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AKTION/1774: Urgent Action - Ägypten, 683 Todesurteile


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-100/2014, AI-Index: MDE 12/024/2014, Datum: 1. Mai 2014 - dw

Ägypten
683 Todesurteile



683 MÄNNER, die zum Tode verurteilt wurden

Im zweiten Massenprozess innerhalb von fünf Wochen hat ein ägyptisches Gericht weitere 683 Menschen zum Tode verurteilt, erneut nach einem im höchsten Maße unfairen Verfahren. Unter den Verurteilten befindet sich Mohamed Badie, der inhaftierte Vorsitzende der Muslimbruderschaft.

Die Richter des Strafgerichts in Minya verkündeten am 28. April 2014 einstimmig das Todesurteil gegen alle 683 Angeklagten und leiteten den Fall an den Großmufti weiter, der von Strafgerichten um Rat gefragt werden muss, bevor formell ein Todesurteil verhängt werden kann. Alle wurden der Beteiligung an tödlicher Gewalt vor der Polizeistation im Dorf al-Adwa im Gouvernement Minya am 14. August 2013 angeklagt. Keiner der Angeklagten war im Gerichtssaal anwesend, obwohl die Sicherheitskräfte 74 von ihnen inhaftiert haben, wie ein Strafverteidiger Amnesty International mitteilte.

Die Strafverteidiger_innen hatten die einzige vorhergehende Anhörung in diesem Fall am 25. März boykottiert, nachdem derselbe vorsitzende Richter nach einem unfairen Verfahren in einem anderen Fall Todesurteile gegen 528 Personen an den Großmufti weiterleitete. Trotz der Abwesenheit der Rechtsbeistände setzten die Richter das Verfahren gegen die 683 Personen fort und befragten mehr als 50 Zeug_innen sowie 74 Angeklagte in einer Anhörung von nur wenigen Stunden. Der vorsitzende Richter erlegte den Strafverteidiger_innen am 28. April eine Geldstrafe von 50 Ägyptischen Pfund (etwa 5 Euro) auf und verwies sie wegen ihrer Abwesenheit bei der Anhörung an ein Disziplinargremium. Eine Mitarbeiterin von Amnesty International beobachtete die Anhörung an dem Tag. Im Gerichtssaal befanden sich bewaffnete Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren, deren Gesichter mit schwarzen Masken bedeckt waren.

Insgesamt befinden sich 74 Angeklagte im Al-Wadi Al-Gedid-Gefängnis in Haft, acht Stunden Fahrzeit von ihren Angehörigen aus dem Dorf al-Adwa entfernt. Die Familien sagten Amnesty International, sie müssten nachts aufbrechen, um rechtzeitig im Gefängnis anzukommen und ihre Angehörigen sehen zu können. Das Gericht wird die Urteile am 21. Juni offiziell verkünden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Staatsanwaltschaft klagte alle 683 Personen wegen "Mordes", "versuchten Mordes", "Brandstiftung in der Polizeiwache von al-Adwa", "Mitgliedschaft in einer verbotenen Gruppierung" und "Teilnahme an einer Versammlung von mehr als fünf Personen mit dem Ziel, die vorgenannten Straftaten zu begehen" an.

Nach ägyptischem Recht muss der Großmufti bei allen Todesurteilen, die von Strafgerichten verhängt werden, um Rat gefragt werden. Die Meinung des Großmuftis ist allerdings nicht rechtsverbindlich für das Gericht. Die Verurteilten können beim Kassationsgericht, dem obersten Gericht Ägyptens, Rechtsmittel einlegen. Die gesetzlichen Vorschriften in Ägypten erlauben Personen, die in Abwesenheit verurteilt wurden, zudem das Recht auf ein Wiederaufnahmeverfahren. Das Strafgericht in Minya, vor dem gegen die 628 Personen verhandelt wurde, leitete am 24. März in einem anderen Fall das Todesurteil gegen 528 Menschen an den Großmufti weiter, nachdem wegen des Angriffs auf eine Polizeiwache im Dorf Mattay, des Mordes am stellvertretenden Polizeichef und des versuchten Mordes an zwei Polizisten gegen sie verhandelt worden war. Das Urteil folgte auf ein in höchstem Maße unfaires Gerichtsverfahren. Dasselbe Gericht verkündete am 28. April offiziell Todesurteile gegen 37 Personen und verurteilte 491 weitere zu einer lebenslangen Haftstrafe (siehe UA 75/2014,
https://www.amnesty.de/urgent-action/ua-075-2014/528-todesurteile).

Unterstützer_innen des abgesetzten Präsidenten Mursi gingen am 14. August 2013 in ganz Ägypten auf die Straße, nachdem die Sicherheitskräfte Pro-Mursi-Sitzstreiks im Bezirk Rabaa al-Adawiya von Nasr City und auf dem al-Nahda-Platz in Gizeh mit Gewalt aufgelöst hatten. In den darauffolgenden Tagen starben mehrere hundert Menschen, als die Sicherheitskräfte exzessive Gewalt einsetzten, um Proteste aufzulösen. Danach griffen einige Anhänger_innen von Mohammed Mursi Regierungsgebäude, Polizeiwachen und Sicherheitskräfte an. Bei einigen dieser Angriffe wurden Polizist_innen gefangengenommen, geschlagen oder sogar getötet. Am selben Tag kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstrierenden, die sich im Dorf al-Adwa versammelt hatten. Einige der Demonstrierenden marschierten anschließend zur Polizeistation, wo weitere Gewalttaten zum Tod eines Polizeibeamten und des Sohnes eines freiwilligen Polizisten führten. Ein Strafverteidiger gab gegenüber Amnesty International an, dass die Sicherheitskräfte daraufhin alle bei den Zusammenstößen Anwesenden verhafteten.

Es ist nicht bekannt, welche Beweismittel der Staatsanwaltschaft den inhaftierten Vorsitzenden der Muslimbruderschaft mit den Ausschreitungen in al-Adwa in Verbindung bringen. Laut dem ägyptischen Innenministerium war Mohamed Badie am 20. August 2013 in Nasr City festgenommen worden. Er steht wegen einer Reihe von Fällen, die mit politischen Gewalttaten in Zusammenhang stehen, vor Gericht. Die Muslimbruderschaft, der Mohammed Mursi vor seinem Amtsantritt angehörte und der er weiterhin sehr nahesteht, ist verboten und von der Regierung als "terroristische Organisation" eingestuft worden. Ägypten ist Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR). In dessen Artikel 14 ist das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor einem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen und gesetzlich legitimierten Gericht vorgeschrieben. Zudem garantiert dieser Artikel jedem Angeklagten das Recht, über Art und Grund der Anklage unterrichtet zu werden, hinreichend Zeit und Gelegenheit zu Vorbereitung seiner Verteidigung zu haben, das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und das Recht, Belastungszeug_innen zu befragen oder befragen zu lassen. Artikel 6 des IPBPR legt dar, dass die Todesstrafe in Ländern, in denen sie noch nicht abgeschafft wurde, nur für die schwersten Straftaten verhängt werden darf, wenn dies dem geltenden Recht zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat entspricht und nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen des IPBPR steht.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Bitte treten Sie dafür ein, dass die am 28. April verhängten 683 Todesurteile aufgehoben werden.
  • Verfügen Sie ein Hinrichtungsmoratorium, als ersten Schritt hin zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.
  • Ich fordere Sie auf, die 74 Männer, die sich im Al Wadi Al-Gedid-Gefängnis in Haft befinden, in ein näher am Dorf al-Adwa gelegenes Gefängnis zu verlegen.

APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Nayer Abdel-Moneim Othman
Minister of Justice
Ministry of Justice
Cairo, ÄGYPTEN (Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 202) 2 7958103
E-Mail: mojeb@idsc.gov.eg

ÜBERGANGSPRÄSIDENT
Adly Mahmoud Mansour
Office of the President
Al Ittihadia Palace
Cairo, ÄGYPTEN (Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 202) 2 391 1441

STAATSANWALT
Hesham Mohamed Zaki Barakat
Office of the Public Prosecutor
Supreme Court House, 1 "26 July" Road
Cairo, ÄGYPTEN (Anrede: Dear Counsellor / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 202) 2 577 4716 oder
(00 202) 2 575 7165
(Bürozeiten beachten, Zeitzone wie Deutschland)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK ÄGYPTEN
S. E. Herrn Mohamed Abdelhamid Ibrahim Higazy
Stauffenbergstraße 6-7, 10785 Berlin
Fax: 030-477 1049
E-Mail: embassy@egyptian-embassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. Juni 2014 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urging the Egyptian authorities to quash all death sentences.
  • Calling on them to establish immediately an official moratorium on executions, as a first step towards abolition.
  • Calling on them to transfer the 74 men held in Al-Wadi Al-Gedid Prison to a closer prison.

*

Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-100/2014, AI-Index: MDE 12/024/2014, Datum: 1. Mai 2014 - dw
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2014