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REZENSION/154: William Pepper - Die Hinrichtung d. Martin Luther King (SB)


William F. Pepper


Die Hinrichtung des Martin Luther King

Wie die amerikanische Staatsgewalt ihren Gegner zum Schweigen brachte



Die Attentate auf die politischen Hoffnungsträger in den USA der sechziger Jahre, John F. Kennedy, dessen Bruder Robert sowie Martin Luther King jun., markieren absolute Tiefpunkte der modernen Geschichte Amerikas und liefern wegen der völlig unbefriedigenden Aufklärung bis heute Anlaß zu vielen Vermutungen und Spekulationen. Der Autor und Jurist William F. Pepper, ein früherer Freund und Weggefährte Kings, hat sich jahrelang unermüdlich um die Aufklärung des berüchtigten Attentats auf den charismatischen Baptisten-Prediger bemüht. King war am 4. April 1968 auf dem Balkon des Lorraine Motel in Memphis, im US-Bundesstaat Tennessee, erschossen worden. Bisheriger Höhepunkt des über zwanzigjährigen Kampfes Peppers stellt der Ausgang des von ihm angestrengten Prozesses dar, bei dem 1999 die Jury zu dem einstimmigen Urteil gelangt ist, daß der Friedensnobelpreisträger nicht, wie von den Behörden behauptet, von dem "einsamen Schützen" James Earl Ray getötet wurde, sondern einem großangelegten Komplott des Staates zum Opfer gefallen ist. Im Buch "Die Hinrichtung des Martin Luther King" berichtet Pepper ausführlich von seinen Recherchen zum King-Fall, über den Mordprozeß vor vier Jahren sowie über den durchsichtigen Versuch der Regierung Bill Clintons und der großen US-Medien wie der einflußreichen New York Times, das peinliche und politisch brisante Gerichtsurteil zu relativieren. Das vorliegende Werk ist faszinierend, ungemein packend wie auch bedrückend zugleich und stellt somit jeden Politthriller à la Robert Ludlum oder Tom Clancy deutlich in den Schatten.

Pepper, der heute als promovierter Jurist in Großbritannien und den USA tätig ist, hat bereits in den sechziger Jahren als junger Korrespondent aus Vietnam über die Schrecken des dortigen Krieges berichtet. Ein von ihm verfaßter, aufrüttelnder Artikel in der Januar 1967 erschienenen Ausgabe der leider inzwischen eingegangenen progressiven US-Zeitschrift Ramparts trug mit dazu bei, daß die Bürgerrechtsikone King zum prominentesten Vietnamkriegsgegner Amerikas wurde. Zu diesem Schlüsselereignis zitiert Pepper in seinem Buch aus der Biographie des schwarzen Predigers:

In dieser Phase las ich eines Nachts einen Artikel mit dem Titel 'Die Kinder von Vietnam'. Danach sagte ich mir, 'Ich werde nie wieder zu einem Thema schweigen, dass die Seele unserer Nation und die Leben von Tausenden von kleinen Kindern zerstört'. Ich kam zu dem Schluss, daß es Momente im Leben gibt, in denen man für sich selbst sprechen muss, denn niemand sonst wird für einen sprechen.

Diesen mutigen Entschluß sollte King etwas mehr als ein Jahr später mit dem eigenen Leben bezahlen.

Kurze Zeit nach der Ermordung Kings, ein Ereignis, welches die ganze Welt schockierte und die gesellschaftlichen Spannungen in den USA erheblich verschärfte, präsentierten die US-Justizbehörden den weißen Kleinkriminellen und entflohenen Sträfling James Earl Ray als rassistisch motivierten Einzeltäter. Die drohende Hinrichtung vor Augen, wurde Ray von dem von den Behörden zur Verfügung gestellten Verteidiger dazu überredet, sich schuldig zu bekennen, wofür er prompt eine 99jährige Haftstrafe erhielt. Auf diese Weise gelang es dem amerikanischen Staat, eine strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem spektakulären Attentat zu vermeiden. Dabei wäre es vielleicht geblieben, hätte William Pepper nicht hartnäckig die Hintergründe des Mordes an seinem Freund erforscht.

Ende der siebziger Jahre gelangte Pepper zu der Überzeugung, daß der vermeintliche Attentäter Ray, der nach der Verurteilung im Jahre 1969 sein Geständnis widerrufen hatte, lediglich eine "leichtgläubige Schachfigur" in einem umfassenden Komplott war. Folglich entschied sich Pepper, Ray als Mandant zu vertreten, und setzte sich jahrelang für ein Strafrechtsverfahren ein, bei dem die Unschuld des hinter Gitter sitzenden, verurteilten Attentäters bewiesen werden sollte.

Als Ray jedoch 1998 an Leberkrebs starb, überredete Pepper die Familie King, ein zivilrechtliches Verfahren gegen Loyd Jowers anzustrengen. Der Ex-Polizist Jowers, der ein Restaurant in unmittelbarer Nähe des Ortes führte, wo der tödliche Schuß abgegeben worden war, hatte nicht zuletzt aufgrund der Recherchen William Peppers bereits im Jahre 1993 im landesweiten US-Fernsehen zugegeben, an dem Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein, nämlich im Auftrag eines befreundeten Mitglieds der Unterwelt von Memphis die eigentliche Tatwaffe vor und nach der Hinrichtungsaktion versteckt zu haben.

Im Buch bildet das erfolgreiche Verfahren gegen Jowers, dem im Vorfeld Straffreiheit versprochenen worden war, den Hintergrund, vor dem Pepper die offizielle Theorie vom Einzeltäter Ray restlos demontiert und die zahlreichen Hinweise auf eine von oberster Stelle abgesegnete Liquidierung Kings präsentiert. Die von Pepper nachgewiesenen Fakten und Ungereimtheiten in Verbindung mit der Ermordung Kings sind dermaßen weitgehend und frappierend, daß es einem bei der Lektüre dieses Buchs gelegentlich kalt den Rücken hinunterläuft. Zu den zahlreich aufgelisteten Merkwürdigkeiten gehören unter anderen: die Anwesenheit einer Scharfschützeneinheit der US-Spezialstreitkräfte wie auch ein Kamerateam der US-Armee in Memphis am Tag des Anschlages - erstere stand lediglich als Ersatz bereit, letzteres hat Fotos vom Mord wie auch vom eigentlichen Schützen aufgenommen; die monatelang sorgfältig geplante Vorbereitung des Sündenbocks Ray - ohne daß dieser die leiseste Ahnung hatte - durch den mysteriösen Portugiesen "Raoul"; die permanente Beschattung Kings durch das FBI, die CIA sowie den US-Militärgeheimdienst; vor dem Attentat die faktische Aufhebung der Sicherheitsmaßnahmen um King durch die Polizei von Memphis; die anschließende Spurenvernichtung durch dieselbe Polizei; die Hinweise auf verdeckte Doppelagenten des Sicherheitsapparates innerhalb der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, welche möglicherweise direkt oder indirekt an der Ermordung ihres eigenen Anführers beteiligt waren. In diesem Zusammenhang belastet Pepper Jesse Jackson, seit Jahren der prominenteste schwarze Politiker unter den US-Demokraten.

Wer sich für Verschwörungstheorien interessiert beziehungsweise sich nicht von diesem zum Schimpfwort verkommenen Begriff irritieren läßt und mehr über die Untiefen der amerikanischen Innenpolitik erfahren möchte, kommt mit der "Hinrichtung des Martin Luther King" voll auf seine Kosten. Pepper weist nicht nur auf die mögliche Verwicklung der mit FBI-Chef J. Edgar Hoover, dem texanischen Ölmilliardär H. L. Hunt und der Ex-CIA-Größe Clark Clifford - damals Verteidigungsminister - personifizierten Kreise, welche auch hinter dem JFK-Attentat vermutet werden, hin, sondern stellt die Ermordung Kings in einen ganz klaren Zusammenhang mit dessen offenbar allzu lautstarken Engagement sowohl gegen den Vietnamkrieg wie auch gegen das ungerechte Gesellschaftssystem der USA. Zwar mag Pepper das King-Attentat nicht in alle Einzelheiten aufgeklärt haben - seine Identifizierung des inzwischen verstorbenen Polizeischarfschützen Earl Clark als tatsächlichen Mörder ist strittig -, gleichwohl verdient sein unerschrockener Einsatz trotz aller Widrigkeiten für den ermordeten Freund Martin Luther King großen Respekt. Man kann sich den Worten Coretta Scott Kings - "Ich empfehle dieses Buch allen, die nach der Wahrheit über die Ermordung meines Mannes suchen" - voll und ganz anschließen.

- 5. Mai 2003


William F. Pepper
Die Hinrichtung des Martin Luther King
Wie die amerikanische Staatsgewalt ihren Gegner zum Schweigen brachte
Aus dem Englischen (Originaltitel: An Act of State) von Dirk Oetzmann und
Erwin Fink,
Heinrich Hugendubel Verlag, München, 2003
424 Seiten mit Abbildungen, Preis 22 Euro
ISBN 3-7205-2405-1