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AKTION/889: Urgent Action - Syrien - Syrischer Kurde in Foltergefahr


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-020/2012, AI-Index: MDE 24/007/2012, Datum: 24. Januar 2012 - gs

Syrien
Syrischer Kurde in Foltergefahr


Herr SHIBAL IBRAHIM, Angehöriger der kurdischen Minderheit in Syrien

Der politisch aktive Shibal Ibrahim, Angehöriger der kurdischen Minderheit in Syrien, wird von den Sicherheitskräften seit seiner Festnahme am 22. September 2011 ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten. Seine Gesundheit scheint angegriffen zu sein. Es besteht zudem die Gefahr, dass er gefoltert oder anderweitig misshandelt wird. Da Shibal Ibrahim allein wegen seines politischen Engagements festgenommen wurde, betrachtet Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen.

Der 35-jährige Shibal Ibrahim ist Mitglied der Vereinigung junger Kurden in Syrien. In der Vereinigung haben sich kurdische AktivistInnen zusammengeschlossen, die in den vornehmlich von Kurden bewohnten Landesteilen friedliche Proteste für Reformen in Syrien organisieren. Shibal Ibrahim wurde am 22. September 2011 von mehreren zivil gekleideten Männern aus der Wohnung seiner Familie in der im Nordosten Syriens gelegenen Stadt Qamishli geholt. Eine Woche später erfuhr die Familie aus einer Quelle des Krankenhauses von Qamishli, dass die Sicherheitskräfte Shibal Ibrahim dort eingeliefert hatten und er Spuren von Folter und anderen Misshandlungen aufwies. Dieselbe Quelle teilte der Familie ferner mit, Shibal Ibrahim sei in der Klinik behandelt und anschließend zum Stützpunkt des Geheimdienstes der Luftwaffe in Qamishli gebracht worden. Als die Familie sich daraufhin auf dem Stützpunkt nach Shibal Ibrahim erkundigte, erhielt sie die Auskunft, ihr Angehöriger sei nach Damaskus in die dortige Nachrichtenabteilung der Luftwaffe verlegt worden.

Nach Kenntnis von Amnesty International ist keine Anklage gegen Shibal Ibrahim erhoben worden. Allerdings zeigten MitarbeiterInnen des Luftwaffengeheimdienstes in Damaskus seiner Familie Videoaufnahmen, auf denen Shibal Ibrahim als Teilnehmer einer friedlichen Protestkundgebung zu erkennen war. Die GeheimdienstmitarbeiterInnen teilten der Familie mit, ihr Verwandter sei wegen seiner Teilnahme an dieser und weiteren Demonstrationen festgenommen worden. Amnesty International betrachtet daher Shilal Ibrahim als gewaltlosen politischen Gefangenen, der sich allein deshalb in Haft befindet, weil er von seinen Rechten auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in legitimer Weise Gebrauch gemacht hat.

Amnesty International sorgt sich darüber hinaus um die Gesundheit von Shibal Ibrahim, der an einer chronischen Nierenerkrankung leidet und täglich Antibiotika einnehmen muss. Ein kürzlich aus der Haft in der Nachrichtenabteilung der Luftwaffe in Damaskus freigelassener Gefangener berichtete der Familie von Shibal Ibrahim, ihr Verwandter befände sich in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Er habe seit seiner Festnahme wiederholt, aber vergeblich um Medikamenten gebeten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Demonstrationen für Reformen in Syrien begannen im Februar 2011 und entwickelten sich Mitte März zu Massenprotesten. Obwohl die Demonstrationen weitgehend friedlich verliefen, reagierten die Behörden in ihrem Bestreben, die Proteste niederzuschlagen, mit großer Brutalität. Amnesty International verfügt über die Namen von mehr als 4600 Menschen, die Berichten zufolge seit Mitte März im Zusammenhang mit den Demonstrationen gestorben sind oder getötet wurden. Vermutlich sind viele von ihnen von den Sicherheitskräften, die mit scharfer Munition gegen die Protestierenden vorgegangen sind, erschossen worden, während sie an friedlichen Demonstrationen oder der Beisetzung von Opfern früherer Proteste teilnahmen. Auch Angehörige der Sicherheitskräfte sind getötet worden, einige von abtrünnigen Soldaten, die ihre Waffen nun gegen die Regierung einsetzen.

Tausende weitere Menschen wurden festgenommen und viele von ihnen ohne Kontakt zur Außenwelt an unbekannten Orten in Haft gehalten, an denen Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung sein sollen. Seit dem 1. April 2011 sind mehr als 235 Menschen unter Verdacht erregenden Umständen in der Haft zu Tode gekommen. Die syrische Regierung unterhält zahlreiche Sicherheits- und Geheimdienstbehörden. Darüber hinaus ist noch eine Vielzahl eher undurchsichtiger Einheiten aktiv, deren Mitglieder nicht unbedingt Unformen tragen, aber bewaffnet sind. Diese Einheiten handeln offenkundig in Absprache, zumindest aber mit Duldung staatlicher FunktionsträgerInnen und sind für Entführungen, Tötungen und andere Übergriffe verantwortlich. Darüber hinaus hat Amnesty International von Berichten Kenntnis erhalten, denen zufolge bewaffnete Personen Menschen bedrohen, misshandeln und in einigen Fällen auch töten, von denen sie annehmen, dass sie staatlichen Organen angehören oder die Regierung unterstützen.

Shibal Ibrahim ist verheiratet und Vater von drei Kindern im Alter von einem, sechs und neun Jahren. Nach Auskunft ehemaliger Gefangener, die Kontakt zu seiner Familie aufgenommen haben, ist er nach seiner Inhaftierung auf dem Luftwaffenstützpunkt in Qamishli für rund zwei Tage zum Geheimdienst der Luftwaffe nach Deir al-Zour gebracht worden. Von dort verlegte man Shibal Ibrahim nach Damaskus auf das Gelände des Militärflughafens in Mezzeh, wo er nach vorliegenden Meldungen rund 15 Tage festgehalten wurde. Am 20. Oktober 2011 schließlich wurde Shibal Ibrahim in den Gewahrsam des Luftwaffengeheimdienstes in Damaskus überstellt.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich möchte meine Sorge darüber ausdrücken, dass Shibal Ibrahim seit September 2011 ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten wird und die Gefahr besteht, dass er Folter oder Misshandlungen erleidet.

- Sorgen Sie bitte dafür, dass Shibal Ibrahim unverzüglich und regelmäßig medizinisch versorgt wird.

- Ich weise darauf hin, dass Amnesty International Shilal Ibrahim als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachtet, der allein deshalb in Haft gehalten wird, weil er auf friedliche Weise seine Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen hat. Amnesty International fordert daher seine sofortige und bedingungslose Freilassung.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 332 3410

VERTEIDIGUNGSMINISTER
General Dawood Rajiha
Ministry of Defence
Omayyad Square
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency / Exzellenz)
Fax: (00 963) 11 666 2460


KOPIEN AN

AUSSENMINISTER
Walid al-Mu'allim
Ministry of Foreign Affairs and Expatriates
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
Fax: (00 963) 11 214 625 12 oder (00 963) 11 214 625 13

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herr Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de
press@syrianembassy.de
secretary@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 6. März 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Expressing concern that Shibal Ibrahim has been held incommunicado since September 2011 and that he is at risk of torture or other ill-treatment.

- Calling on the authorities to ensure that he has immediate and regular access to all necessary medical care.

- Calling for Shibal Ibrahim to be immediately und unconditionally released as he is a prisoner of conscience held solely for peacefully exercising his rights to freedom of expression, assembly and association.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Der kurdische Bevölkerungsanteil in Syrien liegt bei annähernd zehn Prozent. Die meisten syrischen KurdInnen leben in der Nähe der Stadt Aleppo im Norden des Landes oder in der Region al-Jazeera im Nordosten von Syrien. Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in den vorwiegend von KurdInnen bewohnten Gebieten sind im Vergleich zu den übrigen Landesteilen schlechter. Die kurdische Bevölkerung ist aufgrund ihrer Identität Diskriminierungen ausgesetzt. Beispielsweise dürfen KurdInnen an den Schulen ihre Sprache nur eingeschränkt verwenden. Auch ihre Kultur dürfen sie nicht ungehindert leben, beispielsweise keine kurdische Musik produzieren oder vertreiben. Diese Form der Diskriminierung verstößt gegen Artikel 2 (Verbot der Diskriminierung) und Artikel 27 (Rechte von Minderheiten) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, zu dessen Vertragsstaaten Syrien gehört. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat die syrischen Behörden in seinem dritten periodischen Bericht aus dem Jahr 2005 aufgefordert, allen Angehörigen der kurdischen Minderheit effektiven Schutz vor Diskriminierung zukommen zu lassen und sicherzustellen, dass sie in Übereinstimmung mit Artikel 27 des Pakts ihre eigene Kultur bewahren und ihre eigene Sprache sprechen können.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-020/2012, AI-Index: MDE 24/007/2012, Datum: 24. Januar 2012 - gs
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2012