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REZENSION/027: Brendan Lehan - Zauberer und Hexen (Magie) (SB)


Brendan Lehane


Zauberer und Hexen

Aus der Reihe: Verzauberte Welten



Nach der Aufmachung zu urteilen, richtet sich der Autor mit seinem Buch an ein Publikum, das Wert auf dekorative, künstlerische Vielfalt legt. Die Zusammenarbeit mit der Time-Life- Redaktion, die für ihre in der Hauptsache optisch ausgerichteten Bücherreihen bekannt ist, lieferte auch diesmal einen bunten Bildband, der die unterschiedlichsten Kunstliebhaber zu befriedigen sucht. Auf diese Weise kamen wohl auch die verschiedenen Qualitäten der zusammengetragenen und selbstgestalteten Abbildungen zustande.

Der Autor recherchierte zusammen mit einem Berater, Prof. Tristram Potter Coffin, der als eine Kapazität auf dem Gebiet der Volkssagen und Volkskunde gilt, und stellte sich der nicht ganz einfachen Aufgabe, aus dem reichhaltigen Schatz an mythischen und mystischen Geschichten, Lieder und Gedichte der Kelten, Iren, Engländern, Lappen, Finnen, Russen und Deutschen diejenigen auszuwählen, die ein deutliches Bild von Zauberern und Hexen abgeben sollten.

Man muß annehmen, daß als Zielgruppe dieses Bandes eine jüngere Generation angesprochen werden sollte - eine Leserschaft, die sich deshalb nicht an dem weithin Bekannten stört, weil sie zum ersten Mal in Kontakt mit der Materie tritt. Wie ein Märchenonkel erzählt der Autor aus der Welt der Zauberer und Hexen und seine Kommentare schließen übergangslos an die Geschichten an. Sie vermitteln, erklären und ordnen die Welt.

Betrachtet man das Buch unter dieser Voraussetzung, verzeiht man das Niveau sogleich. Und sollten ernsthaft Interessierte durch die mitunter recht naive Darstellung sowohl in Text als auch in Bild abgeschreckt sein, sei ihnen dennoch geraten, ihren Blick auf den Anfang des Buches zu richten, da sich dort etwas finden läßt, wofür es sich lohnt.

Das erste Kapitel "Sänger am Beginn der Welt" beschreibt unter anderem einen finnischen Zauberer, der von einem weniger mächtigerem Zauberer zum Kampf herausgefordert wird. Aber nicht der Kampf ist das Bemerkenswerte, sondern die Mittel, die die Zauberer einsetzen.

Der Herausforderer Joukahainen aus Lappland will den alten weisen Zauberer Väinämöinen "in Grund und Boden singen". Doch das Lied, das er singt, handelt nur von oberflächlichen Dingen wie "Rauch sammelt sich im Dachgebälk" und Ähnliches ohne Belang. Nichts davon berührt Väinämöinen. Daraufhin singt Joukahainen von der Entstehung des Universums und vom Himmelsgewölbe, doch auch dieses Lied verklingt ohne Spuren. Da fordert Joukahainen zum Schwertkampf auf. Nun doch wütend, hebt Väinämöinen an, und als sein Lied ertönt, ziehen Nebelschwaden auf, die Landschaft verändert sich, aus den abgeschlagenen Holz wächst neues Grün, das Pferd wird zu Stein und Joukahainen versinkt langsam im Morast.

Als Joukahainen bereits bis zu den Schultern versunken ist, besinnt er sich und bietet Väinämöinen all seine Schätzen an, doch dieser lehnt ab. Erst als Joukahainen seine Schwester anbietet, singt Väinämöinen ein Lied, das den alten Zustand der Umgebung wiederherstellt.

Diese schöne Geschichte wird zwar in der Deutung des Autors in eine Schublade gesteckt ("... - zur praktischen Ausübung der Künste der Zauberer gehörte auch immer ein eintöniger Singsang."), aber dennoch steigt mit dieser Geschichte eine leise Ahnung auf, die das Lied als ein für jeden verstehbares Werkzeug in die Aura einer legendären Macht rückt. Ein Lied, das zuvor noch nie gesungen wurde und das auch nachher in jener Form nie mehr erschaffen werden wird.

Bei diesem machtvollen Lied konnte es sich nicht um ein Werk handeln, das bereits existierte. Wie die Erzählung von dem Kampf der beiden Zauberer zeigt, eignet sich Wiederholung nicht als ein "zauberisches" Zugriffsmittel, ebensowenig wie Ordnung. Die Geschichte weist mit leisen Tönen darauf hin. Joukahainen sang von Dingen, die lange bekannt waren, von einer festgefügten Weltordnung, die er darstellte und der er folgte. Er wendete kein Wissen an, das gesungen gestaltverändernd wirkt. Daher wollte er zum Schwert greifen - die einzige Art, mit der er die Welt hätte verändern können.

Das Bedauern darüber, daß die magische Welt langsam verschwand, bringt der Autor folgendermaßen zum Ausdruck:

Aber das geistige Klima hatte sich gewandelt, es strebte fort von der Magie. Wer es wagte, sich mit unfaßbaren Kräften zu beschäftigen, endete unweigerlich damit, trocken zu klassifizieren und zu ordnen, was an Übernatürlichem greifbar war. Und Gesetzbücher und Register sind stets die Feinde intuitiven Wissens.

Leider ergeht es dem Autor nicht anders als den mit Zauberkraft begabten Helden, die er in seinen gesammelten Geschichten beschreibt. Er befaßt sich anfänglich in Zuneigung mit den Zauberern und Hexen, aber je weiter er sein Buch aufbaut, desto schärfer ordnet und klassifiziert er, bis er an jenen Punkt gelangt, an dem er selbst die "Welt, die gealtert war und ihre Unschuld verloren hatte" für eine "natürliche Ordnung" hält. Und die Hexen werden von ihm dann schließlich dafür verantwortlich gemacht, Unordnung über die Welt gebracht zu haben.

So setzt sich die Absicht des Autors fort, die Welt zu ordnen, und er versucht, eine Geschichtsschreibung für Zauberei zu entwerfen. Was der Autor abbildet, sind jedoch bestenfalls die Kopien der Erzählungen, deren überlieferte Formen durch die Jahrhunderte ständig neu interpretiert wurden und die mit Zauberei sicherlich nur noch das Geringfügigste zu tun haben.

Grob eingeteilt werden die Menschen, denen der Ruf des Zauberns nacheilt, in die Kapitel: "Sänger am Beginn der Welt", "Meister der verbotenen Künste" und "Die geheime Schwesternschaft".

Der Verfasser strukturiert hierarchisch, es gibt für ihn die "echten" Zauberer, wie den finnischen Väinämöinen, den russischen Wolga Wseslawitsch und natürlich Merlin, Math und Gwynedd. Dann folgen die Gelehrten, von denen Roger Bacon am lobenswertesten dargestellt wird, da er Wesen der Hölle nie für eigene, selbstsüchtige Zwecke benutzt haben soll. Fast allen anderen Zaubermeistern wird unterstellt, daß sie sich Satan verschrieben und dämonische Diener zur Verfügung gehabt hätten.

In dieser Reihe fehlt die weltbekannte Geschichte um Doktor Faustus selbstverständlich nicht.

Weniger Erfahrene wurden als Hexenmeister oder Magier bezeichnet. Sie betätigten sich als Sterndeuter oder "bedienten sich bei ihrer Beschäftigung mit Hoffnungen, Ängsten und Träumen bestimmter, überaus vieldeutiger Spielkarten: der Tarotkarten."

Als letztes Glied in der Rangfolge werden die Hexen vorgestellt. Über sie wird fast ausschließlich Schlechtes berichtet. Eingeteilt in weiße und schwarze Hexen, wobei die weißen als Kräuterweiblein, denen nicht mehr zu eigen war als angeborene Heilkräfte, "ein gutes Gedächtnis, ein fester Glaube und ein starker Charakter", als Analphabetinnen oder als einfache Bäuerinnen bezeichnet, und "nur die Besten unter ihnen waren wirklich mutig und entschlossen, Krankheiten, Unheil und die Geister der Nacht zu besiegen.".

Nichts gegen Bäuerinnen, aber in diesem Gegensatz gespiegelt, klingt die Beschreibung stark herabwürdigend.

Die schwarzen Hexen werden als bösartige Menschen geschildert, die ihren Mitmenschen die Milch stahlen und nichts als Feindseligkeiten im Sinn hatten. Zudem ließen sie sich - genau wie die geringeren Zaubermeister - auf einen Pakt mit dem Satan ein.

Der Verfasser dieses Buches reproduziert die gängigen Ansichten von Hexen und spiegelt zudem noch die Meinung wider, daß Hexen entweder dem Satan untertan oder bösartig sind, weil sie sich gegen die Ordnung der Natur auflehnen.

Hätte der Verfasser diese Ansichten als Klischees hervorgehoben, gäbe es für den Leser die Möglichkeit, einen Standpunkt zu entwickeln, der sich nicht in Gut und Böse erschöpfte, sondern durch den er sich grundsätzlicheren Fragen hätte zuwenden können.

Trotz der Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen Berater ist die Übermittlung von Wissen mit Sicherheit nicht das Hauptanliegen des Autors gewesen. Das Produkt sollte optisch ansprechend wirken und zu einer chronologischen Darstellung anwachsen.

Leider ist es dem Autor nicht gelungen, genau das aus der Bearbeitung des Stoffes herauszuhalten, das er selbst für das Absterben jener Welt verantwortlich machte. Er ordnete und klassifizierte die zurückgebliebenen Staubkörner eines Weges, der nie als Weg existierte.


Brendan Lehane und die Redaktion der Time-Life Bücher
Zauberer und Hexen
aus der Reihe "Verzauberte Welten"
Time-Life Books Inc., Amsterdam 1984
ISBN 9-06-182-851-1