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REZENSION/670: Daniela Kickl - Apple intern (SB)


Daniela Kickl


Apple intern

Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis



Sollte es tatsächlich einigen Menschen gelungen sein, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, so kolportiert der amerikanische Traum allenfalls die unbegrenzten Möglichkeiten in diesem Land, über andere Menschen zu verfügen und ihre Arbeitskraft auszubeuten. Gleiches gilt für die spektakulären Karrieren mancher Garagenbastler des informationstechnologischen Zeitalters, deren bescheidene Firmengründungen zu weltweit führenden Konzernen mutierten. Zu genialen Gründern, weitsichtigen Visionären und charismatischen Propheten verklärt sie die vom geschäftlichen Erfolg geblendete Rückschau, die vom Ende her denkend alle vorangegangen Irrungen und Wirrungen erst zu einer Kausalkette verknüpft.

Wenn Sie in die Zukunft blicken, können Sie nicht erkennen, wo Zusammenhänge bestehen. Das wird erst in der Rückschau möglich. Das heißt, Sie müssen darauf vertrauen, dass sich die einzelnen Mosaiksteinchen in Ihrer Zukunft zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Sie müssen auf etwas vertrauen - Ihr Bauchgefühl, das Schicksal, das Leben, Karma, egal was. Denn der Glaube daran, dass sich irgendwann die einzelnen Mosaiksteinchen zusammenfügen werden, gibt Ihnen die Zuversicht, dem Ruf Ihres Herzens zu folgen. Auch wenn der Sie abseits der ausgetretenen Wege führt - aber das macht den Unterschied.
(S. 14) 

Der 2011 verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs sagte dies am 12. Juni 2005 in einer legendären Abschlußrede vor Studenten der Stanford University, die Daniela Kickl in voller Länge ihrem Buch "Apple intern - Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis" voranstellt. Das ist insofern durchaus angemessen, als der von seiner entufernden Anhängerschaft gleichsam zum Messias neoreligiöser Markenverehrung überhöhte Unternehmer deren ideologische Unterfütterung in persona fabriziert. Macht es wie ich, lautet seine triviale Botschaft, als zeuge nicht gerade sein in erbitterten Konkurrenzkämpfen selbst im eigenen Konzern durchgesetzter Siegeszug ganz im Gegenteil davon, daß Abertausende auf der Strecke bleiben, bis der Leitstern seine volle Strahlkraft entfaltet.

Charakteristisch für die regressive Ideologie von Silicon Valley ist der okkupierte Anspruch seiner maßgeblichen Akteure, sie knüpften nahtlos an emanzipatorische Bestrebungen der US-amerikanischen Jugend an und schüfen mittels der IT-Entwicklung die technologische Grundlage einer freien Gesellschaft. Sie trugen damit nicht nur in hohem Maße zur Abkehr von jeglichen gesellschaftsveränderten Kämpfen und damit der Entsorgung vordem herangewachsener Potentiale des Widerstands bei, sondern beflügelten insbesondere ein neues Akkumulationsregime kapitalistischer Verwertung, das die Durchdringung der Arbeitsprozesse, sozialen Beziehungen und selbst der Körperlichkeit des Menschen auf beispiellose Weise forciert.

Wenn Jobs sich in seinem Vortrag als Studienabbrecher, zwischenzeitlich von Apple gefeuerter und sogar mit einer todbringenden Krankheit konfrontierter Mensch auf der Verliererseite präsentiert, könnte ihm eine entschiedene Parteinahme für diese nicht ferner sein. Er will die alte Phönixgeschichte neu erzählen und die Legende des kreativen Außenseiters spinnen, der jegliche Rückschläge zur notwendigen Voraussetzung seines letztendlichen Triumphs über alle Widrigkeiten und Kleingeister umdichtet. Jobs spricht nicht von Geld und Ruhm, Unternehmenserfolg und Macht, sondern rät seinen Zuhörern, nicht den Dogmen und Meinungen anderer zu folgen, sondern der Stimme des Herzens und der Intuition: "Bleiben Sie hungrig, bleiben Sie verrückt", gibt er ihnen mit auf den weiteren Lebensweg.

Du bist deines individuellen Glückes Schmied, lautet denn auch die innere und äußere Unternehmensphilosophie des Konzerns Apple, der die Konkurrenz mit seinem Mythos in den Schatten gestellt hat. Und nirgendwo bist du dem Glück näher als bei Apple, sei es beim Erwerb und Gebrauch seiner Produkte oder wenn du gar zu den Besten der Besten gehörst, die in der Apple-Familie mitwirken dürfen:

Es gibt Arbeit und es gibt dein Lebenswerk. Die Art von Arbeit, die ihre Fingerabdrücke überall hinterlässt. Die Art von Arbeit, für die du keine Kompromisse eingehst. Für die du ein Wochenende opfern würdest. Genau diese Art von Arbeit kannst du bei Apple tun. Niemand kommt hierher, um auf Nummer sicher zu gehen. Alle kommen, um am tiefen Ende des Pools zu schwimmen. Sie wollen mit ihrer Arbeit einen Beitrag leisten. Zu etwas Großem. Zu etwas, das nirgendwo sonst passieren könnte. Willkommen bei Apple.
(S. 49) 

Im vorliegenden Buch geht es nicht um die Vorwürfe, die in der Vergangenheit gegen den Apple-Konzern erhoben worden sind, der gemessen an verschiedenen wirtschaftlichen Kennzahlen zu den größten Unternehmen der Welt gehört. Es kommen weder die Arbeitsbedingungen bei Auftragsfertigern in und aus Taiwan wie Foxconn, Quanta und Pegatron ausführlicher zur Sprache, wo Apple seine Produkte zum größten Teil unter fragwürdigen Bedingungen herstellen läßt, noch der Verdacht, daß der Konzern für sein in Irland angesiedeltes Europageschäft so gut wie keine Steuern bezahlt und deshalb nun auf Beschluß der EU-Kommission 13 Milliarden plus Zinsen nachzahlen soll. Nicht die Rede ist von der Kritik seitens Umweltschutzorganisationen oder der extremen innerbetrieblichen Geheimhaltung, die nicht zuletzt als kostenloses Marketingwerkzeug fungiert, indem es die Gerüchteküche vor der Einführung eines neuen Produkts schürt, doch mit einem Überwachungsregime erzwungen sein soll, das eine Kultur der Angst in der Belegschaft hervorrufe. Und ausgeblendet bleibt nicht zuletzt die massive Sammlung von Informationen über die Nutzer von Apple-Geräten.

Wer indessen miterleben will, wie es im Arbeitsalltag der Europazentrale von Apple in Hollyhill am Rande der irischen Kleinstadt Cork zugeht, wird in Daniela Kickls tagebuchartiger Berichterstattung aus sehr persönlicher Sicht eine durchaus unterhaltsam zu lesende und aufschlußreiche Erzählung vorfinden. Es handelt sich weder um eine wissenschaftliche Studie noch einen Undercover-Report, es werden keine kriminellen Praktiken aufgedeckt und keine Verantwortlichen namentlich angeprangert. Auch ist die Autorin keineswegs eine Kritikerin des Konzerns als solchem, wenngleich sie ihn an seinem eigenen Anspruch in Gestalt der Aussagen von Steve Jobs mißt. Nach dreijähriger Tätigkeit lautet ihre Bilanz: "Mir reicht es. So, wie es läuft, ist es falsch, und falsch bleibt falsch, auch wenn es zum Standard und zum System geworden ist." (S. 23)

Die österreichische Informatikerin Daniela Kickl hat in verschiedenen IT-Jobs gearbeitet und ein Studium der Betriebswirtschaftslehre mit den Spezialgebieten Wirtschaftsinformatik sowie Personalmanagement in Wien abgeschlossen. Sie ist nicht nur mit Führungsaufgaben in der Branche vertraut, sondern war auch eigenen Angaben zufolge von Apple-Produkten stets sehr angetan. Daß sie von vornherein nicht einmal eine Skeptikerin war, sondern Apple hochschätzte, wertet den kritischen Gehalt der Erfahrungen während ihrer Arbeit von Juni 2014 bis März 2017 in Hollyhill keineswegs ab. Als Mitglied der IT-Community teilte sie in hohem Maße deren Denkweisen, Bezüge und Perspektiven, was den Prozeß ihrer zermürbenden Konfrontation mit dem internen System des Konzerns, das wiederum beispielgebend für innovatives Personalmanagement sein dürfte, um so aufschlußreicher macht. Wenngleich formal korrekt, beraube es Menschen ihrer Leben und Ziele, zerpflücke ihren Stolz und ihre Würde. Niemand zeige Erbarmen, wo diese Welt doch der Himmel sein sollte, wie die Popgruppe Queen in ihrem Song "Heaven for Everyone" (1988) sang.

Wie die Autorin schreibt, wußte sie natürlich von menschenverachtenden Zuständen bei asiatischen Firmen, der Selbstmordwelle unter Mitarbeitern der France Télécom wie überhaupt den üblen Arbeitsbedingungen in Callcentern. Dennoch habe sie das letzten Endes nicht wirklich berührt oder sie habe gedacht, daß man daran ohnehin nichts ändern könne. Was ihre Geschichte durchaus nachvollziehbar macht, ist ihr Eintauchen in eine Situation der Abhängigkeit und Zurichtung, in die selbst zu geraten sie zuvor ausgeschlossen hätte. Für Kundenbetreuung per Telefon überqualifiziert, nahm sie den Job sowohl aus persönlichen Gründen als auch aufgrund der in Aussicht gestellten Aufstiegsmöglichkeiten an, vor allem aber wegen des Namens Apple.

Einhundert neue Mitarbeiter, aus 3000 Bewerbungen europaweit ausgewählt, hatten anfangs das überwältigende Gefühl, das große Los gezogen zu haben und etwas Besonderes zu sein. "Der Job deines Lebens. Die Welt schaut zu" - so wirbt Apple um neue Mitarbeiter und vermittelt ihnen, wie privilegiert sie seien, für das Unternehmen arbeiten zu dürfen. Auf den Enthusiasmus der ersten Tage folgten sukzessive Merkwürdigkeiten, Ahnungen vorerst noch, aufkeimende Widersprüche. Als dem Leben zugewandter und kommunikationsfreudiger Mensch sei ihr der Kontakt mit den Kunden auf die Dauer nicht schwergefallen, wohl aber die umfassende und tiefgreifende Reglementierung und Kontrolle jeglicher Abläufe. In einem schleichenden Prozeß der Ernüchterung wuchsen sich ständige Überwachung und fortgesetzte Kritik an angeblich mangelnden Leistungen zu immer stärkerem psychischen Druck aus, bis man sich am Ende nicht mehr als Mensch gefühlt habe. Schließlich habe auch sie nicht länger von "Hollyhill", sondern nur noch von "Hollyhell" gesprochen.

Es sei Apple nicht um motivierte Mitarbeiter gegangen, die zufriedene Kunden gewährleisten, sondern darum, ausschließlich im Rahmen enger Prozeduren und Vorgaben zu funktionieren. Alles drehe sich um Zahlen, die unablässig erhoben und gegen die Beschäftigten verwendet würden. Belohnt werde allenfalls größtmögliche Anpassungsbereitschaft, Aufstiegsmöglichkeiten stünden lediglich absolut unkritischen und systemaffirmativen Arbeitskräften offen. Spontane Ideen und Improvisationen seien verboten, der Kundenkontakt müsse einer Prozedur folgen, die man im Schlaf zu kennen und penibel zu befolgen habe. Auf Verbesserungsvorschläge reagierten die Vorgesetzten desinteressiert, jede Kritik, wie begründet sie auch sein mag, rufe Argwohn wach, dem negative Konsequenzen zu folgen drohten.

Eng zusammengepfercht sitzen die Mitarbeiter wie in einer "Hühnerfarm", sie müssen auch an Wochenenden schuften, daß sie einmal zwei Tage am Stück freihaben, ist eher die Ausnahme als die Regel. Jegliche Vorgänge wie Kundengespräche, Rückfragen bei Vorgesetzten, Meetings, Pausen, selbst die auf täglich acht Minuten beschränkten Klogänge müssen per Tastendruck ins System eingegeben werden. Die Kundenzufriedenheit wird ständig protokolliert, die durchschnittliche Bearbeitungszeit pro Kunde erfaßt. Die entsprechenden Zahlen werden verglichen, die besten "Advisors" bekommen einen "Excellence Award". Jedes Fehlen oder Zuspätkommen wird als "Vorfall" festgehalten, die Konsequenzen vieler Vorfälle reichen von einem persönlichen Gespräch mit dem Manager über eine Verlängerung der Probezeit bis zur Kündigung. Deshalb schleppen sich viele Kollegen selbst bei mehr als fragwürdigem Gesundheitszustand zur Arbeit.

Die Arbeitsschichten werden ohne Mitsprache der Betroffenen verändert, persönliche Bedürfnisse abgewiesen. Einen Schichtdienst durfte Daniela Kickl selbst dann nicht tauschen, als sie gern an einem Weihnachtsspiel teilnehmen wollte, das ihr vierjähriger Sohn im Kindergarten vorführte. Zugleich wird Körperkontakt bei Apple als Ritual zelebriert, bei jeder halbwegs passenden Gelegenheit wird gedrückt und geknuddelt. Die Autorin beschreibt dies als einziges Mittel, um menschliche Nähe in einem unmenschlichen System zu spüren oder zumindest zu simulieren. Dieses Klima der Furcht und Unsicherheit habe Kollegen in die Verzweiflung getrieben, viele seien krank geworden oder hätten gekündigt, immer wieder kursierten Gerüchte von Suiziden.

Nach wie vor entschlossen, sich für Verbesserungen stark zu machen, fertigte Daniela Kickl schließlich ein Dossier mit Kritikpunkten und konstruktiven Vorschlägen an, das sie an das gesamte höhere Management bis hin zu Tim Cook persönlich schickte. Die Reaktion glich einem administrativen Verdauungsvorgang, ihre Vorschläge wurden formal registriert und abgelehnt, die Verhältnisse nicht besser, sondern noch schlimmer. Sie fühlt sich wie in einem kafkaesken Albtraum, arbeitet schließlich doch von zu Hause aus, kann nachts nicht mehr schlafen, wird von Ängsten heimgesucht.

Nach drei Jahren bei Apple zieht sie einen Schlußstrich und kündigt. So lange hat kaum jemand durchgehalten, die durchschnittliche Verweildauer in "Hollyhell" scheint bei höchstens einem Jahr zu liegen. Daniela Kickl hat ihr Buch in der Hoffnung geschrieben, vielleicht doch etwas zu bewirken und die Arbeitswelt ein wenig besser zu machen. Die Welt werde sich jedenfalls nicht verändern, wenn man nicht aufstehe und laut ausspreche, was einem das Leben vermiest.

11. April 2017


Daniela Kickl
Apple intern
Drei Jahre in der Europa-Zentrale des Technologie-Multis
Edition a, Wien 2017
288 Seiten, 21,90 Euro
ISBN 978-3-99001-218-5


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