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AKTION/873: Urgent Action - Russische Föderation - Medizinische Versorgung verweigert


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-359/2011, AI-Index: EUR 46/046/2011, Datum: 13. Dezember 2011 - ns

Russische Föderation
Medizinische Versorgung verweigert


Herr SARABI SEYUNOV, 29 Jahre alt

Der seit November 2005 in Nalchik in Untersuchungshaft gehaltene Sarabi Seyunov ist an Tuberkulose erkrankt. Allem Anschein nach ist die Erkrankung darauf zurückzuführen, dass man ihn absichtlich in einer Zelle mit einem tuberkulosekranken Insassen unterbrachte. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend und ihm wird nach wie vor eine angemessene medizinische Behandlung verweigert. Sarabi Seyunov ist nicht mehr in der Lage, seinem lang erwarteten Gerichtsprozess beizuwohnen.

Der 29-jährige Sarabi Seyunov ist einer von 58 Angeklagten, von denen 55 seit 2005/2006 in Haft gehalten werden. Sie waren im Zusammenhang mit dem Übergriff einer bewaffneten Gruppe auf die Stadt Nalchik in Kabardino-Balkarien im Nordkaukasus am 13. Oktober 2005 angeklagt worden. Die Gerichtsverfahren wurden erst im Jahr 2008 aufgenommen und die Gefangenen geben an, dass man sie gefoltert und misshandelt habe, um Geständnisse von ihnen zu erzwingen. Viele von ihnen haben sich wiederholt beschwert, dass ihr Gesundheitszustand sich verschlechtere und ihnen medizinische Hilfe verweigert werde. Man glaubt, dass Sarabi Seyunov bereits vor zwei Jahren an Tuberkulose erkrankt ist. Die Diagnose wurde aber erst im November 2011 bestätigt, als der Gefangene bereits zu krank war, um seinem Prozess beizuwohnen. Seine Familie beauftragte einen Tuberkulose-Spezialisten mit der Untersuchung des 29-Jährigen. Allerdings verweigerte die Gefängnisverwaltung Sarabi Seyunov die Erlaubnis, sich von einem außenstehenden Arzt untersuchen zu lassen. Der an Tuberkulose Erkrankte wurde nicht von den anderen Insassen isoliert. Berichten zufolge ist dies eine Taktik der Gefängnisverwaltung, die dem Rest der 58 Angeklagten bereits damit gedroht haben soll, dass sie während der Haft an Tuberkulose sterben würden.

Am 10. November verlegte man Sarabi Seyunov in ein Gefängniskrankenhaus. Dem Vernehmen nach wurde er aber nicht auf die Station für Tuberkulosekranke verlegt. Daher besteht Anlass zur Sorge, dass der Gefange noch immer nicht angemessen medizinisch behandelt wird. Da Sarabi Seyunov dem Prozess zusammen mit den anderen Gefangenen nicht mehr beiwohnen kann, wird sein Fall nun aufgeschoben und soll in einem separaten Strafverfahren verhandelt werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Vor zwei Jahren wurde erstmals vermutet, dass Sarabi Seyunov an Tuberkulose erkrankt sein könnte. Die damals durch GefängnisärtztInnen durchgeführte Untersuchung war allerdings nicht eindeutig. Seitdem beklagte der Gefangene seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand. Erst im November 2011 stellte man die Tuberkulose-Diagnose. Bis dahin hatte er keine Medikamente gegen Tuberkulose erhalten. Seine Mitinsassen geben bereits seit langer Zeit und sogar vor Gericht an, dass es Sarabi Seyunov sehr schlecht gehe und er Blut aushuste. Vor seiner Verlegung ins Gefängniskrankenhaus am 10. November litt Sarabi Seyunov Berichten zufolge mindestens drei Tage an hohem Fieber und schweren Schmerzen im Brustbereich. Ihm wurden daraufhin lediglich Medikamente gegen das Fieber sowie Schmerzmittel verabreicht.

Nachdem man den 29-Jährigen in ein Gefängniskrankenhaus verlegt hatte, ordnete das Gericht eine getrennte Verhandlung seines Falles an. Dies verkompliziert die Arbeit der Verteidigung und erfordert ein neues Verfahren vor neuen RichterInnen in dem bereits jetzt schon sehr komplizierten Fall, bei dem sich die Anhörungen schon seit Januar 2008 hinziehen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bin sehr besorgt darüber, dass Sarabi Seyunov und seine Mitangeklagten keine angemessene medizinische Versorgung erhalten sollen und dass einige von ihnen offenbar absichtlich der Gefahr, an Tuberkulose zu erkranken, ausgesetzt werden.

- Ich fordere Sie auf, Sarabi Seyunov unverzüglich die notwendige medizinische Behandlung zu gewähren.

- Außerdem fordere ich von Ihnen, seiner Forderung nach einer unabhängigen medizinischen Untersuchung stattzugeben gemäß dem UN-Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen.

- Ich bitte Sie außerdem, aufgrund des Gesundheitszustands von Sarabi Seyunov eine andere Maßnahme anstelle der Haft in Erwägung zu ziehen.

- Veranlassen Sie bitte, dass alle Folter- und Misshandlungsvorwürfe von Sarabi Seyunov und den anderen Gefangenen untersucht werden.


APPELLE AN

LEITER DER STRAFVOLLZUGSBEHÖRDEN FÜR KABARDINO-BALKARIEN
Col. Vasily V. Fiodorov
Service for Execution of Punishments (UFSIN)
for Kabardino-Balkaria
Ulitsa Gen. Abidova, Nalchik, 360016
KBR, RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Colonel / Sehr geehrter Oberst Fiodorov)
Fax: (00 7) 8662 75 27 54 (Sagen Sie: "Fax")
E-Mail: ufsin07@ya.ru

LEITER DER STAATLICHEN STRAFVOLLZUGSBEHÖRDEN
Gen.-Col. Aleksandr A. Reimer
Ul. Zhitnaya 14, 119991
Moskau, GSP-1, RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Gen.-Col. Reimer / Sehr geehrter Generaloberst Reimer)
Fax: (00 7) 495 955 5912 oder (00 7) 499 799 3271
E-Mail: udmail@fsin.su

GENERALSTAATSANWALT
Yurii Ya. Chaika
Office of the Prosecutor General
Ul. B.Dimitrovka, d. 15a
125993 Moskau, GSP-3
RUSSISCHE FÖDERATION
(korrekte Anrede: Dear Prosecutor General / Sehr geehrter Herr Staatsanwalt)
Fax: (00 7) 495 692 17 25


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER RUSSISCHEN FÖDERATION
S. E. Herrn Vladimir M. Grinin
Unter den Linden 63-65
10117 Berlin
Fax: 030-2299 397
E-Mail: info@Russische-Botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 24. Januar 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern at reports that Sarabi Seyunov and his co-defenders continue to be denied access to adequate medical care, including that some may be being exposed to TB deliberately.

- Urging the authorities to ensure that Sarabi Seyunov be given all necessary and immediate medical care.

- Urging the authorities to respond to his requests for an independent medical examination, in accordance with the UN Body of Principles for the Protection of All Persons under Any Form of Imprisonment or Detention.

- Asking to consider replacing detention with a different form of pre-trial restriction in view of his health condition.

- Urging to investigate all allegations of torture and other ill-treatment of Sarabi Seyunov and all his co-defendants.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

ÄrztInnen, die in Haftanstalten, Gefängnissen und Gefängniskrankenhäusern in Russland arbeiten, gehören der Strafvollzugsbehörde an, die die Untersuchungsgefängnisse und Strafanstalten leitet. Sarabi Seyunov und seine ehemaligen Mitangeklagten haben bereits mehrmals angegeben, dass sie durch das Personal der Gefängnisverwaltung misshandelt worden seien, absichtlich mit tuberkulosekranken Gefangenen zusammengelegt werden und ihnen eine angemessene medizinische Behandlung verweigert wird. Valeriy Bolov und Murat Kardanov, die im selben Fall angeklagt worden waren, starben, nachdem sie sich zuvor mehrmals beklagt und dennoch keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten hatten. Erst als der Gesundheitszustand der beiden kritisch war und sie kurz vor dem Tod standen, wurden sie unter Auferlegung von Reisebeschränkungen freigelassen. Die jüngsten Beschwerden vom 9. Dezember stammen von den beiden muslimischen Gefangenen Islam Tukhuzhev und Eduard Mironov, die angaben, auf Befehl des Gefängnisleiters geschlagen worden zu sein. Zudem soll man ihnen die Bärte abrasiert haben. Berichte über Todesfälle in russischen Gefängnissen, die auf eine unzureichende medizinische Versorgung und die Misshandlung der Gefangenen zurückgeführt werden können, treten mit besorgniserregender Häufigkeit auf. Dieser Missstand wurden bereits wiederholt durch russische MenschenrechtlerInnen und in zahlreichen Kampagnen gegenüber den russischen Behörden angeprangert. Im UN-Grundsatzkatalog für den Schutz aller irgendeiner Form von Haft oder Strafgefangenschaft unterworfenen Personen lautet es: "Der Inhaftierte oder Strafgefangene ist so rasch wie möglich nach seiner Aufnahme in die Haft- oder Strafanstalt einer entsprechenden ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und später nach Bedarf ärztlich zu betreuen und zu behandeln. [...] Der Inhaftierte oder Strafgefangene beziehungsweise der Verteidiger hat das Recht, bei einem Richter oder einer Behörde eine zweite ärztliche Untersuchung oder ein zweites ärztliches Gutachten zu beantragen; dieses Recht unterliegt nur dem Vorbehalt, dass angemessene Bedingungen für Sicherheit und Ordnung in der Haft- oder Strafanstalt gewährleistet sein müssen" (Grundsätze 24 und 25).


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-359/2011, AI-Index: EUR 46/046/2011, Datum: 13. Dezember 2011 - ns
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2011