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REZENSION/539: Bernhard Pötter - Ausweg Öko-Diktatur? (Umweltkrise) (SB)


Bernhard Pötter


Ausweg Öko-Diktatur?

Wie unsere Demokratie an der Umweltkrise scheitert



Unter dem Eindruck der angelaufenen globalen Umwelt- und Rohstoffkrise sucht der Journalist und Autor Bernhard Pötter nach einem Ausweg. Seiner Meinung nach wird das bestehende Wachstumsmodell den Erfordernissen einer stabilen Gesellschaft nicht gerecht. "Demokratien westlicher Prägung" seien zwar "Erfolgsmodelle der politischen Evolution" und hätten den Bürgern eine "einmalig lange Periode von Frieden, Sicherheit und Wohlstand" (S. 11) gebracht, aber nun müßten Einschränkungen des Konsums vorgenommen werden. Der "energie- und rohstoffverschlingende Lebensstil" stehe im Widerspruch zur beanspruchten Vorbildfunktion dieser Länder.

Pötter verschmilzt die Demokratie mit ökologischen Fragen der Zukunft und propagiert die "Ökokratie" zur Sicherung der lebenserhaltenden Kreisläufe der Erde. Er plädiert für ein "Diktat der Politik" (S. 50) und schlägt die Gründung einer Zukunftsbank Europa (ZBE) nach dem Vorbild der Europäischen Zentralbank (EZB) vor. Dieser auf EU-Ebene angesiedelten Institution schreibt er umfassende, weltweite Befugnisse zu. Sie soll die "ökologische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Europa und weltweit für die nächsten 100 Jahre" planen und garantieren (S. 54). Das Entscheidungsgremium der ZBE setze sich aus je einem Umweltexperten und einem Politiker aus jedem EU-Mitgliedsland zusammen. Erstere sollen von einer europäischen Wissenschaftsvereinigung benannt und letztere für zehn Jahre direkt vom Volk gewählt werden. (S. 55) Die ZBE soll auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien überprüfen und darf gegebenenfalls gesetzgeberische Prozesse stoppen oder eigene Gesetze auf den Weg bringen.

Die bürgerlichen Rechte sollen garantiert sein, verspricht Pötter, nicht jedoch die wirtschaftlichen Rechte (S. 72). Es müsse möglich sein, den Menschen Einschränkungen auf der ökonomischen Seite zuzumuten, ohne ihre grundlegenden politischen Rechte "über Gebühr" zu beschneiden. (S. 74) Als positive Vorbilder für seine Vorstellungen nennt der Autor, der zwölf Jahre als Umweltredakteur bei der "tageszeitung" gearbeitet hat, das Energiekonzept Desertec und die Öko-Design-Richtlinie der Europäische Union, die unter anderem zum schrittweisen Verbot der Glühlampe führt.

Mit vielen anderen Autoren, Journalisten und Ideengebern aus dem komplexen Themenbereich der Umwelt teilt Pötter eine Ignoranz gegenüber dem vorherrschenden Sozialkonflikt, der auf nationaler wie globaler Ebene ausgetragen wird und zu einer vertikalen Schichtung in allen Gesellschaften der Welt geführt hat. Offenbar hält der Autor eine Umverteilung von oben nach unten, Konzepte, wie sie unter dem Stichwort "solidarische Ökonomie" diskutiert werden, oder andere emanzipatorische Bestrebungen nicht einmal für erwähnenswert. Die soziale Frage wird schlichtweg ausgeblendet.

Dabei sind Klimakatastrophe und Ressourcenmangel für Milliarden Menschen in marginalisierten Regionen längst bittere Realität. Das hat auch mit dem Wohlstand innerhalb der Europäischen Union zu tun, verteidigt diese doch ihre Privilegien mit militärischen Mitteln gegenüber Flüchtlingsströmen beispielsweise aus den Dürreregionen Afrikas. Ökokratie wäre demnach als ein Gesellschaftsmodell zu verstehen, in dem die globalgesellschaftlichen Widersprüche aufrechterhalten bleiben und die privilegierten Bevölkerungsteile nur relativ geringe Konsumeinschränkungen hinnehmen müssen, wohingegen andernorts Menschen um ihr alltägliches Überleben kämpfen. Unzulässigerweise unterstellt der Autor mit seinem häufig verwendeten "Wir" eine Gemeinsamkeit der Interessen.

Das zeigt sich auch in der Behauptung, daß die Demokratie westlichen Zuschnitts "Frieden, Sicherheit und Wohlstand" gebracht hat. Unerwähnt bleibt in dieser Beschreibung, daß von den Vorzügen nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung profitiert hat, während in anderen Regionen Stellvertreter- und Ressourcenkriege toben, Unsicherheit aufgrund von Naturkatastrophen und Hunger herrscht und Armut statt Wohlstand das Leben der Menschen bestimmt.

Das 96seitige Büchlein, das mit dem DIN-Format A6 auffällig klein ist, wird vom oekom verlag in der Reihe "quergedacht" herausgegeben. Was in diesem Fall mit "querdenken" gemeint sein soll, ist klar. Die auf Einschränkungen des Lebensstils hinauslaufenden Vorschläge Pötters wirken unattraktiv verglichen mit dem Weiter-so-wie-bisher-Hochkonsummodell neoliberalen Zuschnitts. Beim genaueren Hinschauen mündet allerdings auch sein Querdenken im Mainstream, an dem die Grünen und längst auch Vertreter anderer Parteien sowie relativ regierungsnahe Nichtregierungsorganisationen mit Ideen rund um den Green New Deal beteiligt sind. Mit diesem Deal soll nicht nur das Ökosystem Erde, sondern eben auch die kapitalistische Verwertungsordnung geschützt werden.

Zu klima- und umweltpolitischen Aspekten, wie sie Pötter in seinem Modell der Ökokratie vertritt, wurden schon diverse Machbarkeitsstudien erstellt. Jenen Berechnungen zufolge ist eine Umstellung der Bundesrepublik Deutschland auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis zum Jahr 2050 praktikabel. Dagegen sind Überlegungen, wie der brennende Sozialkonflikt gelöst werden kann, extrem selten anzutreffen. Das Grundverhältnis der Menschen, die einander vorzugsweise in Formen des Raubes und der Herrschaft begegnen, würde mit einem Green New Deal und einer Ökokratie ins 21. Jahrhundert gerettet. In dieser grundsätzlichen Frage der Gestaltung menschlicher Gemeinschaft bevorzugt auch Pötter ein bequemes Weiter-so-wie-bisher.

20. September 2010


Bernhard Pötter
Ausweg Öko-Diktatur?
Wie unsere Demokratie an der Umweltkrise scheitert
Reihe quergedacht
oekom verlag, München 2010
96 Seiten, 8,95 Euro
ISBN 978-3-86581-216-2