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REZENSION/102: A. Schwarzer - Der große Unterschied (Frauenbewegung) (SB)


Alice Schwarzer


Der große Unterschied



Nach 25 Jahren Frauenbewegung will Alice Schwarzer Bilanz ziehen. An den Anfang dieser Zeitspanne setzt sie die Herausgabe ihres Buchs "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" (1975), ein damals vielzitierter Klassiker in öffentlichen Diskussionen um die Belange der Frauen, soziologisch ausgerichtet, moralisch und fordernd; an das Ende dieser Entwicklung stellt sie... ?

"Der große Unterschied" zeigt, was aus Alice in dieser Zeit geworden ist; die Zusammenfassung all dessen ist das Bild auf dem Buchumschlag: Alice's Konterfei in Großaufnahme mit freundlichem Lächeln, sichtlich bemüht um ein im Buch beschriebenes Ideal: "Irgendwann ist mir aufgefallen, dass Feministinnen früher wie heute nicht nur nicht unscheinbar oder "frustriert" aussehen, sondern ganz im Gegenteil meist eine besondere Ausstrahlung hatten und haben." (S. 228) So kann frau denn auch vor lauter Ausstrahlung den in unscheinbarem Schwarz gehaltenen Titel auf dem Cover unter den grellweißen, großen Buchstaben des Namens der Autorin kaum noch mit einem Blick erfassen.

Aber da war doch noch 'was ... ach ja, die Frauenbewegung, heute wieder geeignet, die journalistische Karriere noch einmal aufzupolieren. Keine andere Funktion hat eine "Bilanz", die zur ernsthaften Auseinandersetzung nichts weiter beiträgt als ein paar schlaue Sätze auf der Ebene der Reflexion und Analyse, ein lebloser Abklatsch des "Kleinen Unterschieds" - ein weiterer verfaulter und durch diverse Stoffwechselvorgänge gezogener Aufguß der Vergangenheit. Lebt frau ihren Traum und ihre Vorstellungen, so braucht und macht sie keinen Lärm darum. Macht sie ihn dennoch, bedient sie sich des Konfliktes, wohl geleitet von Motiven, die mit einem Kampf, der nie aufhört, nichts zu tun haben. Nüchterne Schlußfolgerungen aus der Vergangenheit weichen dann dem auch bei Alice vorherrschenden Bedürfnis nach Bedeutsamkeit und Geschwätzigkeit, so daß Forderungen und Ansprüche auf Kosten von Veränderungen im Vordergrund stehen. Moralische Appelle gibt es dafür so viele, daß am Ende keine Leserin mehr weiß, worum es Alice nun eigentlich geht.

Eine erfahrene Journalistin müßte hingegen soviel Schreibkompetenz aufbringen, daß sie eine selbstkritische und stringente Analyse der bisherigen frauenbewegten Geschichte anbietet und anhand der dargelegten inhaltlichen Schwächen dieser Bewegung eine korrigierte Strategie einsichtig macht. Statt dessen bekommt frau es mit Alices Wahrnehmungsschwächen und ihrer opportunistischen Grundhaltung zu tun, die dazu führen, daß ihre Untersuchungsaspekte zu beredeter Wichtigkeit und statistischer Breite aufgeblasen werden, aber an der Frauenwirklichkeit so weit vorbeigehen, daß sich beim Lesen gähnende Langeweile breit macht. Frauenbefreiung ist zur routinierten, soziologischen Studie geworden. Nicht einmal als Nachschlagewerk kann frau diese "Erhebung" verwenden, weil sie voll persönlicher Verfärbungen ist.


Frauen, die schon in den 70er Jahren mit Logik auf die sichtbare Repression der Frauen geantwortet haben, finden inzwischen die ewige Leier vom Geschlechterkampf, von der Unterdrückung der Frauen zum Weglaufen. Die Haltung Wir-sind-keine-Opfer, Wir-haben- die-Gefahren-im-Blick ist ein Standpunkt, der im Falle unmittelbarer Betroffenheit wenig brauchbar ist, denn er wird von Realitätsverkennung und Selbstüberschätzung getragen. Privat träumt frau von Harmonie und Partnerschaft, hält sich für unberührbar und setzt auf die Ausnahme (den Märchenprinzen) - betroffen sind andere. Mit anderen Worten, an der gesellschaftlich benachteiligten Situation der Frauen hat sich nichts geändert, die Unterdrückung hat sich lediglich qualifiziert, ist weniger greifbar und schwerer mitteilbar geworden. Das Bestreben, sich davon zu distanzieren, sich vor der Erkenntnis der eigenen Lage zu drücken, zeigen die "alten" Frauen genauso wie die "Girlies". Nach dem Motto "ich bin eine fortschrittliche alte Tante" versucht Alice, mit den Frauen der nächsten Generation ein (nicht einmal solidarisches) Einverständnis zu schließen.

Das Thema "Unterdrückung der Frauen" ist auch für junge Frauen zum Abwinken. Sie leben mit der Ansicht, von den Auseinandersetzungen der Frauenbewegung der letzten 30 Jahre profitiert zu haben, keine Einschränkungen, keine Gewalt mehr zu kennen und sich überall frei bewegen zu können. Die "Revolte" der Girlies ist nicht wirklich ernstzunehmen. Sie wollen ihren Spaß haben und servieren die alte Frauenbewegung ab, reduzieren und verzerren ihre Inhalte auf Männerhaß und militanten Dogmatismus. Ihr Profil ist an das Überleben in einer Gesellschaft angepaßt, deren Herrschaftsformen subtil und wirkungsvoll sind - nahezu undurchschaubar und von festem Zugriff. An den Grundfesten gesellschaftlicher Gewalt hat sich nichts geändert, außer daß unter dem gesellschaftlichen Rationalisierungs- und Optimierungszwang der Gedanke an Kritik und Auflehnung nicht mehr aufkommt. Angesichts der geforderten Erfolgs- und Zielorientierung hat ein Standpunkt, der sich nicht einfügt, keinen Platz. Frauenbewegung ist zur Frauenpolitik als integrativer Bestandteil von Parteiprogrammen geworden.

Entsprechend angepaßt und nicht einmal provokativ sind die Inhalte des "Grossen Unterschieds": Abtreibung, Mißbrauch, Pornographie, Prostitution, Fundamentalismus, lesbische Frauen, Frauen und Militär und die Geschichte der Frauenbewegung sind die aufgewärmten Streitpunkte, zu deren Diskussion Alice keine neuen Aspekte hinzuzufügen hat. Da für Frauen wohl keine größeren Probleme mehr bestehen, als sich ihrer Herkunft bewußt zu werden, die böse Gegenwart mit Träumen zu versüßen und ihre Bitterkeit mit weitläufigen Formulierungen zu verdünnen wie "Die Zukunft ist menschlich", braucht frau keine Befürchtungen mehr zu haben, etwa beim Lesen dieses Buches beunruhigt oder gar aus ihrem Dornröschenschlaf gerüttelt zu werden. Das Buch hat geradezu die Funktion eines Puffers, der sich hervorragend dafür eignet, die alptraumhaft direkte Auseinandersetzung mit Gewalt- und Machtfragen zu vermeiden, auch wenn die These im Mittelpunkt steht:

Die Gewalt ist die Hardware. Denn alle Machtverhältnisse - egal ob zwischen Völkern oder Geschlechtern - basieren im Kern auf Gewalt: ausgeübt oder drohend. Und so ist das auch zwischen Männern und Frauen. (S. 13)

Dem Thema Sexualität widmet Alice Schwarzer 138 von 290 Textseiten. "Sexualgewalt ist das dunkle Herz der Männerwelt" (S. 13), die Frauen "bricht und lebenslang in Schach hält". Und was tun Frauen dagegen? "... erstmals brechen Frauen auf breiter Front ihr Schweigen und benennen das Grauen", seit sie "formal die gleichen Rechte und ökonomisch eine relative Unabhängigkeit haben" (S. 14). Das ist brav und ändert nichts an der Gewalt, wie frau nicht zuletzt aus der Tatsache schließen kann, daß schon vor 30 Jahren im "Kleinen Unterschied" das Schweigen gebrochen wurde.

"Der grosse Unterschied" verdeutlicht, wie es um die Frauenbewegung bestellt ist: Widerstand ist nicht existent und genausowenig festzumachen wie der Standpunkt und die Argumentation von Alice Schwarzer. "Weiblichkeit", "Sexualgewalt", "Offensive" zum Beispiel sind operative Begrifflichkeiten feministischer Theorien, die längst gesellschaftsfähig und kompatibel, d.h. tolerier- und integrierbar sind. Insofern kann frau aus der Qualität der Kapitelinhalte eine ernüchternde Übersicht über den aktuellen Stand der Diskussion im sogenannten "Geschlechterkampf" gewinnen.


Alice Schwarzer
Der große Unterschied
Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000
DM 39,90
ISBN 3-462-02934-7