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REZENSION/304: James Risen - State of War (US-Sicherheitspolitik) (SB)


State of War Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration James Risen Hoffman und Campe Verlag - Hamburg




Selten hat ein Sachbuch beziehungsweise dessen Vorankündigung dermaßen hohe politische Wellen geschlagen wie James Risens "State of War - Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration". Als Risen und sein Kollege Eric Lichtblau mit dem am 16. Dezember 2005 in der New York Times erschienenen Artikel "Bush lets U.S. Spy on Callers Without Courts" erstmals bekanntmachten, die National Security Agency (NSA), der elektronische Nachrichtendienst der USA und zugleich mit Abstand größte und bestausgestattete Geheimdienst der Welt, spioniere seit Anfang 2002 auf Anweisung von Präsident George W. Bush die eigenen Bürger aus, schlug diese Nachricht wie die sprichwörtliche Bombe ein. Seitdem tobt in den USA ein heftiger verfassungsrechtlicher Streit darüber, ob Bush mit jener Anweisung bestehendes Gesetz mit Füßen getreten habe und deshalb ein Amtsenthebungsverfahren verdiene oder ob das Weiße Haus mit der drakonischen Maßnahme lediglich seiner Pflicht zum Schutz Amerikas und dessen Bevölkerung nachgekommen sei.

So sehr Risen und Lichtblaus Artikel über die nach Meinung namhafter Rechtsgelehrter in den USA illegalen Lauschaktivitäten der NSA im Innern zu begrüßen ist, geben die Umstände der spektakulären Enthüllung sehr wohl zu Bedenken Anlaß. Bereits mehr als ein Jahr zuvor hatte das NYT-Journalistengespann von der strenggeheimen NSA-Lauschoperation erfahren und im Oktober 2004 einen entsprechenden Artikel darüber verfaßt. Doch wurde dieser damals von der Redaktion der New York Times zurückgehalten. Obwohl die Verantwortlichen bei der einflußreichsten Zeitung der Welt für diese sonderbare Entscheidung bis heute keine plausible Erklärung präsentiert haben, ist diese doch unschwer zu erraten. Wäre die NSA-Spionage im Innern schon im Herbst 2004 bekannt geworden, hätte die daraus entstandene Kontroverse wahrscheinlich dem selbsternannten "Kriegspräsidenten" Bush die Wiederwahl gekostet.

Und selbst, als die Veröffentlichung von Risens Buch, das sich eingehend mit der bisher unterbelichteten Rolle der NSA im "globalen Antiterrorkrieg" befaßt, bevorstand, reisten Anfang letzten Dezembers der NYT-Eigentümer Arthur Sulzberger jun. und sein Chefredakteur Bill Keller nach Washington, um in vertrauter Runde des Oval Office Bush vorab über die geplante, verspätete Veröffentlichung des bereits erwähnten Artikels zu informieren. Der sich deswegen aufdrängende Verdacht, bei Risens "State of War" handele es sich um ein weiteres Beispiel für das, was man im Geheimdienstjargon einen "limited hang-out" nennt, das heißt das Heraushängen eines ausgesuchten Teils der schmutzigen Wäsche, um die Aufdeckung von noch Schlimmerem zu verhindern, bekommt Nahrung durch den Inhalt dieser Lektüre.

Die Erkenntnisse Risens über die Art und Weise, wie während der ersten Amtszeit der Bush-Regierung Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld an Außenminister Colin Powell, der Nationaler Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie dem CIA-Chef George Tenet vorbeiregierten, sich über Beschlüsse des Kabinetts hinwegsetzten und sogar die Anweisungen des Präsidenten ignorierten, sind zwar erschreckend, aber auch nicht besonders neu (Über die einseitigen Machtverhältnisse im Bush-Kabinett haben bereits andere wie der frühere Ex-Finanzminister Paul O'Neill, der ehemalige Antiterrorbeauftragte Richard Clarke und Powells damaliger Stabschef Lawrence Wilkerson berichtet). Das gleiche gilt sowohl für die Verbreitung all der Behauptungen bezüglich der vom Irak Saddam Husseins ausgehenden Bedrohung als auch für die Entstehung des weltweiten Gulag-Systems einschließlich Guantánamo Bay, für die CIA-Folterflüge und die von Rumsfeld geschaffenen Killerkommandos.

Rumsfeld und Cheney, die beide hochrangige Positionen in den republikanischen Regierungen Richard Nixons und dessen Nachfolgers Gerald Ford bekleideten - Rumsfeld sogar als jüngster Verteidigungsminister in der Geschichte Amerikas -, stehen an der Spitze derjenigen neokonservativen Kräfte, die in den USA jahrzehntelang danach trachteten, die infolge des Watergate-Skandals und des schmachvollen Abzugs der USA aus Vietnam eingeführten Einschränkungen der Exekutivgewalt im Innern und im Äußern wieder abzuschaffen. Hierzu sollten die Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 die perfekte Gelegenheit bieten. Wie Risen zeigt, hat die Gruppe um Rumsfeld und Cheney - Stichwort "Project for the New American Century" - diese einmalige Chance, die von ihnen erwünschte "Transformation" nicht nur der Streitkräfte und der gesamten Gesellschaft der USA, sondern auch der internationalen Staatenordnung in die Tat umsetzen zu können, beim Schopf gepackt.

Zu den zahlreichen Veränderungen gehören die Aussetzung der Genfer Konventionen für sogenannte "Terroristen", die Einrichtung geheimer Foltergefängnisse - aus deren schlimmstem mit Namen "Bright Light" die Inhaftierten laut Risen niemals lebendig zurückkehren sollen -, die völlige Mißachtung der universellen Menschenrechte, der Einsatz der US-Streitkräfte im Innern, obwohl von der US-Verfassung eigentlich verboten, die Aufnahme des Prinzips des präemptiven Angriffs - auch unter nach dem Nicht-Verbreitungsabkommen illegalen Einsatz von Nuklearwaffen gegen Nicht-Atomstaaten - in die strategische Militärdoktrin der USA, das drakonische Antiterrorgesetz USA-PATRIOT-Act und vieles mehr. Zurecht nennt Risen diese Entwicklung "eine radikale Abkehr von der gemäßigten Tradition der amerikanischen Außenpolitik" (S. 10) und stellt resigniert fest:

"Vor allem ist das System der gegenseitigen Kontrolle innerhalb der Exekutive der US-Regierung aus dem Gleichgewicht geraten, was gravierende Folgen hat: unter anderem ein neues Spionageprogramm gegen die Bürger im eigenen Land, die Entwicklung Afghanistans zu einem Drogenstaat und Chaos im Irak."
(S. 10f.)

Wie radikal diese Abkehr tatsächlich ausfällt, zeigen die spektakulären Enthüllungen Risens zu dem von Bush jun. angeordneten, seit vier Jahren laufenden NSA-Lauschangriff, der bei den ursprünglich wenigen Eingeweihten im Regierungsapparat lediglich "das Programm" hieß. Unter Verweis auf das Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) aus dem Jahr 1978, das die geheimdienstliche Ausspähung von US-Bürgern ohne die Genehmigung eines Sondergerichts ausdrücklich verbietet, schreibt Risen:

"Die Regierung Bush hat geltende Regeln und Bestimmungen aus fast dreißig Jahren beiseite gewischt und die NSA im Geheimen wieder zurück ins inländische Spionagegeschäft bugsiert. Die NSA bespitzelt in jedem gegebenen Moment rund fünfhundert Bürger der Vereinigten Staaten und hat potenziell Zugang zu Millionen von Anschlüssen in den Kommunikationsnetzen. Bush hat die NSA autorisiert, große Mengen von Telefongesprächen, E-Mail-Nachrichten und anderem Internet-Verkehr [...] zu belauschen, und das ohne gerichtliche Vollmacht und ohne neue Gesetze, die das klammheimliche Sammeln von Informationen im Inland gestatten würden."
(S. 55)

Wer denkt, davon wären nur die Bürger der USA betroffen, der täuscht sich gewaltig. Im Rahmen des "Programms" hat die NSA geheime Vereinbarungen mit den großen US-Telefongesellschaften getroffen und über den sogenannten "Transitverkehr" sowie über die in den USA befindlichen "Knotenpunkte" direkten Zugang zum weltweiten Kommunikationsnetz geschaffen. Bedenkt man die technischen Möglichkeiten der NSA, beispielsweise "das in Fort Meade versammelte Arsenal an Supercomputern, das als die weltweit größte Ballung von Rechenkapazität gilt" (S. 59), so ist klar, daß praktisch jedes Telefonat und jede E-Mail auf der Welt vom US-Geheimdienst erfaßt und ausgewertet werden kann.

Die Bush-Regierung, die weiterhin gegenüber dem Kongreß und der US-Öffentlichkeit die Details der umstrittenen NSA-Aktion geheimhält, behauptet seit Bekanntwerden des "Programms" felsenfest, es würden lediglich Kommunikationen zwischen "Terrorverdächtigen" im Ausland und Personen in den USA abgefangen. Diese Behauptung erscheint wenig glaubwürdig, denn für das FBI wäre es eine einfache Sache, für solche Kommunikationen eine Abhörgenehmigung vom zuständigen FISA-Gericht zu erwirken. Das FISA-Gesetz sieht sogar vor, daß die US-Geheimdienste im dringenden Fall auch drei Tage vorab ohne Genehmigung lauschen können. Für den naheliegenden Verdacht, die Bush-Regierung führe die Öffentlichkeit erneut in die Irre, sprechen die Angaben von Risens Quellen im US-Sicherheitsapparat:

"Über das genaue Ausmaß der Abhöraktionen der NSA ist wenig bekannt, doch lassen Äußerungen von Regierungsmitgliedern auf einen riesigen Maßstab schließen. Man habe, berichten sie, auf gerichtliche Bevollmächtigungen unter anderem deshalb verzichtet, weil die große Menge überwachter Telefongespräche und E-Mails eine zügige Genehmigung unmöglich gemacht hätte."
(S. 59f.)

Tatsächlich deuten alle bisherigen Indizien darauf hin, daß die Bush-Administration die mächtige NSA nicht nur benutzt, um innenpolitische Feinde wie linke Demokraten, einfache Friedensaktivisten, Globalisierungsgegner oder sogenannte 9/11- Verschwörungstheoretiker zu drangsalieren, sondern auch, um Kritiker im Regierungsapparat sowie beim Militär kaltzustellen. Die Spitze des Eisbergs wurde im letzten Herbst erkennbar, als sich im Senat keine Mehrheit für Bushs Nominierung John Boltons zum neuen Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen abzeichnete. Die massiv ablehnende Stimmung, die Bolton im Senat entgegenschlug, ging nicht zuletzt auf Vorwürfe zurück, dieser habe in den vier Jahren zuvor als Staatssekretär im Außenministerium, zuständig für internationale Rüstungsfragen, dort selbst Abweichler vom aggressiven Kriegskurs der Bush-Getreuen nicht nur massiv bedrängt, sondern auch noch - illegalerweise natürlich - geheimdienstlich ausspioniert. Leider findet im vorliegenden Buch der brisante Hintergrund der damals erbitterten Konfrontation, die Bush mit der Entsendung Boltons nach New York während der Parlamentsferien schließlich für sich entscheiden konnte, keine Erwähnung.

Wie Risen konstatiert, beruft sich zwar die Bush-Regierung zur Begründung der NSA-Spionageaktivitäten auf die Notwendigkeit, einen zweiten 11. September zu verhindern, ist jedoch bislang jeden konkreten Beweis, der diese These begründete, schuldig geblieben. Seltsamerweise unterläßt es Risen jedoch, ausgerechnet den Fall aufzugreifen, der die Haltlosigkeit jener Behauptung am eindeutigsten beweist. Bekanntlich hat die FBI-Zentrale in Washington Ende August, Anfang September 2001 mehrmals den Vorschlag der Kollegen in Minneapolis abgelehnt, einen FISA-Antrag zwecks Untersuchung des Laptops und der Telefonverbindungen des am 16. August in Minnesota inhaftierten Flugschülers Zacarias Moussaoui zu untersuchen - und das trotz der ausdrücklichen Einschätzung der FBI-Beamten in Minneapolis, daß der Franzose marokkanischer Herkunft eventuell plane, eine Passagiermaschine in das New Yorker World Trade Center zu fliegen. Erst nach dem 11. September sollte man auf der Festplatte des bekennenden Osama-Bin-Laden-Anhängers Daten von Telefonverbindungen zu den anderen mutmaßlichen Flugzeugentführern finden. Folglich steht seit der Veröffentlichung eines brisanten Briefs von Coleen Rowley, ihrerseits Rechtsanwältin des FBI-Büros im Minneapolis, an den FBI-Chef Robert Mueller und den US-Kongreß im Frühjahr 2002 der Vorwurf im Raum, das Hauptquartier der US-Bundespolizei in Washington habe in der Zeit vor den Flugzeuganschlägen aus bisher ungeklärten Gründen die Ermittlungen gegen Moussaoui "sabotiert" und den Beamten in Minnesota wiederholt "Hindernisse" in den Weg gelegt.

Der Fall Moussaoui ist leider nur eines von zahlreichen Beispielen, bei denen sich Risen einer die Regierung in Washington auffällig schonenden Interpretation der Ereignisse befleißigt. In Verbindung mit der Frage um die zweifelhafte Nützlichkeit von unter Folter gewonnenen Erkenntnissen führt Risen den Fall von Khalid Scheich Mohammed, dem angeblichen "Chefplaner" der Flugzeuganschläge, der inzwischen früher gegenüber der CIA gemachte Aussagen zurückgenommen haben soll, ins Feld. Es ist überhaupt nicht sicher, ob sich "KSM" in den Händen der CIA oder des Pentagons befindet, denn wie die Asia Times Online vor Jahren berichtete, gibt es deutliche Hinweise, daß das Al-Kaida-Führungsmitglied nicht, wie von Islamabad und Washington behauptet, Anfang 2003 inhaftiert, sondern bereits im Herbst 2002 bei der versuchten Festnahme in Pakistan getötet wurde.

Ein weitaus besseres Beispiel für die Unzuverlässigkeit von unter Folter erzwungenen Aussagen wäre der Fall Ibn Scheich Al Libi gewesen, laut Risen "eines der ersten Al-Kaida-Mitglieder, das im afghanischen Krieg gefasst worden war" (S. 39.). Risen bemängelt, daß der Libyer, anstatt dem FBI ausgehändigt zu werden, um ihn als Zeugen beim Prozeß in den USA gegen Moussaoui auftreten zu lassen, zwecks Folter von der CIA nach Ägypten geflogen wurde. Was Risen aber verschweigt, ist, daß die anschließend von Al Libi erpreßten Angaben hinsichtlich der angeblichen Zusammenarbeit zwischen Al Kaida und dem "Regime" Saddam Husseins im Bereich chemischer Waffen von der US-Regierung - speziell von Präsident Bush in einer Rede am 7. Oktober 2002 und von Außenminister Powell am 5. Februar 2003 beim Auftritt vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - zur Begründung des Irakkrieges ausgeschlachtet wurden. Und das ungeachtet des dringlichen Hinweises der zuständigen Defense Intelligence Agency (DIA) vom Februar 2002, daß Al Libi den ägyptischen Vernehmungsbeamten "absichtlich" Informationen geliefert habe, von denen er angenommen habe, daß sie sie hören wollten.

Während Risen einerseits die "Militarisierung" der US-Geheimdienste unter Donald Rumsfeld und dessen Assistenten Stephen Cambone kritisiert, leistet er andererseits dieser gefährlichen Entwicklung Vorschub, indem er immer wieder die CIA praktisch zum alleinigen Sündenbock für die zahlreichen "Fehler" der USA der letzten Jahre im nachrichtendienstlichen Bereich macht. Dank Autoren wie Seymour Hersh, James Bamford und Karen Kwiatkowski weiß man inzwischen, daß die Mitarbeiter sämtlicher US-Geheimdienste im Vorfeld des Irakkrieges von den Neokonservativen der Bush-Regierung massiv unter Druck gesetzt wurden, um die These einer von der Regierung Saddam Husseins ausgehenden "akuten Bedrohung" für die Vereinigten Staaten zu unterstützen.

Es verwundert auch ein wenig, daß in einem Buch über die "geheime Geschichte der CIA und der Bush-Administration" ausgerechnet die Affäre um die Enttarnung der Undercover-Agentin Valerie Plame nur randläufig erwähnt wird. Die Frau des Ex-Botschafters Joseph Wilson fiel einer Intrige des Weißen Hauses zum Opfer, nachdem ihr Mann im Juli 2003 die Bush-Regierung in der New York Times bezichtigt hatte, die Öffentlichkeit mit der Geschichte vom versuchten Uran-Kauf Saddam Husseins wider besseren Wissens belogen zu haben. Wegen seiner Rolle bei dieser unsäglichen Affäre mußte im letzten Herbst Vizepräsident Cheneys Stabschef I. Lewis Libby zurücktreten und wird sich demnächst wegen Meineids und Behinderung der Justiz vor Gericht verantworten müssen. Je nach dem, wie sich die Ermittlungen in der Plame-Affäre entwickeln, wird eventuell Karl Rove, Bushs engster politischer Berater, Libby auf der Anklagebank Gesellschaft leisten.

Eine ebenfalls prekäre politische Angelegenheit, die von Risen völlig außer Acht gelassen wird, ist die Affäre um israelische Spionage im US-Verteidigungsministerium. Vor kurzem ist Larry Franklin, der frühere Iran-Referent im Pentagon, wegen der Weitergabe hochgeheimer US-Regierungsdokumente in den Jahren 2002 und 2003 an Steven Rosen und Keith Weissman, damals hochrangige Mitarbeiter der mächtigen Lobbyorganisation American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), und über sie an die israelische Botschaft in Washington, zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Demnächst müssen sich Rosen und Weissman selbst vor Gericht verantworten.

Die von Risen ignorierte AIPAC-Affäre ist unter anderem deshalb so brisant, weil Franklin nicht nur in die von Tel Aviv tatkräftig unterstützte Desinformationskampagne des Pentagons in Bezug auf Saddam Hussein involviert war, sondern auch noch Ende 2001 in Begleitung von Harold Rhodes und Michael Ledeen, zwei weiteren notorischen Neokonservativen, sowie dem windigen, iranischen Waffenhändler Manucher Ghorbanifar an einem mysteriösen Treffen in Rom mit dem italienischen Verteidigungsminister Antonio Martino sowie Nicolo Pollari, dem Chef des italienischen Militärgeheimdienstes Servizio Informazioni Sicurezza Militare (SISMI), teilgenommen hat. Presseberichten zufolge ging es bei dem Treffen darum, das Angebot Teherans, fünf nach dem Sturz der afghanischen Taliban im Iran gefangengenommene Al-Kaida-Mitglieder an Washington auszuliefern, zu vereiteln. Auf diese Weise sollte eine Annäherung zwischen der Islamischen Republik und den Vereinigten Staaten unterbunden und somit der Plan der US-Neokonservativen und ihrer Likud-Freunde in Israel für einen eventuellen "Regimewechsel" in Teheran am Leben erhalten werden. Womöglich gingen von diesem Treffen auch die Impulse aus, welche zur Fälschung derjenigen Dokumente aus der Botschaft Nigers in Rom führten, mit denen die Bush-Regierung den angeblichen Uran-Import Bagdads später zu beweisen versuchte.

Vor diesem Hintergrund sind die von James Risen im vorliegenden Buch präsentierten Erkenntnisse über zwei angeblich mißratene Iran-Operationen der CIA mit allerhöchster Vorsicht zu genießen. Im ersten Fall soll man glauben, durch einen einzigen falschen Tastendruck am Computer habe 2004 eine CIA-Mitarbeiterin die Liste aller Kontaktpersonen des US-Auslandsgeheimdienstes im Iran an einen Doppelagenten übermittelt. Im zweiten Fall handelt es sich um die "Operation Merlin". Bei dieser Aktion wollte angeblich die CIA über einen russischen Kontaktmann Teheran fehlerhafte Pläne zum Bau eines Atomsprengkopfes liefern und somit die Bemühungen der Iraner in diese Richtung um Jahre zurückwerfen - nur daß der Russe den Fehler bemerkt und die iranische Seite darauf aufmerksam gemacht hätte. Durch das Mißlingen von "Operation Merlin" habe die CIA Teheran eigenhändig Pläne für einen funktionierenden Atomsprengkopf geliefert, so Risen.

Ebenfalls mit Vorsicht sind Risens Angaben zur angeblichen Rolle des Irans beim Anschlag 1996 auf die Wohnbaracke Khobar Towers des US- Militärs in Saudi-Arabien zu genießen. Bei jenem Bombenanschlag wurden 19 amerikanische Soldaten getötet und weitere 370 Personen verletzt. Interessanterweise ist in der offiziellen Anklageschrift gegen Larry Franklin, Steven Rosen und Keith Weissman die Rede von einem bis heute nicht veröffentlichten, "strenggeheimen Bericht des FBI" zum Khobar-Towers-Anschlag. Angesichts dieser Gemengelage muß sich Risen den Vorwurf gefallen lassen, eventuell durch die Erhebung schwerer, zum Teil nicht näher zu belegender Vorwürfe gegen den Iran sich denjenigen militaristischen Kräften in Washington anzudienen, die einen "Regimewechsel" in Teheran auch unter Inkaufnahme eines erneuten Krieges am Persischen Golf herbeiführen wollen und die bereits einmal - über die ehemalige NYT-Kollegin Judith Miller - Gruselgeschichten über eine unliebsame Regierung - die Saddam Husseins - in die Welt gesetzt haben.

21. Februar 2006


James Risen, "State of War - Die geheime Geschichte der CIA und der
Bush-Administration". Aus dem Englischen (Originaltitel "State of War:
The Secret History of the CIA and the Bush Administration") von
Norbert Juraschitz, Friedrich Pflüger und Heike Schlatter. 2006 beim
Verlag Hoffman und Campe, Hamburg, erschienen. 256 Seiten. ISBN
3-455-09522-4.


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