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REZENSION/021: Meckelburg - Traumsprung (Spekulativ) (SB)


Ernst Meckelburg


TRAUMSPRUNG

Vorkommnisse aus der Überwelt



Eigentlich dürfte man ein solches Buch nicht rezensieren, da es furchtbar schlecht ist. Schon die bloße Erwähnung, daß es dieses Buch gibt, ist zuviel der Werbung. Nun sind Sie aber hiermit genügend vorgewarnt, so daß wir dennoch einige Anmerkungen treffen können. Was der Autor in seinem Vorwort großspurig als "im Reportagestil" abgefaßtes Buch bezeichnet, erweist sich in Wirklichkeit als einfallslose Aneinanderreihung vermeintlich unerklärlicher Phänomene. Menschen, die verschwunden sind, Poltergeister, die ihr Unwesen treiben, oder gar seltsame Naturschauspiele, die den Menschen ein Schnippchen schlagen, alles wird ohne die geringsten Ambitionen heruntergeleiert. Ernst Meckelburg bemüht sich nicht mal darum, den bloßen Anschein zu erwecken, er wolle irgendeinen Zusammenhang zwischen seinen öden und in der Literatur mittlerweile zigmal durchgekauten Anekdötchen herstellen. Dennoch behauptet der Autor unverfroren, ihm sei daran gelegen, "all die von ihm über Jahre zusammengetragenen, phantastisch anmutenden Geschichten einmal im Zusammenhang zu präsentieren ..." Diesen Anspruch wurde der Autor nicht gerecht, der Zusammenhang ergibt sich allein aus der Arbeit des Buchbinders, der die Seiten sorgsam miteinander verklebt hat. Mehr Zusammenhang gibt es nicht! Deshalb sollte eigentlich dieser und nicht der Autor die Tantiemen für das Werk einstreichen. Inhaltlich läßt Meckelburg jeden Zusammenhang missen.

Nehmen wir beispielsweise die Geschichten von spurlos verschwundenen Menschen, ein Thema, das sich ja in den letzten Jahren gerade durch die Aufbereitung im Fernsehen größerer Beliebtheit erfreut hat. Meckelburg ist sich nicht zu blöde, einen Entführungsfall aus dem Jahre 1809 als rätselhaft auszugeben, obschon die betreffende Person während der Napoleonischen Kriege als britischer Gesandter mit einer wichtigen Depesche im Feindgebiet unterwegs gewesen war. "Bathurst war mit einem Mal weg, so als habe ihn der Erdboden verschlungen", kommentierte Meckelburg das fast zwei Jahrhunderte zurückliegende Ereignis und ignoriert damit völlig das gefährliche Leben eines Spions hinter gegnerischen Linien. Selbstverständlich kann ein Mensch, der nur mal kurz hinter der Kutsche verschwindet, völlig lautlos und ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, ergriffen und entführt werden. Meckelburg hingegen zweifelt das an und hält den Fall deshalb für unerklärlich.

Überhaupt scheint der Autor gern aus dem Fundus der Spionageberichte zu schöpfen. So erklärt er in einer Bildunterschrift (Bild 1), daß zwei Engländer 1924 in einem Doppeldecker Aufklärungsflüge über dem Irak durchgeführt hätten. Das Flugzeug sei unversehrt aufgefunden worden, von den beiden Piloten habe jede Spur gefehlt. Abgesehen davon, daß der Fall mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt und nicht mehr recherchiert werden kann, ist es unsinnig, Spionageberichte als rätselhaft oder unerklärlich auszuweisen und darüber hinaus noch anzudeuten, daß die Piloten Opfer eines bislang unerkannten Phänomens geworden seien - Meckelburg kann es sich partout nicht verkneifen, die Ereignisse dementsprechend zu kommentieren. Dabei jongliert er oft innerhalb eines einzigen Halbsatzes mit mehreren physikalischen Theorien, ohne sie weiter zu hinterfragen; insbesondere die Axiome Raum und Zeit haben es ihm angetan. "'Niederschläge' aus anderen Zeiten", war beispielsweise sein lakonischer Kommentar zum Phänomen des Fisch-Regens.

Oder: "Hauchdünn muß sie sein, die 'Trennwand' zwischen unserer materiellen und der geistigen Welt - zeitlos in ihrer Beschaffenheit." Mit solch nichtssagenden Worten beschloß Meckelburg ein kurzes Kapitel zu Spukerscheinungen. Und zum Abgewöhnen noch eine weitere Geschmacksprobe aus dem Meckelburgischen Banalitätenkabinett. Sie betrifft die berühmten Botschaften aus dem Jenseits, die natürlich auch nicht fehlen durften:

Sie war Zeugin eines Vorfalls gewesen, der sich Tausende von Kilometern entfernt abgespielt hatte, in einem Land, über das sie so gut wie nichts wußte. Auf uns unerklärliche Weise muß sich das Bewußtsein des Verstorbenen ihrer bedient haben, um seinem Vater die traurige Botschaft zu übermitteln - eine Nachricht jenseits von Raum und Zeit, die davon zeugt, daß es ein Überleben gibt. (S. 271)

Wir möchten unsere Leser nicht mit weiteren Einzelheiten langweilen, das Buch ist voll von Behauptungen, wobei die jeweiligen Kurzkommentare des Autors untereinander austauschbar sind. Das Jenseits, andere Zeiten oder Welten, Dimensionen, Seins-Ebenen - Meckelburg wirft mit diesen Begriffen nur so um sich, ohne sich um irgendwelche Erläuterungen zu bemühen.

Wer Augen hat, der lese, müßte man sagen, denn er macht ja eigentlich keinen Hehl daraus, daß er "zusammengetragen" hat. Ein erfahrener Leser könnte an dieser Stelle schon aufmerken. Man kennt das ja, was einem im Laufe der Jahre unter die Finger gekommen ist und man immer in eine unaufgeräumte Schublade gesteckt hat. Nichts als unsortierte Zeitungsausschnitte und dann den "einmaligen" Einfall, daraus ein Buch zu machen. Erstaunlich, daß er dafür einen Verleger gefunden hat. Denn selbst in der bloßen Sammlung ist Meckelburg noch, gemessen an anderen Autoren, die über ähnliche Ambitionen verfügen, miserabel. Nehmen wir beispielsweise das Buch "Unheimliche Phänomene" von Janet und Colin Bord (Hestia, Rastatt, 1990). Auch hierbei handelt es sich um eine reine Sammlung von Fallgeschichten, aber das Autorengespann nutzt diesen Umstand wenigstens und macht ein umfangreiches Lexikon daraus, in dem der Leser bei Bedarf nachschlagen kann. Wer sich für rätselhafte Fallgeschichten und Legenden interessiert, der hätte damit einen besseren Griff getan.

Für Meckelburg war es anscheinend schon zu mühsam, überhaupt ein Register anzulegen, denn auch wenn das Buch gerade mal 284 Seiten umfaßt, so findet sich doch auf manchen Seiten mehr als eine Geschichte. Können Sie sich vorstellen, welche Spannung aufkommt, wenn Sie kaum eine halbe Seite gelesen haben und schon zum nächsten "rätselhaften" Fall übergegangen wird? Spätestens nach fünf Seiten ödet einen das Buch dermaßen an, daß man es zur Seite legt oder eher noch gleich in die hinterste Ecke des Regals schiebt.

Teilweise muß man sogar davon ausgehen, daß der Autor seine Leser für dumm verkaufen will. Unter der Überschrift "Fallout aus anderen Dimensionen?" beschreibt er wie jemand 1972 einen Dorsch an Land gezogen hat, in dessen Magen man eine alte Bronzemünze fand. Nun rätselt unsere Autor, wie das Ding wohl in den Magen gekommen ist. Nachdem er alle plausiblen Möglichkeiten ausgeschlossen hat, kommt er zu dem aus seiner Sicht unweigerlichen Schluß (den er als Frage formuliert), "daß die Münze während der Zeit des römischen Imperiums einem feilschenden Händler 'zufällig' aus der Hand glitt, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes 'ins Bodenlose', in ein 'Nichts' fiel ... in eine Welt jenseits der unsrigen, um dann 1600 Jahre später wieder in unsere Raumzeit-Realität zurückgeschleudert zu werden, um sich letztendlich im 20. Jahrhundert im Magen eines Dorsches zu materialisieren?" (S. 56)

Darüber hinaus will Meckelburg seiner Leserschaft Bühnenzauberei als echt verkaufen, obschon es eigentlich bekannt ist, zu welch verblüffenden Tricks professionelle Illusionisten in der Lage sind. So führte im Jahre 1919 Captain Carstairs einen Bühnenzauber durch, bei dem er per "Gedankenkraft" verschiedene Gegenstände von einer Seite der Bühne auf die andere teleportieren wollte. Er hat zwar die Gegenstände abtasten lassen, was ja üblich bei Bühnenzauberern ist, doch ist es nicht seltsam, daß er den Raum dazu abdunkeln mußte und ein schwarzes Tischtuch gewählt hat?

Daß Meckelburg "die Wirklichkeit transzendieren" läßt, wie der Verlag sich nicht scheute, auf den Einband zu schreiben, davon kann hier nicht die Rede sein. Oder doch? Wenn man den seligen Schlummer, der sich unweigerlich nach kurzer Lektüre einstellt, als Transzendenz bezeichnen möchte, ja gewiß, dann läßt Meckelburg die Wirklichkeit transzendieren. Der Leser fällt in einen baldigen Traum, er macht sozusagen einen "Traumsprung" durch. Wer nach einem Schlafmittel sucht, wird mit Meckelburg einen guten Griff tun, wer etwas anderes erwartet, wird eines Besseren belehrt. Aber mehr zu diesem Buch zu schreiben wäre wirklich des Guten zu viel.

TRAUMSPRUNG
Vorkommnisse aus der Überwelt
Ernst Meckelburg
Langen Müller, München, 1993
ISBN 3-7844-2441-4