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REZENSION/330: G. Jonas - Schwarzer September: Der Mossad im Einsatz (SB)


George Jonas


Schwarzer September - Der Mossad im Einsatz



Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen Spiele in München 1972

Anläßlich des Erscheinens des neuen Films "München" von Steven Spielberg über den Rachefeldzug des Mossads nach der blutigen Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in der bayerischen Landeshauptstadt im Sommer 1972 hat der Knaur Taschenbuch Verlag jenes Buch neu aufgelegt, das als Grundlage des jüngsten Kinostreifens des amerikanischen Meisterregisseurs gilt. In dem 1984 erstmals erschienenen Buch "Vengeance" will der kanadische Autor und Journalist George Jonas die Erinnerungen des Mannes mit dem Pseudonym "Avner" verarbeitet haben, der das damalige Tötungskommando in Europa geführt, den Auftrag zur heiklen Mission von der damaligen israelischen Premierministerin Golda Meir erhalten, später nach einem Streit mit dem Mossad ausgestiegen sein und sich unter einer neuen Identität in den USA mit seiner Familie niedergelassen haben soll.

Seitens zionistischer Kreise ist Spielberg wegen "München" vielfach dafür kritisiert worden, die Mossad-Attentäter als zu nachdenklich und ihre Opfer, mutmaßliche Führungsfiguren des palästinensischen Widerstands im europäischen Exil, als zu sympathisch gezeichnet zu haben. Darüber hinaus haben mehrere Vertreter Israels, darunter der Ex- Premierminister Ehud Barak und einige angebliche Teilnehmer der damaligen konterterroristischen Maßnahmen Tel Avivs, die Schilderungen Avners als falsch und unzutreffend bezeichnet. Zu den Kritikern gehörte sogar George Jonas, der Spielberg mit Avner zusammengebracht hatte, damit sich der Dreamworks-Produzent von der Echtheit seiner Schilderungen überzeugen konnte.

Dem, der Spielbergs "München" gut fand und vielleicht von dem heftig geführten Streit um die geschichtlichen Hintergründe gehört hat, bietet "Schwarzer September - Der Mossad im Einsatz" eine faszinierende Lektüre. George Jonas hat die Erinnerungen von Avner zusammen mit umfassenden eigenen Recherchen zu einer Art Tatsachenbericht verwoben, der gleichzeitig, was die Spannung betrifft, jedem Vergleich mit den Agententhrillern der siebziger und achtziger Jahre von Erfolgsautoren wie John Le Carré, Len Deighton, Frederick Forsyth oder Robert Ludlum standhält und den Leser von Anfang bis Ende mitreißt.

Es wird die Geschichte Avners erzählt - dessen Vater selbst beim Mossad gewesen ist -, der teils in einem israelischen Kibbuz, teils in Frankfurt am Main aufwächst, bis er nach dem Wehrdienst Ende der sechziger Jahre zum Mitarbeiter des gefürchteten Auslandsgeheimdienstes wird. Als Leiter eines fünfköpfigen geheimen Sonderkommandos des Mossads soll Avner ab Herbst 1972 diejenigen mutmaßlichen Palästinenserführer in Europa aufspüren und liquidieren, welche angeblich die elf getöteten israelischen Sportler von München auf dem Gewissen haben. Der Avner-Truppe gelingt es, von diesen elf Personen acht zu beseitigen. Obwohl man sich fest vorgenommen hat, niemandem sonst zu schaden, kommen dabei weitere sieben Personen ums Leben, darunter ein KGB-Agent, mehrere Palästinenser und eine niederländische Profikillerin. Letztere wird aus Rache dafür ermordet, einen von Avners eigenen Männern umgebracht zu haben. Als Israel die ganze Aktion abbläst, nachdem ein anderes Mossad-Team in Lillehammer fälschlicherweise statt des Chefs des Schwarzen Septembers einen unschuldigen arabischen Kellner erschossen hatte und die beiden Attentäter ins Netz der norwegischen Polizei gegangen waren, sind von Avner und seinen vier Männern nur noch er und "Steve" am Leben. Als Avner daraufhin aussteigt und sich in die USA absetzt, wird er vom Mossad um den aufgesparten Lohn für seine Arbeit betrogen.

Inwieweit sich diese Erzählung mit den historischen Begebenheiten deckt, ist unklar. Während die Israelis Avner offiziell zum Hochstapler erklären, scheinen seine Angaben zum Verlauf der diversen Mossad-Attentate - in Athen, Rom, Paris, Beirut usw. -, an denen er direkt beteiligt gewesen sein soll, zu stimmen. Gerechterweise führt Jonas jedesmal die Diskrepanzen an, die sich aus den Daten Avners und denen anderer Personen wie Geheimdienstexperten, die über die damaligen Ereignisse geschrieben haben, oder von Beteiligten, die sich dazu geäußert haben, ergeben.

Fest steht, daß das Buch in zeitgeschichtlicher Hinsicht aufschlußreiche Facetten aufweist. Zum Zeitpunkt seiner Ersterscheinung stand die Welt noch im Zeichen der Ost-West- Konfrontation. Folglich bemüht sich Jonas unter Verweis auf dubiose Quellen wie die Schriften der unverbesserlichen Kalten Kriegerin Claire Sterling, das Phänomen des arabischen "Terrorismus" als eine in erster Linie gegen den Westen gerichtete, systemfeindliche Destabilisierungsmaßnahme der damaligen Sowjetunion und ihrer Verbündeten darzustellen. Gleichzeitig wird der bereits damals schemenhaft heraufziehende, "globale Antiterrorkrieg" unserer Tage kenntlich.

Bezeichnenderweise greift Jonas auf jene einseitige "Terrorismus"- Definition [1] zurück, die der langjährige US-Senator Henry Jackson auf einer historisch bedeutsamen Konferenz des likud- und mossadnahen Jonathan-Institutes im Jahre 1979 in Jerusalem prägte und die bis heute zumindest in der westlichen Welt maßgebend ist. Jene Konferenz, an der unter anderem der ehemalige CIA-Chef und spätere US-Präsident George Bush sen. teilnahm, gilt als Beginn der Umorientierung des Westens weg von der "roten", sprich "kommunistischen" Gefahr hin zur "grünen", sprich "islamistischen" Bedrohung von heute. "Scoop" Jackson, der politische Ziehvater der beiden späteren neokonservativen Scharfmacher Richard Perle und Paul Wolfowitz, galt stets als ausgesprochener Militarist unter den US-Demokraten - eine Haltung, die vermutlich auf seine engen Verbindungen zum Flugzeugkonzern Boeing, dem größten Arbeitgeber in seinem heimatlichen Bundesstaat Washington, zurückgeht. Unbestreitbar sind durch die Rüstungsprodukte Boeings in den vergangenen Jahrzehnten um ein Vielfaches mehr unschuldige Zivilisten ums Leben gekommen als durch die Hand irgendwelcher "Terroristen", gleich welcher Couleur.

Im Laufe der Mossad-Mission verliert Avner immer mehr seinen Glauben an den Sinn und die Effektivität der Vergeltungsaktion. Gerade dieser Aspekt der Geschichte Avners ist es, den Steven Spielberg in den Mittelpunkt seines Films "München" gestellt hat - weshalb er von den israelischen und amerikanischen Anhängern der ganzen Konterterrorismusideologie so heftig angefeindet wurde - und was das Buch von George Jonas besonders lesenswert macht.

Fußnote: 1. Siehe Fußnote 3 auf Seite 477


George Jonas
Schwarzer September - Der Mossad im Einsatz
Die Folgen des Geiseldramas während der Olympischen
Spiele in München 1972
Originaltitel "Vengeance - The True Story of an Israeli
Counterterrorist Mission". Aus dem Englischen von Gertrud Theiss,
Knaur Taschenbuch Verlag, München, 2006
510 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-77908-8
ISBN-10: 3-426-77908-0


13. Juni 2006