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REZENSION/422: Honor Mhic Giolla Chlaoin - Tuairimí (Gälisch) (SB)


Honor Mhic Giolla Chlaoin


Tuairimí



In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Republik Irland eine rasante Entwicklung von einer von Arbeitslosigkeit, Auswanderung und Landwirtschaft geprägten Nation zu einem hochmodernen Industriestaat vollzogen. Dadurch sind zwar die Iren insgesamt wohlhabender geworden, aber sie haben nicht mehr wie früher die Zeit zum Plaudern und Geschichtenerzählen und leiden wie die Menschen anderenorts in der entwickelten Welt unter enormem Streß im Alltag. Die traditionelle irische Mutter gehört der Geschichte an, während gleichermaßen Männer und Frauen verzweifelt versuchen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ein treffendes Bild des Alltagslebens im sogenannten keltischen Tigerstaat liefert Honor Mhic Giolla Chlaoin in ihrer 2004 erschienenen Essaysammlung "Tuairimí", was soviel wie "Meinungen" oder "Überlegungen" heißt.

Mhic Giolla Chlaoin lebt mit Mann und vier Kindern in Clontarf, einem gutsituierten Altbauviertel auf der Nordseite des Dublin durchtrennenden Flusses Liffey. Hauptberuflich betätigt sie sich als Hausfrau und Mutter, arbeitet jedoch nebenbei als Lehrerin für Gälisch, die ursprüngliche Sprache der Iren (und übrigens der Schotten), die durch jahrhundertelange Fremdherrschaft vom Englischen weitestgehend verdrängt worden ist. Bisherige Bemühungen des irischen Staates, Gälisch wiederzubeleben, haben kaum mehr gefruchtet, als den Prozeß des Aussterbens zu verlangsamen. Nichtsdestotrotz gibt die erste offizielle Sprache der Irischen Republik gerade in den letzten Jahren zunehmend Zeichen des Wiedererwachens von sich, wofür an aller erster Stelle der überraschende Erfolg des 1997 gegründeten, staatlichen gälischen Fernsehsenders TG4 steht.

Wie zum Beispiel die seit 2003 in Belfast erscheinende Tageszeitung Lá Nua ("Neuer Tag") im letzten Dezember berichtete, hat sich jüngsten Erhebungen zufolge von 2005 bis 2007 die Zahl der Mitglieder der gälischsprachigen Vereinigungen an den irischen Hochschulen glatt verdoppelt. Darüber hinaus haben zwei der prominentesten Wirtschaftkommentatoren auf der Insel, Marc Coleman und David McWilliams, in ihren jüngsten Büchern - "The Best ist yet to come" respektive "The Pope's Children" - für die gälische Sprache von der irischen Politik ein tiefgreifendes, gesamtgesellschaftliches Aktionsprogramm gefordert, das weit über die bisherigen Lippenbekenntnisse hinausgeht. Mit der Besinnung auf sein wichtigstes kulturelles Erbe soll nach Ansicht von Coleman und McWilliams Irland seine inzwischen zahlreichen Einwanderer erfolgreich integrieren und sich gleichzeitig eine nationale Identität bewahren, die nicht vom sprachlichen Verfall der internationalen Lingua Franca Englisch tangiert ist.

Honor Mhic Giolla Chlaoins "Tuarimí" richtet sich hauptsächlich an Erwachsene, die bereits Grundkenntnisse des Gälischen haben und diese wieder aktivieren wollen. Deswegen werden am Ende jeder Seite die schwierigsten vier bis sechs Wörter übersetzt und findet sich im Anhang des Buchs ein kleines Lexikon der wichtigsten Begriffe. Wie die Autorin in der Einleitung ("Réamhrá") erklärt, gehen die von ihr verfaßten Kurzgeschichten auf Gespräche zurück, die sie in der Vergangenheit mit ihren Studenten geführt hat und die sich aus den verschiedenen Unwägbarkeiten der modernen Arbeits- und Familienwelt in Irland - die sich nicht allzusehr von der hierzulande unterscheidet - speisten. In dem Kapitel "Fóin Póca" ("Taschentelefon") beispielsweise beschäftigt sich Mhic Giolla Chlaoin mit dem für andere häufig rücksichtslosen Umgang, den manche Menschen mit ihrem "Handy" an den Tag legen. Einem Drogendealer, der im Bus von Dublin nach Cork fährt und bei der Ankunft in der südirischen Metropole offenbar ein wichtiges Geschäft sogleich abschließen will, wird das allzu laute Herumposaunen am Mobiltelefon zum Verhängnis. Neben ihm im Bus sitzt zufällig ein Polizist, der den Dealer und seinen Kontaktmann beim vereinbarten Austausch von Geld gegen Ware hochnimmt.

Zum Schreien komisch ist die Erzählung "Lucha" ("Mäuse") darüber, wie die Familie Mhic Giolla Chlaoin nach mehreren Fehlversuchen mit einer Nagetierplage fertig wird. Weil man selbst keine Katze hat, wird zunächst die der Babysitterin herangezogen. Doch statt Jagd auf die Mäuse zu machen, verkriecht sich die Katze angstvoll in eine Ecke der Küche. Schlimmer noch. Auf dem Hinweg pinkelt sie das Auto der Autorin voll, und der beißende Geruch hält sich den ganzen Sommer über in dem Fahrzeug. Auch mit dem Einsatz von "humanen Fallen" ("gaistí cineálta") und den heiligen Bildern von Sankt Martin scheitert man. Erst als man in völliger Verzweiflung zu den altmodischen, tötenden Fallen greift, setzt sich der Herr der Schöpfung gegen das Tier durch.

Wie Mhic Giolla Chlaoin in der Geschichte "Siopadóireacht" ("Shopping") selbst einräumt, haßt sie das Einkaufen. Wer soll es ihr verdenken angesichts der ewigen, langen Schlangen an den Kassen, der Eltern, die ihre verwöhnten Kinder im Supermarkt Sachen aus den Regalen essen lassen, ohne anschließend dafür zu bezahlen, oder des hochpeinlichen Zwischenfalls, den die Autorin bei der Bezahlung einer Packung stark preisreduzierter Unterhosen vor den Augen zahlreicher anderer Käufer erleben muß. Von Diäten ("Aistí Bia") und dem ewigen Streben nach einem wohlgeformten und genormten Körper ist sie auch wenig überzeugt. Zusammen mit ihren Gälischschülern vereinbart sie, soviel zu essen und sich körperlich zu betätigen, wie man halt dazu Lust hat, und nicht weiter zu lamentieren.

Wer mit Kindern zu tun hat, wird an Tuairimí seinen Spaß haben. Mhic Giolla Chlaoin berichtet in "Fir agus Mná Tí" (Hausmann und Hausfrau") von einem Ausflug zum Strand mit einer Gruppe von Kleinkindern, der von den Vorbereitungen und der notwendigen Ausrüstung her fast einer Expedition in den Himalaya gleichkommt. Darüber hinaus macht sie sich viele Gedanken über den Druck, dem Schulkinder heutzutage ausgesetzt sind. Diese müssen - siehe "Scrúdaithe" ("Prüfungen") und "An tAos Og agus Cúrsaí Spóirt" ("Die Jugend und die Sache mit dem Sport") - nicht nur in den klassischen Unterrichtsfächern, sondern auch in Sport, wo sie sich eigentlich entspannen und Spaß an der körperlichen Betätigung haben sollten, dauernd Leistung erbringen. Wer dies nicht tut, gilt als Verlierer, wird gehänselt und abgeschrieben.

Ein ganz besonderes Ereignis im Leben eines jeden katholischen Kindes in Irland ist mit rund sechs Jahren die Erstkommunion ("An Chéad Chomaoineach"). Viele Eltern geben ein Vermögen aus, damit der Junge wie ein kleiner Prinz und die Tochter wie eine Prinzessin aussieht. Mhic Giolla Chlaoin kann nur staunen, welche krankhaften Züge dieser Volksbrauch inzwischen angenommen hat. Während ärmere Familien Schulden machen, um ein engelhaftes Erstkommunionskleid für die Tochter kaufen zu können, lassen reiche Familien ihren Nachwuchs vor der Kirche mit einer Kutsche vorfahren, damit er wie das verwandelte Aschenputtel daraus aussteigen kann. Selbstverständlich wird der große Moment mit einer Digitalkamera für alle Ewigkeit festgehalten. Auch wenn die Kurzgeschichten Mhic Giolla Chlaoins nicht mit denen eines Frank O'Connor oder eines Haruki Murakami zu vergleichen sind, so bieten sie doch einen sehr unterhaltsamen Einblick in manche Sitten und Unsitten im modernen Irland. Nebenbei kann man auch sein Gälisch auffrischen und somit das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.

18. Januar 2008


Honor Mhic Giolla Chlaoin
Tuairimí
Cló Iar-Chonnachta (www.cic.ie), Galway, 2004
112 Seiten
ISBN: 1-902420-66-7