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AKTION/1618: Urgent Action - Palästinensische Autonomiegebiete, Hamas vollstreckt Hinrichtung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-214/2013-1, AI-Index: MDE 21/007/2013, Datum: 11. Oktober 2013 - mv

Palästinensische Autonomiegebiete
Hamas vollstreckt Hinrichtung



Herr HANI ABU ALIAN, 28 Jahre
Herr F.A., 23 Jahre
Herr A.Z.G.

Die Hamas-Behörden im Gazastreifen haben Hani Abu Alian am 2. Oktober auf dem Polizeigelände Jawazat in Gaza-Stadt durch den Strang hingerichtet. Es bestehen große Zweifel an der Fairness seines Gerichtsverfahrens, denn die Verurteilung von Hani Abu Alian stützte sich auf ein "Geständnis", das er offenbar unter Folter abgelegt hatte. Hani Abu Alian war zur Zeit eines seiner mutmaßlichen Verbrechen unter 18 Jahre alt. Ein weiterer Mann, bekannt unter den Initialen A.Z.G, könnte jederzeit hingerichtet werden.

Hani Abu Alian (bislang nur unter seinen Initialen H.M.A. bekannt) war 2012 wegen Mordes in zwei Fällen und der Vergewaltigung eines Mädchens für schuldig befunden und zum Tode verurteilt worden. Einer seiner Rechtsbeistände bezeichnete seine Hinrichtung als "eine rechtliche, moralische, politische und religiöse Katastrophe". Wenn eine Regierung unter Verstoß gegen eigenes Recht derart viele Menschen hinrichten ließe, deute dies darauf hin, dass das Land verkommen sei, so der Rechtsbeistand. Hani Abu Alian ist die dritte Person, die im Gazastreifen in diesem Jahr hingerichtet wurde. Er war 28 Jahre alt.

In einem anderen Fall wurde am 26. September 2013 das Todesurteil gegen einen unter den Initialen A.Z.G. bekannten 35-jährigen Mann aus dem Flüchtlingslager al-Shati' von dem bahrainischen Kassationsgericht bestätigt. Das Urteil war im Februar 2010 von einem erstinstanzlichen Gericht verhängt und am 15. Dezember 2012 von einem Berufungsgericht bestätigt worden.

In einem weiteren Fall findet derzeit vor dem Obersten Militärgericht ein Rechtsmittelverfahren statt. Ein unter den Initialen F.A. bekannter 23-jähriger Mann wurde am 24. März 2013 von dem Zentralen Militärgericht in Gaza-Stadt wegen "Kollaboration mit dem Feind" für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Sein Rechtsbeistand teilte Amnesty International mit, sein Mandant sei während der Verhöre an Hand- und Fußgelenken aufgehängt und geschlagen worden, um ein "Geständnis" zu erzwingen. Nach internationalen Standards sollten Militärgerichte grundsätzlich nicht befugt sein, Todesurteile zu verhängen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Im Mai 2010 wurde H.M.A. vom Khan-Younis-Gericht erster Instanz in zwei verschiedenen Fällen eines Tötungsdelikts schuldig gesprochen. Im ersten Fall wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er 2009 "ohne Vorsatz" einen Freund getötet haben soll. Im zweiten Fall verhängte man wegen der Vergewaltigung und Tötung eines sechsjährigen Mädchens im Jahr 2000, als H.M.A. noch keine 18 Jahre alt war, gegen ihn eine lebenslange Freiheitsstrafe und zusätzliche 14 Jahre Haft. Der Rechtsbeistand von H.M.A. argumentierte im Verfahren, dass das "Geständnis" von H.M.A. im letztgenannten Fall vor Gericht nicht zulässig sei, da er während der Verhöre geschlagen wurde. Dieser Einwand wurde jedoch nicht berücksichtigt. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diese Urteile Rechtsmittel ein und im September 2012 befand das Berufungsgericht H.M.A. wegen Mordes in beiden Fällen für schuldig und änderte das Strafmaß von der jeweils lebenslangen Haftstrafe in ein Todesurteil. Dieses Urteil wurde am 14. Juli vom Kassationsgericht bestätigt, obwohl das palästinensische Recht bei Tötungsdelikten Minderjähriger die Verhängung eines Todesurteils nicht vorsieht. Trotz mehrerer Ankündigungen vonseiten der Hamas, "Straftäter" würden künftig öffentlich hingerichtet werden, wurde Hani Abu Alian in Anwesenheit der Angehörigen eines der Opfer sowie bekannter religiöser und politischer VertreterInnen hingerichtet. Die Öffentlichkeit war allem Anschein nach nicht zugelassen.

Amnesty International ist nach wie vor sehr besorgt über die weitverbreitete Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen im Gazastreifen unter der De-facto-Regierung der Hamas, namentlich gegen zum Tode verurteilte Personen. Die Unabhängige Kommission für Menschenrechte (Independent Commission for Human Rights - ICHR) erhielt eigenen Angaben zufolge im Jahr 2012 insgesamt 134 Beschwerden wegen Folter durch die Behörde für Innere Sicherheit und die Polizei in Gaza und zahlreiche weitere Beschwerden wegen grausamer und unmenschlicher Behandlung sowie physischer oder verbaler Misshandlung.


SCHREIBEN SIE BITTE

E-MAILS UND FAXE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich verurteile die Hinrichtung von Hani Abu Alian. Straftäter, die zum Zeitpunkt der Tat minderjährig waren, zum Tode zu verurteilen, stellt einen Bruch palästinensischen und internationalen Rechts dar. Das Urteil gegen Hani Abu Alian stützt sich zudem auf ein "Geständnis", das er mutmaßlich unter Folter abgelegt hat.
  • Stellen Sie bitte sicher, dass die Todesurteile gegen A.Z.G. und F.A. sowie alle weiteren bereits verhängten Todesurteile in Gaza nicht vollstreckt werden. Sorgen Sie zudem dafür, dass sie umgewandelt werden und verhängen Sie ein Moratorium für Exekutionen.
  • Bitte gewährleisten Sie darüber hinaus, dass alle Verfahren zu Kapitalverbrechen den international anerkannten Standards bezüglich der Verhängung der Todesstrafe entsprechen.
  • Ich bin besorgt über die von Hani Abu Alian und F.A. erhobenen Foltervorwürfe. Bitte leiten Sie umgehend eine unabhängige Untersuchung dieser Vorwürfe ein und stellen Sie die Verantwortlichen in Verfahren vor Gericht, die den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprechen.

APPELLE AN

MINISTER FÜR INNERES UND NATIONALE SICHERHEIT
[Hamas administration in Gaza]
Fathi Hamad
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 972) 8 288 1994 / (00 970) 8 288 1994
(nur bis 14.00 Uhr Ortszeit bzw. 15 Uhr MSZ)
E-Mail: info@moi.gov.ps

GENERALSTAATSANWALT
[Hamas administration in Gaza]
Isma'il Jaber
(Anrede: Dear Attorney General / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 972) 8 288 6885 (nur bis 14.00 Uhr Ortszeit bzw. 15 Uhr MSZ)
E-Mail: neiaba.gaza@gmail.com oder
media@gp.gov.ps


KOPIEN AN

MINISTERPRÄSIDENT
[Hamas administration in Gaza]
Isma'il Abd al-Salam Ahmad Haniyeh
(Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 972) 8 264 1150 (nur bis 14.00 Uhr Ortszeit bzw. 15 Uhr MSZ)

PALÄSTINENSISCHE DIPLOMATISCHE MISSION
Herrn Salah Abdel Shafi
Ostpreußendamm 170
12207 Berlin
Fax: 030-20 61 77 10
E-Mail: info@palaestina.org


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. November 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA 214/2013 (MDE 21/003/2013, 7. August 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Condemning the execution of Hani Abu Alian, emphasizing that sentencing juvenile offenders to death is a breach of Palestinian and international law and that his sentence was imposed despite allegations that his confession was forced.
  • Urging the authorities not to execute A.Z.G., F.A., or anyone else sentenced to death in Gaza, and to ensure that trials for capital crimes comply with all internationally recognized standards on the use of the death penalty.
  • Calling on them to immediately commute all death sentences and to impose a moratorium on executions.
  • Expressing concern at the allegations of torture against Hani Abu Alian and F.A. and urging them to carry out prompt, independent and impartial investigations into the claims, bringing anyone found to be responsible to justice in proceedings which meet international standards for fair trial.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Die palästinensische Autonomiebehörde (PA) besitzt die Gerichtsbarkeit in Gaza und den Teilen des Westjordanlandes, welche die besetzten palästinensischen Gebiete umfassen und unter israelischer Besatzung stehen. Doch Gewalt und Spannungen zwischen den beiden größten palästinensischen politischen Parteien Fatah und Hamas - die Hamas gewann 2006 die Parlamentswahlen, wird aber von einigen Regierungen, wie der EU, nicht anerkannt - haben zu einer Situation geführt, in der das Westjordanland seit Juni 2007 von der von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas eingesetzten Verwaltungsregierung der palästinensischen Autonomiebehörde regiert wird und Gaza von der De-facto-Regierung der Hamas unter der Führung von Isma'il Haniyeh. Seitdem hat PA-Präsident Abbas Operationen der PA-Sicherheitskräfte und die Tätigkeit der Justizorgane in Gaza ausgesetzt und damit einen institutions- und rechtsfreien Raum geschaffen. Die Hamas reagierte darauf, indem sie einen eigenen Polizei- und Justizapparat einsetzte. Diesem fehlt es jedoch an angemessen ausgebildetem Personal, Rechenschaftsmechanismen und Schutzklauseln.

Nach palästinensischem Recht muss Palästinenserpräsident Abbas alle Todesurteile ratifizieren, bevor sie vollstreckt werden können. Doch die De-facto-Regierung der Hamas vollstreckt bereits seit 2010 Hinrichtungen auch ohne die Bewilligung des Präsidenten. Die Todesstrafe wird durch das Innenministerium der Hamas-Regierung mit der Pflicht zum Schutz der Gesellschaft und der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gerechtfertigt. Darüber hinaus werden Personen - auf der Grundlage des revolutionären Strafgesetzbuchs der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) von 1979 - häufig durch Militärgerichte zum Tode verurteilt, deren Verfahren den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren nicht gerecht werden.

Nach Angaben örtlicher Menschenrechtsorganisationen befinden sich zurzeit mindestens 42 Gefangene in Gaza im Todestrakt. Von 2006 bis 2009 sind in Gaza keine Todesurteile vollstreckt worden. Laut NGOs vor Ort hat die De-facto-Regierung der Hamas seitdem jedoch bereits mindestens 17 Todesurteile vollstreckt. Acht von ihnen waren auf der Grundlage von Anklagepunkten verurteilt worden, die mit einer mutmaßlichen "Kollaboration" mit den israelischen Behörden zusammenhängen, und neun von ihnen wegen Mordes. Seit dem Amtsantritt von Palästinenserpräsident Abbas im Jahr 2005 sind im Westjordanland keine Hinrichtungen vollstreckt worden.

Amnesty International erkennt das Recht und die Pflicht von Regierungen an, Personen, die einer Straftat verdächtigt werden, vor Gericht zu stellen. Allerdings sind bis zum heutigen Tag keine überzeugenden Beweise dafür vorgelegt worden, dass die Todesstrafe eine abschreckendere Wirkung hätte als andere Strafen. Amnesty International wendet sich ungeachtet der Schwere eines Verbrechens vorbehaltlos gegen die Todesstrafe, da sie zwei grundlegende Menschenrechte verletzt: das Recht auf Leben und das Recht, nicht der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden. Amnesty International betrachtet die Todesstrafe als die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-214/2013-1, AI-Index: MDE 21/007/2013, Datum: 11. Oktober 2013 - mv
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: ua-de@amnesty.de; info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2013