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AFRIKA/173: Neue Kampagne "Mutter werden, ohne zu sterben." startet im März


Presseinformation vom 28. Dezember 2009

Neue Amnesty-Kampagne "Mutter werden, ohne zu sterben." startet im März
Schwangerschaft ist keine Krankheit und tötet doch in jeder Minute eine Frau

Fallbeispiele Sierra Leone und Burkina Faso


BERLIN, IM JANUAR 2010 - Adama Turay aus Sierra Leone starb im Dezember 2008, wenige Stunden, nachdem ihre Tochter Maya - ihr erstes Kind - auf die Welt kam. Vorsorgeuntersuchungen konnte sie zum Ende der Schwangerschaft nicht mehr wahrnehmen, weil sie die Kosten nicht bezahlen konnte. Sie selbst erkannte auch nicht, dass das Anschwellen ihrer Gliedmaßen zum Ende der Schwangerschaft ein Anzeichen für eine Komplikation war. Nach der Geburt ihrer Tochter hörten die Blutungen nicht auf. Die Familie sammelte Geld, um eine Taxifahrt zum Krankenhaus zu bezahlen. Als sie sich endlich das Taxi leisten konnte, war es zu spät: Adama Turay starb auf der Fahrt ins Krankenhaus.

Aicha gebar ihren ersten Sohn in einer Gesundheitsstation in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou. Nach der Geburt traten Blutungen auf. Für eine Bluttransfusion musste Aicha in ein Krankenhaus verlegt werden. Obwohl Fahrten zwischen staatlichen Gesundheitseinrichtungen eigentlich kostenlos sind, fuhr der Krankenwagenfahrer erst los, als er Geld erhalten hatte. Im Krankenhaus angekommen, blutete Aicha stark. Die Ärzte schickten ihren Mann Abdou ingesamt drei Mal los, um Handschuhe, Sterilisationsmittel und Medikamente zu kaufen. Dann sollte er noch ein Labor aufsuchen, um das Blut seiner Frau testen zu lassen. Es war drei Uhr morgens, ein Taxis fand er nicht und brauchte eine Stunde bis zum Labor. Als er zwei Stunden später ins Krankenhaus zurückkehrte, war seine Frau an ihren Blutungen gestorben. Offenbar hatte sie keine Transfusionen erhalten. Mitten in der Hauptstadt des Landes.

Jede Minute stirbt irgendwo auf der Welt eine Frau während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder im Kindbett. Das sind mehr als 500.000 Frauen jährlich. In achtzig Prozent der Fälle sterben die Frauen an behandelbaren bzw. vermeidbaren Komplikationen wie starken Blutungen, Infektionen, unsicheren Abtreibungen, schwangerschaftsbedingtem Bluthochdruck oder einem verzögerten Geburtsverlauf.

In westlichen Ländern liegt die Gefahr für Frauen, an diesen Komplikationen zu sterben, bei 1 zu 17.000 liegt; in Ländern der Sub-Sahara Afrikas dagegen bei 1 zu 8, für Frauen in Südasien bei 1 zu 60. Meist sind es Frauen, die in Armut leben, die zu Minderheiten oder zur indigenen Bevölkerung gehören und die marginalisiert sind, für die eine Schwangerschaft zum tödlichen Risiko wird. Müttersterblichkeit ist aber nicht nur die Folge sondern auch der Grund für Armut: Jährlich verlieren zwei Millionen Kinder ihre Mütter und sind dadurch einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt. So müssen ältere Kinder, meist Mädchen, den Haushalt führen und können nicht mehr zur Schule gehen. Kinder unter fünf Jahren, die ohne Mutter aufwachsen, haben ein zehn mal höheres Risiko zu sterben als gleichaltrige Kinder, deren Mütter noch leben. Nach Schätzungen der UNO erleiden jährlich zehn Millionen Frauen Verletzungen durch die Schwangerschaft oder Geburt, wie z.B. Scheidenfisteln. Diese führen häufig dazu, dass die Frauen gesellschaftlich stigmatisiert werden.

Dies ist nicht nur ein weltweiter Missstand, sondern auch ein Menschenrechtsskandal. Gleichgültigkeit und Diskriminierungspolitiken der Regierungen führen zur Missachtung der Menschenrechte von Frauen, namentlich ihres Rechts auf Leben und ihres Rechts auf qualifizierte Gesundheitsversorgung. Auch enthalten ihnen die gesellschaftlichen Umstände oft das Recht vor, eigenständig über ihre Sexualität, die Anzahl ihrer Kinder und den Zeitpunkt ihrer Geburt zu entscheiden.

In der UN-Millenniumserklärung von 2000 haben sich alle Staaten verpflichtet, die Müttersterblichkeit bis zum Jahr 2015 um zwei Drittel im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.Dennoch ist bis heute zu wenig geschehen. Die Sterblichkeitsrate werdender Mütter sank laut Weltbevölkerungsbericht 2008 in der Zeit von 1990 bis 2005 nur um weniger als 1 Prozent. Vor allem in Ländern der Sub-Sahara und in Südasien hat es keine Fortschritte gegeben.

Es gibt viele Gründe warum eine Frau während der Schwangerschaft oder Entbindung stirbt. Dazu gehören zum Beispiel:

Kinderehen und -schwangerschaften: Schwangere Mädchen zwischen 15 und 20 Jahren haben ein doppelt so hohes Risiko wie ältere Frauen, daran zu sterben. Bei Mädchen unter 15 Jahren besteht ein fünfmal so hohes Risiko.
Ungewollte Schwangerschaften: fehlender Zugang zu Verhütungsmitteln,
mangelnde Aufklärung, aber auch Vergewaltigung und sexueller Missbrauch führen nicht selten zu ungewollten Schwangerschaften. Für viele Frauen und Mädchen ist eine Abtreibung häufig der einzige Ausweg aus dieser Situation. Allein an den Folgen unsachgemäß durchgeführter Abtreibungen sterben jährlich 70.000 Frauen.
Mangelnde Bildung und fehlendes Wissen über sexuelle und reproduktive Rechte: Frauen und Mädchen ohne Schulbildung heiraten früher, bekommen mehr Kinder und sind einem größeren Risiko ausgesetzt.
Fehlender Zugang zur Schwangerschaftsvorsorge und medizinischer Betreuung während der Entbindung.


Was muss der Staat tun?

Es ist Aufgabe des Staates, diese Ursachen zu bekämpfen. Jede Frau hat ein Recht darauf, dass der Staat alles unternimmt, damit sie nicht stirbt, nur weil sie schwanger ist. Das Recht auf Gesundheit verpflichtet den Staat, konkrete Schritte zu ergreifen, damit alle Menschen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung haben. Diese Schritte können in der Verabschiedung von Aktionsplänen bestehen, in der Aufstockung des medizinischen Personals, in der Verbesserung von Transportmöglichkeiten oder in der Beseitigung von sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Problemen, die Frauen daran hindern, Gesundheitsdienste in Anspruch zu nehmen. Auch von den ärmsten Ländern ist zumindest zu erwarten, dass sie im Rahmen ihrer finanziellen Mittel einige Schlüsselmaßnahmen zur Umsetzung des Rechts auf Gesundheit ergreifen, einschließlich derer, die das Recht einer schwangeren Frau auf Gesundheit garantieren. Dazu gehört die Notversorgung in der Schwangerschaft, aber auch der Zugang zu sauberem Wasser, zu elementarer Gesundheitspflege und angemessenen Sanitäreinrichtungen. Notfalls muss dies mit internationaler Hilfe gewährleistet werden.

Amnesty International fordert, dass die Staaten ihrer Pflicht nachkommen und nicht untätig bleiben.

Vier Forderungen werden dabei zentral sein:

Alle Frauen müssen während der Schwangerschaft und Entbindung Zugang zu einer medizinischen Notversorgung haben.
Auch Frauen in Armut müssen Zugang zu medizinischer Grundversorgung haben.
Insbesondere dürfen keine Kosten dafür erhoben werden.
Das Recht von Frauen, frei zu entscheiden, wann, wie und mit wem sie sexuelle Beziehungen haben wollen, muss geachtet und geschützt werden. Sie müssen Zugang zu Familienplanung (einschließlich Verhütungsmitteln) haben und vor sexueller Gewalt geschützt werden. Bei Entscheidungen über die medizinische Versorgung von Müttern müssen Frauen einbezogen werden.
Das Problem muss sichtbar gemacht werden: Statistiken müssen genau ausweisen, welche Frauen besonders große Gefahr laufen, an einer Schwangerschaft zu sterben.

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Sierra Leone das Leben endet früh für Mütter

In Sierra Leone verlieren zu viele Frauen ihr Leben während Schwangerschaft und Geburt

In Sierra Leone ist das Risiko, an Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt zu sterben, weitaus höher als in fast allen anderen Ländern der Welt. Schätzungen zufolge stirbt jede achte Frau bei der Geburt eines Kindes. Viele sterben an Komplikationen, die leicht behandelt werden könnten. Tausende von Frauen verbluten nach der Geburt, die meisten sterben zu Hause, einige sterben auf dem Weg zum Krankenhaus, in Taxis, auf Motorrädern oder zu Fuß.

Nach einer Studie von UNICEF aus dem Jahr 2008 gibt es in 6 der 13 Distrikte des Landes keinerlei Notfallversorgung für Schwangere. In den übrigen Distrikten sind von den insgesamt 38 Krankenhäusern, die Schwangerschafts- und Geburtshilfe anbieten, nur 14 in der Lage, umfassende Notfallversorgung wie Bluttransfusion und Kaiserschnitt zu leisten.

Sierra Leone verfügt nur über sehr beschränkte finanzielle Ressourcen für die Lösung seiner zahlreichen Probleme. Das Land leidet noch immer an den Folgen des elfjährigen Bürgerkrieges (1991-2001). Im Gesundheitswesen herrscht Personalmangel. Die Krankenhäuser sind technisch unzulänglich ausgerüstet, und es fehlen Medikamente. Die Entfernungen sind häufig sehr groß, die Infrastruktur ist unzureichend. Mehr als 70% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Viele Frauen gehen nicht zur Gesundheitsberatung, weil ihre Familien sich die Kosten nicht leisten können. Daher wenden sich die meisten Schwangeren an traditionelle Geburtshelferinnen.

Wegen dieser Schwierigkeiten hat die Regierung von Sierra Leone die Verpflichtung - unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden eigenen Ressourcen und unter Einbeziehung internationaler Zusammenarbeit und Hilfe - konkrete und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht der Frauen auf den bestmöglichen Gesundheitsstandard sicherzustellen. Die wichtigsten Maßnahmen zur Verringerung der Müttersterblichkeit sind Förderprogramme für professionelle Geburtshilfe, leicht erreichbare Notfallhilfe, Netzwerke zur gegenseitigen Hilfe und Unterweisung in Familienplanung.


Kosten haben tödliche Folgen

Zwar sieht seit 2002 die offizielle Regierungspolitik kostenlose medizinische Behandlung für Schwangere sowie für Kinder unter fünf Jahren vor; doch wurde bisher nichts zur Realisierung dieses Planes unternommen. Unter der Unfähigkeit der Regierung, die notwendige medizinische Versorgung für schwangere Frauen bereit zu stellen, leiden vor allem diejenigen, die in Armut leben. Die Patienten müssen weiterhin 70% der Gesamtkosten selbst bezahlen. Die Kosten für die medizinische Versorgung in Sierra Leone gehören nach UNICEF zu den höchsten Afrikas.

Viele der im Gesundheitswesen Beschäftigten werden nicht vom Staat bezahlt, andere erhalten äußerst niedrige Gehälter. Infolgedessen müssen Patienten vielfach die gesamten Behandlungskosten selbst tragen. Die Regierung hat zudem versäumt sicherzustellen, dass Krankenhäuser und Notfallstationen mit den notwendigen Arzneimitteln ausgestattet sind, sodass Patienten sie häufig in Apotheken kaufen müssen. Auch der Krankentransport, ebenso wie eine Registrierungsgebühr bei Ankunft im Krankenhaus, muss von den Patienten bezahlt werden. Weitere Kosten entstehen für die medizinische Ausrüstung wie Tropf, Handschuhe und Beutel für Blut. Diese hohen Kosten tragen unmittelbar zur Müttersterblichkeit bei. Viele Frauen kommen zu spät im Krankenhaus oder in der Erste-Hilfe-Station an, weil sie erst das notwendige Geld auftreiben müssen; denn selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel steht, müssen die Gebühren im voraus bezahlt werden. Es fehlt außerdem an Transparenz bei den Gebühren.

Die Kosten sind unterschiedlich hoch, da es kein System zur Regulierung der Gebühren und zur Verhinderung von Missbrauch gibt. Häufig verlangt das medizinische Personal überhöhte Summen von mittellosen Leuten. Die Unsicherheit erschwert es den Familien zusätzlich, ausreichend Geld für die anfallenden Kosten zu sparen. Die meisten Familien haben wenig oder gar keine Rücklagen. Die Einkünfte von Bauern unterliegen jahreszeitlichen Schwankungen. Während der Regenzeit haben sie noch weniger Geld zur Verfügung als während des restlichen Jahres. In der Stadt fehlt es den Armen vielfach an familiären und sozialen Netzwerken, von denen sie Hilfe erhalten könnten. Für Frauen ohne Familie, ist es oft fast unmöglich, die Kosten für teure Notfallbehandlung aufzubringen.

Die Kosten für den von der Regierung beschlossenen Plan zur Verbesserung im Bereich der reproduktiven Gesundheit werden für die Jahre 2008-2010 auf US$ 284 Millionen geschätzt. Trotz Hilfszusagen der Geberländer gibt es bisher wenig Fortschritte bei der Umsetzung des Plans.


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Hawa Dabor starb, weil sie kein Geld für die Taxifahrt ins Krankenhaus hatte

"Es war Mitternacht, wir waren unterwegs, um uns Geld zu leihen. Wir waren verwirrt und verzweifelt. Kein Fahrzeug war zu kriegen." So beschreibt Kumba Dabor die Nacht, in der ihre Schwester Hawa Dabor starb.

Am 19. März 2009 am frühen Abend hatten bei Hawa Dabor die Wehen eingesetzt. Sie war zum Gesundheitsposten in ihrem Dorf gegangen. Sie erwartete Zwillinge, das war aber bei ihren vorgeburtlichen Untersuchungen nicht erkannt worden. Die Krankenschwester sagte ihr, sie müsste ins Krankenhaus nach Kabala. Aber sie starb, bevor ihre Familie ein Transportmittel und Geld finden konnte.

"Ich bin noch immer wie von Sinnen vor Trauer. Sie war meine Partnerin und wir vertrauten einander. Ich vermisse sie sehr. Ich selbst habe drei Kinder, dazu die fünf von Hawa. Ich habe meine Arbeit in Freetown aufgegeben, um mich um die Kinder zu kümmern, aber es ist sehr schwierig. Ich habe jetzt nur noch Gelegenheitsjobs. Es gibt etwas Unterstützung für das Essen der Kinder, aber das reicht nur für eine Reismahlzeit am Tag. Ich bin entschlossen, alles zu tun, was ich kann, um zu verhindern, dass andere Frauen dasselbe erleiden müssen." Frau in Sierra Leones größter Frauenklinik in Freetown, die Zwillinge zur Welt brachte. Sie braucht dringend eine Bluttransfusion, aber es gibt keine Blutbank im Krankenhaus.

Freetown, Februar 2009


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Adama Kabbia starb auf dem Weg ins Krankenhaus

Zu Beginn ihrer Schwangerschaft suchte Adama die lokale Klinik für Geburtsvorsorge auf und ließ sich untersuchen, musste dann aber auf weitere Besuche verzichten, weil sie sich diese nicht leisten konnte. "Die Furcht vor den Kosten hielt sie davon ab, die medizinische Betreuung in Anspruch zu nehmen, die sie wirklich benötigt hätte", sagt Adamas Schwester Sarah.

Im achten Monat schwoll Adamas Körper an, aber sie und ihre Familie dachten, sie habe einfach schwangerschaftsbedingt zugenommen, und sahen dies nicht als Symptom einer Komplikation. Adama gebar dann ein Mädchen mit traditioneller Geburtshilfe, aber unmittelbar nach der Geburt musste sie sich übergeben und klagte über Schüttelfrost. Dann begann sie zu bluten.

Die Familie erkannte, dass etwas falsch gelaufen war, und versuchte Geld aufzutreiben, um Adama in ein Krankenhaus zu bringen. Sie einigten sich mit einem Taxifahrer auf einen bezahlbaren Preis, aber während der 40-minütigen Fahrt zum Krankenhaus in die Hauptstadt Freetown starb Adama.

"Ich glaube, sie ist gestorben, weil wir nicht genug Geld hatten, um rechtzeitig ins Krankenhaus zu gehen", erklärt Adamas Schwester.

Sarah Kabbia mit ihrer zwei Monate alten Nichte in ihrer Wohnung in Kroo Bay, Freetown 2009


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Mangelnde Aufklärung wird zum Gesundheitsrisiko

Durch mangelnde gesundheitliche Aufklärung erkennen viele Frauen in Sierra Leone Gefahrensignale in der Schwangerschaft nicht rechtzeitig. Sie stehen zudem unter starkem gesellschaftlichem Druck, möglichst viele Kinder zu bekommen; im Durchschnitt sind es fünf bis sechs. Die Möglichkeit für Frauen, ihr Recht auf Bestimmung des Zeitpunkts der Schwangerschaft auszuüben und die Anzahl und Abstände selbst zu bestimmen, ist gering. Der Gebrauch von Verhütungsmitteln ist äußerst selten, teils aus kulturellen Gründen, teils weil sie kaum erhältlich sind. Besonders gefährdet sind sehr junge Mädchen. Durch Genitalverstümmelung bedingte Komplikationen sind ein weiterer Grund für Sterbefälle. Auf dem Lande werden etwa 90% aller Mädchen beschnitten. Ganz allgemein haben Frauen in armen Familien praktisch kein Wissen über ihre Rechte und kaum Kontrolle über und Einfluss auf Entscheidungen, die sie selbst betreffen. Das hat zur Folge, dass nur wenige in der Lage sind, sich für ihr Recht auf Gesundheit einzusetzen, selbst wenn ihr Leben in Gefahr ist. In Sierra Leone sterben Frauen qualvoll an behandelbaren Schwangerschaftskomplikationen. Auch wenn sie überleben, tragen zahlreiche Frauen lebenslange Beschwerden und gesundheitliche Schäden davon. Gesundheit für Mütter ist ein Menschenrecht!

Amnesty International startet die Kampagne gegen Müttersterblichkeit in Sierra Leone.

Freetown, 23. September 2009.


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Sierra Leone

Es mangelt an Kontrolle und Rechenschaftspflicht

Die staatliche Aufsicht bei Sterbefällen von Müttern und die Überprüfung des medizinischen Personals und des Gesundheitssystems sind vollkommen unzulänglich. Nur selten wird jemand wegen vermeidbarer Todesfälle von Müttern zur Verantwortung gezogen. Auf allen Ebenen des Gesundheitswesens sind Fortbildung und Beaufsichtigung des Personals selten oder überhaupt nicht existent. Viele sind nicht ausreichend ausgebildet für die Verantwortung, die sie tragen. Dies gilt insbesondere für die Basis-Gesundheitseinrichtungen, die den Großteil der vorgeburtlichen Checks durchführen und erste Hilfe leisten.

Die zu Müttersterblichkeit gesammelten Daten sind lückenhaft und enthalten nicht alle für eine effektive Bearbeitung des Problems notwendigen Informationen. Die Unterlagen sind häufig unvollständig oder ungenau. Das Personal, das die Statistiken erstellt, ist selten für diese Aufgabe geschult. Die Regierung hat die Verpflichtung, die Einrichtungen der Notfallversorgung einschließlich der Geburtshilfe zu überprüfen und die Ergebnisse zu veröffentlichen. Zudem müssen Rechenschaftsmechanismen eingerichtet werden, um sicher zu stellen, dass die zum Teil von Geberländern bereitgestellten Gelder sinnvoll eingesetzt werden.


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Sierra Leone / Gesundheit für Mütter ist ein Menschenrecht!

Amnesty International fordert die Regierung von Sierra Leone daher auf:

die Mindeststandards bei der medizinischen Versorgung für alle sicherzustellen, einschließlich einer angemessenen Gesundheitsversorgung für Frauen während und nach der Schwangerschaft
das 2002 beschlossene Regierungsprogramm zur kostenlosen medizinischen Versorgung für Schwangere unverzüglich umzusetzen
bei der Umsetzung internationale Zusammenarbeit und Hilfe zu suchen
die gesundheitliche Aufklärung von Frauen zu verbessern und sie über ihr Recht auf Gesundheit und Notfallhilfe zu informieren
Frauen über ihr Recht auf selbstbestimmte Sexualität, Schwangerschaft und Geburt zu informieren
die Kontrolle und Überprüfung des Gesundheitssystems zu verbessern, um verantwortliches Handeln sicherzustellen
eine bessere Ausrüstung für Krankenhäuser und angemessene Bezahlung des Personals sicherzustellen und den Missbrauch von Ressourcen zu beenden.

Ausführliche Informationen enthält der Amnesty Report: OUT OF REACH: THE COST OF MATERNAL HEALTH IN SIERRA LEONE
September 2009 - Index AFR 51/005/2009

Weitere Informationen über Sierra Leone und über geplante Aktionen bei:
Amnesty International - Sierra Leone
Koordinationsgruppe (2051)
Eilbeker Weg 214, 22089 Hamburg
mail@amnesty-sierra-leone.de
url: http://amnesty-sierra-leone.de/
Stand: November 2009


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Müttersterblichkeit in Burkina Faso:

Die Geschichte von Awa*

Awa, mit 26 Jahren im September 2007 gestorben Awa heiratete mit 17 Jahren. In einem Gesundheitszentrum bekam die damals inzwischen 26-Jährige ihr fünftes Kind. Nach der Geburt litt sie an starken Bauchschmerzen. Die Zweitfrau von Awas Ehemann sagte zu Amnesty International: "Die Assistentin einer Hebamme untersuchte sie und verschrieb ihr Medikamente, für die wir mehr als 11.000 Francs (etwa 18 Euro) bezahlten. Ich weiß nicht, welche Medikamente das waren."

Eine Krankenschwester erklärte Amnesty International: "Nach der Totgeburt ihres Kindes schwamm Awa in ihrem eigenen Blut. Sie wurde einer Gebärmutteruntersuchung unterzogen und sollte zur Beobachtung im Gesundheitszentrum bleiben. Ihr Mann lehnte dies jedoch ab. Er sagte, er habe nicht genug Geld, um Medikamente zu kaufen." Am Nachmittag kam Awa wieder nach Hause. Aber schon am nächsten Morgen wurde sie von ihrer Familie zurück ins Gesundheitszentrum gebracht. Sie erhielt ein Rezept, aber die verschriebenen Medikamente waren in der Apotheke des Gesundheitszentrums nicht erhältlich, und die Angehörigen mussten fast 6.000 Francs (etwa 9 Euro) bezahlen, um sie zu bekommen.

Am selben Nachmittag erklärte die Krankenschwester der Familie, dass sie nichts mehr für Awa tun könne und dass sie dringend mit dem Krankenwagen in die Universitätsklinik nach Ouagadougou gebracht werden müsse. Da der Tank des Krankenwagens leer war, wurde Awas Ehemann gebeten, für die Benzinkosten aufzukommen. Das Benzin sei zu teuer, sagte er und erst nach einer langen Diskussion mit der Krankenschwester erklärte er sich bereit, die Kosten von 5.000 Francs (etwa 8 Euro) zu übernehmen. Gegen 16.30 Uhr verließ der Krankenwagen das Gesundheitszentrum und kam eine Stunde später in Ouagadougou an. Im überfüllten Krankenhaus musste Awa zunächst auf einer Matte auf dem Boden liegen. Nach zwei Stunden wurde endlich ein Bett frei. Awa starb kurze Zeit später.

*Name geändert


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Müttersterblichkeit in Burkina Faso: Die Geschichte von Safiatou*

Safiatou stirbt nach einer Hausgeburt auf dem Weg ins Gesundheitszentrum

Safiatou heiratete mit 14 Jahren ihren Cousin Hamidou. Die beiden wohnten in einem Dorf etwa 100 Kilometer südlich der Hauptstadt Ouagadougou und lebten von der Tierhaltung. Safiatou hatte bereits vier Kinder, als sie 2007 im Alter von 26 Jahren erneut schwanger wurde.

Ein Krankenpfleger, der sie einige Tage vor der Geburt im Mai 2008 traf, berichtete, dass Safiatou keine Kontrolluntersuchungen wahrgenommen hatte. Erst gegen Ende der Schwangerschaft reiste sie in das etwa 12 Kilometer entfernte Gesundheitszentrum und musste zwei Tage dort bleiben, da sie sehr schwach war und an Blutarmut litt. Der Krankenpfleger sagt, er habe ihr und ihrem Mann eindringlich geraten, dass sie die kostenlos zur Verfügung gestellten Eisenpräparate einnehmen müsse und ihr Kind im Gesundheitszentrum zur Welt bringen solle.

Safiatous Ehemann erzählte Amnesty International: "Am Tag der Geburt ging es ihr gut, sie hat den ganzen Nachmittag ohne Probleme gearbeitet, wie immer. Sie hat für die Kinder tô - ein Gericht aus Maismehl - gekocht und holte dann Heu für die Tiere. Als am Abend die Wehen einsetzten, ging sie zum Haus ihrer Mutter. Ihre Mutter kam und sagte mir, dass es Safiatou nicht gut gehe, dass wir sie in die Klinik bringen müssten. Ich habe kein Motorrad, also musste ich mir eins leihen. Dadurch haben wir Zeit verloren." Hamidou sagt, er habe nicht gewusst, dass sie ihr Kind in der Klinik hätte zur Welt bringen sollen. Als er sie bei ihrer Mutter abholte, war sie bereits bewusstlos. Hamidou lieh sich von seinem Nachbarn ein kleines Motorrad, aber es hatte kein Benzin. Also schob er es zur nächsten Tankstelle, die zehn Kilometer entfernt lag. Schließlich musste Safiatou ihr Kind zu Hause zur Welt bringen. Aber die Plazenta löste sich nicht, und Safiatou verlor sehr viel Blut.

Ihr Mann bat einen Freund, ihm zu helfen, sie in das Gesundheitszentrum zu bringen, aber sie kamen zu spät: Safiatou starb auf dem Motorrad, nur vier Kilometer vom Gesundheitszentrum entfernt. Hamidous Freund berichtete Amnesty International: "Als ich ankam, war Safiatou schon im Delirium, sie konnte nicht mehr stehen. Ihr Mann hatte Angst, sie zu fahren, also setzten wir sie zwischen uns auf das Motorrad. Gegen zwei Uhr morgens fuhren wir los. Auf dem Weg sind drei kleine Gräben. Bei jedem mussten wir ab- und dann wieder aufsteigen. Mit Safiatou war das nicht leicht. Irgendwann hörte sie auf, sich zu bewegen, und wir merkten, dass sie tot war.

Wir fuhren nicht weiter ins Gesundheitszentrum, sondern entschieden uns, sie auf der leichteren Route ins Dorf zurückzubringen."

Safiatou hinterließ vier Söhne im Alter von vier, sieben, neun und elf Jahren, sowie ihren neugeborenen Sohn. Seit ihrem Tod sind die Kinder tagsüber bei Safiatous Eltern und übernachten bei Hamidous Familie. Safiatous Vater hat der Tod seiner Tochter sehr getroffen. Wie die MitarbeiterInnen von Amnesty International erfuhren, "steht er nicht mehr auf, schläft nicht und isst fast nichts."

*Name geändert


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Müttersterblichkeit in Burkina Faso: die Geschichte von Sarata*

Sarata starb bei der Geburt ihres fünften Kindes

Sarata lebte auf dem Land in der Nähe der Hauptstadt Ouagadougou. Mit 17 Jahren wurde sie verheiratet. Ihre ersten vier ersten Kinder starben alle in den ersten sechs Monaten. Im Jahr 2006 wurde sie mit 26 Jahren erneut schwanger - es war ihre fünfte Schwangerschaft innerhalb von neun Jahren.

Eine ihrer Freundinnen berichtete Amnesty International: "Sie arbeitete bis zum letzten Tag ihrer Schwangerschaft, half ihrem Mann in der Regenzeit ab sieben Uhr morgens auf dem Feld und bereitete vorher noch das Frühstück zu. Nur in der Mittagszeit gönnte sie sich eine Pause, aß eine Kleinigkeit und ruhte einen kurzen Moment aus, bevor sie zurück aufs Feld ging, wo sie bis sechs Uhr abends weiter arbeitete. Außerhalb der Regenzeit verkaufte sie Pfannkuchen auf dem Markt. Ich bat sie, während ihrer Schwangerschaft mehr Pausen einzulegen, doch sie sagte mir, das könne sie sich nicht erlauben, schließlich würde man schon genug über sie spotten, weil sie noch immer keine Kinder habe."

Sarata arbeitete bis zum Tag der Geburt und hatte keine Zeit, zu Vorsorgeuntersuchungen in ein Gesundheitszentrum zu gehen. Eines nachts hatte sie starke Schmerzen und gebar ihr Kind zu Hause. Man brachte sie nach der Geburt mit einem Motorrad in das nächst gelegene Gesundheitszentrum und von da aus in die Universitätsklinik von Ougadougou. Doch Sarata starb bei der Ankunft im Krankenhaus, noch bevor sie behandelt werden konnte. Die Ärzte diagnostizierten bei ihr eine schwere Malaria, Bluthochdruck (Eklampsie) und Kindbettfieber, eine Infektion, die vor allem Frauen trifft, die ein Kind unter schlechten hygienischen Bedingungen gebären müssen.

*Name geändert


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AMNESTY INTERNATIONAL setzt sich auf der Grundlage der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« für eine Welt ein, in der die Rechte aller Menschen geachtet werden. Die Stärke der Organisation liegt im freiwilligen Engagement von weltweit mehr als 2,7 Millionen Mitgliedern und Unterstützern unterschiedlicher Nationalitäten, Kulturen und Altersgruppen. Gemeinsam setzen sie Mut, Kraft und Fantasie für eine Welt ohne Menschenrechtsverletzungen ein.

Insbesondere arbeitet Amnesty für die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und die Bestrafung der Täter/innen gegen Folter, Todesstrafe, politischen Mord und das »Verschwindenlassen« von Menschen für die Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen, die aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion oder Überzeugung inhaftiert sind für den Schutz und die Unterstützung von Menschenrechtsverteidiger/innen für den Schutz der Rechte von Flüchtlingen für den Schutz der Menschenrechte in Kontrollen des Waffenhandels gegen Rassismus und Diskriminierung für den besonderen Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen für die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte

AMNESTY INTERNATIONAL ist eine von Regierungen, politischen Parteien, Ideologien, Wirtschaftsinteressen und Religionen unabhängige Menschenrechtsorganisation. Amnesty kämpft seit 1961 mit Aktionen, Appellbriefen und Dokumentationen für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf der ganzen Welt. Die Organisation hat weltweit 2,2 Millionen Unterstützer. 1977 erhielt Amnesty den Friedensnobelpreis.


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Quelle:
ai-Presseinformation vom 28. Dezember 2009
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2009