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REZENSION/140: Hendrik Lehnert - Der hypertensive Diabetiker (Medizin) (SB)


Hendrik Lehnert


Der hypertensive Diabetiker



Diabetes ist eine Erkrankung mit einer hohen Medienpräsenz. Auffallend ist, daß nicht die erschreckenden Konsequenzen der auch hierzulande üblichen Unterversorgung und die katastrophalen Folgen für den einzelnen Patienten im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen, sondern vielmehr die steigende finanzielle Belastung, die die dramatische Zunahme der Diabeteshäufigkeit für das Gesundheitswesen darstellt. Sie liefert die argumentative Basis für weitreichende und einschneidende Umstrukturierungen des Gesundheitswesens, die für viele Patienten bald schmerzlich spürbar werden dürften.

Qualitativ hochwertige bereits bestehende Behandlungsprogramme und Diabetesverträge werden aufgekündigt und durch sogenannte Disease-Management-Programme ersetzt, die ihrem Anspruch nach eine gute und flächendeckende Versorgung aller Diabetiker gewährleisten sollen, in ihrer Qualität jedoch noch weit hinter der bisherigen mangelhaften Versorgung zurückbleiben. Denn es werden nicht einmal die evidenzbasierten Diabetes-Leitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft berücksichtigt. Zudem ist absehbar, daß medizinische Leistungen zunehmend an die individuelle Lebensführung gekoppelt werden, um eine maximale Anpassung an verordnetes Verhalten durchzusetzen.

Die Akzeptanz einer staatlich dirigierten und überwachten "gesunden" Lebensführung soll mit allen nur denkbaren Mitteln gefördert werden. Um dies zu erreichen ist man sich nicht zu schade, Typ-2 Diabetiker wider besseren Wissens öffentlich an den Pranger zu stellen. So wurde beispielsweise im Rundfunk von einem namhaften Mediziner aus der Rehabilitationsklinik Damp behauptet, gut 85 Prozent dieser Erkrankungen seien selbstverschuldet und auf eine ungesunde Lebensweise, d.h. zuwenig Bewegung bei zu reichhaltiger Ernährung zurückzuführen.

An dieser haltlosen und frei erfundenen Behauptung kann nur festhalten, wer absichtlich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse ignoriert, nach denen beispielsweise die Schädigung der kleinsten Blutgefäße schon lange vor Ausbruch der Erkrankung auftreten. Und das nicht nur im Stadium der gestörten Glukosetoleranz, sondern sogar noch früher.

Man schätzt, daß in Deutschland etwa 10 bis 15 Prozent der über 65jährigen Diabetes haben. Weltweit muß heute von etwa 150 Millionen Menschen mit Diabetes ausgegangen werden und die Weltgesundheitsorganisation rechnet mit einer Verdopplung dieser Zahl bis zum Jahr 2025. Bei rund 90 Prozent dieser Kranken handelt es sich um sogenannte Typ-2 Diabetiker. Von dieser früher verharmlosend als "Altersdiabetes" bezeichneten Stoffwechselstörung weiß man heute, daß sie keine harmlose "Alters"erscheinung mit erhöhten Blutzuckerwerten, sondern von Beginn an - und bereits Jahre vor der Erstmanifestation - eine ernstzunehmende Erkrankung des Stoffwechsels und insbesondere des Herzens und aller Blutgefäße ist. Über 75 Prozent der Menschen mit Diabetes mellitus sterben an Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Wenn man sich die folgenden Zahlen vor Augen hält, wird klar, daß Diabetiker in Deutschland keineswegs medizinisch überversorgt sind. Jährlich erblinden in der BRD 6000 Typ-2-Diabetiker, 8300 werden dialysepflichtig, bei 28000 müssen Gliedmaßen amputiert werden, 27000 Zuckerkranke erleiden einen Herzinfarkt und 44400 einen Schlaganfall.

Die Stiftung "Der herzkranke Diabetiker" macht daher nachdrücklich auf aktuelle wissenschaftlich abgesicherte Daten aufmerksam, die zeigen, daß Diabetiker mit den gleichen Präventionsmaßnahmen für Herz und Kreislauf behandelt werden müssen wie Nichtdiabetiker, die bereits einen Herzinfarkt erlebt und überlebt haben. Denn schon im Stadium der gestörten Glukosetoleranz, also schon bei Menschen, die noch keinen Diabetes haben, können erhöhte Blutzuckerspitzen zur Entwicklung einer Arteriosklerose führen. Krankhafte Veränderungen der kleinsten Herzkranzgefäße treten sogar noch früher auf.


Vor diesem Hintergrund gewinnt das kleine, übersichtliche Buch des Thieme Verlags "Der hypertensive Diabetiker: Potenziertes Risiko - Systematische Therapie" eine besondere Bedeutung, weil es sich einem wesentlichen Aspekt der Diabetiker-Versorgung widmet, der oftmals unterschätzt und vernachlässigt wird. Der Grund hierfür liegt in der häufig unzureichenden Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen, was im Fachjargon beschönigend als 'strukturelles Versorgungsdefizit' umschrieben wird.

Dem Klappentext ist zu entnehmen:

Das vorliegende Buch gibt einen kurzen Einblick in die pathogenetischen Zusammenhänge zwischen Hypertonie und Diabetes; die neuen Grenzwerte für die Blutzucker-Diagnostik und für die Blutdrucksenkung bei Diabetikern werden vorgestellt. Dieses Buch ist vor allem für Allgemeinmediziner und niedergelassene Internisten gedacht. Es erlaubt ihnen mit Hilfe der dargestellten Stufentherapie der Hypertonie, ihre Patienten nach dem aktuellen Kenntnisstand zu behandeln und die für den Einzelnen am besten geeignete und möglichst wenig belastende Medikamentenkombination auszuwählen.

Wer jemals in der Not war, sich in kürzester Zeit über den aktuellen Stand der Hochdrucktherapie bei Diabetikern informieren zu müssen, hat sicherlich auch die frustrierende Erfahrung gemacht, sich schnell inmitten eines Wusts aufgeschlagener Fachbücher und -artikel wiederzufinden, ohne die gewünschte Information auf Anhieb ausfindig machen zu können. Und wer sich selbst einmal die Mühe gemacht hat, aktuelle Studien zum Thema zu recherchieren und auszuwerten, weiß, wie schwierig es ist, sich die praktisch relevanten Informationen aus der Vielzahl statistischer Relativierungen herauszufiltern. Zudem ist dieses Vorgehen enorm zeitaufwendig und normalerweise nicht mit einem anstrengenden Praxisalltag und einem übervollen Terminkalender zu vereinbaren.

Genau diese Arbeit haben der Autor Hendrik Lehnert und seine Mitstreiterinnen Isabel Mühlen und Eike Wrenger lobenswerter Weise geleistet. Ihre Ergebnisse werden dem Leser übersichtlich, knapp und dennoch verständlich präsentiert.

Das Buch gibt einen hervorragenden Überblick über den heutigen Stand der Hochdruckbehandlung bei Diabetikern. Im Vordergrund steht die praktische Nutzbarkeit des Büchleins im Praxisalltag, wo auf die Schnelle genau die Information nachgeschlagen werden kann, die gebraucht wird. Dazu tragen nicht zuletzt auch die durchdachte Gliederung und das übersichtliche Layout bei.

Leicht verständliche Grafiken dienen im Zusammenhang mit der kurzen Rekapitulation physiologischer Zusammenhänge einem schnelleren Verständnis.


Hendrik Lehnert
Der hypertensive Diabetiker
Potenziertes Risiko - Systematische Therapie
Georg Thieme Verlag, 2002
90 Seiten, 10 Abbildungen, 10 Tabellen
14,95 Euro
ISBN 3 13 132661 1 / 696