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AKTION/465: Reaktionen und Erfolge, Februar/März 2010


amnesty journal 02/03/2010 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge

Tschechien, Irak, China, Brasilien, Deutschland/DR Kongo, Sri Lanka - Ausgewählte Ereignisse vom 26. Oktober 2009 bis 13. Januar 2010
Marokko/Westsahara - Aminatou Haidar darf zurück in ihre Heimat
Russland - Nein zur Todesstrafe
Iran - Kein Tod durch Steinigung
China - "Verschwundene" wieder aufgetaucht

Ausgewählte Ereignisse vom 26. Oktober 2009 bis 13. Januar 2010.

TSCHECHIEN

Die tschechischen Behörden verweigern Roma-Kindern ihr Recht auf Bildung. Dies dokumentiert ein im Januar veröffentlichter Amnesty-Bericht. Viele Roma-Kinder werden entweder auf Schulen für geistig Behinderte geschickt oder in Klassen, in denen auschließlich Roma unterrichtet werden. Aufgrund dieser Praxis erhalten sie lediglich eine zweitklassige Bildung und haben schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur schwer können sie daher der Armut entkommen, unter der viele Roma in Tschechien leiden. Bereits 2007 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Tschechien dazu verurteilt, diese diskriminierende Praxis zu stoppen. Der Staat blieb aber weitgehend untätig.


IRAK

Mehr als 900 Menschen im Irak droht unmittelbar die Hinrichtung. Die Betroffenen haben bereits alle verfügbaren Rechtsmittel zur Anfechtung der Todesurteile ausgeschöpft. Die Behörden planen offenbar, die Todesstrafe noch vor den für März 2010 angesetzten Parlamentswahlen zu vollstrecken. Die Gefangenen sind wegen Straftaten wie Entführung und Mord verurteilt worden, allem Anschein nach handelte es sich in den meisten Fällen jedoch um unfaire Gerichtsverfahren. Amnesty verlangt von den Behörden, die Todesurteile in Haftstrafen umzuwandeln.


CHINA

Am 29. Dezember 2009 ist der Brite Akmal Shaikh im chinesischen Urumqi mit der Giftspritze hingerichtet worden. Er war in einem halbstündigen Prozess des Drogenschmuggels für schuldig befunden worden. "Die Exekution zeigt die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit der Todesstrafe", sagte Amnesty-Experte Dirk Pleiter. Mit Blick auf Shaikhs mutmaßliche psychische Krankheit kritisierte Pleiter, dass entgegen chinesischem Recht keine strafmildernden Umstände berücksichtigt wurden: "Das Verfahren gegen Akmal Shaikh, wie auch die Verurteilung des bekannten Dissidenten Liu Xiabo zu elf Jahren Haft wenige Tage zuvor, verdeutlichen, wie weit China von einem rechtsstaatlichen System entfernt ist."


BRASILIEN

Einen durchschlagenden Erfolg im Kampf um ihr Recht auf Wohnen erzielten die 800 Familien, die im August 2009 von dem Gelände Olga Benário in São Paulo vertrieben worden waren: Aufgrund des Drucks lokaler und internationaler Organisationen, darunter Amnesty International, haben die Behörden Anfang Dezember beschlossen, auf dem Gelände Sozialwohnungen für die betroffenen Familien zu bauen. Die rabiate Vorgehensweise der Polizei bei der Zwangsräumung hafte zu Panik unter den Familien geführt, Brände brachen aus und ihre Habseligkeiten wurden teilweise zerstört.


DEUTSCHLAND/DR KONGO

Jahrelang organisierten sie von Deutschland aus Massenmorde und Plünderungen im Kongo - per Satellitentelefon. Nun sitzen sie in Haft: der Präsident der Hutu-Miliz FDLR, Ignace Murwanashyka, und sein Stellvertreter wurden am 17. November 2009 vom Bundeskriminalamt in Mannheim und Nürtingen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhaftet. Amnesty International begrüßt die Verhaftungen als einen wichtigen Schritt im Kampf gegen die Straflosigkeit und für die Durchsetzung internationaler Strafgerichtsbarkeit. Die FDLR ist verantwortlich für zahllose Massaker an Zivilisten, systematische Vergewaltigungen und Rekrutierungen von Kindersoldaten.


SRI LANKA

Der Journalist Vettivel Jasikaran und seine Ehefrau Valarmathi wurden am 26. Oktober 2009 aus der Haft entlassen. Die für Terrorismusfahndung zuständige Polizeieinheit TID hatte sie am 6. März 2008 wegen Verdachts auf "terroristische Aktivitäten" in Gewahrsam genommen. In einer Klage beim Obersten Gerichtshof legten die beiden dar, dass ihre Haft rechtswidrig war und Vettivel im Gewahrsam der TID gefoltert wurde. Amnesty hatte in einer Eilaktion ihre Freilassung gefordert. Der Gerichtshof gab ihrer Klage statt und sprach sie in allen Anklagepunkten frei.


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MAROKKO/WESTSAHARA

Aminatou Haidar darf zurück in ihre Heimat

Seit den achtziger Jahren setzt sich Aminatou Haidar für die Unabhängigkeit ihrer Heimat ein, der von Marokko 1976 annektierten Westsahara. Ein seit 1991 unter Aufsicht der UNO geplantes Referendum über die Zukunft des Gebiets hat bisher nicht stattgefunden. Haidar saß mehrfach wegen ihres friedlichen Engagements im Gefängnis und wurde gefoltert. Ende 2009 konnte sie erst nach einem 32-tägigen Hungerstreik in die Westsahara zurückkehren.

Im Oktober hatte die 47-Jährige in den USA den Preis für Zivilcourage 2009 entgegengenommen. Auf ihrer Rückreise wurde sie am 13. November am Flughafen Laayoune in der Westsahara festgenommen. Die Grenzpolizisten fragten sie, warum sie auf dem Einreiseformular als Heimatland "Westsahara" und nicht "marokkanische Sahara" angegeben habe. Haidar zufolge boten ihr die Beamten an, sie freizulassen, wenn sie öffentlich anerkennen würde, dass die Westsahara zum marokkanischen Staatsgebiet gehöre. Sie weigerte sich jedoch und wurde wenige Stunden später ohne gültige Reisepapiere nach Lanzarote, einer der Kanarischen Inseln, abgeschoben. Aus Protest trat sie dort am 15. November in den Hungerstreik. Die zweifache Mutter war teilweise so geschwächt, dass Ärzte um ihr Leben fürchteten. Amnesty International ging davon aus, dass sie mit der Ausweisung für ihr Engagement bestraft werden sollte, und forderte in einer Eilaktion ihre sichere Rückkehr in die Westsahara. Auch die EU und die UNO erhoben diese Forderung.

Am 18. Dezember gaben die marokkanischen Behörden dem internationalen Druck nach. Nach einer Vereinbarung mit Spanien durfte Haidar schließlich in die Westsahara zurückkehren. Dort angekommen, sagte sie gegenüber Amnesty: "Meine Rückkehr ist ein Sieg für die Menschenrechte."


RUSSLAND

Nein zur Todesstrafe

Die Abschaffung der Todesstrafe in Russland rückt näher. Das russische Verfassungsgericht verlängerte Ende November 2009 das bestehende Hinrichtungsmoratorium und empfahl die Abschaffung der Todesstrafe. Amnesty International begrüßte die Entscheidung als wichtigen Schritt und forderte Russland auf, die Todesstrafe ganz aus den Gesetzbüchern zu streichen. "Mit dieser Entscheidung nimmt das Verfassungsgericht den russischen Bürgern die Angst, von ihrem eigenen Staat getötet zu werden", sagte Peter Franck, Russland-Experte von Amnesty International. Die Vollstreckung der Todesstrafe ist in Russland seit 1999 ausgesetzt. Dieses Moratorium sollte auslaufen, sobald alle Gebiete der Russischen Föderation Geschworenengerichte eingerichtet haben. Am 1. Januar führte Tschetschenien als letzte Republik die Neuerung ein. Das Verfassungsgericht verlängerte das Moratorium jedoch mit der Begründung, der Weg zur Abschaffung der Todesstrafe sei unumkehrbar. Russland trat 1996 dem Europarat mit dem Versprechen bei, die Todesstrafe binnen drei Jahren aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Seit 1998 hat Russland niemanden mehr hingerichtet und setzte sich auch international für eine Welt ohne Todesstrafe ein.


TURKMENISTAN

Umweltschützer wieder in Freiheit

Wer sich in Turkmenistan für den Schutz der Umwelt einsetzt, lebt gefährlich. Immer wieder erhält Amnesty International Berichte über Folter, Misshandlungen und willkürliche Festnahmen von Menschen, die sich friedlich für Umweltschutz oder andere Anliegen engagieren. So wie im Fall des international bekannten Umweltschützers Andrej Satoka.

Der 53-jährige Biologe war Ende Oktober 2009 wegen Körperverletzung in einem unfairen Gerichtsverfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Am 6. November prüfte das Regionalgericht von Dashoguz den Fall erneut und wandelte seine Haftstrafe in eine Geldstrafe um. Nach der Zahlung von umgerechnet etwa 235 Euro wurde Satoka einen Tag später freigelassen. Turkmenischen Quellen zufolge jedoch nur unter der Bedingung, dass er seine turkmenische Staatsbürgerschaft abgibt und das Land verlässt.

Amnesty ist der Auffassung, dass Satoka nur wegen seines friedlichen Engagements für den Umweltschutz angeklagt wurde, und betrachtete ihn daher als gewaltlosen politischen Gefangenen.

Bereits im Dezember 2006 war er am Flughafen in Dashoguz wegen angeblicher Störung der öffentlichen Ordnung von der Polizei festgenommen worden. Worauf sich diese Anschuldigung gründete, blieb unklar. Vor Gericht warf ihm die Staatsanwaltschaft vier Vergehen vor, unter anderem illegalen Erwerb oder Besitz von Waffen oder Sprengstoff. Im Januar 2007 verurteilte das Stadtgericht von Dashoguz den Biologen zu einer dreijährigen Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Schon damals äußerte Amnesty die Befürchtung, dass Satoka durch die Anklage für seine friedliche Tätigkeit als Umweltschützer bestraft werden sollte. Die Bewährungsstrafe wurde später im Rahmen der Begnadigung von etwa 9.000 Gefangenen durch Staatspräsident Berdymuchammedow aufgehoben.

Ab Juni 2008 verweigerten die Behörden Satoka, der sowohl die turkmenische als auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt, die Ausreise. Daher konnte er seine Verwandten in Russland, unter anderem seine Kinder, über zwei Jahre lang nicht sehen. Mehrfach schrieb er Briefe an die Behörden, um zu erfahren, weshalb ihm die Ausreise verwehrt wurde. Eine Erklärung erhielt er nie. Nach Zahlung der Geldstrafe reisten Andrej Satoka und seine Frau am 7. November 2009 nach Russland aus. Amnesty wird die Entwicklungen im Fall Andrej Satoka weiter beobachten.


IRAN

Kein Tod durch Steinigung

Mehrere Jahre lang drohte der Iranerin Gilan Mohammadi und dem Iraner Gholamali Eskandari der Tod durch Steinigung. Ihr "Vergehen": Ehebruch. Seit dem 4. Oktober 2009 sind beide wieder in Freiheit. Nachdem der Oberste Gerichtshof das Urteil aufgehoben hatte, wurden beide freigesprochen und aus dem Zentralgefängnis von Isfahan entlassen, wo sie seit 2003 inhaftiert waren. Wahrscheinlich 2005 oder 2006 wurden sie zum Tode verurteilt.

Im Januar 2009 reisten eine Anwältin und ein Anwalt nach Isfahan, in der Hoffnung, die Inhaftierten zu sehen und ihre Verteidigung übernehmen zu können. Gefängnis- und Justizangestellte hinderten sie jedoch daran. Die Anwälte legten daraufhin Beschwerde ein, weil Mohammadi und Eskandari das Recht auf eine anwaltliche Vertretung verweigert wurde. Nach einer Überprüfung ordnete die Oberste Justizautorität des Irans eine Neuverhandlung an, die mit dem Freispruch endete.


CHINA

"Verschwundene" wieder aufgetaucht

Wie erst Ende November 2009 bekannt wurde, lebt die Chinesin Zhuang Lu inzwischen im Haus ihrer Eltern in der Provinz Fujian im Südosten Chinas. Fast einen Monat lang fehlte von der Mitarbeiterin der in Peking ansässigen Nichtregierungsorganisation Open Constitution Initiative (OCI), die Opfer von Menschenrechtsverletzungen juristisch berät, jede Spur.

Die 27-Jährige war am 29. Juli 2009 zusammen mit dem Gründer der Organisation, dem Rechtsanwalt Xu Zhiyong, festgenommen worden. Nach mehr als drei Wochen wurden beide aus der Haft entlassen, die Ermittlungen gegen Xu Zhiyong laufen jedoch noch. Zhuang Lu wurde einen Tag nach ihrer Entlassung von der Polizei in ihre Heimatprovinz geschickt. Seit ihrer Rückkehr hatte sie nur wenig Kontakt zu Freunden und Verwandten. Die Polizei hat ihr nahegelegt, sich gegenüber den Medien nicht zu ihrer Haft zu äußern.


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Quelle:
amnesty journal, Februar/März 2010, S. 6-8
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2010