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REZENSION/350: Hans Lauber - Schlemmen wie ein Diabetiker (Kochbuch) (SB)


Hans Lauber
Ratgeber: Prof. Dr. Hubert Kolb


Schlemmen wie ein Diabetiker,



"Schlemmen wie ein Diabetiker" - allein der Titel muß den Betroffenen stutzig machen, denn ein Diabetiker und schlemmen - das scheint undenkbar. Und wenn dieser sich dann noch lachend einen Schluck Wein einschenkt - so das Titelbild mit Hans Lauber - dürfte die Neugier desjenigen, der aufgrund seines Diabetes nur mit Einschränkungen zu leben gewohnt ist, geweckt sein.

Diabetes mellitus umschreibt eine auf einer Stoffwechselstörung basierende Krankheit, bei der mit der Nahrung aufgenommene Kohlehydrate oder auch körpereigene Schwankungen zu einem starken Anstieg des Zuckergehaltes im Blut führen, der nicht wie bei einem gesunden Menschen abgebaut werden kann. Infolgedessen muß ein an Diabetes Erkrankter stets auf seine Ernährung achten und zumeist zuckersenkende Medikamente zu sich nehmen, um schwere Folgeerkrankungen zumindest hinauszuzögern.

Der Autor Hans Lauber ist selbst sogenannter Typ 2 Diabetiker (Diabetesform, bei der die Bauchspeicheldrüse nicht mehr in der Lage ist, in ausreichendem Maße das zuckersenkende Hormon Insulin zu produzieren). Er begann sich mit dem Thema Diabetes intensiv auseinanderzusetzen, nachdem eine Tablettenbehandlung zum Senken erhöhter Blutzuckerwerte nicht mehr ausreichte und ihm empfohlen wurde, Insulin zu spritzen. Sein Buch "Schlemmen wie ein Diabetiker" hat er an alle gerichtet, die einen Typ 2 Diabetes (den er Lifestyle-Diabetes nennt) haben oder bekommen könnten, aber auch an all diejenigen, "die gerne gut essen - und dabei keine überflüssigen Pfunde bekommen wollen".

Um den Einstieg in die "Lauber-Methode" zu erleichtern, hat der Autor eine Schablone erarbeitet, die dem Buch beiliegt. Nach dieser kann der Diabetiker seinen persönlichen Essens-, Tages-, und Wochenplan erstellen und sich eine Übersicht verschaffen. Wer die digitale Variante vorzieht, kann eine spezielle Software beim Kirchheim Verlag erstehen und sich so auf schnellem Wege ein Biofeedback erstellen.

Mit großer Begeisterung vermittelt Hans Lauber eigene Erfahrungen und präsentiert in einer Vielzahl von Kochrezepten "Natural Functional Food" (natürliche, funktionelle Lebensmittel). In Zusammenarbeit mit dem Immunbiologen Hubert Kolb hat er "15 natürliche Zuckersenker: von Aloe bis Zimt" und "100 genußstarke Lebens-Mittel" zusammengestellt, "die den Zucker sanft steigen lassen und die Säure im Zaum halten".

Nach längerem Studium über die Wirkung dieser Lebensmittel, bezogen auf seinen eigenen Stoffwechsel (und auf seine Lebensumstände), kann Hans Lauber heute ohne zuckersenkende Tabletten oder das Spritzen von Insulin auskommen. Nach seiner Methode werden keine lästigen Broteinheiten gezählt. Es wird gegessen, gemessen, Ergebnisse systematisch verzeichnet, Schlüsse gezogen und entsprechend der Beobachtungen unter Verwendung von natürlichen Lebensmitteln versucht, den Anstieg des Blutzuckers weitestgehend in den Griff zu bekommen.

Mit farbenfrohen Photographien lädt Hans Lauber ein, an den eigenen Erfahrungen teilzunehmen, stellt Orte und Personen seiner Bezugsquellen vor, läßt den Leser an Meinungsverschiedenheiten zwischen sich und Herrn Kolb teilnehmen, kommentiert mit dem ihm eigenen Humor.

Wer allerdings schwerpunktmäßig eine nach Themen sortierte Sammlung klassischer Rezepte mit präzisen Zutatenlisten und Zubereitungsanweisungen erwartet, wird vielleicht enttäuscht sein. Denn zunächst präsentiert Hans Lauber eine Reihe von Lebensmitteln und deren ernährungsphysiologische Bedeutung, wobei er hinlänglich Bekanntes nicht einfach lexikalisch abarbeitet, sondern die Lebensmittel nach persönlichem Geschmack und eigener Gewichtung vorstellt. Gerade das macht dieses Buch interessant, findet man alles übrige doch zur Genüge in anderen Nachschlagewerken oder auch Apothekenratgebern.

Unter dem Titel "Natural Functional Food: Meine 100 besten Lebensmittel" gibt es ausgewählte Gemüse, Früchte und Getreidesorten unter dem Gesichtspunkt, welche Wirkung sie auf den Körper ausüben. "Pflanzenkraft, die Wunder wirkt" heißt es da, und fortan darf der Leser in wahren Zaubermitteln schwelgen, die nach Lauber (vorausgesetzt, man wendet sie richtig an!) wie ein regelrechter Jungbrunnen nicht nur auf Diabetiker wirken. Da wird Blumenkohl zum "Schlankmacher par excellence", die Bohne zum "Anti-Ager", Brokkoli zur "Vitalgranate", Molke zum "Leistungszurückbringer für Sportler" und die Gurke gilt als "Abfangjäger der freien Radikalen", von Lauber als "Terroristen der Blutbahnen" bezeichnet.

Ergänzt wird das Ganze durch eine erlesene Auswahl an Fisch und Fleisch, Milchprodukten, Ölen, Gewürzen, Getränken und einer kleinen, sehr knapp gehaltenen Abhandlung der Bereiche "Kräuter" und "Getränke", wobei auch hier jedem einzelnen der vorgestellten Lebensmittel teils geradezu magisch anmutende Eigenschaften zugeordnet werden.

Doch bei der Magie allein bleibt es nicht. Gemeinsam haben Hans Lauber und Hubert Kolb eine sogenannte 15er-Liste erstellt, in der sie erstmalig eine systematische Analyse von Substanzen vorlegen, die auf natürliche Weise den Blutzucker senken. Basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Forschungsstudien findet man in diesem Kapitel, gut übersichtlich und hervorgehoben durch einen Kasten, Informationen über 'Wirksame Inhaltsstoffe', 'Wirkmechanismus', 'Details zum Wirkmechanismus', 'Wirksame Dosis'. Man erfährt etwas über 'Toxizität' und 'Risiken' speziell auch in Bezug auf die Diabeteserkrankung und schließlich faßt Hans Lauber sein eigenes Urteil noch einmal in einer kurzen 'Gesamtwertung' zusammen.

Dem Diabetiker dürfte vor allem Zimt als "Zuckersenker" nicht unbekannt sein, gibt es doch in jeder Apotheke Zimtkapseln zu kaufen. Auch Brennessel und Aloe Vera, Knoblauch und Sauerkraut und sogar Kakao können sich positiv auf den Blutzucker auswirken und werden in den Rezepten zur Anwendung gebracht.

Zu diesen gelangt man schließlich nach dem Kapitel "natürliche Zuckersenker" im letzten Drittel des 160seitigen Buches. Sprachlich und in bezug auf die Ernährungsgewohnheiten erfrischend unkonventionell (nehmen Sie nicht Magerquark, sondern den mit höchster Fettstufe!) werden hier die Schlemmerrezepte querbeet aufgeführt, und zwar teilweise so extravagante, daß selbst Profis noch Neues finden können. Vom Bittergurkengemüse mit Knoblauch über Topinamburpüree und Erdbeer-Rhabarber-Paste mit Fichtenspitzen oder Makrele mit Zimt ist jedes meist von Spitzenköchen kreierte Rezept ein Wagnis selbst für Experimentierfreudige. Die witzig formulierten Überschriften und Kommentare verleiten zum Weiterlesen und vermögen vielleicht den einen oder anderen Leser zu eigener Kreatitivtät anzuregen oder zumindest die schmackhaften Alternativen all derjenigen Dinge, die sonst für einen Diabetiker verboten sind, wie Ketchup oder Chutney, nachzumachen.

Ob die von Hans Lauber empfohlene Herangehensweise langfristig betrachtet tatsächlich einen Einfluß auf den Verlauf einer so zerstörerischen Stoffwechselerkrankung wie Diabetes haben kann, ist fraglich. Zahlreiche Diabetiker, die ausreichend informiert bzw. gut geschult sind, die auf ihre Ernährung achten und sich viel bewegen, haben dennoch große Probleme, ihre Stoffwechselstörung in den Griff zu bekommen. Wenn auch Regeln und Vorschriften den Schluß nahelegen, der Körper des Menschen funktioniere gleichförmig wie eine Maschine, so ist bekannt, daß Streßsituationen, ungewohnte Tagesabläufe, ungewohnte Nahrungsmittel, eine fremde Umgebung, Aufregung, Anstrengung, zusätzliche Erkrankungen - um nur einige bekannte Beispiele zu nennen - den Stoffwechsel unkontrollierbar machen. So mancher Diabetiker hält sich akribisch an die Vorschriften und ist dennoch immer wieder mit starken Über- oder Unterzuckerungen konfrontiert, kann die als ideal geltenden Werte nicht halten oder gar verbessern und legt weiter unliebsame Pfunde zu.

Zudem ist nur wenigen privilegierten Menschen die Möglichkeit beschieden, ihre Lebensumstände an ihre Erkrankung anpassen zu können. Und nur wenige dürften den Elan besitzen, sich eigenständig über eine gesellschaftspolitisch bzw. wirtschaftlich beabsichtigte Des- und Fehlinformation hinwegzusetzen.

Hans Lauber jedenfalls hat seinen alten Beruf aufgegeben und sich als Publizist und Referent zeitlich unabhängig gemacht. Er scheint über ausreichend finanzielle Mittel zu verfügen, um nur Lebensmittel vom Feinsten aussuchen und die folgende Meinung vertreten zu können: "Sie haben eine Stoffwechselstörung, also brauchen Sie Sicherheit, also kommt für Sie nur das Beste in Frage." Er hat seine Erkrankung zum Hobby gemacht, und das können sich die wenigsten leisten.

Leider stützt auch Hans Lauber in seinem Buch die dem Diabetiker immer wieder suggertierte Auffassung, er sei selbst Schuld an diesem Dilemma. Beispielsweise erklärt er:

Nicht auf den Herzinfarkt warten müssen Lifestyle-Diabetiker: Sie können früher reagieren, sie können den Diabetes "wegessen", weil sie instinktiv auf die Urprogrammierung unseres Körpers umschalten....

Er zitiert Meinungen kompetenter Ärzte, wie beispielsweise die von Dr. med. T. Haak, Chefarzt der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim, der vom bewegungsfaulen 40jährigen, der teure Diabetes-Medikamente bekommt, spricht, wodurch Geld für die Versorgung wirklich Schwerkranker fehlen würde.

Und auch Prof. Dr. med. S. Martin, Oberarzt der Deutschen Diabetes-Klinik in Düsseldorf, plädiert dafür,

...daß die Eigenverantwortung und die eigene Lifestyle-Änderung die primären Maßnahmen sein müssen, auch weil die Kosten der Diabetes-Epidemie sonst noch uferloser werden.

Er meint außerdem:

Das Messen ist aber eine Maßnahme der Prävention, deren Früchte sich oft erst langfristig zeigen. Von daher plädiere ich dafür, daß die Betroffenen die Kosten selbst tragen...

"Messen, essen und laufen", heißt auch in Hans Laubers Buch "Schlemmen wie ein Diabetiker" die Devise. Dabei gelingt es dem Autor, sein Konzept mit großer Begeisterung anzupreisen. Selbst dem kritischen Leser kann dabei entgehen, daß eine Änderung des Lebensstils - sprich Messen, viel Bewegung und sich gesund zu ernähren - den herkömmlichen Ratschlägen im Umgang mit dem Diabetes entsprechen. Über die eigentlichen, gravierenden Probleme, die mit dieser Stoffwechselerkrankung einhergehen, verliert Hans Lauber kein Wort. Das zeugt von der gleichen Ignoranz seiner eigenen Erkrankung gegenüber, mit der heutzutage gesundheitspolitische Entscheidungen getroffen werden, die in zunehmendem Maße von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sind. Gerade jüngst hat der Gemeinsame Bundesausschuß (G-BA), der Nutzenbewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) folgend, das Urteil gefällt, Insulinanaloga durch das kostengünstigere Humaninsulin ersetzen zu lassen. Betroffene Diabetiker verweisen vergeblich auf die für sie folgenreichen Nachteile von Humaninsulin.

Hans Lauber spart in seinem Buch aus, wie wichtig es für den Diabetiker - gerade im Zuge andauernder Übergriffe durch das deutsche Gesundheitssystem - ist, Vorschriften nicht vorbehaltlos hinzunehmen und sich Regeln nicht unhinterfragt anzupassen. Dennoch mögen seine Tips und Hinweise zur Ernährung den Mut und die Bereitschaft fördern, sich möglichst viele Freiheiten zu erhalten und selbst ein wenig experimentierfreudig mit der Erkrankung umzugehen.

21.06.09


Hans Lauber /
Ratgeber: Prof. Dr. Hubert Kolb
Schlemmen wie ein Diabetiker,
Verlag Kirchheim + Co GmbH, Mainz
1. Auflage 2005
160 Seiten, Euro 24,80
ISBN 3-87409-407-3