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REZENSION/095: T. E. Podschun - Sie nannten sie Dolly (Genetik) (SB)


T. E. Podschun


Sie nannten sie Dolly



Mit dem vorgeblichen Anliegen, eine breite Leserschaft umfassend über den Themenbereich der Genetik, insbesondere dem des Klonens von Lebewesen, zu informieren, verfaßte Trutz Eyke Podschun sein Buch "Sie nannten sie Dolly". Seiner Meinung nach ist es unerläßlich, als Bürger unserer Gesellschaft die eigene Verantwortung zu erkennen und auf der Basis fundierten Wissens die anstehenden Probleme mitzudiskutieren. Da es auf diesem Gebiet an Wissen mangelt und Unkenntnis vorherrscht, gemischt mit verbreiteter Propaganda und einer Menge Halbwahrheiten, sind die Bürger nicht zu einer sachkundigen Auseinandersetzung befähigt. Sein Buch soll helfen, diesen Mißstand zu beseitigen.

Eingangs wird ein kleines Märchen erzählt, um dem Leser zu veranschaulichen, wie sehr es dem Autor am Herzen liegt, die Sprache der einfachen Leute zu sprechen, damit er verstanden wird. Allerdings versäumt er dabei nicht, seine Zugehörigkeit zum Kreis der Wissenschaftler zu betonen und seine Befähigung zum wissenschaftlichen Sprachgebrauch, den er eigentlich bevorzugt, zu unterstreichen.

Nun vorbereitet, aufs einfachste das Komplizierteste dennoch nahegebracht zu bekommen, kann der Leser die Lektüre beginnen. Nach wenigen Abschnitten wird offenbar, was sich hinter diesem vorgeblich gut gemeinten Interesse des Autors an Aufklärung verbirgt. Konfrontiert wird man mit der überschaubaren Vorstellungswelt von Trutz Eyke Podschun. Dabei wird allzu deutlich, daß er sich nicht in besonderer Weise in einfachen Bildern ausdrückt, sondern die wissenschaftlichen Inhalte an sich nicht über dieses Niveau hinausragen. Fragt man den Autor, was denn ein "Gen" ist, macht es keinen Unterschied, ob er sich als Wissenschaftler oder als eine Art Übersetzter für das einfache Volk um eine Erklärung bemüht. In beiden Fällen bleibt er eine Antwort schuldig. Es gibt keine!

Denn auf der Suche nach einer exakten Definition des "Gens" wird man mit einer Fülle weiterer Begriffe konfrontiert, die der Beschreibung eines Gens dienen sollen. Letztlich bleiben Buchstabenfolgen, die zum einen den genetischen Code symbolisieren, zum andern für die chemische Zusammensetzung der "Einzelteile" eines Gens stehen. Das Gen an sich ist nicht faßbar.

Über die Vorstellung der Wissenschaftler von der Funktionsweise eines Gens erhält man schon etwas genauere Angaben: Seinen Platz hat es auf den Chromosomen, dann wird es in mehrere Abschnitte (Sequenzen) aufgeteilt und löst sich schließlich in der weiteren theoretischen Analyse in chemische Bausteine auf, welche durch bestimmte Mechanismen und aufgrund ebenso festgelegter Sequenzen Proteine codieren. Die Proteine sind dann wiederum die eigentlichen "Bausteine des Lebens" und das Gen als "Erschaffer" dieser Lebensbausteine ungemein wichtig. Weitaus wichtiger sind wiederum die Schaltermechanismen, die eine sogenannte Genexpression auslösen. Sie bestehen aus Proteinanteilen, und man fragt sich zu Recht, wie sie überhaupt entstehen konnten? Hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Unweigerlich landet man bei der Frage nach der Henne und dem Ei und somit bei den Kreisschlüssen unserer Denkgewohnheiten.

"Zurück zum Gen. Ein Gen ist also in unserer Sprechweise ein Absatz in einer Enzyklopädie. Es enthält somit die Information, die notwendig ist, um bei dem, der die Information liest, etwas Sinnvolles zu bewirken. Im Falle von uns Menschen könnte der im Absatz "Gen" enthaltene Satz, die eigentliche Information, beispielsweise lauten: "Nimm zwei Eier, schlage sie in eine Tasse auf, rühre sie mit einer Gabel solange, bis eine einheitliche Konsistenz entsteht, würze mit etwas Salz und Pfeffer, lasse etwas Butter in der heißen Pfanne zergehen und stocke die Eiermasse unter leichtem Rühren mit einem Kochlöffel dann solange, bis nichts mehr flüssig ist." Was kommt dabei heraus, wenn man diesem Ungetüm eines Satzes buchstäblich folgt? Hoffentlich ein wohlschmeckendes Rührei. Mit den Worten der Molekularbiologen haben wir eben das frei erfundene "Rührei-Gen" gelesen. Es beinhaltet die Information, die man braucht, um ein Rührei herzustellen." [S. 7]

Auch wenn hier das Wissen des Autors darüber unterstellt sei, daß dieser Vergleich hinkt und das Rührei bei buchstäblicher Befolgung der Anleitung nicht zustande kommen könnte, bleibt doch eines unübersehbar: In dieser Anleitung wie auch in den wissenschaftlichen Modellen für die Proteinsynthese wird mit theoretischen Offenlassungen gearbeitet. Unausgesprochen werden Bedingungen gesetzt, die Ursache für bestimmte Wirkungen sein sollen. Streng genommen ist dies nicht zulässig. Operiert man mit Ursachen und Wirkungen, kann man nicht an beliebiger Stelle damit aufhören. Dann muß jede Ursache auf ihre Ursache hin untersucht werden und jede Ursache eine Begründung für eine bestimmte Wirkung beschreiben. Also kann nicht einfach so hingenommen werden, daß die "heiße Pfanne" aus oben genannter "Rührei-Gen"- Anleitung ohne weiteres vorhanden ist. Ebensowenig kann in der wissenschaftlichen Theorie für eine Proteincodierung anerkannt werden, daß es irgendwo einen Schaltermechnismus gibt, ohne zu fragen, wie dieser zur Existenz gebracht werden konnte.

An anderer Stelle wird versucht dem Leser zu verdeutlichen, daß das Klonen nichts mit Gentechnik zu tun hat. Bei dem Experiment mit dem Klon-Schaf Dolly ging es den Wissenschaftlern lediglich darum, zu beweisen, daß in jeder Körperzelle der vollständige Chromosomensatz, also sämtliche genetischen Informationen, enthalten sind.

Das einzige, was hier bewiesen wurde, ist, daß mit Hilfe eines ausgeklügelten technischen Verfahrens eine Eizelle manipuliert wurde, ihr Kern ausgetauscht und sie zu einer "normalen" Weiterentwicklung gebracht werden konnte - mehr nicht. Allerdings werden mit genau diesem Verfahren auch genetisch veränderte Zellkerne verpflanzt. Das ist ein Eingriff und damit ein Angriff auf Lebewesen; das ist eine aggressive Technologie - ganz gleich, welchen Namen man ihr geben möchte.

"Genau dies - (die These, daß eine Körperzelle den vollständigen Chromosomensatz besitzt und wieder zu einer omnipotenten Zelle werden kann, Anm. d. Verf.) und nichts weiter - sollte das "Experiment Dolly" beweisen. Es ging zu keinem Zeitpunkt darum, eine Herde noch blöderer Schafe zu erzeugen, in dem man das blödeste klonierte, mit dem Endziel Menschen zu klonieren..." [S. 44]

Trutz Eyke Podschuns schwerwiegendster Schwachpunkt scheint mir seine berufständische Argumentation zu sein. Er verteidigt die Gentechnologie und bemüht sich um Verständnis - nicht nur für die Technik, sondern auch für die Wissenschaftler selbst. Ängste, die Menschen eine ablehnende Haltung gegenüber der Gentechnologie einnehmen lassen, gibt er vor, abbauen zu wollen. Doch durch die Anschuldigung, daß alle, die unter Zweifel und Befürchtungen leiden, entweder unzureichend informiert seien, von Demagogen verhetzt oder gar selbst demagogische Medienschaffende sind, werden Ängste wohl kaum ausgeräumt.

Ängste hatten Menschen schon immer, es geht darum, so der Autor, sie zu überwinden. Wenn das mit einer Technik verbundene Risiko richtig eingeschätzt wird, kann auch die Angst überwunden werden.

"Und er [der Mensch, Anm. d. Verf.] erschrak wieder und hatte wieder Angst, als das erste Auto fuhr - weshalb vor den ersten zischenden und ratternden Produkten der Herren Daimler und Benz auch ein flaggenbewehrter Mensch laufen mußte, um den damaligen Verkehr vor diesen Ungetümen zu warnen. Oder als die erste Eisenbahn von Brüssel nach Mecheln oder die erste deutsche von Nürnberg nach Fürth schnaufte. Das ist Teufelszeug! Diese Geschwindigkeiten hält kein Körper aus - wir sprechen von keinen 30 km/h, [...]" [S. 209ff]

Betrachtet man die Auswirkungen, die die Erfindung des Automobils bis heute mit sich brachte, muß dies geradezu als Beweis dafür gelten, daß die damaligen Ängste vielleicht unspezifisch, nicht aber unberechtigt gewesen sind. Vielmehr ist das Ausmaß der durch die Automobilindustrie entstandenen Schäden so unfaßbar gewaltig, daß die Angst gar nicht groß genug hätte sein können. Ein Beweis für die Unfähigkeit des Menschen, die Folgen seines Handels vorauszusehen?

Kaum ein Techniker oder Monteur, der mit dem Bau der ersten Automobile betraut war, hätte sich vorstellen können, welche einschneidenen gesellschaftlichen Veränderungen die Erfindung des Autos mit sich bringen würde, ganz zu schweigen von den auch heute noch in ihrem Ausmaß kaum abzuschätzenden Umweltbelastungen. Der einzelne Autofahrer, der schnell von Punkt A nach Punkt B fahren kann, ist erfreut über die Erfindung des Autos. Weniger erfreut ist er mit Sicherheit, wenn die Luft immer schlechter wird, Unfälle sich häufen und restliche Grünflächen Straßen und Parkplätzen weichen müssen.

Zieht man den Vergleich zur Gentechnik, kann man sicher sein, daß sie vielleicht für viele Menschen von Vorteil ist - kurzfristig gedacht, auf das einzelne Menschenleben bezogen und auch nur für die Dauer eines solchen. Doch zu welchem Preis all dies zu haben sein wird, scheint doch noch lange nicht "ausgehandelt".

Letztlich findet Wissenschaft nicht losgelöst von gesellschaftlichen Machtstrukturen statt. Es gilt, den Menschen verfügbar und ausbeutbar zu machen - daß die Gentechnik als ein Instrument der Ausgrenzung und Aussonderung genutzt werden kann, dürfte auch Trutz Eyke Podschun nicht bestreiten. Daß er diese Gefahr herunterspielt, muß somit als eindeutige Stellungnahme gewertet werden. Jedenfalls zeugt es nicht gerade von Souveränität oder Sicherheit, wenn er allen, die Ängste hegen, in erster Linie als durch Unkenntnis Fehlgeleitete betrachtet oder als inkompetente, böswillige Gegner versteht. Wie wäre es denn mit sachkundigen, entschiedenen Gegnern, die hinter der Technologie die bestehenden Interessen an Kontrolle und Verfügung über Menschen erkennen?


Wenn man darüber hinwegsehen kann, daß der Autor ständig bemüht ist, den potentiellen Nutzen der Gentechnik deutlich zu machen und die vermuteten Gefahren stark zu relativieren, kann man sich mit diesem Buch einen kleinen Einblick in den aktuellen Stand der Gentechnik verschaffen. Dabei räumt Trutz Eyke Podschun mit überzogenen Vorstellungen auf, die durch die Medien verbreitet werden und bemüht sich, das momentan technisch Mögliche auf diesem Gebiet zu beschreiben. Hinderlich beim Lesen bleibt allerdings die sprunghaft assoziative Mitteilungsweise des Autors. In unzähligen Klammersätzen drängt er den Leser, seinen oft ausschweifigen und ablenkenden Einfällen zu folgen. Dadurch erhält man zwar einen tiefen Einblick in Herrn Podschuns persönliche Vorstellungswelt zu allen möglichen Themen, doch zum einfacheren Verstehen des eigentlichen Themas trägt es nicht gerade bei.


Trutz Eyke Podschun
Sie nannten sie Dolly
Von Klonen, Genen und unserer Verantwortung
Verlag WILEY-VCH GmbH, Weinheim 1999
ISBN 3-527-29866-5