Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/058: Peter Maas - Die Sache mit dem Kriege (Politik) (SB)


Peter Maas


Die Sache mit dem Kriege



Das Titelbild der deutschen Ausgabe könnte kaum irreführender sein: Ein Bauernjunge läßt eine Taube auffliegen und bietet damit das klassische Bild der Hoffnung auf bessere Zeiten. Ließe sich das Buch des amerikanischen Journalisten Peter Maas über den Krieg in Bosnien tatsächlich auf einen so klischeehaften Nenner bringen, dann lohnte es wohl kaum die Lektüre angesichts der vielen Fragen, die mit einer solch optimistischen Allerweltsvision leichtfertig unter den Tisch gekehrt werden. "Die Sache mit dem Krieg" läßt sich eben nicht mit gefälligen Bildern abhandeln, und das war sicherlich auch nicht die Absicht des Verfassers, der sein Werk im Original zwischen zynischem Abgesang und moralischem Appell "Love thy Neighbour - A Story of War" betitelt hat.

Jochen Maas hat den Krieg in Bosnien vom Jahre 1992 bis zum Daytoner Abkommen als Berichterstatter für die "Washington Post" miterlebt und seine Erfahrungen in einem sehr persönlichen gehaltenen Bericht wiedergeben. Der schlaglichtartige Charakter, mit dem er allseits bekannte Schauplätze wie das berüchtigte serbische Lager Omarska, die sogenannte UN-Schutzzone Srebrenica und vor allem die bosnische Hauptstadt Sarajewo in den Blickpunkt rückt, zeigt das Werk zwar als eine Sammlung von Reportagen, es soll seiner grundlegenden Intention nach jedoch als prinzipielle Auseinandersetzung mit dem Kriege darüber hinausgehen. Als Abkömmling der deutsch-jüdischen Bankiersfamilie Warburg will Maas am Beispiel Bosniens "die dünne Linie zwischen Zivilisation und Chaos überall auf der Welt aufzeigen", so der Klappentext unter Verweis auf die "anthropologische" Ausrichtung des Werks.

Mit seinen dramatischen Berichten über Besuche in serbischen Gefangenenlagern, die sogenannten ethnischen Säuberungen und die politischen Machenschaften, die aus einem potentiell kurzen und schnellen Konflikt ein jahrelanges Leiden gemacht haben, versteht er den Leser durchaus zu erreichen. Das Buch ist engagiert und ergreifend geschrieben, und Peter Maas läßt es nicht an expliziter Kritik gegenüber dem amerikanischen Präsidenten, seiner außenpolitischen Mannschaft, den UN-Administratoren und internationalen Vermittlern mangeln. Die politischen Hintergründe, die der Autor aufzeigt, lassen keinen Zweifel an der nicht zu brückenden Diskrepanz zwischen offiziellen Verlautbarungen und konkreter Betroffenheit - die leidtragende Bevölkerung wurde nicht nur zum Instrument machtpolitischer Interessen nationaler Führer, sondern auch zum Opfer internationaler Politik, wobei die Vereinten Nationen kaum besser als die taktierenden europäischen Nationen davonkommen.

Mit seiner Stellungnahme für die Seite der sogenannten Muslime, deren religiöse Zuordnung Peter Maas als politische Diffamierung herausstellt, entspricht er jedoch durchaus der vorherrschenden antiserbischen Doktrin, die kaum der grundlegenden Konfliktlage im ehemaligen Jugoslawien gerecht wird. Er verweist zwar häufig auf die historischen Hintergründe der Völkerfeindschaften, erklärt sie aber gleichzeitig zu wesentlichen Instrumenten der Aufhetzung und geht damit über Ressentiments hinweg, deren Bedeutung für den Bosnienkrieg kaum ausgelotet sein dürften. In seinen geschichtlichen Exkursen erwähnt er auch, daß die muslimische Bevölkerung in Bosnien aufgrund der fünfhundertjährigen osmanischen Herrschaft die Elite der Gesellschaft gebildet hat, läßt daraus entstandene Widersprüche jedoch nicht als Ursache für das haßerfüllte Aufeinanderprallen der ethnisch definierten Seiten gelten.

Auch wenn seine Darstellung der wesentlichen Drahtzieher plausibel erscheint, tun sich bei der Ursachenforschung, die mit der Aktivierung nationaler Emotionen beginnt und mit der Abschlachtung des eigenen Nachbarn endet, Lücken auf, die der Autor nicht zu füllen vermag. Diese kompensiert er mit Allgemeinplätzen, die in düsteren Vermutungen über die "Wahrheit der menschlichen Natur", die "dunkel und schrecklich" sei, resultieren, oder eben die besagte "dünne Linie zwischen Zivilisation und Chaos" ausschlachten. Trotz der Fülle an Informationen über Land und Leute, über Geschichte und Politik vermag er die zentrale Frage, was Menschen zu einer Gewalt befähigt, deren Ausbruch in einem mitteleuropäischen Land wie Bosnien zur heutigen Zeit kaum jemand für möglich gehalten hätte, eben nur auf "anthropologische", das hei8t metaphysische Weise zu beantworten.

Peter Maas bietet jedoch eine Fülle von Material, das die Auseinandersetzung mit dieser Frage ermöglicht und vor allem auch die Rolle der professionellen Betrachter des Geschehens, der internationalen Journalisten, kritisch einbezieht. Der "Kriegsporno", so der Autor über den Charakter der allabendlich über die Bildschirme flackernden Horrorszenarien, ist eine Ware, die ihre Vermarkter nicht unbeschadet läßt, sondern zu zynischen Höhenflügen und selbstdestruktiven Wagnissen anspornt. Die Wirkung einer unbeschränkten Jagd nach sensationellen Bildern und Interviews wie etwa in einem serbischen Gefangenenlager, deren Häftlinge durch die Fragen der Journalisten möglicherweise sogar zu Tode kommen, weil man sich anschließend an ihrer Auskunftsbereitschaft rächt, stellt die vermeintlich neutrale Position des professionellen Beobachters als Teilhaberschaft am Geschäft der Gewalt heraus, und der besondere Schutz, den die Journalisten in den Kampfgebieten im Unterschied zur Bevölkerung genießen, läßt Peter Maas zumindest nach der Moral seiner Zunft fragen.

Die schonungslos wirkende Ehrlichkeit des Autors, der auch die eigene Weigerung, für einen in einer belagerten Stadt eingeschlossenen Bosnier wichtige Papiere durch die serbischen Wegsperren zu transportieren, nicht ausläßt, unterstreicht den persönlichen Charakter des Buches und erhöht die Glaubwürdigkeit des Gesagten ungemein. Peter Maas wirkt auch gerade angesichts der Kritik an der Politik des eigenen Landes als unerschrockener Journalist, der die besten Qualitäten seines Berufes auf sich vereint. Und doch handelt es sich als Produkt einer Metabetrachtung um ein Stück gekonnt inszenierter Reflektion, mit der es der Autor geschafft hat, die ansonsten im Off aufkommenden Fragen an die Lauterkeit des Journalisten in die Handlung zu integrieren und zu einem zusätzlichen dramaturgischen Moment zu verdichten.

Die Option eines schnelleren Eingreifens ausländischer Truppen, als Handlungsalternative ständig im Hintergrund der Kritik, läßt unberücksichtigt, daß es sich bei vielen Anlässen zur Intervention um Folgen einer Politik handelt, die erst die Widersprüche erzeugt, die verschiedene religiös, ethnisch, ideologisch oder sozial definierte Gruppen scheinbar unvermittelt aufeinander losgehen läßt. Die Problematik einer zur physischen Gewalt avancierten Strategie des Teilens und Herrschens beginnt sehr viel früher als beim Krisenmanagement, mit dem häufig die Ernte langfristiger Okkupationsabsichten eingefahren wird. Das bloße Erstaunen aufgrund des Losbrechens körperlicher und militärischer Gewalt in einer vermeintlich wohlgeordneten, mit moralischen Prinzipien wohlausgestatteten Welt sagt nicht mehr über den so reagierenden Menschen aus, als daß er sich offensichtlich Illusionen über die grundlegende Beschaffenheit menschlicher Beziehungen und politischer Bedingungen gemacht hat.

Peter Maas schließt den Hauptteil seines Buches mit einer Todesanzeige ab, die Ende 1994 in der "New York Times" erschien:

IN MEMORIAM
Unsere Verpflichtungen,
Prinzipien und moralischen Werte
sind tot: Bosnien 1994
Anläßlich des 1000sten Tages der
Belagerung von Sarajewo

Die über siebzig Mitglieder der "politischen und kulturellen Elite der westlichen Welt", die diese Anzeige unterzeichneten, haben nämliche Werte offensichtlich unbeschadet durch eine Welt des Hungers, der Unterdrückung und des Leidens gebracht, um sie bei einem besonders eklatanten Anlaß plötzlich auf den Altar der Geschichte zu werfen. Die von Peter Maas ausführlich geschilderten Manipulationen, die in Bosnien so viel Leid ausgelöst haben, stellen keine Ausnahme, sondern die Regel dar, und nur weil das in Bosnien besonders deutlich wurde, handelt es sich bei diesem Krieg um keinen Sonderfall.

Die gegen Ende des Buches von Jochen Maas öfters geäußerte physische Erschöpfung, die ihn bei der dauerhaften Beschäftigung mit dem Thema und der damit einhergehenden Ohnmacht gegenüber politischer Willkür befallen hat, stellt den Autor als einen an den Rand seiner Kapazität gegangenen Menschen dar, was angesichts nicht nur der Opfer von Bosnien, sondern auch der vielen anderen hungernden und ermordeten Menschen als Extravaganz eben eines journalistischen Beobachters erscheint. Leid ist nun mal das Brot dieser Profession, und auch Maas vermag es zu verspeisen, wie sein heutiger Rang als hochangesehener Publizist beweist.

Ich bin mir jetzt der Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen bewußter, ebenso, was es bedeuten kann, Jude zu sein. Ich habe es von bosnischen Muslimen gelernt, die zwei fatale Fehler gemacht haben. Sie glaubten, daß die Zugehörigkeit zu einer Minoritätengruppe im zivilisierten Europa keine Rolle mehr spiele, und sie glaubten, daß die wilde Bestie gezähmt sei. Sie versäumten es zu erkennen, daß, obwohl man selbst seiner Religion wenig Bedeutung beimißt, andere Leute sie eines Tages dennoch wahrnehmen können; und nur weil die eigene Gesellschaft stabil zu sein scheint, heißt das noch lange noch nicht, daß es immer so sein wird. Muslime versus Christen, Juden versus Nicht-Juden, Weiße versus Schwarze, Arme versus Reiche - es gibt so viele Nähte, an denen entlang eine Gesellschaft von den Manipulatoren auseinandergerissen werden kann. Das sind die Lektionen, die mir von Bosnien geblieben sind und die mich vielleicht geändert haben. Draußen ist die wilde Bestie los, und der Boden unter meinen Füßen fühlt sich nicht mehr sicher an.

Der Schlußabsatz des Epilogs faßt die politische wie anthropologische Dimension des Autors als vordergründige Interpretation und vage Bewußtseinsveränderung zusammen, er vermag die Ansätze zu einer weitergehenden Analyse, die das Buch durchaus aufweist, nicht auszuführen, sondern kehrt auf die bewährte Kausalität einer politischen Einzeltäterhypothese zurück. Die aufgezeigten internationalen Interessenszusammenhänge, die das gedehnte Leiden der bosnischen Bevölkerung wesentlich zu verantworten haben, kommen ebensowenig zum Zuge wie die Vorkriegsforderung der Serben nach einer Grenzkorrektur gegenüber den bevorteilten Kroaten oder die deutsche Parteinahme für Kroatien.

Ohne die Einbeziehung des globalen politischen Zusammenhangs muß Maas bei der wilden Bestie bleiben, die als mystifizierte persona der Gewalt des Menschen gegen den Menschen jede konkrete Handhabe vermissen läßt. Daß sich der Boden unter den Füßen des Autors nicht mehr sicher anfühlt, gehört wohl zu den produktivsten Ergebnissen seines Werks, schließlich symbolisiert es eine leichte Erschütterung bürgerlicher Selbstzufriedenheit. Die Lektüre dieses Buches lohnt auf jeden Fall, es ist packend geschrieben, bietet interessante Fakten und kann durchaus als Grundlage zu weiterführenden Überlegungen dienen. Man sollte sich allerdings davor hüten, die Schlußfolgerungen des Autors für bare Münze zu nehmen, sondern den Anlaß zur kritische Lektüre nutzen.


Peter Maas
Die Sache mit dem Kriege
Bosnien von 1992 bis Dayton
Knesebeck-Verlag, 1997