Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → SACHBUCH

REZENSION/184: Robert Backes - Das Schweigen des Geldes (Banken) (SB)


Ernest Backes, Denis Robert


Das Schweigen des Geldes

Die Clearstream-Affäre



Von den Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, die sich durch die Rubrik Enthüllungsjournalismus von der breiten Masse abzuheben versuchen, gelingt es nur sehr wenigen, gesellschaftliche Instanzen zu konkreten Maßnahmen gegen den von ihnen aufgedeckten Mißstand in Bewegung zu setzen. Das vorliegende Buch "Das Schweigen des Geldes. Die Clearstream-Affäre" zählt zu den wenigen Ausnahmen. Darin haben der Finanzexperte Ernest Backes und der Journalist Denis Robert das Geschäftsgebaren eines sehr speziellen Vorgangs im "globalen Finanzdorf" offengelegt, des Clearings, mit dem der elektronische Wertpapierhandel zwischen den Banken beschrieben wird. Den Autoren zufolge bietet das Clearing den Kunden nicht nur die Möglichkeit zur Geldwäsche - sie werde auch von ihnen genutzt.

Die Enthüllungen - im französischen Original aus dem Jahre 2001 lautet der Buchtitel passenderweise "RÉVÉLATION$" - gehen auf den Insider Ernest Backes zurück, der Anfang der siebziger Jahre am Aufbau der in Luxemburg ansässigen Clearingbank Cedel beteiligt war; diese wird seit 1999 unter dem Namen Clearstream geführt. Neben Euroclear in Brüssel ist sie bis heute die einzige Institution weltweit, die den internationalen Clearingverkehr der Banken untereinander abwickelt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Clearingbanken, die auf nationaler Ebene tätig sind.

Cedel hatte sich das neue Geschäftsfeld binnen weniger Jahre mit großem Erfolg erschlossen. Mußten vor Beginn des elektronischen Datenverkehrs Wertpapiere aller Art über Fax ("Faxmoney") vermittelt oder gar persönlich von einer Bank zu anderen Bank gebracht werden, was in der Regel mit Flugreisen verbunden und folglich äußerst zeitraubend war, so gelang es Clearstream, mit Hilfe des elektronischen Datentransfers die Bearbeitungszeit erheblich zu verkürzen.

Im "financial Village" ist Zeit Geld, und so wundert es nicht, daß sich nahezu alle wichtigen Banken innerhalb kurzer Zeit diesem System angeschlossen haben. Cedel verdiente zu einem gewissen Prozentsatz an den Transaktionen sowie an dem Service des Wertpapierdepots. Das machte die Bank zu einem Milliardenunternehmen. Im Jahre 2000 hatte Clearstream eigenen Angaben zufolge die Summe von zehn Billionen (10.000 Milliarden) Euro auf seinen Konten; der Konkurrent Euroclear kam auf sieben Billionen Euro. Solche Zahlen verdeutlichen, daß bei der elektronischen Verrechnung von Wertpapieren wie Aktien, Obligationen, etc. hohe Summen im Spiel sind, mit denen selbstverständlich Einfluß ausgeübt werden kann.

Auch wenn die Clearingbanken vornehmlich als Depot dienen und dafür sorgen, daß die Abwicklung zwischen den Banken reibungslos verläuft, sind sie selbstverständlich mehr als nur Hüter von Werten, mit denen andere handeln. Denn als Bank hat Clearstream die Wahl, ein Konto zu eröffnen oder zu verweigern, es öffentlich zu machen oder es unveröffentlicht zu belassen. Backes und Robert monieren hier vor allem die teilweise nicht einmal den Mitarbeitern Clearstreams bekannten rund 8000 unveröffentlichten, geheimen Konten, über die der Kunde keine Rechenschaft abzulegen habe und die sich hervorragend zur Geldwäsche eigneten. Die beim Clearingverfahren gehandelten Werte werden nicht mehr transportiert, sondern wechseln lediglich auf elektronischem Wege ihren Besitzer. Ein einfacher Eintrag genügt. Für Leute, die ihr Geld aus illegalen Geschäften waschen wollen, bietet Clearing somit einen leichten Zugang zum legalen Geldsystem.

1983 wurde Ernest Backes fristlos entlassen. Offensichtlich hatte er seinen Beruf sehr ernst genommen und so manche heikle Finanzoperationen nicht mittragen wollen. Beispielsweise berichtete er, daß entgegen der öffentlichen Darstellung Washington den iranischen Geiselnehmern in Teheran Anfang der achtziger Jahre tatsächlich ein Lösegeld für die Freilassung von seit 18 Monaten festgehaltenen 55 amerikanischen Geiseln gezahlt hatte. Er, Backes, habe am 16. Januar 1981 eine Eilorder der Federal Reserve Bank und der Bank of England (die US- amerikanische und die englische Zentralbank) erhalten, Wertpapiere im Wert von 7 Millionen Dollar von einem Konto der Chase Manhattan Bank und einem Konto der Citibank zu entnehmen und an die algerische Nationalbank zu überweisen. Diese hätte als Sammelstelle für weitere Überweisungen aus anderen Quellen gedient und das Geld an eine iranische Bank in Teheran gesandt.

Zwei Tage später seien die Geiseln freigelassen worden. Backes fühlte sich mißbraucht, als sich herausstellte, daß Ronald Reagan und sein Vize George Bush sen. die Geiselentlassung um drei Wochen verzögert hatten, um Jimmy Carters Wiederwahl zu vereiteln. Der Coup gelang, und Backes hatte unfreiwillig seinen Part in dem schmutzigen Geschäft gespielt. Als er jedoch mit einem Vorstandsmitglied Cedels darüber sprechen wollte, stieß er auf taube Ohren.

Schon nach kurzer Zeit hatten sich bei Cedel Gegenkräfte formiert, die ein weniger sensibles Finanzgebaren an den Tag legten und denen ein rechtschaffener, sicherlich auch hartnäckiger Mitarbeiter im Wege stand. Bezeichnenderweise kam ein anderer Pionier Cedels, Gérard Soisson, im gleichen Jahr wie Backes' fristlose Entlassung unter mysteriösen Umständen ums Leben. Der Tod des Vorstandsmitglieds wurde offiziell als Selbstmord ausgewiesen, später kamen aber Hinweise auf, die eher auf Mord deuten.

Cedel wuchs und wuchs, im Unterschied zu Euroclear nahm die Zahl der unveröffentlichten Konten unverhältnismäßig zu. Backes besaß so tiefgreifende Kenntnisse über "sein" System, daß er an Listen über die unveröffentlichten Konten herankam und sie zu lesen verstand. Elektronischer Zahlungsverkehr ist zwar virtuell und flüchtig, aber die Vorgänge werden irgendwo registriert. Backes wußte, wo das geschah.

Ihm und Robert ist es zu verdanken, daß diese Schnittstelle der internationalen Finanzabwicklung zwischen den Banken (und, entgegen der ursprünglichen Satzung, mittlerweile auch zwischen Konzernen) in ein gestochen scharfes Scheinwerferlicht getaucht wurde. In Verbindung mit einer Dokumentation, die im Jahre 2001 von dem französischen Fernsehsender Canal+ ausgestrahlt wurde, haben die Autoren die Entlassung des Clearstreamvorstands bewirkt.

Ungeachtet dessen resultiert die sogenannte Clearstream-Affäre nicht aus der Aufdeckung konkreter Fälle von Geldwäsche, sondern sie beschränkt sich auf die Bekanntmachung der Existenz des Systems sowie die Offenlegung personeller und institutioneller Verquickungen. So sind in die Clearstream-Affäre nicht nur die Vorstandsmitglieder dieser Bank verwickelt, sondern auch bekannte Persönlichkeiten aus dem luxemburgischen und dem übrigen europäischen Adel sowie Politiker wie Jacques Santer, ehemaliger luxemburgischer Premierminister, des weiteren der Vatikan, Geheimlogen und Wirtschaftsbosse aus der ganzen Welt. Die Autoren zeigen auf, daß sich in der Institution Clearstream die Interessen von Banken, Unternehmen, Politikern, Geldwäschern und Geheimdiensten vortrefflich ergänzen. Wer deswegen jedoch erwartet, daß hinter dem Titel "Das Schweigen des Geldes" eine Fundamentalkritik am vorherrschenden kapitalistischen System oder deren Hauptnutznießern geübt wird, wird schnell darüber aufgeklärt, daß sich die Autoren als Saubermänner begreifen, die mit ihren Enthüllungen letztlich einige Schlupflöcher des Systems schließen möchten. So heißt es auf Seite 13:

Wir stellen hier die Frage nach der Verantwortlichkeit der Benutzer, Geschäftsführer und Vorstände dieses internationalen Finanzsystems wie auch führender Politiker in Luxemburg, Europa und den Vereinigten Staaten, die es Kunden ermöglicht haben, den Transfer von Geldern oder Wertpapieren zu verschleiern, und die manchmal selbst dieses Netzwerk genutzt haben.

Das ist ein rechtschaffenes Anliegen, das dementsprechend gewürdigt werden sollte. Dazu paßt auch, daß Ernest Backes nach seiner Entlassung von Cedel 1983 eng mit staatlichen Einrichtungen wie der US-Bundespolizei FBI und Staatsanwaltschaften sowie mit Richtern zusammengearbeitet hat. Seine Fachkenntnisse waren sehr gefragt.

Doch die Koketterie mit Karl Marx, von dem gesagt wird, er sei ebenso wie Ernest Backes in Trier zur Welt gekommen, hätten sich die Autoren sparen können. Daß beide den "Interessen des Kapitalismus" (S. 12) gefährlich werden könnten, ist eine völlig überzogene Gleichsetzung. Mehr noch, es ist sogar eine völlige Fehleinschätzung der Breitenwirkung der Enthüllung Ernest Backes'. Denn wie sich gezeigt hat, besteht der Erfolg des Buchs lediglich in der Entlassung des Clearstream-Vorstands. Dessen Funktion erfüllt nun jemand anderes. Vielleicht arbeitet dieser strikt nach dem Gesetzbuch, vielleicht achtet er auch nur schärfer als sein Vorgänger darauf, nicht erwischt zu werden. Wie auch immer, in beiden Fällen hat sich an dem Finanzsystem prinzipiell nichts geändert. Im Gegenteil, es geht aus der Clearstream-Affäre gestärkt hervor.

Als Opfer dieses Systems sind nach Backes und Robert "in erster Linie die Staaten" zu nennen, "die für verschleierte grenzüberschreitende Transaktionen keine Steuern einnehmen konnten". Geschädigt würden auch Millionen von Aktionären und Sparern, "denen diese Praktiken verheimlicht werden" (S. 13), sowie die Steuerzahler. Hieraus läßt sich ableiten, daß der eigentliche Skandal, der von den Autoren aufgedeckt wurde, in den entgangenen Steuereinnahmen besteht. Sie wollen also der Umverteilung von unten nach oben Einhalt gebieten. Dementsprechend machen sie sich für die Einführung der sogenannten Tobin-Steuer stark und schlagen vor, Clearstream sozusagen von einem Saulus in einen Paulus zu wandeln und zum administrativen Beobachtungsposten des internationalen Finanztransfers zu machen:

"Weder bei Fachleuten von Attac noch bei Gegnern der Tobin-Steuer fällt je der Name Cedel oder Euroclear. Wie oft habe ich es erlebt, daß Politiker und als seriös geltende Wirtschaftsexperten nach verschiedenen Einwänden versicherten, es sie unrealistisch - ja "dumm" -, Finanztransaktionen mit einer solchen Abgabe zu belegen. Manche äußerten die Ansicht, es sei unrealistisch, diese Finanztransaktionen zu beziffern. Das vorliegende Buch widerlegt das und zeigt, daß sich die Summe der täglich abgewickelten Finanztransaktionen sehr wohl präzise - und mit relativ wenig Aufwand - ermitteln läßt, da die allermeisten über nur zwei internationale Verrechnungsstellen abgewickelt und dort archiviert werden. Gleiches gilt für nationale Transaktionen, da nationale Clearingfirmen sie auf dieselbe Weise registrieren und archivieren." (S. 195)

Bei Attac handelt es sich um eine inzwischen in verschiedene gesellschaftliche Bereiche vorgestoßene weltweite Protestbewegung, deren ursprüngliches Anliegen in der demokratischen Kontrolle der Finanzinstitutionen und -märkte bestand. Attac-Anhänger sprechen sich für die Einführung der Tobin-Steuer aus. Diese war in den sechziger Jahren von dem Nobelpreisträger für Wirtschaft, James Tobin, vorgeschlagen worden und sah steuerliche Abgaben auf internationale Kapitalbewegungen vor. Die Attac-Bewegung möchte die darüber eingenommenen Gelder für Entwicklungsprogramme in den armen Ländern einsetzen.

Backes und Robert liefern dieser Bewegung mit "Das Schweigen des Geldes" Schützenhilfe, indem sie die Clearingbanken als geeignete Instanzen zur administrativen Kontrolle der Finanztransfers umfunktionieren wollen. Mit dem Konzept der Tobin- Steuer verfolgen sowohl die Autoren als auch Attac ein systemimmanentes Anliegen. Wenn sich die Höhe der Entwicklungshilfe an der Höhe des internationalen Kapitalverkehrs bemißt, dann wäre den armen Ländern nur zu wünschen, daß von den reichen Staaten reichlich Kapital hin- und hergeschoben würde. Dadurch würde der Bock zum Gärtner gemacht, ist doch gerade die Verfügung über Kapital ein zentrales Werkzeug der vorherrschenden Ordnung, in der arme und reiche Länder voneinander geschieden werden, genauer gesagt, Länder, die sich eine extreme Verschuldung leisten können, und Länder, die trotz einer ungleich geringeren Verschuldung auf schmerzhafteste Weise zur Kasse gebeten werden. Kurzum, eine Kapitalismuskritik ist von dem Buch nicht zu erwarten.

Bleibt zum Schluß noch anzumerken, daß das Buch aus zwei Teilen besteht. Im ersten geht es um die eigentlichen Ermittlungen der Clearstream-Affäre. Der zweite Teil besteht aus einem Stichwortverzeichnis, in dem "Fachbegriffe", "Banken, Clearingstellen, Kreditinstitute", "Affären" und "Personen" aufgeführt werden, von denen im ersten Teil die Rede war. Obgleich die zweite Hälfte inhaltlich mit der ersten verbunden - was bei dem Oberbegriff globales Finanzdorf unvermeidlich ist -, wirkt der zweite Teil wie ein seitenfüllendes Anhängsel, ganz so, als wenn die Autoren unbedingt noch die von Ernest Backes in zwanzig Jahren gesammelten Archive unterbringen wollten. Den erläuterten Begriffen aus der Welt der Finanzen, Skandale und Geheimbünde mangelt es an einem übergeordneten, sie in einen Sinnzusammenhang bindenden Konzept; die Ausführlichkeit, mit der einzelne Stichworte abgehandelt werden, scheint sich nach dem zu richten, was (in den Archiven Backes) vorhanden war, und nicht nach dem, was an weiterem Hintergrund zu der Clearstream-Affäre für die Leser interessant sein könnte.

Zusätzlich zu diesem Stichwortverzeichnis bietet das Buch noch über 30 Seiten Anmerkungen, die wiederum sehr lesenswert sind, da sie in einem direkten Bezug zum laufenden Text stehen. Die Mühe lohnt sich, an den jeweiligen Stellen in den Anhang zu springen und sich darüber zusätzliche Informationen über das gerade behandelte Thema zu verschaffen. Als Ernest Backes und Denis Robert ihr Buch im Jahre 2001 in Frankreich veröffentlichten, sorgten sie für einigen Wirbel. Die deutsche Übersetzung kommt zwar etwas spät, um jenes Aufsehen noch für sich zu nutzen, aber angesichts der in der Zwischenzeit publik gewordenen Skandale um Enron (Herbst 2001), Worldcom (Juli 2002) und hochaktuell Parmalat erinnert das Buch "Das Schweigen des Geldes - Die Clearstream-Affäre" noch einmal eindringlich an die Verflochtenheit von Wirtschaft, Banken und Politik, die ansonsten allzu schnell dem Vergessen anheimfällt.


Ernest Backes, Denis Robert
Das Schweigen des Geldes
Die Clearstream-Affäre
Pendo Verlag, Zürich 2003
384 Seiten
ISBN 3-85842-546-X