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REZENSION/169: Aust, Schnibben - SPIEGEL-Buch zum 11. September (SB)


Stefan Aust & Cordt Schnibben


11. September Geschichte eines Terrorangriffs



In der deutschen Presselandschaft gibt es kaum einen Begriff, der so hoch bewertet wird wie der des Enthüllungs- oder Investigativjournalismus. Dies liegt sicherlich unter anderem daran, daß hierzulande die wenigsten wissen, daß die angebliche Sternstunde des Enthüllungsjournalismus, nämlich der Watergate-Skandal und der historische Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon, eher das Ergebnis einer Palastintrige als das der mutigen Recherchearbeit der gefeierten Helden jener Staatsaffäre, der beiden Washington-Post- Journalisten Carl Berstein und Bob Woodward, war. Woodward nämlich hatte vor Beginn seiner journalistischen Karriere bei der Washington Post beim US-Marinegeheimdienst unter anderem als Rechercheur für General Alexander Haig, damals wichtigster Assistent von Henry Kissinger, Nixons Nationalem Sicherheitsberater, gearbeitet. Nicht umsonst tippt man seit fast drei Jahrzehnten in journalistischen und politischen Kreisen der USA darauf, daß sich hinter Bersteins und Woodwards anonymem, unter dem Tarnnamen "Deep Throat" weltberühmt gewordenen Informanten im Watergate-Skandal Haig, der später unter Ronald Reagan Außenminister wurde, verbirgt.

Flaggschiff dessen, was man in Deutschland unter Enthüllungs- oder Investigativjournalismus versteht, ist bekanntlich das renommierte Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel. In letzter Zeit hat sich die Schöpfung Rudolf Augsteins hauptsächlich durch Angriffe auf die sogenannten "Verschwörungstheoretiker" wie Mathias Bröckers, Andreas von Bülow und Gerhard Wisnewski hervorgetan, welche die offizielle Version der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 in den USA in Frage stellen und deren Bücher derzeit in Deutschland reißenden Absatz finden. Letztes Jahr verurteilte Der Spiegel das hunderttausendfach verkaufte Bröckers-Buch "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9." als "Bestseller des Unbehagens". In der Spiegel-Ausgabe vom 4. August dieses Jahres wurde das neuste Werk der Geheimdienstkoryphäe von Bülow, "Die CIA und der 11. September", mit "alles Unsinn" in Grund und Boden verdammt, der ehemalige Bundesforschungsminister selbst als "Paranoiker" diffamiert, der den Interpretationsbedarf seines angeblich ebenfalls paranoiden, antiamerikanisch-eingestellten Publikums bedient. Den jüngsten Höhepunkt dieser Hetzkampagne markiert die Titelgeschichte der Spiegel-Ausgabe vom 8. September. Die Überschrift "Verschwörung 11. September: Wie Konspirations- Fanatiker die Wirklichkeit auf den Kopf stellen" läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Die Verbissenheit, mit der seit einiger Zeit der Spiegel unter der Leitung des Augstein-Nachfolgers Stefan Aust gegen die sogenannten "Verschwörungstheoretiker" zu Felde zieht, ist vermutlich darin begründet, daß sich diese weiterhin dem, was man ursprünglich unter Enthüllungsjournalismus verstanden hat, verpflichtet sehen, während sich die Macher von Deutschlands bekanntester Zeitschrift damit begnügen, die offizielle Version der US-Regierung über die Ereignisse des 11. Septembers 2001 immer wieder aufs neue zu stützen. Das Verhalten des Spiegels, sich auf die alleinige Verantwortung von Osama Bin Laden und den 19 Selbstmordattentätern zu versteifen, hat vermutlich ganz einfache, wirtschaftliche Gründe. Schließlich dient das Hochglanzmagazin vom Hamburger Speersort deutschen wie ausländischen Großkonzernen seit Jahren als wichtiges Werbe- und Lifestyle-Vehikel. Bei keiner anderer Zeitschrift Deutschlands liegt der Werbeanteil im Vergleich zum redaktionellen Inhalt so hoch wie beim vermeintlich linksliberalen Spiegel.

Hinzu kommt, daß der Spiegel zum Tag, "der die Welt verändert" haben soll, mit dem eigenen Buch "11. September - Geschichte eines Terrorangriffs" am Markt vertreten ist. In eigener Sache heißt es hierzu: "Die besten Reporter des SPIEGEL, viele von ihnen preisgekrönte Buchautoren, haben die Geschichte des 11. September 2001 in monatelanger Arbeit recherchiert." Verglichen mit diesen verheißungsvollen Worten fällt das Ergebnis bescheiden aus. Das in tagebuchähnlicher Form verfaßte Spiegel-Werk liest sich weniger als seriöses Sachbuch denn als Drehbuchvorlage für einen Katastrophenfilm à la "Brennendes Inferno". Zwar erfährt man jede Menge über die Schicksale der Betroffenen und lernt viel Lokalkolorit aus New York und den USA kennen, doch zum Anschlag selbst und seine Hintergründe werden lediglich die offiziellen Angaben unhinterfragt weitergereicht.

Darüber hinaus strotzt das Buch vor stilistischen Ausschmückungen, welche mit Aufklärung rein gar nichts, dafür aber mit der aggressiven Ausrichtung des deutschen Lesers auf die angebliche islamistische Weltbedrohung alles zu tun haben. Daß dies das Ziel der Spiegel- Autoren ist, wird gleich im Vorwort auf den Seiten 8 und 9 unmißverständlich klar gemacht:

Nichts bleibt, wie es ist, hieß es in den Tagen nach dem 11. September überall, und das ist schon jetzt als Floskel erledigt. Vieles ist so, wie es vor dem 11. September war. Und dennoch ist der Angriff auf das World Trade Center ein Angriff auf unser Denken. Vieles von dem, was wir vorher wußten, ist nicht mehr viel wert. Und wer nicht begreift, was er nicht weiß, wird zum nützlichen Idioten des Terrors.
(...) Das Attentat ist ein Angriff auf unser Denken, in den Trümmern des World Trade Center liegen neue Wahrheiten und Fragen: eine Horde unauffälliger, intelligenter, todessüchtiger Islamisten zieht um die Welt. Wie kann man verhindern, dass sie uns in die Luft jagen, dass sie noch mehr werden, dass sie uns für Gesindel halten?

Die Antwort des Spiegels auf diese Frage scheint in der emotionalen Überhöhung des Schreckens vom 11. September und im Aufbauschen der von den Islamisten angeblich ausgehenden Bedrohung zu liegen. Ein krasses Beispiel der Instrumentalisierung der Todesopfer, sozusagen schamloser Leichenfledderei, stellt folgendes Zitat von Seite 71 dar:

"Weiter hinten an Bord von United Airlines 175 freut sich Ruth McCourt, 45, über die Vorfreude ihrer vierjährigen Tochter Juliana. Mit 45 anderen Passagieren fliegen die beiden von Boston nach Los Angeles, ein Ausflug. Dem Mädchen ist ein Besuch in Disneyland versprochen, klein sitzt 'Miss J' im großen Flugzeugsitz, nervös vor der Begegnung mit Mickey, Goofy und Uncle 'Dagobert' Scrooge".

Woher, bitte sehr, wollen die Spiegel-Autoren von der Nervosität Juliana McCourts, die beim Sturz des Flugs UA 175 in den WTC-Südturm ums Leben kommen soll, wissen? Vielleicht hatte das Mädchen Schmerzen in den Ohren wegen der Luftdruckschwankungen in der Maschine und war mit diesem Problem anstatt mit der Vorfreude auf die große Begegnung mit den lieben Disney-Figuren beschäftigt? Die gleiche Haltlosigkeit gilt für die auf Seite 52 präsentierte Beschreibung der letzten Momente des Flugs der Maschine American Airlines 11, die in den WTC- Nordturm stürzte:

Im Cockpit sitzt Mohammed Atta, in den schmalen Fenstern werden die Doppeltürme auf der Zungenspitze Manhattans in Sekundensplittern groß und riesig, als würde man ein Zoomobjektiv zu sich heranreißen.

Kennern moderner Actionfilme wie Mission Impossible oder Matrix sind solche Zoomeffekte nur zu vertraut, auf sie und ihr Vorstellungsvermögen ist diese Formulierung zugeschnitten. Doch ob der Betrachter im Cockpit den Anflug auf die Türme tatsächlich so empfunden hat, weiß auf dieser Welt letztlich niemand, auch nicht das Autorenteam um Stefan Aust und Cordt Schnibben. Wie sehr im Spiegel- Buch der von Ex-CIA-Mann Samuel P. Huntington postulierte "Kampf der Kulturen" zwischen dem Westen und der islamischen Welt beschworen wird, zeigt die folgende perfide Beschreibung einer Episode, welche Chuck Allen, ein Computerfachmann aus Minnesota, erlebt haben soll, nachdem er sich aus dem 83. Stockwerk des WTC-Nordturms retten konnte:

Allen ruft seine Frau Sabah an. Er fragt: 'Was ist eigentlich passiert?' Dann geht er in Richtung Norden. Irgendwo, schon nahe Midtown, möchte er sich die Telefonnummer eines anderen Überlebenden notieren. Er fragt einen Pakistaner, der neben seinem Obststand wartet, nach einem Stift. Chuck Allen hat lange in islamischen Ländern gelebt. Er ist sich sicher, in fremden Gesichtern lesen zu können. Er ahnt, was jetzt passieren wird. Aber er möchte es wissen: 'Ist das nicht entsetzlich?', fragt er den Obstmann. Der Mann dreht den Kopf zur Seite. Er sagt nichts. Allen denkt: Er kann nicht sagen, dass er Sympathien hat für das, was da geschehen ist. Aber er hat sie.

Die vollkommen nachvollziehbare Sprachlosigkeit eines in New York lebenden Pakistaners angesichts eines in seinen Dimensionen alles bis dahin übertreffenden Anschlages - vielleicht vermutete der Obsthändler auch islamistische Täter am Werk und hat sich deshalb geschämt - dient dem Spiegel dazu, die angeblich vom Feind im Innern ausgehende Gefahr an die Wand zu malen. Die Bemühungen um dieses mehr als durchsichtige Bedrohungsszenario westlicher Sicherheitsfanatiker erreichen ziemlich zum Schluß des Buchs auf Seite 201 ihren Höhepunkt:

Nach Erkenntnissen der CIA gibt es weltweit sechs bis sieben Millionen radikale Muslime, die mit den Ideen Osama Bin Ladens sympathisieren, darunter 120.000, die bereit sind zum Kampf. Dass es im Fall World Trade Center einen direkten Befehl gegeben habe, bezweifeln selbst die Amerikaner; Befehle des Meisters brauchte es gar nicht. Viele der Terroristen waren bei Bin Laden im Trainingslager; sie wissen, was das Ziel ist. Was werden sie tun, wenn Bin Laden stirbt?
Tausende sind nach der Ausbildung nach Europa gekommen. In jedem neuen Land, das sie aufsuchen, können sie eine neue Identität annehmen.
Unterstützer?
Haben sie. Überall.
Angst?
Haben sie nicht. 'Der Himmel lächelt, mein junger Sohn', so steht es ja in Attas Leitfaden, 'denn du marschierst zum Himmel'.

Von dieser von den US-Behörden Ende September 2001 lediglich in einer englischen Übersetzung veröffentlichten "Fibel für Selbstmordattentäter" macht der Spiegel in seinem Buch zum 11. September reichlich Gebrauch. Er präsentiert sie nicht nur komplett im Anhang, sondern läßt bei passender Gelegenheit einzelne Passagen in die Tagebucheintragungen einfließen, in denen die Aktivitäten von Atta und Co. sowohl vor dem Anschlag wie auch währenddessen beschrieben werden. Daß es für das angebliche Handeln der Selbstmordattentäter in den Flugzeugen selbst nicht einen einzigen bisher freigegebenen, stichhaltigen Beweis gibt, stört die Spiegel- Autoren nicht im geringsten. Ebenso wenig scheint es ihnen auszumachen, daß nicht wenige Religionsexperten das am Flughafen von Boston gefundene Dokument für ein Kunstprodukt halten. Für diese These sprechen zahlreiche Formulierungen des Dokumentes, die eher der christlichen als der islamischen Vorstellungswelt zuzurechnen sind.

Die Liste der zum 11. September gehörenden Fragen- und Themenkomplexe, die eine eingehendere Behandlung durch den Spiegel mehr als verdient hätten, jedoch im vorliegenden Buch ausgeblendet werden, ist lang. Hierzu müßte unter anderem folgendes gehören:

- die Vorbereitungen Washingtons auf einen Krieg gegen die Taliban und einen Ausbau der US-Militärpräsenz in Zentralasien schon lange vor dem 11. September
- die zahlreichen Erkenntnisse des US-Sicherheitsapparates über geplante Anschläge islamistischer Freischärler auf den zivilen Luftverkehr der USA einschließlich der Behinderung konkreter Ermittlungen mehrerer FBI-Lokalbüros durch höhere Stellen in Washington
- der ungewöhnlich hohe Börsenhandel in den Tagen vor dem Flugzeuganschlag auf das World Trade Center mit Aktien derjenigen Firmen, die wie American Airlines und United Airlines am meisten darunter leiden sollten - Transaktionen, welche trotz früherer Versprechen der wichtigsten internationalen Finanzinstitutionen bis heute nicht aufgeklärt worden sind
- das unerklärliche Versagen der US-Luftwaffe hinsichtlich des Schutzes des amerikanischen Luftraums
- die Tatsache, daß es zwei Mitglieder der New Yorker Feuerwehr bis zur Unglückstelle im 78. Stock des WTC-Südturms geschafft haben und die wenigen Brandstellen dort für löschbar hielten - was natürlich Zweifel an der Theorie von der Hitze als Ursache des Zusammenbruchs der Türme aufkommen läßt
- die langjährigen Verbindungen zwischen der CIA und Osama Bin Laden
- die Hinweise, wonach Bin Ladens Bodyguard Ali Mohammed nicht nur ein ehemaliger Ausbilder der US-Spezialstreitkräfte, sondern bis zuletzt Agent des amerikanischen Geheimdienstes war
- die Rolle der Geheimdienste Saudi-Arabiens, Pakistans und der USA beim Aufbau nicht nur der Taliban, sondern auch von Bin Ladens Al Kaida
- die Kontakte zwischen dem damaligen Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, Mahmoud Ahmed, und dem Anführer der mutmaßlichen Luftpiraten, Mohammed Atta
- die langjährigen geschäftlichen Verbindungen zwischen der Bush- und der Bin-Laden-Familie
- die Rolle der saudischen Bush-Freunde bei den BCCI- und Iran-Contra-Skandalen
- die unaufgeklärten Anthrax-Anschläge im Herbst 2001, vor deren Hintergrund das drakonische Staatsschutzgesetz USA-PATRIOT vom Kongreß im Eilverfahren verabschiedet wurde
- die vielen spektakulären "Terroranschläge" der letzten Jahre, bei denen eine Verwicklung der Geheimdienste entweder Israels oder der USA stark vermutet wird: Achille Lauro 1985, La Belle/Berlin 1986, Lockerbie 1988, World Trade Center 1993, Oklahoma 1995, Nairobi und Daressalam 1998
- der von den großen Medien weitestgehend ignorierte Skandal um die im Jahre 2001 in den USA als israelische Spione enttarnten "Kunststudenten", welche unter anderem offenbar die mutmaßlichen Al- Kaida-Flugzeugentführer beschattet haben
- die Vereitelung der Untersuchung des Anschlages im Herbst 2000 auf das US-Kriegsschiff Cole im Hafen von Aden und der deshalb im Sommer 2001 erfolgte Rücktritt des FBI-Chefermittlers John O'Neill, der wenige Wochen danach in seiner neuen Position als Sicherheitschef des World Trade Center beim Anschlag auf die Zwillingstürme ums Leben kommen sollte
- die Parallele zwischen den Ereignissen des 11. Septembers und dem 1963 von den Vereinigten Stabchefs der USA entworfenen Plan - "Operation Northwoods" - zur Herbeiführung eines Vorwandes für einen Einmarsch in Kuba. Der Plan sah nämlich die Durchführung von Terroranschlägen auf dem Territorium der USA vor, welche man der kommunistischen Regierung Fidel Castros in Havanna in die Schuhe geschoben hätte. Der Plan für diese Operation wurde bekanntlich von US-Präsident John F. Kennedy verworfen.

Anstelle solch dringenden Fragen nachzugehen, beschränkt sich der Spiegel auf die Legendenbildung. Mehrmals im Buch wird in Verbindung mit dem sogenannten "20. Flugzeugentführer" Zacarias Moussaoui erwähnt, dieser sei deshalb im August 2001 ins Netz der Polizei in Minnesota gegangen, weil er an einer Flugschule dort lernen wollte, wie man mit Großraummaschinen Kurven fliegt, sich jedoch nicht für Starts oder Landungen interessierte. Mit dieser "urbanen Legende" hat der preisgekrönte US-Journalist Seymour Hersh Ende September 2002 in der Zeitschrift New Yorker restlos aufgeräumt. Moussaoui löste deshalb Mißtrauen in der Flugschule in Minnesota aus, weil er auf eine eher flappsige Frage seines Lehrers nach islamischen Bräuchen unwirsch reagierte.

Der Fall des sonderbaren französisch-marokkanischen Flugschülers wirft bis heute viele dem US-Sicherheitsapparat unangehme Fragen auf. Nach der Verhaftung am 16. August drängte das FBI in Minneapolis darauf, Moussaouis sichergestellten Computer und seine Telefonverbindungen untersuchen zu dürfen. Weshalb es hierzu nicht kam, beantwortet der Spiegel wie folgt: "... die Chefs im Hauptquartier in Washington winkten ab: da hätten sie wirklich Wichtigeres zu tun." Daß es der Spiegel an dieser Stelle bei einer hämischen Bemerkung beläßt, statt den Leser en détail mit dem Fall Moussaoui vertraut zu machen, ist ein Indiz für mangelnden Aufklärungswillen.

Den zuständigen Spiegel-Mitarbeitern dürfte kaum entgangen sein, daß Coleen Rowley, Rechtsanwältin des FBI-Büros in Minneapolis, im letzten Frühsommer in einem spektakulären, offenen Brief an Robert Mueller, den Chef der amerikanischen Bundespolizei, sowie bei einem späteren Auftritt vor dem Kongreß den Terrorabwehrexperten in Washington vorgeworfen hat, die Ermittlungen im Fall Moussaoui gezielt torpediert zu haben, welche womöglich rechtzeitig die Verschwörung zum 11. September hätten auffliegen lassen können. Wegen dieser Enthüllung war Rowley vom US-Nachrichtenmagazin Time die Auszeichnung Person des Jahres 2002 verliehen worden.

Dank Coleen Rowley weiß man inzwischen, warum Washington einen Antrag auf Durschsuchungsbefehl im Fall Moussaoui für wenig aussichtsreich hielt, doch wirft die Erklärung mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Nach Angaben der FBI-Anwältin aus Minneapolis, hat das Hauptquartier in Washington die Erkenntnisse über den bekannten Islamisten Moussaoui - unter anderem vom französischen Geheimdienst -gezielt relativiert und abgeschwächt, bevor man sie von der FBI- Rechtsabteilung auf ihre Tauglichkeit für das FISA-Gericht überprüfen ließ. Dies erklärte Rowley in jenem berühmten Brief, den sie am 21. Mai 2002 gleichzeitig an FBI-Chef Mueller sowie an den zuständigen Justizausschuß des Kongresses schickte.

Rowleys Vorwurf lautet deshalb, das FBI-Hauptquartier hätte die Ermittlungen gegen Moussaoui "unterminiert" und den Beamten in Minneapolis wiederholt "Hindernisse" in den Weg gelegt. Während sich Washington bereits vor dem 11. September "über die von Moussaoui und seinen möglichen Mitverschwörern ausgehende, terroristische Gefahr im klaren gewesen" sei, hätte der im FBI-Hauptquartier für die Zusammenarbeit zuständige Beamte, der Supervisory Special Agent (SSA) Dave Frasca, "konsequent, quasi absichtlich die Bemühungen der Kollegen in Minneapolis blockiert". Rowley fragte zwar rhetorisch, jedoch direkt: "Warum würde ein Agent oder würden Agenten des FBI eine Ermittlung absichtlich sabotieren?" Eine angemessene Antwort auf diese Frage ist FBI-Chef Mueller und mit ihm die gesamte Bush- Regierung der Welt bis heute schuldig geblieben. Im Spiegel-Buch werden die Vorwürfe Rowleys mit keinem Wort erwähnt - vielleicht weil sie zu beunruhigend sind?

Zu den diversen Empfehlungen auf der Rückseite des Spiegelbuchs gehören folgende Worte Ulrich Wickerts: "Brillanter Journalismus, präzise wie ein Sachbuch, spannend wie ein Roman." Ein solches Prädikat seitens des Mannes, dessen Hauptaufgabe als Moderator der ARD-Tagesthemen inzwischen darin zu bestehen scheint, dem deutschen Michel daheim im Fernsehland "eine geruhsame Nacht" zu wünschen, sagt alles. Das Spiegel-Buch "11. September - Geschichte eines Terrorangriffs" ist genau das - eine Gutenachtgeschichte für Menschen, die anderen das Denken überlassen und selbst weiterschlafen wollen.

15. September 2003


Stefan Aust & Cordt Schnibben (Hrsg.)
11. September - Geschichte eines Terrorangriffs
Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2003
288 Seiten, 12,50 Euro
ISBN 3-423-34026-6