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BUCHBESPRECHUNG/119: Der Brockhaus in sechs Bänden (SB)


Der Brockhaus in sechs Bänden


Ein "wuchtiger" Beitrag zur Allgemeinbildung



Die Diskussionen über Funktion und Qualität von Bildung haben im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren nicht mehr aufgehört. Es wird davor gewarnt, daß die inhaltliche Kompetenz durch einen sich selbst reproduzierenden Informationsaustausch ersetzt wird. Interpretation bzw. eine Meinung zu einem fertigen Werk zu haben, findet heute mehr Anerkennung, als etwas Eigenes bzw. "Eigenwilliges" zu produzieren. Neu Erarbeitetes und Gedachtes ist selten geworden und wird sofort aufgesaugt, angeglichen und durch vervielfältigen und interpretieren eher banalisiert oder entstellt.

Zur Bildung eines Menschen, die nach wie vor unverzichtbare Grundlage für seine kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung ist, gehört die Fähigkeit, selbständig zu arbeiten. Ihr Sinn besteht also nicht darin, Informationen zu sammeln oder zu konsumieren, sondern diese auszuwerten und damit eine schlüssige Argumentation und eine fundierte Stellungnahme zu entwickeln, die über eine bloße Anpassungsleistung hinausweisen. Zudem entsteht so erst die Sicherheit, sich spezialisieren zu können, womit quasi im nebenherein auch Berufskarrieren beginnen. Der Weg über eine solide Allgemeinbildung ist zwar unbequem, aber inzwischen wieder begehrt, denn es hat sich erwiesen, daß das "Bildungs- bzw. Orientierungswissen" dem "Funktionswissen" überlegen ist. Mit der Vermittlung eines breiteren Allgemeinwissens werden auch Kenntnisse über die menschliche Herkunft gewonnen, ohne die man die Gegenwart nicht verstehen, geschweige denn korrigieren kann. Der guten alten humanistischen Bildung wird nicht mehr nur mit einem weinenden Auge hinterhergeschaut, sondern sie erlebt zum Beispiel durch wachsende Schülerzahlen im Lateinunterricht ("Latein ist trendy", Deutschlandfunk, Studiozeit vom 04.09.2007 - "Zur Aktualität von Latein") eine Renaissance. Ein zuverlässiges Fundament von Basistechniken zum selbständigen Denken ist wieder gefragt.

Vor diesem Hintergrund neuester Entwicklungen auf dem Bildungssektor kommt der Brockhaus in sechs Bänden gerade zur rechten Zeit heraus. In Buchform ist er eine kleine Speerspitze gegen die digitale Verführung, eine meist unauswertbare Menge an Informationen zu sammeln.

"Der Brockhaus in sechs Bänden" setzt der unübersichtlichen Informationsflut im Internet strukturiertes, sorgfältig aufbereitetes und verlässliches Wissen entgegen. Ob Geschichte und Politik, Naturwissenschaft und Technik, Kunst und Kultur oder viele andere Gebiete, dieses Nachschlagewerk führt kompetent, präzise und auf der Höhe der Zeit durch das Wissen der Welt."
(Presse-Information)

Zudem bieten das aktive Vor- und Rückblättern im Nachschlagewerk (d.h. der Körpereinsatz und ein mögliches assoziatives Vorgehen), sein Umfang und der Vorteil, daß man es transportieren und ohne Kabel, Stromkreise und Vernetzung benutzen kann, einen Zugewinn an Beweglichkeit. Der bloße visuelle Vorgang am Bildschirm dagegen kann die Lernqualität einschränken.

Die übersichtliche Gestaltung des Lexikons ermöglicht einen schnellen und effizienten Zugriff auf das gesuchte Wort. Die scharfe Bildqualität der Abbildungen - 7.000 Fotos, 100 Bildkomplexe, 3.300 Grafiken, 500 Karten und 200 Tabellen - unterstützt die Übersichtlichkeit bei einer Recherche. Man merkt dem modernisierten Layout des Lexikons Absicht und Erfahrung an, so daß die Informationen für den Benutzer einprägsam sind, was wesentlich mehr wert ist als die sekundenschnelle Verfügbarkeit ungeheurer Datenmengen über eine Internetsuche, die unverknüpft bleiben.

"Alle Texte und Angaben sind von erfahrenen Brockhaus-Redakteuren zusammengetragen, geprüft und verständlich aufbereitet worden."
(Vorwort, Band 1)

Eine lexikalische Wissensübermittlung ist natürlich nicht wertneutral, sondern eben das Ergebnis unzähliger redaktioneller Entscheidungen über das, was in die Sammlung aufgenommen werden soll und was nicht. Im Sinne der Vermittlung von Allgemeinwissen wird hier keine Bildungselite mit der Präsentation von Spezialkenntnissen angesprochen, sondern der Nutzer kann sich, auch noch vertiefend über viele Querverweise, solide Grundlagen anlesen.

"Außerdem ergänzen Angaben zu Betonung, Aussprache und Herkunft die Stichwörter. Der Benutzer erhält somit zusätzlich einen kleinen Einblick in die Sprachgeschichte."
(Presse-Information)

Dies ist ein für ein Lexikon des Allgemeinwissens ungewöhnlicher und willkommener kleiner Zusatz. Die Redaktion arbeitet sehr sprachbewußt. Auch aus der Gestaltung der Stichworte kann man ihre Stellungnahme herauslesen, bei den vielen Anglizismen den deutschen Worten den Vorrang zu geben. So sucht man zum Beispiel vergeblich nach dem modernen Begriff der "Gender Studies", findet ihn aber unter "Geschlechterforschung" mit dem Hinweis "engl. Gender Studies" und bei "Genitalien" wird man ohne weitere Ausführungen auf "-> Geschlechtsorgane" verwiesen.

Bei der Auswahl der Stichwörter sind auch neue Wörter und moderne inhaltliche Strömungen mit aufgenommen worden, was allerdings nicht für alle Redaktionen gleich ausführlich stimmt (so findet man zum Beispiel keinen Hinweis auf das Stichwort "Poetry Slam", auch nicht unter "Lyrik", oder der moderne Begriff "Bioökonomie" bzw. "Biopolitik", ein zur Zeit umstrittenes Thema, fehlt).

Es wäre aber ein Verlust, auf den "wuchtigen" Beitrag der Brockhausredaktion zur Allgemeinbildung zu verzichten. Schon allein die Gestaltung ist einen Aufenthalt mit den Büchern wert - ein "ästhetischer Genuß", der zum Lernen verführt und auf eine ganz eigene Art der Herausbildung einer Bildungselite entgegenwirkt.

17. Oktober 2007


Der Brockhaus in sechs Bänden
1. Auflage
Pro Band ca. 1 000 Seiten
Gebunden, im Einzelbandschuber
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG
Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2007
299,- Euro
ISBN 978-3-7653-3230-2