neubeginn ebnen. Ein solcher Ausgang kommt mehr als überzeichnet daher. Der arabische Frühling 2011, zum Teil entfacht durch die Veröffentlichungen von Wikileaks, hat trotz aller Umbrüche in Nordafrika und im Nahen Osten zu keiner wirklichen Verbesserung der Lage des Gros der dort lebenden Menschen geführt. Die Enthüllung des NSA-Panoptikums im weltweiten Internet durch Edward Snowden 2013 hat lediglich eine neue Datenrichtlinie der EU hervorgebracht. Das war es aber auch schon. So lobenswert das Vorhaben Trojanows gewesen sein mag, mit literarischen Mitteln die großen Gefahren der modernen Plutokratie für das gesellschaftliche Zusammenleben in Westeuropa und Nordamerika aufzuzeigen, hat er sich doch mit dem Agententhriller "Doppelte Spur" rein vom Stoff her einfach zuviel zugemutet.

1. Juni 2021


Prachtboulevard Pennsylvania Avenue mit dem imposanten US-Kongreßgebäude in der Ferne - Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Herzen des Imperiums - Washington D. C.
Foto: © 2019 by Schattenblick


Ilija Trojanow
Doppelte Spur
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 2020
239 Seiten
ISBN: 978-3-10-390005-7


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