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REZENSION/400: Günter Burkart - Handymania (SB)


Günter Burkart


Handymania

Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat



Als Apple-Chef Steve Jobs am 9. Januar 2007 auf der hauseigenen Messe Macworld in San Francisco die jüngste Errungenschaft seines Konzerns vorstellte, hatte dies den Charakter einer Weihehandlung. Publikum und Journalisten reagierten so euphorisch, als habe sie der Oberpriester einer szientistischen Religion eines neuen Sakraments teilhaftig werden lassen. Die jubelnde Begeisterung, mit der technische Innovationen im Bereich der Mobiltelefonie insbesondere dann begrüßt werden, wenn sie von einer sogenannten Kultmarke auf den Markt gebracht werden, stellt selbst popkulturelle Verehrungsrituale, in deren Mittelpunkt zumindest Menschen aus Fleisch und Blut stehen, in den Schatten und läßt sich fast nur noch mit religiösen Metaphern beschreiben.

So geriet der Beginn des Verkaufs des iPhones, mit dem Apple seine aus Macintosh-Computern und iPod-Playern bestehende Produktpalette um ein kaum mehr als bloßes Telefon zu bezeichnendes Hybrid diverser elektronischer Kommunikations- und Reproduktionstechniken erweitert, zu einem weltweit beachteten Event, für das sich die Jünger dieses technophilen Kults dem Exerzitium des nicht nur stunden-, sondern tagelangen Wartens auf einer New Yorker Straße unterzogen. Die aus aller Welt angereisten Reporterteams erledigten, wofür andere Produzenten hohe Werbeetats einrichten, für den IKT-Konzern völlig kostenfrei. Apple braucht eigentlich keinen Dollar für Werbemaßnahmen auszugeben, sondern könnte sich darauf verlassen, daß der Kultstatus des Produkts genügend Aufmerksamkeit bindet, um für den geplanten Absatz von zehn Millionen Handys bis Ende 2008 zu sorgen.

Das Spektakel, mit der die zwischen 500 und 600 Dollar teuren Geräte, deren Betrieb in den USA mit monatlichen Gebühren von bis zu 220 Dollar zu Buche schlägt, am 29. Juni um 18 Uhr Ortszeit erstmals in den freien Verkauf gelangten, bot jedenfalls reichlich Futter für eine kostenlose globale Werbekampagne. Wie Heike Buchter und Birgit Dengel in der NZZ am Sonntag (01.07.2007) berichteten, wurde der erlösende Moment des Eintritts in den Apple-Tempel an der Fifth Avenue vom frenetischen Jubel der Wartenden begleitet. Als die ersten Geräte an der Kasse bezahlt wurden, applaudierte das Publikum in Vorfreude auf den Moment, an dem es das begehrte Wunderwerk selbst in die Hand nehmen konnte. Angesichts der Magie des Ereignisses konnten sich die Chronisten der New Yorker Presse nicht verkneifen, den Apple-Chef zum "iGod" zu küren und seinem neuen Gerät als "Jesus Phone" gnadenheischende Reverenz zu erweisen. Offensichtlich wurde das Herz der Börsianer nicht nur in Anbetracht des Geldregens warm, den die Kurse der Apple-Aktie auslösten, sondern die Begeisterung für das Gerät oder besser all das, was man in ihm sieht, scheint auch bei ihnen persönlicher Affinität zu entspringen.

Wenn, wie Peter S. Magnusson im Christian Science Monitor (11.07.2007) berichtet, die Verehrung eines technisch zweifellos hochentwickelten Geräts von ausgereiftem Design und intelligenter Funktionalität dazu führt, daß er von wildfremden Leuten auf der Straße auf seine Neuanschaffung angesprochen und von diesen beim Telefonieren fotografiert wird, ja daß er Menschen damit glücklich macht, wenn er sie das Gerät anfassen läßt, damit sie ihren Kindern erzählen können, daß sie "das iPhone berührt" hätten, dann ist der Fetischcharakter dieses Produkts unübersehbar.

Die nicht nur beim iPhone, sondern im generellen Umgang mit Mobiltelefonen immer wieder anzutreffende Übertragung subjektiver Ambitionen auf ein industrielles Massenprodukt ist eines der Themen, denen sich der Lüneburger Techniksoziologe Günter Burkart in seinem Buch "Handymania" widmet. Er geht die Untersuchung des Einflusses, den die Verbreitung des Mobiltelefons auf das Kommunikationsverhalten seiner Nutzer wie auf die gesellschaftlichen Normen des sozialen Umgangs hat, auf kulturwissenschaftliche Weise an und gelangt dabei zu zahlreichen Erkenntnissen über profunde Veränderungen der lebensweltlichen Bedingungen, die aus der immer noch recht jungen Möglichkeit resultieren, daß Telefonieren heute an jedem Ort möglich ist.

Grundlegende Überlegungen über das Verhältnis von Technik und Kultur, Exkurse in die Geschichte der Telefonie und ihre wirtschaftlichen Grundlagen sowie der Ausblick auf den Horizont der weiteren technischen Entwicklung rahmen die Darstellung eines technologisch bedingten Wandels ein, für den das Mobiltelefon Katalysator der umfassenden Verfügbarkeit des einzelnen ist.

Was Burkart auf empirische Weise über die fast schon als exhibitionistisch zu bezeichnende Mißachtung sozialer Distanz, über die Bedeutung des Handys als soziales Selektionskriterium, über den Vorrang, den die elektronische Kommunikation gegenüber dem Gespräch in unmittelbarer leiblicher Präsenz innehat, über den Einfluß der SMS-Kommunikation auf die Kulturtechnik des Schreibens, über die Flexibilisierung der Arbeitswelt durch die ständige Erreichbarkeit und die weiteren Funktionen der dem Mobiltelefon eigenen Kontrollmöglichkeiten herausgefunden hat, fördert die Konturen einer höchst wirksamen Form kapitalistischer Vergesellschaftung zutage.

Dabei ist das Mobiltelefon, wie die Konvergenz verschiedener elektronischer Medien auf seiner computerisierten Matrix zeigt, aufgrund seiner Allgegenwart lediglich eine besonders sichtbare Manifestation des durch mikroelektronische Technologie bedingten Wandels industrieller Güterproduktion wie gesellschaftlicher Administration. Die dazu gerne heranzitierte Entstofflichung findet allerdings eher im Wunschdenken eines Verwertungssystems statt, dessen tiefgreifende Krise durch die Verlagerung der Produktivität in virtuelle Dimensionen dementiert werden soll. Tatsächlich machen die mikroelektronischen Produktionsweisen viele Arbeiten, mit denen zuvor Erwerbseinkommen generiert wurden, überflüssig, und die dadurch bedingte Steigerung der Produktivkraft ist längst nicht abgeschlossen. Um so mehr spitzt sich die Frage nach den Voraussetzungen des Überlebens in auf Arbeitseinkommen basierenden Gesellschaften zu.

Diese Frage ist für die von Burkart beschriebene Hoffnung auf Bewältigungskompetenz, die die Universalisierung elektronischer Kommunikation weckt, durchaus von Interesse. Wo die eigene Teilhaberschaft am gesellschaftlichen Wohlstand in Frage gestellt ist, bedarf es dringend wirksamer Surrogate verlorengegangener Unersetzlichkeit, die den bösen Geist drohender Bedeutungslosigkeit bannen. Dem permanenten Zugriff auf zahlreiche Informationsdienstleistungen und der ständigen Erreichbarkeit anderer Handynutzer ist die Verfügbarkeit der eigenen Person durch fremde Interessen keineswegs äquivalent. Vielmehr ergeben sich aus der Entwicklung des Mobiltelefons zur multifunktionalen Datenstation, mit der Gespräche geführt, E-Mails versendet, Musik gehört, Fernsehen empfangen oder das Internet begangen werden kann, die als elektronische Geldbörse, als Mittel zur Authentifizierung der eigenen Identität wie als Funkbarke zur Feststellung des jeweiligen Standorts dient, zahlreiche Eingriffsmöglichkeiten fremdnütziger Kontrollgewalt. Während der einzelne Nutzer nur über den von seinem Provider gewährleisteten Katalog an Anwendungen verfügt, generiert er mit den von ihm hinterlassenen Datenspuren das Basismaterial einer Überwachungsgesellschaft, die mit Hilfe hochentwickelter Recherchetechniken vom individualisierten Marketing bis zur sicherheitsstaatlichen Rundumobservation mehr Erkenntnisse über den jeweiligen Handybesitzer freisetzt, als dieser jemals über sich erlangte.

Erschwerend für den Anspruch, Herr seiner eigenen Belange zu sein, kommt die mediale Indoktrination hinzu, die auf das Handyformat heruntergebrochen notwendigerweise noch flacher und flüchtiger ausfällt, als es auf dem Fernseh- oder Computerschirm bereits der Fall ist. Die als konsumentenfreundliche Errungenschaft gepriesene Werbung, die lokale Anbieter standortorientiert und womöglich sogar nutzerspezifisch auf das Handy schicken, oder per Bluetooth aktivierte Plakatwerbung beanspruchen die Aufmerksamkeit weniger im Interesse des Adressaten als des Versenders. Schließlich führt die permanente fernmündliche Verfügbarkeit des Partners zu Kommunikationsritualen, bei denen die Grenze zwischen Kontakt und Kontrolle ununterscheidbar werden kann. So groß die Mühen eines Gesprächs von Mensch zu Mensch sind, das sich nicht im Abgleich von Distinktionskriterien, Identitätsbeweisen und Handelsinteressen erschöpft, so inflationär entwickelt sich das belanglose Anklingeln, das sich wie eine Nebelwand aus Phrasen und Buchstaben über das Desiderat echten Kontaktes legt.

Den grundsätzlichen Konflikt zwischen Fremdbestimmung und Selbstbestimmung, den in einem herrschaftskritischen Sinn zu untersuchen unentbehrlich für das Verständnis der gesellschaftlichen Wirkung technologischer Innovationen ist, entwickelt der Autor bei aller Fülle des dargebotenen Untersuchungsmaterials leider recht unentschieden. Er verlegt sich darauf, beide Seiten der Medaille zu beleuchten, und verbleibt damit in der Sphäre einer Empirie, die zwar viele Anschlußmöglichkeiten für weitere Fragestellungen bietet, gleichzeitig jedoch an einer Beliebigkeit der eigenen Position leidet, wie sie insbesondere kulturwissenschaftlichen Ansätzen häufig zu eigen ist.

Dennoch kann sich Burkart bei den Vorteilen, die die mobile Datenkommunikation für alle organisatorischen Belange zweifellos bietet, einer gewissen Skepsis nicht verschließen, wenn er zum Ende des Buches hin die Hoffnung äußert, "dass es immer wieder subversive Konsumenten gibt, die neue Nutzungsformen finden und sich so der Kontrolle entziehen können". Sein finales Resümee ist denn auch von unüberhörbarer Ambivalenz: "Das Handy verändert nicht von selbst unsere Welt, es kann uns keine Lebensweise aufzwingen, die wir nicht wollen. Sonst wären wir bald eine Gesellschaft von Handymaniacs." (S. 189)

Die Frage nach dem allgemeinen Willen, sich der Omnipotenz der technischen Rationalität zu widersetzen, ist dadurch, daß das Handy nicht aus sich selbst heraus existiert, sondern das Produkt einer spezifischen Form von Vergesellschaftung ist, längst beantwortet. Die eingangs geschilderte quasireligiöse Fetischisierung einer massenhaft gefertigten Ware zu einem Sakralgut von mythischer Potenz dokumentiert den hochgradigen Kompensationsbedarf, den die der technischen Verdinglichung des Subjekts geschuldeten Verluste erzeugen. Was von seiner profitorientierten Konzeption über seine mehrwertabschöpfende Produktion bis hin zu seiner irrationalen Glorifizierung beim Vertrieb der Verwertbarkeit dient, schließt jedes emanzipatorische Anliegen aus. Dieses zu verfolgen, ohne daß der humane Nutzen der Technologie dabei negiert werden müßte, bedarf tatsächlich einer anderen Welt.

Es geht auch bei einem an und für sich harmlosen Gerät wie dem Mobiltelefon um die Frage, wessen Interessen sich zu wessen Lasten durchsetzen. Um so entschiedener sind die materiellen Bedingungen und die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Produktionsweise zu untersuchen. Nur so läßt sich dem Kontrollverlust entgegentreten, der aus der Ermächtigung der Waren und Sachzwänge über die subjektiven Interessen des Menschen resultiert. Praktische Anhaltspunkte dafür bietet das vorliegende Buch durchaus, auch wenn dies nicht die gezielte Absicht seines Autors gewesen sein muß.

24. Juli 2007


Günter Burkart
Handymania
Wie das Mobiltelefon unser Leben verändert hat
Campus Verlag, Frankfurt/New York, 2007
224 Seiten, 24,90 Euro
ISBN 978-3-593-38351-4