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BUCHBESPRECHUNG/074: Carlos Castaneda - Das Wirken der Unendlichkeit (SB)


Carlos Castaneda


Das Wirken der Unendlichkeit



Wie wünscht man doch dem Autor nach dem Lesen dieses Buches, er habe es gar nicht selbst geschrieben, sondern der brüchigen Feder eines halbherzigen Apologeten überlassen. Käme solche anrüchige Praxis ans Licht, könnte sich die Anhängerschaft des zum Kultschriftsteller avancierten Carlos Castaneda wohl empören, doch bliebe das Image des selbsternannten "Krieger-Wanderers" halbwegs unbeschadet. Andererseits darf man wohl nicht außer Acht lassen, daß das größte Talent des peruanisch-mexikanisch- amerikanischen Pfadfinders durch die Welt der Zauberei wohl darin besteht, sein fortlaufendes Werk dem jeweils aktuellen Zeitgeist so elegant anzupassen, daß er sich selbst den Schein der Originalität verleiht und als Trendsetter eine definierte esoterische Kategorie in den Regalen der Buchhändler beansprucht. So steht wohl zu befürchten, daß die Leserschaft auch an diesem Band nichts weiter zu bemängeln hat und wohlgefällig konsumiert, was ihr an schwer Verdaulichem vorgesetzt wird.

Natürlich hält man dem Autor allerhand zugute, wenn man der Nachvollziehbarkeit der Einwände geschuldet so etwas wie einen Bruch in seinem dichterischen Lebenswerk konstatiert. Tatsächlich steuerten die vorangegangenen neun Bände durchaus auf dieses Dilemma zu, den Rückgriff auf das immer gleiche Szenario mit wechselnden Interpretationen schließlich soweit abzuwirtschaften, daß sich beim interessierten Studium des Buches die höchst befremdliche Irritation einstellt, nun sei Castaneda endgültig der Stoff ausgegangen.

Anfangs hatte sich der Kunstgriff, die ursprünglich durchlebten Abenteuer als gewissermaßen vertrautes Ambiente nach dem Verschwinden seines Lehrers Don Juan Matus in der Rückschau fortlaufend zu ergänzen und mit einem modifizierten Instrumentarium an Begriffen auszustatten, als packender Lesespaß erwiesen, dem man durchaus die prickelnde Gefühlslage abgewinnen konnte, selbst in eine geheimnisvoll andere Welt einzutauchen. Zumindest fand sich hier reichlich Munition, die sich im Konkurrenzkampf zahlloser esoterischer Schulen und Anhängerschaften vortrefflich abschießen ließ, um die Ignoranten verbal zur Strecke zu bringen.

Mit jedem weiteren Band kehrte man einerseits in die schier haarsträubende Erlebnisreise durch zauberische Schlachten und schicksalhafte Bestimmungen heim, die dem tristen Alltagstrott mit einem Feuerwerk aufrüttelnder Botschaften spottete, und schien doch andererseits nie ans Ende zu gelangen, da der Autor unter dem Vorwand, er könne sich jetzt erst an Details erinnern, die ihm zuvor unzugänglich gewesen seien, dem nicht minder vergeßlichen Leser neues Futter bot.

Wer sich entschlossen mit der Frage beschäftigt, was Castaneda, der sie schließlich vor vielen Jahren und Bänden selbst aufgeworfen hat, denn zum Thema Zauberei beizutragen habe, wird schon in den frühen Abhandlungen ins Stolpern kommen. Dennoch kann man dem Autor die anfangs geschickte Hand nicht absprechen, die fruchtbare Ungewißheit zu steigern, ohne sogleich mit paßförmigen Antworten aufzuwarten, welche die einen Spalt breit geöffnete Tür augenblicklich wieder zuschlagen. Wie es die offenbar unbezwingbare Neigung von Schreiber und Leser nahelegte, nahmen mit dem weiteren Fortgang des Erfolgsprodukts jedoch die Ausdeutungen überhand, was dem Konsumenten nur noch abverlangte, sich auf den jeweils gültigen Stand der Erklärungsmuster zu bringen. Daß dies, von allen lebenspraktischen Konsequenzen ganz abgesehen, auch den bloßen Lesegenuß schmälerte, liegt auf der Hand.

So drängt sich denn beim Durchstreifen dieses zehnten Buches einer längst etablierten Reihe die nach dem bislang Gesagten nur noch rhetorische Frage auf, wer das wohl zusammengeschrieben haben mag. Allein gemessen an sprachlicher Dichte, Wortgewandtheit und Spannungsbogen wirkt der "späte Castaneda" wie ein nachgeschobenes Abfallprodukt, als wolle man den einmal erschlossenen Markt hemmungslos abschöpfen, ohne sich noch um jene Qualität zu bemühen, mit der man einst eine sprunghaft wachsende Fangemeinde faszinierte.

Was ist nur aus Don Juan geworden, der mit einer beinahe flapsigen Umgangssprache daherkommt, sattsam bekannte Lebensweisheiten von sich gibt und nur noch als Spender abrufbarer Antworten fungiert? Die Demontage des vormals mächtigen Zauberlehrers zugunsten seines von höheren Mächten auserwählten Meisterschülers im vorangegangenen Band ist dem Fortgang der Geschichte überhaupt nicht bekommen, schwadroniert doch der Nachfolger von eigenen Gnaden mehr denn je in den Niederungen seiner irgendwie mißlungenen Vergangenheit.

Vergangenheit ist denn auch das zentrale Thema dieses zehnten Bandes, wobei eine bereits mehrfach vorgestellte Ausbildungsmethode neu, und wie man mit wachsendem Mißfallen feststellen muß, dilettantischer als zuvor dargeboten wird, als sei damit der gänzlich fehlende rote Faden geliefert. Man kennt die Hoffnung, aus Rückschau und Verarbeitung der persönlichen Lebensgeschichte Handhabe für ein gelungeneres künftiges Wirken zu gewinnen, aus zahlreichen literarischen, therapeutischen oder einfach lebenspraktischen Bewältigungsversuchen. Weit weniger begründet, ausgefeilt und vermittelt konfrontiert uns Castaneda hier mit einer schwächlichen Version der Rekapitulation, die er selbst in früheren Bänden schon bemühter und plausibler vorgestellt hatte.

Wenn er Don Juan erklären läßt, ein Album sorgsam ausgewählter Begebenheiten aus der eigenen Vergangenheit sei ein essentielles Hilfsmittel der Zauberlehre, so bleibt doch gänzlich offen, worin der Nutzen denn bestehen soll. Der von Selbstmitleid und wachsender Verzweiflung angesichts der neuerlichen Konfrontation mit vergessen geglaubten Niederlagen und Lebenslügen heimgesuchte Lehrling legt an Episoden vor, was immer ihm bedeutsam erscheint. Don Juan verwirft diese als nutzlos und preist jene als unschätzbare Lektion, wobei er dem kleinen, störrischen Carlos erst einmal erläutern muß, worin dieser Fingerzeig für sein weiteres Leben denn eigentlich bestanden habe. Da es sich dabei um den Wink höherer Mächte handelt, scheint sich nach Ansicht des Autors wohl zu erübrigen, die Bedeutung dieser Eingriffs wirklich plausibel zu machen.

Die mit immer neuen Namen belegte allgegenwärtige und alles bestimmende Macht wird im vorliegenden Band vollends ihres feindlichen Charakters entkleidet und zum höchsten Ziel der Anpassung umdefiniert. Galt es früher, am alles verschlingenden Schnabel des großen Tyrannen in Gestalt des Adlers vorbeizukommen, so wird nun nicht einmal mehr ein solches Fluchtkonzept favorisiert. Das Wollen der kosmischen Macht zu erkennen und sich ihm widerspruchslos zu fügen, wie es jetzt propagiert wird, hat den Boden aller Unbescheidenheit und Ablehnung feindlichen Wirkens, wie es einst Ausgangspunkt der Zauberlehre gewesen sein mag, endgültig verlassen.

Jetzt wird auch deutlich, daß der Titel "Das Wirken der Unendlichkeit" geradezu programmatischen Charakter besitzt. Ist nicht Unendlichkeit ein Inbegriff von Ferne, Trennung und Zugriffslosigkeit, kurz die Klammer all dessen, was uns an Fremdem oder Feindlichem bedroht und beherrscht? Sich diesem Wirken zu fügen, ja die Perfektionierung dieser Unterwerfung anzustreben, ist das klägliche Motto dieses Buches.

Von dieser unvermeidlichen Botschaft an den erwartungsvollen Leser einmal abgesehen, kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, die neuerliche Präsentation der lebensgeschichtlichen Rückschau sei nichts weiter als ein an den Haaren herbeigezogener Vorwand, den Band mit Anekdoten aus der Vergangenheit zu füllen. Wer eine Vorliebe für skurrile Kurzgeschichten ohne jeden inhaltlichen Zusammenhang hat, mag sich dies angeregt zu Gemüte führen, doch alle Leser mit gewissen Erwartungen an den vom Autor in die Welt gesetzten Anspruch müssen sich doch fragen, was tragische Aspekte aus Kindheit oder Liebesleben des Autors wie auch überspitzt gezeichnete Existenzen seines Umfelds an der Universität in Los Angeles mit der Zauberlehre zu tun haben.

Da helfen auch neuerliche Versionen der ersten Begegnung mit Don Juan oder des traurigen Abschieds auf dem Tafelberg nicht weiter, die erstens nicht zum tieferen Verständnis beitragen können und zweitens einfach schlechter geschrieben sind, als die in früheren Bänden bereits mehrfach dargestellten Episoden. Wie unter solchen Umständen zu befürchten war, schreckt Castanada selbst vor der Beantwortung der ultimativen Frage nicht zurück, wo er nach dem legendären Sprung in den Abgrund gelandet sei. Mehr sei an dieser Stelle aber nicht verraten, denn womöglich hat der eine oder andere ja "Das Wirken der Unendlichkeit" tatsächlich noch nicht gelesen und fühlt sich selbst durch diese Buchbesprechung nicht abgeschreckt genug, es zu riskieren.


Carlos Castaneda
Das Wirken der Unendlichkeit
S. Fischer Verlag 1998